Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 22/2007
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U 22/07

Urteil vom 6. September 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Ersatzrichter Maeschi,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

K. ________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Beat
Müller-Roulet, Schwarztorstrasse 28, 3007 Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1,
6004 Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 10. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
K. ________, geboren 1958, war als Hilfsarbeiter bei der Firma X.________
angestellt und bei der Schweiz. Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch für Berufs- und Nichtberufsunfälle sowie Berufskrankheiten
versichert. Im Dezember 1989 verunfallte er mit dem eigenen Personenwagen im
ehemaligen Jugoslawien und zog sich dabei eine Kopfverletzung zu. Am 26. Juli
1990 wurde im Kantonsspital Y.________ eine Exhärese des Nervus frontalis
rechts durchgeführt. Am 30. Januar 1991 stellte die SUVA die
Versicherungsleistungen (Heilbehandlung, Taggeld) ein.
Im März/April 2001 suchte K.________ gestützt auf Arztberichte, welche eine
posttraumatische Epilepsie erwähnten, erneut um Versicherungsleistungen nach.
Die SUVA holte beim Schweiz. Epilepsie-Zentrum EPI ein Gutachten ein und
lehnte einen Leistungsanspruch mit der Begründung ab, dass die Beschwerden
psychischer Natur seien und nicht in einem rechtserheblichen (adäquaten)
Kausalzusammenhang mit dem versicherten Unfall stünden (Verfügung vom 17.
Dezember 2002). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 28. März 2003
fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 3. Juli 2003 ab. Auf eine weitere Eingabe vom
28. Dezember 2003 trat das Gericht nicht ein (Entscheid vom 9. März 2004).
Am 6. Februar 2006 liess K.________ die SUVA um Revision bzw. Wiedererwägung
u.a. des Einspracheentscheids vom 28. März 2003 ersuchen, nachdem ihm die
IV-Stelle für Versicherte im Ausland mit Wirkung ab 1. Oktober 2005 eine
ganze Rente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % zugesprochen hatte
(Verfügung vom 24. November 2005). Unter Hinweis auf die in Rechtskraft
erwachsenen kantonalen Entscheide trat die SUVA auf das Begehren mit
Verfügung vom 16. März 2006 nicht ein. Die dagegen erhobene Einsprache wies
sie ab, soweit sie darauf eintrat (Einspracheentscheid vom 8. Juni 2006).

B.
Die von K.________ eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden einschliesslich des Begehrens um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung für das Einsprache- und das
Beschwerdeverfahren ab (Entscheid vom 10. Oktober 2006).

C.
Mit Beschwerde an das Bundesgericht lässt K.________ sinngemäss beantragen,
in Aufhebung des angefochtenen Entscheids seien die  Verfügungen und
Einspracheentscheide der SUVA revisions- bzw. wiedererwägungsweise aufzuheben
und es sei die SUVA zu verpflichten, ihm aus dem Unfall vom 23. Dezember 1989
weiterhin die gesetzlichen Leistungen, zuzüglich Zins von 5 %, zu erbringen.
Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die SUVA zurückzuweisen oder
seien vom Bundesgericht zusätzliche medizinische Abklärungen (namentlich eine
neuropsychologische Untersuchung) insbesondere zum adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den bestehenden gesundheitlichen
Beeinträchtigungen anzuordnen. Ferner sei ihm für das Verfahren vor der SUVA,
dem kantonalen Verwaltungsgericht und dem Bundesgericht die unentgeltliche
Verbeiständung zu gewähren.
Die SUVA beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni
2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Dieses Gesetz
ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des
Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn
auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Da der kantonale Gerichtsentscheid vor
dem 1. Januar 2007 erlassen wurde, richtet sich das Verfahren nach dem bis
31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG) vom 16. Dezember 1943 (vgl. BGE 132 V 393 E. 1.2 S.
395).

2.
Mit dem angefochtenen Entscheid vom 10. Oktober 2006 hat das kantonale
Gericht den Einspracheentscheid vom 8. Juni 2006 bestätigt, mit dem die SUVA
ein wiedererwägungs- bzw. revisionsweises Zurückkommen auf die rechtskräftige
Ablehnung des Leistungsanspruchs (Einspracheentscheid vom 28. März 2003) und
die Gewährung der unentgeltliche Verbeiständung für das Verfügungs- und
Einspracheverfahren abgelehnt hat. Im vorliegenden Verfahren ist daher
lediglich zu prüfen, ob der Unfallversicherer zu Recht ein Zurückkommen auf
den Einspracheentscheid abgelehnt hat. Gegenstand des Verfahrens bildet
ferner der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung.

3.
3.1 Gemäss einem in Art. 53 Abs. 2 ATSG verankerten allgemeinen Grundsatz des
Sozialversicherungsrechts kann der Versicherungsträger auf formell
rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese
zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung ist. Dieses Zurückkommen liegt - beim Fehlen eigentlicher
Revisionsgründe (vgl. Art. 53 Abs. 1 ATSG) - im Ermessen des
Versicherungsträgers. Es besteht demnach kein gerichtlich durchsetzbarer
Anspruch auf Wiedererwägung. Verfügungen, mit denen das Eintreten auf ein
Wiedererwägungsgesuch abgelehnt wird, sind grundsätzlich weder beschwerde-
noch einspracheweise anfechtbar (BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52 mit Hinweisen).

3.2 Nachdem die SUVA auf das Wiedererwägungsgesuch vom 6. Februar 2006 nicht
eingetreten ist, fehlt es diesbezüglich an einem anfechtbaren Entscheid,
weshalb die Vorinstanz in diesem Punkt zu Recht auf die Beschwerde nicht
eingetreten ist. Dies auch deshalb, weil der Einspracheentscheid vom 28. März
2003 Gegenstand gerichtlicher Überprüfung gebildet hatte (Entscheide des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 3. Juli 2003 und 9. März 2004)
und formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide nur in
Wiedererwägung gezogen werden können, wenn sie nicht Gegenstand materieller
richterlicher Beurteilung waren (BGE 127 V 466 E. 2c S. 469 mit Hinweisen).

4.
4.1 Gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und
Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person
oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen
entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich
war. Als neu gelten nach der sinngemäss anwendbaren Rechtsprechung zur
Revision von Gerichtsentscheiden (Art. 137 lit. b OG) Tatsachen, welche sich
zwar vor Erlass der formell rechtskräftigen Verfügung oder des
Einspracheentscheids verwirklicht haben, dem Gesuchsteller trotz
hinreichender Sorgfalt jedoch nicht bekannt waren. Die Tatsachen müssen zudem
entscheidend sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche
Grundlage der Verfügung oder des Einspracheentscheids zu verändern und bei
zutreffender Würdigung zu einer anderen Entscheidung zu führen. Neue
Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen
entscheidenden Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar
bekannt gewesen, zum Nachteil des Gesuchstellers aber unbewiesen geblieben
sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit neuen Mitteln bewiesen
werden, hat der Gesuchsteller auch darzutun, dass er die Beweismittel im
früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Entscheidend ist ein neues
Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem andern Entscheid
geführt, wenn hievon bereits im Verfügungs- oder Einspracheverfahren Kenntnis
bestanden hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der
Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsfeststellung dient. Es genügt
daher nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders wertet; vielmehr
bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die
Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen (BGE 127 V
353 E. 5b S. 358 mit Hinweisen; Kieser, ATSG-Kommentar, N 10 ff. zu Art. 53).

4.2 Im Hinblick darauf, dass der Einspracheentscheid vom 28. März 2003
Gegenstand gerichtlicher Überprüfung gebildet hatte, ist nicht zu
beanstanden, dass die SUVA auf das Revisionsgesuch nicht eingetreten ist
(vgl. auch BGE 109 V 119 E. 2b S. 121 sowie Kieser, a.a.O., N 15 zu Art. 53).
Darüber hinaus hat die SUVA das Vorliegen eines Revisionsgrundes zu Recht
verneint. Es kann diesbezüglich auf die Erwägungen im Urteil gleichen Datums
betreffend das Revisionsgesuch gegen die kantonalen Entscheide vom 3. Juli
2003 und 9. März 2004 verwiesen werden (U 23/07).

5.
5.1 Zu bestätigen ist der kantonale Entscheid auch, soweit damit die
Beschwerde gegen die Verweigerung der unentgeltliche Verbeiständung für das
Verfügungs- und Einspracheverfahren und das Begehren um unentgeltliche
Verbeiständung im Beschwerdeverfahren abgewiesen wurden. Sowohl im
Verwaltungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG) als auch im Beschwerdeverfahren
(Art. 61 lit. f ATSG) setzt der Anspruch u.a. voraus, dass das Verfahren
nicht als aussichtslos erscheint. Als aussichtslos sind nach der
Rechtsprechung zu Art. 4 aBV und Art. 152 OG Begehren anzusehen, bei denen
die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und
praktisch auszuschliessen ist, dass ihnen auch nur teilweise entsprochen
werden kann (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 mit Hinweisen). Diese Regeln sind
auch im Rahmen von Art. 37 Abs. 4 ATSG und Art. 61 lit. f. ATSG anwendbar
(BGE 132 V 200 E. 4.1 S. 201; Kieser, a.a.O., N 21 zu Art. 37, N 90 zu Art.
61). Wenn die Vorinstanz die Begehren im Lichte dieser Rechtsprechung als
aussichtslos beurteilt hat, so verstösst dies nicht gegen Bundesrecht.

5.2 Wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerdebegehren kann dem Gesuch um
unentgeltliche Verbeiständung auch für das letztinstanzliche Verfahren nicht
entsprochen werden (Art. 152 Abs. 2 OG; BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135, 128 I
225 E. 2.5.3 S. 236 mit Hinweis).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Begehren um unentgeltliche Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden, 2. Kammer als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für
Gesundheit zugestellt.

Luzern, 6. September 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: