Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen U 14/2007
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U 14/07

Urteil vom 3. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grünvogel.

B. ________, 1957,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Keiser,
Pestalozzistrasse 2, 8200 Schaffhausen,

gegen

Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Wuhrmattstrasse 21, 4103
Bottmingen, Beschwerdegegnerin,

Unfallversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen vom 1. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1957 geborene B.________ war bei der Schweizerischen
National-Versicherung (im Folgenden: National) gegen Unfälle nach UVG
versichert, als sie am 5. Februar 1986 bei einem Unfall eine Luxation der
bereits im Mai 1982 wegen Instabilität operierten rechten Schulter erlitt.
Die Schulter konnte, wenn auch nur unter Schwierigkeiten, ohne ärztliche
Hilfe reponiert werden. Weil alsdann bei Armrückgriffen die Schulter ständig
leicht subluxierte, konsultierte B.________ am 14. Februar 1986 Dr. med.
H.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie. Dieser stellte eine Reoperation
bei erneuter vollständiger Luxation in Aussicht. Nach einem weiteren Unfall
vom 29. Dezember 1986 mit beiläufiger Luxation klärte Dr. med. H.________ die
Versicherte am 19. Januar 1987 erneut ab und empfahl nun die Sanierung der
rechten Schulter, da B.________ durch die seit dem Ereignis vom 5. Februar
1986 bestehende Luxationstendenz (ständig leichte und zweimalige volle
Luxation) in ihrer Bewegungsfreiheit eindeutig beeinträchtigt sei. Die
National anerkannte ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen
Leistungen. B.________ wurde am 19. März 1987 an der Schulter operiert.

Am 19. Dezember 2000 wurde wegen zunehmender, sich schliesslich in
Dauerbeschwerden wandelnder Schmerzen ein weiterer Eingriff an der Schulter
vorgenommen. Kurz zuvor hatte Dr. med. E.________, Facharzt FMH für
Chirurgie, B.________ am 16. und 23. November 2000 untersucht und dabei
Instabilitäten in der rechten Schulter als Ursache der Probleme erkannt. Die
National wertete dies als Rückfall und erbrachte die entsprechenden
Leistungen.

Auch für die am 24. Oktober 2003 erneut von Dr. med E.________ durchgeführte
Schulterarthroskopie rechts mit Débridement und partieller Synovektomie
erbrachte die National nach Konsultation des Vertrauensarztes Dr. med.
V.________, Facharzt FMH für Chirurgie,(Bericht vom 15. November 2003)
zunächst Leistungen, liess B.________ aber alsdann durch Dr. med. G.________,
Facharzt FMH für Chirurgie, am 13. Mai 2004 begutachten.

Gestützt darauf verweigerte die National mit Verfügung vom 18. November 2004
weitere Leistungen mit der Begründung, bereits seit Januar 1987 habe
eigentlich kein Kausalzusammenhang mehr zwischen dem Unfallereignis vom 29.
Dezember 1986 und den Schulterbeschwerden bestanden. Auf Einsprache hin
ergänzte die Versicherung ihre ablehnende Haltung mit der Begründung, auch
der Unfall vom 5. Februar 1986 könne gemäss Einschätzung von Dr. med.
G.________ nicht mehr ursächlich für die heutigen Beschwerden sein.

B.
Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Schaffhausen mit Entscheid vom 1. Dezember 2006 ab.

C.
B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in
Aufhebung des vorinstanzlichen und des Einspracheentscheids sei die
Leistungspflicht des Unfallversicherers zu bejahen.

Die National schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die
beigeladene Krankenversicherung, die Sanitas Grundversicherungen AG, Zürich,
und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Im kantonalen Gerichtsentscheid wird die nach der Rechtsprechung für den
Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1
UVG) geltende Voraussetzung des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem
Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2
S. 181) zutreffend dargelegt. Zu ergänzen ist, dass es zur
Leistungsbegründung darüber hinaus eines adäquaten Kausalzusammenhangs
bedarf. Dieser deckt sich aber bei organischen Unfallfolgen weitgehend mit
der natürlichen Kausalität; die Adäquanz hat hier gegenüber dem natürlichen
Kausalzusammenhang praktisch keine selbstständige Bedeutung (BGE 118 V 286 E.
3a S. 291; 117 V 359 E. 5d/bb S. 365 mit Hinweisen; vgl. BGE 128 V 169 E. 1c
S. 72). Richtig sind sodann die Erwägungen der Vorinstanz zum Beweiswert und
zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3
S. 352; 122 V 157 E. 1c, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

3.
Im Streit steht die Frage, ob die zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung vom
18. November 2004 vorhandenen Beschwerden in der rechten Schulter mit den
Unfällen vom 5. Februar und 29. Dezember 1986 in einem Kausalzusammenhang
stehen.

Vorinstanz und Versicherer stellten zur Beantwortung dieser Frage massgeblich
auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. med. G.________
vom 21. Mai 2004 ab, während die Beschwerdeführerin die aus dem Zeitraum der
Unfälle stammenden Berichte von Dr. med. H.________ vom 27. Januar und 19.
März 1987 für massgeblich betrachtet.

3.1 Dr. med. G.________ nimmt in seiner Expertise ausdrücklich Stellung zum
Zusammenhang zwischen der Schädigung der rechten Schulter und dem Ereignis
vom 29. Dezember 1986, bei welchen die Versicherte beim Reiten von einem
stolpernden Pferd an die Wand gedrückt worden war und sich dabei in erster
Linie eine Thoraxkontusion und eine Fraktur der neunten Rippe rechts
zugezogen hatte.

In diesem Punkt überzeugt das Gutachten, steht es doch auch im Einklang mit
der Einschätzung des die Versicherte in dieser Zeit behandelnden Dr. med.
H.________, welcher im Unfall vom 29. Dezember 1986 ebenfalls kein adäquates
Trauma für die dabei beiläufig zugezogene Luxation der rechten Schulter
erblickt hatte.

3.2 Zur Frage, ob allenfalls der Unfall vom 5. Februar 1986 Ursache für die
später fortbestehenden Schulterbeschwerden sei, äussert sich Dr. med.
G.________ ebenfalls, wenngleich lediglich indirekt, indem er in Kenntnis der
zum Unfall vom 5. Februar 1986 noch vorhandenen Akten die rechtsseitigen
Schulterbeschwerden mit mindestens überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die
in den Jahren 1980 oder 1981 erlittene Luxation zurückführt.
Entscheidwesentlich für diese Schlussfolgerung muss dabei seine, auf Angaben
der Beschwerdeführerin beruhende Feststellung über die zwischen der
operativen Behandlung des primären Luxationstraumas im Mai 1982 und dem
Ereignis vom 5. Februar 1986 liegende Zeit gewesen sein. Danach hat die
Schulter bereits in diesen Jahren wiederholt und ohne äussere Einflüsse
(sub-)luxiert, wobei die Versicherte die Schulter jeweils selbstständig
repositionieren konnte. Weil Dr. med. G.________ darüber hinaus den Unfall
vom 5. Februar 1986 als nicht fassbare Traumatisierung bezeichnete, folgerte
er, die Schulterbeschwerden mit Luxationstendenz seien seit der erstmaligen
Luxation in den Jahren 1980 oder 1981 fortbestehend.

3.3 Dr. med. H.________ bezeichnete dagegen den Unfall vom 5. Februar 1986 in
den Berichten vom 21. Januar und 29. März 1987 ausdrücklich als adäquates
Trauma für die danach aufgetretenen Probleme im Schulterbereich mit
anschliessender Operation vom 19. März 1987. Allerdings ging er - anders als
Dr. med. G.________ - von einer beschwerde- und luxationsfreien Zeit seit der
ersten Operation aus.
Unter einem adäquaten Trauma verstehen die Mediziner einen Unfall, bei dem
die Schulter durch eine Kraft- und Gewalteinwirkung derart
ausgekugelt/-gerenkt wird, als dies in aller Regel einen dauerhaften Schaden
bewirkt und weitere Luxationen begünstigt. Folgen alsdann der ersten Luxation
in einem Zeitraum weniger Jahre weitere Luxationen ohne neues adäquates
Unfallereignis, sind diese mit dem bereits bestehenden Schulterschaden in
Verbindung zu bringen. Liegt hingegen ein zweiter Unfall vor, bei dem wie
bereits beim ersten, die Schulter durch eine adäquate Kraft- und
Gewalteinwirkung ausgekugelt/-gerenkt wurde und konnten die damit
einhergehenden Beschwerden daraufhin nur operativ geheilt werden, ist es
durchaus möglich, diese zweite Luxation als für die weiteren Schulterprobleme
ursächlich zu betrachten (dazu siehe: Léon Konrad, La luxation récidivante de
l'épaule d'un point de vue assécurologique - un exemple type du cas de
coordination entre AM et AA, in SZS 45/2001 S. 293 f.).
3.4 Die Feststellung von Dr. med. G.________, es hätten nach der ersten
Reposition im Mai 1982 bis zum Unfall vom 29. Dezember 1986 keine fassbaren
Traumatisierungen mehr stattgefunden, steht im offenen Widerspruch zur, aus
der damaligen Zeit stammenden Aussage von Dr. med. H.________, wonach die
Versicherte am 5. Februar 1986 ein adäquates Trauma für die folgenden
Luxationen erlitten habe. Ob allerdings Dr. med. H.________ auch dann von
einem, die Schulterprobleme (mit-)verursachenden adäquaten Trauma ausgegangen
wäre, falls er - wie nunmehr Dr. med. G.________ - ebenfalls vorbestehende
Beschwerden und Luxationen angenommen hätte, ist eine andere Frage. Dass er
den Unfallhergang nicht näher erläutert hat, liegt im damals bereits ohne
diese Ausführungen seine Leistungspflicht anerkennenden Unfallversicherer
begründet. Aus dem Umstand, dass die an den Unfall anschliessende Behandlung
zunächst nur geringe Kosten auslöste, kann bezüglich des Geschehens und der
dabei erlittenen Schwere des Schultertraumas entgegen der Auffassung der
Beschwerdegegnerin nichts gewonnen werden: Sich zunächst auf das Reponieren
und Beobachten des weiteren Vorgangs zu beschränken, erscheint sinnvoll und
sagt wenig über das Ausmass des Traumas aus.

3.5 Es bleibt daher für den Zeitraum vom Mai 1982 bis 8. Februar 1986 zu
klären, welcher der beiden, den unterschiedlichen Auffassungen zu Grunde
liegende Sachverhalt der überwiegend wahrscheinliche ist.

3.6 Zwischen den von Dr. med. G.________ rapportierten Aussagen der
Versicherten zur Beschwerde- und Luxationsanfälligkeit einerseits und dem
fraglichen Zeitraum zwischen der ersten Operation und dem Unfall vom 5.
Februar 1986 andererseits liegen rund 20 Jahre. Wenn die Beschwerdeführerin
diesbezüglich vorbringt, einzelne Äusserungen möglicherweise falschen
Zeiträumen zugeordnet zu haben, so erscheint dies glaubhaft. Dafür spricht
die von Dr. med. E.________ im Jahr 2000 ebenfalls auf der Grundlage von
Aussagen der Versicherten erstellte Anamnese, worin die beiden operativen
Eingriffe den Jahren 1980 und 1985 zugeordnet werden, was nachweislich falsch
ist. Auch ist darin zwar von stetem Instabilitätsgefühl und dauerhaften
Schmerzen die Rede (Auszug aus der von Dr. med. E.________ erstellten
Krankengeschichte vom 15. Januar 2001). Im Kontext gesehen erscheint diese
Aussage indessen - anders als von der Vorinstanz interpretiert - lediglich
als Hinweis auf den Gesundheitszustand nach den beiden Operationen.

Weil darüber hinaus die aus der Unfallzeit stammenden Akten keinerlei
Anhaltspunkte zur Stützung der von Dr. med. G.________ getroffenen
Feststellung bieten - Dr. med. H.________ im Bericht vom 27. Januar 1987
gegenteils ausdrücklich von einer beschwerde- und luxationsfreien Zeit vor
dem Unfall vom 5. Februar 1986 spricht -, sind die näher am Unfallgeschehen
liegenden Feststellungen von Dr. med. H.________ insgesamt wahrscheinlicher.

3.7 Damit ist der Einschätzung von Dr. med. G.________ zum
Kausalitätsausschluss des Unfalls vom 5. Februar 1986 für die fortbestehenden
Schulterbeschwerden die Grundlage entzogen. Die Einschätzung von Dr. med.
H.________ in den Berichten vom 27. Januar und 19. März 1987 ist demgenüber
nicht in Frage zu stellen. Danach handelte es sich beim am 5. Februar 1986
erlittenen Unfall um ein adäquates Trauma für die hernach aufgetretenen, am
19. März 1987 eine Operation erheischenden Luxationsprobleme.

Dr. med. V.________, welcher seiner Stellungnahme vom 15. November 2003 genau
diesen Sachverhalt zu Grunde gelegt und darüber hinaus den weiteren Verlauf
korrekt erfasst hatte, bejahte gegenüber der Beschwerdegegnerin das
Fortbestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Schulterbeschwerden
rechts und den Ereignissen des Jahres 1986, einschliesslich der konsekutiven
Operationen. Gestützt darauf ist eine über den 18. November 2004
hinausgehende Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die
Schulterbeschwerden rechts zu bejahen.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Ausgang des Verfahrens
entsprechend hat die Beschwerdegegnerin der obsiegenden Versicherten eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1
und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 1. Dezember 2006 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft
vom 15. Juli 2005 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die
Beschwerdegegnerin für die Schulterbeschwerden rechts über den 18. November
2004 hinausgehend leistungspflichtig ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Obergericht des Kantons Schaffhausen zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen,
der Sanitas Grundversicherungen AG, Zürich, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Januar 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Leuzinger Grünvogel