Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 46/2007
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2007
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2007


U 46/07

Urteil vom 10. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiber Lanz.

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

G.________, 1945, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus
Schmid, Lange Gasse 90, 4052 Basel.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 27. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1945 geborene, zuletzt als kaufmännische Angestellte tätig gewesene
G.________ war als Bezügerin von Arbeitslosenentschädigung bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert, als sie am 26. Januar 2002 einen Verkehrsunfall
erlitt. Der von ihr gelenkte Renault Twingo wurde beim vortrittsberechtigten
Abbiegen an der vorderen rechten Seite von einem entgegenkommenden Ford
Mondeo gerammt. Wegen danach aufgetretener Beschwerden suchte G.________ am
29. Januar 2002 den Hausarzt auf, welcher auf eine Distorsion der
Halswirbelsäule (HWS) befand und ab dem Unfallzeitpunkt eine volle
Arbeitsunfähigkeit bestätigte. In der Folge wurde von ärztlicher Seite auch
die Diagnose einer milden traumatischen Gehirnverletzung gestellt. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach
Abklärungen zum Unfallhergang und zum medizinischen Sachverhalt eröffnete sie
der Versicherten mit Verfügung vom 20. Januar 2005 die Einstellung der
Leistungen auf den 28. Februar 2005. Zugleich verneinte sie einen Anspruch
auf eine Invalidenrente und auf eine Integritätsentschädigung. Zur Begründung
wurde ausgeführt, die noch geklagten Beschwerden stünden nicht in einem
rechtserheblichen Zusammenhang zum versicherten Ereignis. Die vom
Krankenversicherer der G.________ hiegegen erhobene Einsprache wurde wieder
zurückgezogen. Die Einsprache der Versicherten wies die SUVA ab
(Einspracheentscheid vom 3. November 2005).

B.
In Gutheissung der von G.________ hiegegen erhobenen Beschwerde hob das
Kantonsgericht Basel-Landschaft den Einspracheentscheid vom 3. November 2005
auf, und es verpflichtete die SUVA, die Versicherungsleistungen über den 28.
Februar 2005 hinaus zu erbringen (Entscheid vom 27. September 2006).

C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

G. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus dem Verkehrsunfall vom 26. Januar 2002 über den
28. Februar 2005 hinaus.

Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im
angefochtenen Entscheid, auf welchen verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Es
betrifft dies nebst den massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen namentlich
die Grundsätze über den für einen Leistungsanspruch vorausgesetzten
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181 mit
Hinweisen) sowie bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V
133) und bei nicht mit organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen
verbundenen HWS-Schleudertraumen (BGE 117 V 359), äquivalenten Verletzungen
der HWS (RKUV 2000 Nr. U 395 S. 316 E. 3, U 160/98; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67
E. 2) und Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) im Besonderen. An diesen
Grundsätzen hat sich mit dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003
nichts geändert.

3.
Das kantonale Gericht hat zunächst erkannt, dass die persistierenden
Beschwerden nicht mit einem organisch objektiv ausgewiesenen unfallbedingten
Gesundheitsschaden erklärt werden können. Das ist nach Lage der Akten
richtig.

Aus den weiteren Erwägungen im angefochtenen Entscheid geht nicht
zweifelsfrei hervor, ob die Vorinstanz von einem beim Unfall erlittenen
Schädel-Hirntrauma ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle ausgeht oder
nicht. Jedenfalls ist sie zur Auffassung gelangt, die Versicherte habe bei
der Autokollision eine - ebenfalls nicht mit organisch objektiv ausgewiesenen
Unfallfolgen verbundene - HWS-Distorsion erlitten, welche natürlich kausal
sei für die persistierenden Beschwerden. Der adäquate Kausalzusammenhang sei
daher nach der sog. Schleudertrauma-Praxis zu prüfen.

Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde führende SUVA verneint jegliche natürlich
unfallkausale Verletzung, welche die Anwendung der besagten
Adäquanzbeurteilungspraxis zu rechtfertigen vermöchte. Die noch geklagten
Beschwerden seien vielmehr mit einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall
zu erklären.

Die diskutierte Unterscheidung bei den Adäquanbeurteilungsmethoden ist
insofern von Bedeutung, als nach der Schleudertrauma-Praxis, anders als im
Falle einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall, bei der Prüfung der
abhängig von der Unfallschwere gegebenenfalls in die Adäquanzprüfung
einzubeziehenden unfallbezogenen Kriterien auf eine Differenzierung zwischen
physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird, weil es hier nicht
entscheidend ist, ob Beschwerden eher als organischer und/oder psychischer
Natur beurteilt werden (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367 und 369 E. 4b S. 382 f.).

4.
Aufgrund der medizinischen Akten ist die Diagnose einer beim Unfall vom 26.
Januar 2002 erlittenen HWS-Distorsion als gesichert zu betrachten. Gleiches
gilt für das konsekutive Auftreten von weiten Teilen des für Schleudertraumen
und ähnliche Verletzungen der HWS typischen Beschwerdebildes (BGE 117 V 359
E. 4b S. 360; vgl. auch BGE 119 V 335), weshalb der natürliche
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den persistierenden Beschwerden
mit der Vorinstanz zu bejahen ist.

Was die SUVA vorbringt, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise. Es
betrifft dies sowohl die allgemeinen Ausführungen zur Schleudertrauma-Praxis
als auch die Vorbringen zu deren Anwendbarkeit im vorliegenden Fall.
Namentlich sind keine Widersprüche in den Aussagen der Versicherten
auszumachen, welche die geklagten und von verschiedenen Ärzten als
nachvollziehbar erachteten Beschwerden als nicht bestehend erscheinen
liessen. Dass die klinisch festgestellten Muskelverspannungen und
Bewegungseinschränkungen kein fassbares organisches Korrelat darstellen, ist
bei den der Schleuderdertrauma-Praxis zugrunde liegenden Verletzungsmustern
ohne Belang. Im Weiteren trifft zu, dass bei zu langem Zeitintervall zwischen
dem Unfall und dem Auftreten von schleudertraumatypischen Beschwerden die
natürliche Kausalität zu verneinen ist. Dies heisst aber entgegen der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung nicht, dass bereits
unmittelbar nach dem Unfall das ganze für derartige Verletzungen typische
Beschwerdebild vorliegen muss. Wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, genügt
- bei zuverlässiger Diagnose der Verletzung und späterem Hinzukommen eines
weiten Teils des Beschwerdebildes - wenn in einer Latenzzeit von höchstens 72
Stunden nach dem Unfall Beschwerden in der Halsregion oder an der HWS
auftreten (SVR 2007 UV Nr. 23 S. 75 E. 5 mit Hinweisen, U 215/05; RKUV 2000
Nr. U 359 S. 29 E. 5e). Das war hier der Fall. Es kann schliesslich auch
nicht gesagt werden, die bestehenden Beschwerden seien wahrscheinlicher auf
unfallfremde, wie etwa psychosoziale, Gründe als auf eine
schleudertraumaähnliche Verletzung der HWS zurückzuführen.

5.
Sind nach dem Gesagten die persistierenden Beschwerden natürlich kausal mit
einer beim Unfall vom 26. Januar 2002 erlittenen HWS-Verletzung im Sinne der
Schleudertrauma-Praxis zu erklären, gilt es den adäquaten Kausalzusammenhang
nach den hiefür geltenden Grundsätzen zu prüfen.

5.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f.). Das kantonale
Gericht hat die Auffahrkollision vom 26. Januar 2002 bei den mittelschweren
Unfällen an der Grenze zu den leichten Unfällen eingeordnet.

Das ist aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufes richtig. Ein schwerer
Unfall liesse sich auch nicht mit dem von der Versicherten angeführten
Umstand begründen, dass aufgrund des seitlich/diagonalen Kollisionspunktes an
der Karrosserie des von ihr gefahrenen Renaults dessen Knautschzone im
Frontbereich nicht zum Tragen gekommen sei. Auch Auffahrunfälle auf ein
haltendes Fahrzeug werden nämlich in der Regel als mittelschwere, im
Grenzbereich zu den leichten Unfällen liegende Ereignisse, in Einzelfällen
sogar als nur leichte Unfälle qualifiziert (RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236 E.
5.1.2, U 380/04, 2003 Nr. U 489 S. 357 E. 4.2, U 193/01, je mit Hinweisen),
obschon das bei diesen Kollisionen betroffene Fahrzeugheck strukturell
ebenfalls deutlich weniger geschützt ist als die Frontpartie. Zudem war hier
die Geschwindigkeit des Unfallgegners beim Aufprall recht gering. Dies ergibt
sich aus der verlässlich erscheinenden Beurteilung in der Technischen
Unfallanalyse vom 24. April 2004. Darin wird überdies ausgeführt, der
stattgefundene Bewegungsablauf sei eher mit einer geringeren Belastung der
HWS verbunden gewesen als eine gerade gerichtete frontale oder heckseitige
Kollision.

5.2 Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117
V 359 E. 6a S. 367), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise
oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 117
V 359 E. 6b S. 367 f.).
5.2.1 Das kantonale Gericht erachtet die Kriterien der Schwere oder
besonderen Art der erlittenen Verletzung, der ungewöhnlich langen Dauer der
ärztlichen Behandlung, der Dauerbeschwerden, des schwierigen Heilungsverlaufs
und erheblicher Komplikationen sowie des Grades und der Dauer der
Arbeitsunfähigkeit als - in jeweils nicht ausgeprägter Weise - erfüllt. Damit
wären die massgeblichen Kriterien in gehäufter Weise gegeben, was für die
Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs genügen würde. Die Versicherte
stimmt dieser Adäquanzbeurteilung zu. Weitere der praxisgemäss in Frage
kommenden Kriterien werden - nach Lage der Akten zu Recht - nicht zur
Diskussion gestellt.

Die SUVA verneint, allerdings unter dem Gesichtspunkt einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall, sämtliche adäquanzrelevanten Kriterien.

5.2.2 Die Prüfung der nach Auffassung von Vorinstanz und Versicherter
erfüllten Kriterien ergibt Folgendes:

Rechtsprechungsgemäss vermag die Diagnose eines Schleudertraumas resp. einer
Distorsion der HWS für sich allein das Kriterium der Schwere oder besonderen
Art der erlittenen Verletzung nicht zu begründen (RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236
E. 5.2.3 mit Hinweisen, U 380/04). Hiefür genügt entgegen dem angefochtenen
Entscheid auch nicht, wenn die verunfallte Person nach dem Unfall temporär
neuropsychologische Defizite aufgewiesen hat. Dem von der Vorinstanz
erwähnten Urteil U 20/95 vom 30. März 1995 (zusammengefasst in SZS 2001 S.
438 f. und Plädoyer 3/1995 S. 65) lässt sich nichts anderes entnehmen. Es
liegen auch keine weiteren Gesichtspunkte vor, welche für die Erfüllung des
Kriteriums sprechen würden. Das kantonale Gericht hat dieses daher zu Unrecht
bejaht.
Gleiches gilt für das Kriterium des schwierigen Heilungsverlaufs oder
erheblicher Komplikationen. Für dessen Bejahung genügt entgegen dem
angefochtenen Entscheid nicht, wenn keine nachhaltige Besserung der
Beschwerden eingetreten ist. Es bedürfte vielmehr besonderer Gründe, welche
die Heilung beeinträchtigt haben (SVR 2007 UV Nr. 26 S. 86, U 339/06, E. 5.3
mit Hinweisen). Anhaltspunkte hiefür liegen nicht vor. Die Entwicklung nach
dem Unfall vom 26. Januar 2002 entspricht dem nach HWS-Schleudertraumen
Üblichen.

Ob das Kriterium von Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit als erfüllt zu
betrachten ist, erscheint schon mit Blick darauf, dass die Versicherte im
Unfallzeitpunkt bereits frühpensioniert war und seither eine Pension von rund
zwei Dritteln des ehemaligen Lohnes erhält, eher fraglich. Dies muss aber
nicht abschliessend beurteilt werden. Denn auch wenn dieses und die beiden
weiteren vom kantonalen Gericht bejahten Kriterien (Dauer der ärztlichen
Behandlung; Dauerbeschwerden) - ohne nähere Prüfung - als erfüllt betrachtet
werden, ist jedenfalls keines in besonders ausgeprägter Weise gegeben und
bestehen die adäquanzrelevanten Kriterien weder gehäuft noch in besonderer
Weise. Entgegen dem angefochtenen Entscheid kommt dem Unfall vom 26. Januar
2002 somit keine rechtserhebliche Bedeutung für die persistierenden
Beschwerden zu. Dies führt zur Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom
27. September 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Widmer Lanz