Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 42/2007
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U 42/07

Urteil vom 16. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

S. ________, 1944, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Alex Beeler, Frankenstrasse 3, 6003 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom
14. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1944 geborene, zuletzt als kaufmännische Angestellte tätig gewesene
S.________ war als Bezügerin von Arbeitslosenentschädigung bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen
Unfallfolgen versichert, als sie am 13. September 2003 in einen
Verkehrsunfall verwickelt wurde. Vor einem Kreisel fuhr ein Fiat Punto von
hinten auf den Mercedes 560 SEL, in welchem sie als Beifahrerin vorne sass,
auf. Die Polizei wurde nicht beigezogen. Der wegen auftretender Beschwerden
am 16. September 2003 aufgesuchte Hausarzt diagnostizierte eine
HWS-Distorsion und bestätigte eine volle Arbeitsunfähigkeit ab dem
Unfallzeitpunkt. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung, Taggeld). Nach Abklärungen zum Unfallhergang und zum
medizinischen Sachverhalt eröffnete sie S.________ mit Verfügung vom 19.
April 2004 die Einstellung der Leistungen auf den 30. April 2004. Zugleich
verneinte sie einen Anspruch auf eine Invalidenrente und auf eine
Integritätsentschädigung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die noch geklagten
Beschwerden stünden nicht in einem rechtserheblichen Zusammenhang zum
versicherten Ereignis. Daran hielt die SUVA auf Einsprache der Versicherten
hin fest (Einspracheentscheid vom 30. Juli 2004).

B.
S.________ erhob Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
sistierte das Verfahren bis zum Vorliegen des von der Invalidenversicherung
in Auftrag gegebenen MEDAS-Gutachtens. Dieses wurde am 6. Juni 2006
erstattet, wobei die medizinischen Experten auch die ihnen unterbreiteten
Fragen zur unfallversicherungsrechtlichen Streitsache beantworteten. Mit
Entscheid vom 14. Dezember 2006 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde
ab.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Sache an die SUVA
zurückzuweisen mit der Auflage, über den 30. April 2004 hinaus Taggeld bei
einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % auszurichten sowie
Heilbehandlung zu gewähren; eventuell sei eine Invalidenrente entsprechend
einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 35 % auszurichten.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, ohne sich
weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus dem Verkehrsunfall vom 13. September 2003 über den 30.
April 2004 hinaus.

Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im
Einspracheentscheid vom 30. Juli 2004 und im angefochtenen Entscheid
zutreffend dargelegt. Es betrifft dies nebst den massgeblichen gesetzlichen
Bestimmungen namentlich die Grundsätze über den für einen Leistungsanspruch
vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und
3.2 S. 181 mit Hinweisen) sowie bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall
(BGE 115 V 133) und bei nicht mit organisch objektiv ausgewiesenen
Unfallfolgen verbundenen HWS-Schleudertraumen (BGE 117 V 359), äquivalenten
Verletzungen der HWS (RKUV 2000 Nr. U 395 S. 316 E. 3,       U 160/98; SVR
1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) und Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) im
Besonderen. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat zunächst gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 6.
Juni 2006 erkannt, es liege nebst weiteren gesundheitlichen Beschwerden eine
in Angst und Depression gemischt bestehende psychische Problematik vor,
welche nicht als natürlich kausale Unfallfolge zu betrachten sei. Diese
Beurteilung wird zu Recht von keiner Seite in Frage gestellt.

3.2 Die Vorinstanz hat weiter erwogen, es hätten keine organischen
Unfallfolgen im Sinne einer natürlich unfallkausalen bleibenden oder
langdauernden strukturellen Schädigung der HWS nachgewiesen werden können.
Auch eine richtunggebende Verschlimmerung des ausgeprägten degenerativen
Vorzustandes liege nicht vor.

Diese Beurteilung ist nach Lage der medizinischen Akten richtig. Soweit die
Versicherte unter Hinweis auf die teilweise als somatisch beschriebenen
Beschwerden eine abweichende Auffassung vertreten lässt, kann ihr nicht
gefolgt werden. Dass Beschwerden als physisch imponieren, genügt nicht für
den Nachweis einer unfallbedingten organischen Ursache. Eine solche haben die
medizinischen Abklärungen nicht ergeben und ist auch von weiteren
fachärztlichen Untersuchungen nicht zu erwarten.

Festzuhalten bleibt, dass der fehlende Nachweis einer unfallkausalen
organischen Ursache nicht ausschliesst, dass dem Unfall für die geklagten
körperlichen Beschwerden doch zumindest eine teilursächliche Bedeutung
zukommt (zum Genügen einer Teilursächlichkeit für die Leistungspflicht des
Unfallversicherers: BGE 123 V 43 E. 2b S. 45 mit Hinweis, 121 V 326 E. 2 S.
329 mit Hinweisen). Soweit an einer Stelle im angefochtenen Entscheid etwas
anderes gesagt wird, trifft dies nicht zu.

3.3 Ob die persistierenden Beschwerden - soweit von der ohnehin unfallfremden
psychischen Problematik getrennt zu betrachten (E. 3.1) - als zumindest
teilweise natürlich unfallkausal zu beurteilen sind, wird von den
Verfahrensbeteiligten kontrovers beantwortet und wäre grundsätzlich zu
prüfen. Darauf wie auch auf weitere Beweisvorkehren zur Frage des natürlichen
Kausalzusammenhangs kann indessen praxisgemäss verzichtet werden, wenn
ohnehin der adäquate Kausalzusammenhang zu verneinen ist (SVR 1995 UV Nr. 23
S. 67 E. 3c; ferner aus jüngerer Zeit: Urteile U 17/07 vom 30. Oktober 2007,
E. 3 Ingress, U 606/06 vom 23. Oktober 2007, E. 4, und U 299/05 vom 28. Mai
2007, E. 5.2).

Es ist daher der adäquate Kausalzusammenhang zu prüfen. Dabei gilt sowohl bei
psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133) wie bei der
Schleudertrauma-Praxis zugrunde liegenden Verletzungen (BGE 117 V 359, 369;
SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67), dass die Adäquanz in der Regel bei leichten
Unfällen ohne weiteres verneint und bei schweren Unfällen bejaht werden kann,
während im dazwischen liegenden Bereich der mittelschweren Unfälle
zusätzliche Kriterien in die Beurteilung einzubeziehen sind (BGE 117 V 359 E.
6a        S. 366 f., 369 E. 4b S. 383, 115 V 133 E. 6 S. 139 f.).
Rechtsprechungsgemäss ist sodann die Adäquanz - als Ausnahme zur Regel -
unter bestimmten Umständen auch bei leichten Unfällen zu prüfen (RKUV 2003
Nr. U 489 S. 357 E. 4.2, U 193/01, 1998 Nr. U 297 S. 243 E. 3b, U 16/97).

Die Unfallschwere beurteilt sich nach dem augenfälligen Geschehensablauf (BGE
117 V 359 E. 7a S. 368, 369 E. 5a S. 384, 115 V 133 E. 6 S. 139; vgl. auch
Urteil U 2, 3 und 4/07 vom 19. November 2007, E. 5.1). Auffahrkollisionen auf
ein (stehendes) Fahrzeug werden dabei regelmässig in die Kategorie der
mittelschweren Ereignisse im Grenzbereich zu den leichten Unfällen eingereiht
(RKUV 2005 Nr. U 549    S. 236 E. 5.1.2 mit Hinweisen, U 380/04). Der
vorliegende Geschehensablauf weist indessen einige Besonderheiten auf, welche
auf einen nur leichten Unfall schliessen lassen. Das hintere Auto prallte
nicht mit einer im fliessenden Verkehr üblichen Geschwindigkeit auf das
vordere auf. Vielmehr befanden sich die unfallbeteiligten Fahrzeuge vor der
Einfahrt in einen Kreisel in einer Kolonne, in welcher sie abwechselnd
standen und sich bis zum nächsten Halt wieder in Bewegung setzten
(Stop-and-Go-Verkehr). Die Geschwindigkeiten waren dabei entsprechend
niedrig. Dies zeigt sich auch an den ausgesprochen geringen Schäden, welche
die beiden Fahrzeuge bei der Auffahrkollision erlitten. Am Mercedes, in
welchem die Versicherte sass, konnte nur eine leichte Beschädigung des
hinteren Stossfängers festgestellt werden. Der Fiat des Unfallgegners musste
im Frontbereich repariert werden, wobei sich die Kosten unter Fr. 1000.-
hielten. Keiner der Unfallbeteiligten hielt es zudem für nötig, die Polizei
beizuziehen oder ärztliche Betreuung am Unfallort zu beanspruchen. Auch
konnten offenbar beide Wagen die Fahrt nach dem Unfall aus eigener Kraft
fortsetzen.

Es liegt somit ein leichter Unfall vor. Die Voraussetzungen für die
ausnahmsweise Adäquanzprüfung auch bei einem leichten Unfall sind nicht
gegeben. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der Auffahrkollision vom
13. September 2003 und den persistierenden Beschwerden ist daher ohne
weiteres zu verneinen. Soweit in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine
abweichende Auffassung vertreten wird, kann ihr nicht gefolgt werden.
Namentlich trifft auch nicht zu, dass die biomechanische Kurzbeurteilung vom
20. November 2003 eine durch die Kollision bedingte Geschwindigkeitsänderung
(delta-v) des Mercedes von 10 - 15 km/h ergeben habe. In der Kurzbeurteilung
wird vielmehr von einem delta-v-Wert unterhalb dieses
Geschwindigkeitsbereichs ausgegangen. Wie es sich bei der von der
Versicherten behaupteten Geschwindigkeitsänderung verhielte, kann offen
bleiben.

Ist der adäquate Kausalzusammenhang nach dem Gesagten aufgrund der
Unfallschwere und ohne besondere Prüfung zu verneinen, erübrigen sich
Weiterungen zu der von der Versicherten aufgeworfenen Frage des Zeitpunktes
der Adäquanzbeurteilung.

3.4 Die Vorinstanz hat somit eine weitere Leistungspflicht der SUVA zu Recht
verneint.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz