Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 49/2007
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U 49/07

Urteil vom 17. August 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Schön,
Gerichtsschreiberin Heine.

M.________, 1960, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Wyssmann, Theaterplatz 8, 3011 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern
vom 12. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1960 geborene M.________ arbeitete seit 15. Februar 1994 in der Firma
Q.________ AG als Bauarbeiter und war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 8. September 2003 zog er sich bei einem Autounfall als
Beifahrer eine Stauchung der rechten Hand zu. Anlässlich der kreisärztlichen
Untersuchung vom 5. Februar 2004 stellte der SUVA-Arzt, Dr. med. K.________,
Allgemeine Chirurgie FMH, zusätzlich die Diagnose einer Halswirbelsäulen
(HWS)-Distorsion. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung, Taggelder). Nach einem Bericht des Dr. med. R.________,
Neurochirurgie FMH, Klinik X.________, vom 7. Dezember 2004 stellte die SUVA
mit Verfügung vom 8. September 2005 die laufenden Versicherungsleistungen ab
dem 30. September 2005 ein und verneinte einen Anspruch auf Invalidenrente
und Integritätsentschädigung. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom
12. Januar 2006 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab (Entscheid vom 12. Dezember 2006).

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren
stellen, ihm seien weiterhin Taggelder basierend auf einer vollständigen
Arbeitsunfähigkeit auszurichten; eventualiter sei ihm eine ganze Rente
zuzusprechen.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das
Bundesamt für Gesundheit auf Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurden
das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu
einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt
(Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10
Rz. 75) und es wurde die Organisation und das Verfahren des obersten Gerichts
umfassend neu geregelt. Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten
eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein
Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid
nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da
der kantonale Entscheid am 12. Dezember 2006 und somit vor dem 1. Januar 2007
erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis 31. Dezember 2006 in
Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege
(OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Heilbehandlung
(Art. 10 Abs. 1 UVG) und Taggelder (Art. 16 Abs. 1 und 2 UVG) sowie die
Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) zutreffend dargelegt (BGE
119 V 335 E. 1 S. 337). Entsprechendes gilt für die von der Judikatur
entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im
Allgemeinen (BGE 125 V 456 E. 5a S. 461) sowie bei psychischen Unfallfolgen
im Besonderen (BGE 115 V 133), zur Bemessung der Integritätsentschädigung
(BGE 116 V 156 E. 3a S. 157) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und
Gutachten (BGE 122 V 157 E. 1c S. 160). Darauf wird verwiesen.

2.2 Die Adäquanzbeurteilung nach HWS-Distorsionen (ohne organisch
nachweisbare Unfallfolgeschäden) hat grundsätzlich nach der in BGE 117 V 359
E. 6a S. 366 und 369 E. 4b S. 382 dargelegten Rechtsprechung mit ihrer
fehlenden Differenzierung zwischen körperlichen und psychischen Beschwerden
zu erfolgen (zum Ganzen BGE 123 V 98 E. 2a S. 99, 119 V 335). Von diesem
Grundsatz ist abzuweichen, wenn die zum typischen Beschwerdebild eines
HWS-Schleudertraumas gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben
sind, im Vergleich zur ausgeprägten psychischen Problematik aber unmittelbar
nach dem Unfall ganz in den Hintergrund treten oder die physischen
Beschwerden im Verlaufe der ganzen Entwicklung vom Unfall bis zum
Beurteilungszeitpunkt gesamthaft nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt
haben: diesfalls ist die Prüfung der adäquaten Kausalität praxisgemäss unter
dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall gemäss BGE
115 V 133 vorzunehmen (BGE 123 V 98 E. 2a S. 99; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437
[Urteil U 164/01 vom 18. Juni 2002]).

3.
Mit Blick auf die Aktenlage und die Parteivorbringen besteht kein Anlass, den
vorinstanzlich in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen
bejahten (teilweisen) natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom
8. September 2003 und dem über den 30. September 2005 hinaus fortdauernden,
die Leistungsfähigkeit einschränkenden somatoformen Beschwerdebild des
Versicherten letztinstanzlich erneut der richterlichen Überprüfung zu
unterziehen (BGE 110 V 48 E. 4b S. 53). Zu beurteilen bleibt die - einzig -
umstrittene Adäquanz des Kausalzusammenhangs.

3.1 Aus den Akten geht hervor, dass der Versicherte unmittelbar nach dem
Unfall (Arztzeugnis UVG vom 25. September 2003/Rückfallmeldung vom
6. November 2003) eine Verstauchung der rechten Hand beklagte. Erst
anlässlich der kreisärztlichen Untersuchung vom 5. Februar 2004 stellte der
SUVA-Arzt, Dr. med. K.________, die Diagnose einer HWS-Distorsion, wobei er
den Verdacht des Hausarztes auf eine chronische Schmerzkrankheit bekräftigte
und auch eine posttraumatische Belastungsstörung mit pathologischer
Schmerzverarbeitung in Betracht zog. Im Austrittsbericht der Rehaklinik
Y._______ vom 28. April 2004 wurde die Diagnose der HWS-Distorsion bestätigt
sowie ein zervikospondylogenes Schmerzsyndrom rechts und eine
Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten
(ICD-10: F45.25) diagnostiziert. Die apparativen Untersuchungen
(konventionell-radiologische Aufnahmen als auch MRI-Untersuchungen) ergaben
keinen wesentlichen pathologischen Befund, welcher das Ausmass der subjektiv
empfundenen Schmerzen erklären könnte. Das psychosomatische Konsilium vom
6. April 2004 schliesst eine posttraumatische Belastungsstörung und eine
Depression mit Krankheitswert aus, weshalb die Ärzte Dres. O.________,
Leitender Arzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, und S.________, Oberarzt
Psychiater, aus psychischer Sicht eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
ausschlossen. Im kreisärztlichen Bericht vom 19. Oktober 2004 wurde sodann
eine erhebliche Diskrepanz zwischen den bildgebenden Untersuchungen (Klinik
X.________ vom 14. April 2004) und den geklagten Beschwerden festgehalten,
weshalb weitere Untersuchungen angeordnet wurden. Dr. med. G.________,
Röntgeninstitut Z.________, hielt in seinem Befundbericht vom 2. November
2004 explizit fest, dass die Bilder altersentsprechend eine normale
Darstellung der intracraniellen Strukturen ergaben, keine Raumforderung und
keine Ischämie gegeben sei und keine alten posttraumatischen Veränderungen
nachweisbar seien. Auch Dr. med. R.________, Neurochirurgie FMH, Klinik
X.________, schliesst auf Aggravation, da alle klinischen, neurologischen und
neuroradiologischen Befunde negativ waren. Gestützt auf die medizinischen
Akten und den durchgeführten Untersuchungen gelangte schliesslich der
SUVA-Arzt im Bericht vom 12. April 2005 zur Diagnose einer anhaltenden
somatoformen Schmerzstörung (ICD-10: F45.4). Bei dieser Sachlage ist davon
auszugehen, dass die zum typischen Beschwerdebild nach Schleudertrauma der
HWS auftretenden Beeinträchtigungen wenn überhaupt eine sehr untergeordnete
Rolle gespielt haben und damit ganz in den Hintergrund getreten sind. Die
Adäquanzbeurteilung hat daher nicht nach den für Schleudertrauma und
schleudertraumaähnliche Verletzungen der HWS (BGE 117 V 359 ff: RKUV 2000
Nr. U 395 S. 317 E. 3: SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67), sondern nach den für
psychische Unfallfolgen (BGE 115 V 133 ff.) geltenden Regeln zu erfolgen (BGE
123 V 99 E. 2a; RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437). Daran vermögen auch die
Ausführungen des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Im Gegenteil wurden
trotz mehreren klinischen und bildgebenden Untersuchungen keine physischen
Befunde festgestellt, weshalb schliesslich in der kreisärztlichen
Abschlussuntersuchung vom 12. April 2004 nur die Diagnose einer somatoformen
Schmerzstörung festgehalten wurde.

4.
4.1 Einfache Auffahrunfälle werden im Rahmen der Adäquanzbeurteilung in der
Regel als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Unfällen qualifiziert
(RKUV 2005 Nr. U 549 S. 237 E. 5.1.2). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs
wäre daher zu bejahen, wenn ein einzelnes der in die Beurteilung
einzubeziehenden Kriterien in besonders ausgeprägter Wiese erfüllt wäre oder
mehrere der zu berücksichtigenden Kriterien gegeben wären (BGE 115 V 140).

4.2 Der Unfall vom 8. September 2003 hat sich nicht unter besonders
dramatischen Begleiterscheinungen ereignet noch war er - objektiv betrachtet
(RKUV 1999 Nr. U 335 S. 209 E. 3b/cc) - von besonderer Eindrücklichkeit. Er
hatte auch keine schweren Verletzungen oder Verletzungen besonderer Art zur
Folge. Die Diagnose eines Schleudertraumas oder einer
schleudertraumaähnlichen Verletzung der HWS vermag die Schwere oder besondere
Art der erlittenen Verletzung und insbesondere ihre erfahrungsgemässe
Eignung, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, für sich allein nicht zu
begründen. Es bedarf hiezu einer besonderen Schwere der für das
Schleudertrauma typischen Beschwerden oder besonderer Umstände, welche das
Beschwerdebild beeinflussen können (Urteile vom 10. Februar 2006 [U 79/05]
und vom 28. April 2005 [U 386/04]). Diese können beispielsweise in einer beim
Unfall eingenommenen besonderen Körperhaltung und den dadurch bewirkten
Komplikationen bestehen (RKUV 2003 Nr. U 489 S. 361 E. 4.3). Solche Umstände
sind hier nicht gegeben, selbst wenn der Versicherte als Beifahrer zum
Unfallzeitpunkt schlief, so verstauchte er sich lediglich die Hand. Nicht
erfüllt ist sodann das Kriterium der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen
Behandlung. Die primäre Unfallbehandlung beschränkte sich auf ambulante
Physiotherapie; in der Folge waren es somatoforme Beschwerden und psychische
Beeinträchtigungen, welche zu weiteren Untersuchungen und Behandlungen Anlass
gaben. Auch wenn später erneut kurzfristig physiotherapeutische Massnahmen
durchgeführt wurden, handelte es sich insgesamt nicht um eine
kontinuierliche, mit einer gewissen Planmässigkeit auf die Verbesserung des
Gesundheitszustandes gerichtete ärztliche Behandlung von ungewöhnlich langer
Dauer (Urteile vom 14. März 2005 [U 82/04] und vom 24. September 2003
[U 361/02]). Im Vordergrund stand die Behandlung eines weitgehend psychisch
bedingten Schmerzsyndroms, was bei der Adäquanzbeurteilung unberücksichtigt
zu bleiben hat (Urteil vom 10. Februar 2006 [U 79/05]). Von einer ärztlichen
Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert hat, kann
ebenso wenig gesprochen werden wie von einem schwierigen Heilungsverlauf und
massiven Komplikationen. Vielmehr war es die psychische Symptomatik, welche
zu einem protrahierten Heilungsverlauf geführt hat. Soweit eine physisch
bedingte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bestanden hat, war sie nicht
erheblicher Natur. Schliesslich ist auch das Kriterium der körperlichen
Dauerschmerzen zu verneinen. Da somit weder eines der für die
Adäquanzbeurteilung massgebenden Kriterien in besonders ausgeprägter Weise
erfüllt ist noch mehrere der zu berücksichtigenden Kriterien gegeben sind,
ist die Unfalladäquanz der geltend gemachten Beschwerden zu verneinen.

5.
Der Einspracheentscheid der SUVA, mit welchem die Heilkosten- und
Taggeldleistungen per 30. September 2005 eingestellt wurden, besteht mithin
zu Recht, was zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt. Mangels
einer Unfallkausalität der bestehenden Beeinträchtigungen erweisen sich auch
die Begehren um Zusprechung einer Invalidenrente als unbegründet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 17. August 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: