Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 41/2007
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U 41/07

Urteil vom 3. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

B. ________, 1951, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft, Hohlstrasse 552, 8048 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 8. November 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1951 geborene B.________, als Managing Director in der Firma X.________
AG tätig und dadurch bei der Elvia Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Elvia) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, erlitt am
19. April 1999 einen Verkehrsunfall. Die linke vordere Ecke des von ihm
gelenkten Oldsmobile kollidierte beim Einbiegen in eine Strasse mit einem
vorbeifahrenden Lieferwagen. Der anderntags aufgesuchte Hausarzt
diagnostizierte eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) bei vorbestehender
Bewegungseinschränkung und bestätigte eine hälftige Arbeitsunfähigkeit ab dem
Unfallzeitpunkt. Am 17. Mai 1999 nahm der Versicherte die Arbeit wieder
vollumfänglich auf. Am 29. September 1999 konnte gemäss Hausarzt die
Heilbehandlung abgeschlossen werden. Die Elvia erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Am 11. April 2000 meldete der Hausarzt
der Elvia immer wieder auftretende Verspannungszustände im Bereich des
cervicothoracalen Überganges nebst Schwindelzuständen mit Sehstörungen,
Tinnitus, Benommenheit etc., welche Symptome wohl als Folge früherer
Auffahrunfälle resp. des zuletzt diagnostizierten Schleudertraumas zu werten
seien. Der Unfall sei daher "wieder zu aktivieren". Die Elvia gewährte erneut
Heilbehandlung. Im September 2000 erwähnte der Versicherte gegenüber dem
Versicherer ein weiteres Unfallereignis; er habe sich kurz nach dem
Verkehrsunfall vom 19. April 1999, ca. im Mai/Juni 1999, den Kopf an einer
Sprinkleranlage gestossen. In der Folge wurde vom Hausarzt ab 1. Mai 2001
eine Arbeitsunfähigkeit von 75 % bestätigt. Die Elvia und - als ihre
Rechtsnachfolgerin - die Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Allianz) trafen weitere Abklärungen zum Unfallgeschehen und zum
medizinischen Sachverhalt. Im Oktober 2004 richtete die Allianz -
unpräjudiziell und unter Vorbehalt einer Rückforderung - rückwirkend ab April
2004 Taggeld auf der Grundlage einer Arbeitsunfähigkeit von 75 % aus. Mit
Verfügung vom 1. November 2004 eröffnete sie B.________, die
Versicherungsleistungen würden per 30. September 1999 eingestellt, und es
bestehe kein Anspruch auf eine Invalidenrente und eine
Integritätsentschädigung. Die nach dem 30. September 1999 erbrachten
Heilbehandlungs- und Taggeldleistungen würden zurückgefordert. B.________ und
sein Krankenversicherer erhoben je Einsprache. Die Allianz hiess die
Einsprache des Versicherten teilweise gut, indem sie auf die Rückforderung
erbrachter Leistungen verzichtete. Im Übrigen wies sie die Einsprachen mit
der Begründung, es fehle an einem natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen den Unfällen vom 19. April sowie Mai/Juni 1999
und den nach dem 30. September 1999 aufgetretenen Beschwerden, ab
(Einspracheentscheid vom 22. Juni 2005).

B.
Die von B.________ hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen nach Durchführung eines
zweifachen Schriftenwechsels und einer mündlichen Verhandlung mit Entscheid
vom 8. November 2006 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ beantragen, in Aufhebung
des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Allianz zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen für die Folgen der Unfälle vom 19. April und Juni
1999 zu erbringen, insbesondere Taggeld bei einer Arbeitsunfähigkeit von 75 %
ab 1. Mai 2001 nachzuzahlen und Heilbehandlung zu gewähren, sowie den
Anspruch auf eine Invalidenrente entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von
mindestens 75 % und auf eine Integritätsentschädigung bei einem
Integritätsschaden von mindestens 40 % zu prüfen und festzulegen.

Die Allianz schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit
darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der
angefochtene Entscheid ist indessen vorher ergangen, weshalb sich das
Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG;
BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Allianz begründet den Antrag, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
einzutreten, damit, Anfechtungsobjekt sei der kantonale Gerichtsentscheid vom
8. November 2006. Soweit der Versicherte die Ausrichtung von Taggeld, einer
Rente und einer Integritätsentschädigung geltend mache, fehle es an einem
Anfechtungsgegenstand.
Dieser Einwand dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass das kantonale
Gericht über die besagten Leistungen nicht entschieden habe und daher
hierüber keine letztinstanzliche Beurteilung erfolgen könne. Das trifft nicht
zu. Im Einspracheentscheid vom 22. Juni 2005 hat die Allianz auch den
Anspruch auf diese Geldleistungen verneint. Sodann wurde die hiegegen
gerichtete Beschwerde vom kantonalen Gericht integral, einschliesslich der
darin gestellten Anträge auf Zusprechung solcher Leistungen, abgewiesen. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher hinsichtlich dieser
Leistungsberechtigung zulässig. Gleiches gilt - unbestrittenermassen - in
Bezug auf die geltend gemachte Heilbehandlung.

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung aus den Unfällen vom 19. April und Mai/Juni 1999 über den
30. September 1999 hinaus.

Die Rechtsgrundlagen hiefür sind im angefochtenen Entscheid, auf welchen
verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Es betrifft dies nebst den
massgeblichen Bestimmungen namentlich die Grundsätze über den für einen
Leistungsanspruch vorausgesetzten natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (vgl.
BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181) im Allgemeinen sowie bei
Schleudertraumen und schleudertraumaähnlichen Verletzungen der HWS ohne
organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolgen (BGE 117 V 359; RKUV 2000 Nr. U
395 S. 116 E. 3, U 160/98; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) im Besonderen.
Nicht zu beanstanden sind auch die Erwägungen über die zu beachtenden
Beweisregeln. Wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend ausführt, hat sich an
den dargelegten Grundsätzen mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Januar 2003
nichts geändert.

4.
4.1 Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, es fehle am adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen den Unfällen vom 19. April sowie Mai/Juni 1999
und den nach dem 30. September 1999 aufgetretenen Beschwerden, weshalb der
natürliche Kausalzusammenhang nicht abschliessend beurteilt werden müsse. Die
Adäquanz prüfte das Gericht, wie bereits der Unfallversicherer, nach der auf
Schleudertraumen und äquivalente Verletzungen der HWS ohne organisch objektiv
ausgewiesene Unfallfolgen zugeschnittenen sog. Schleudertrauma-Praxis.

4.2 Die Anwendbarkeit dieser Praxis wird vom Beschwerdeführer zu Recht
ebenfalls bejaht. Er lässt indessen geltend machen, die Sache sei zur Klärung
der natürlichen Kausalität an die Allianz zurückzuweisen. Denn eine
Adäquanzprüfung ohne vorgängige Beurteilung der natürlichen Kausalität falle
bei nach BGE 117 V 359 zu behandelnden Unfällen ausser Betracht.

Dieser Einwand ist unbegründet. Es entspricht ständiger Praxis, dass bei
einer Schleudertrauma- oder schleudertraumaähnlichen Verletzung auf weitere
Beweisvorkehren zur Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs verzichtet
werden kann (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 3c; ferner aus jüngerer Zeit:
Urteile U 17/07 vom 30. Oktober 2007, E. 3 Ingress, U 606/06 vom 23. Oktober
2007, E. 4, und U 299/05 vom 28. Mai 2007, E. 5.2), wenn der adäquate
Kausalzusammenhang zu verneinen ist.

4.3 Es gilt somit den adäquaten Kausalzusammenhang zu prüfen. Ergibt sich,
dass es an der Adäquanz fehlt, braucht auch nicht näher auf die von den
Parteien geführte Diskussion betreffend Beweislastverteilung und hinreichende
Mitwirkung des Versicherten bei der Abklärung des für die natürliche
Kausalität massgeblichen Sachverhalts eingegangen zu werden.

Dabei ist die Adäquanzprüfung entgegen der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiter vertretenen Auffassung nicht etwa als
verfrüht zu betrachten. Spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des
Einspracheentscheides vom 22. Juni 2005 waren sämtliche adäquanzrelevanten
Faktoren zuverlässig beurteilbar.

5.
5.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f.).

Die Unfälle vom 19. April und Mai/Juni 1999 sind aufgrund des augenfälligen
Geschehensablaufes (höchstens) im mittelschweren Bereich an der Grenze zu den
leichten Unfällen einzuordnen.

5.2 Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche
als massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117
V 359 E. 6a S. 367), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise
oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 117
V 359 E. 6b S. 367 f.).

Während Unfallversicherer und Vorinstanz keines der adäquanzrelevanten
Kriterien als erfüllt erachten, sind nach Auffassung des Versicherten deren
fünf, nachfolgend im Einzelnen behandelte, in ausgeprägter und in gehäufter
Weise gegeben. Weitere Adäquanzkriterien werden zu Recht nicht zur Diskussion
gestellt.

Als schwer oder besonderer Art sind die erlittenen Verletzungen nicht zu
betrachten. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der
Versicherte bei der Kollision vom 19. April 1999 nach vorne gebeugt war und
mit dem Kopf an die Sonnenblende stiess, wie er dies nach dem Unfall
beschrieben hat.

Weder war der Heilungsverlauf schwierig noch traten erhebliche Komplikationen
auf. Das Andauern von Beschwerden trotz Behandlungsmassnahmen genügt nicht
zur Bejahung des Kriteriums.

Der Versicherte war nach dem Unfall vom 19. April 1999 während knapp eines
Monates hälftig arbeitsunfähig. Danach bestand während fast zwei Jahren keine
ärztlich bestätigte Einschränkung des Leistungsvermögens. Erst ab Mai 2001
wurde wieder eine teilweise Arbeitsunfähigkeit im Umfang von 75 % attestiert.
Das Kriterium von Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist damit nicht
erfüllt. Hieran ändert entgegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts,
wenn die Invalidenversicherung (IV) ab 1. Mai 2002 eine ganze Invalidenrente
zugesprochen hat, ist doch für die IV als finale Versicherung, anders als für
die Unfallversicherung, nicht entscheidend, worauf eine die Arbeits- (und
Erwerbs-)fähigkeit einschränkende Gesundheitsschädigung zurückzuführen ist
(vgl. BGE 124 V 174 E. 3b S. 178 mit Hinweisen).

Ob die beiden in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde überdies geltend gemachten
Kriterien der Dauerbeschwerden sowie der ungewöhnlich langen Dauer der
ärztlichen Behandlung bejaht werden könnten, erscheint mit Blick auf die sich
aus den Akten ergebenden Anhaltspunkte, namentlich auch die erheblichen
zeitlichen Intervalle ohne relevante Beschwerden, eher fraglich, muss aber
nicht abschliessend beantwortet werden. In besonders ausgeprägter Weise wäre
jedenfalls keines dieser Kriterien erfüllt.

5.3 Es ist demnach weder ein einzelnes Kriterium in besonders ausgeprägter
Weise gegeben noch liegen mehrere Kriterien in gehäufter oder auffallender
Weise vor. Damit fehlt es am adäquaten Kausalzusammenhang zwischen den
Unfällen vom 19. April sowie Mai/Juni 1999 und den nach dem 30. September
1999 gemeldeten Beschwerden, weshalb die Vorinstanz eine Leistungspflicht der
Beschwerdegegnerin hiefür zu Recht verneint hat.

6.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 134 OG). Die Allianz hat entgegen ihrem
Antrag und ungeachtet ihres Obsiegens keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG; BGE 132 V
215 E. 6.1 S. 235 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Widmer Lanz