Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen P 2/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 7}
P 2/07

Urteil vom 7. August 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Parteien
S.________, 1950, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Solothurn
vom 5. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene S.________ meldete sich am 30. Mai 2005 bei der
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn (nachfolgend: Ausgleichskasse) zum Bezug
von Ergänzungsleistungen an. Die Ausgleichskasse lehnte sein Gesuch mit
Verfügung vom 28. Juni 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 12. Oktober
2005, ab.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 5. Dezember 2006 ab, soweit darauf eingetreten
wurde.

C.
S.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Berechnung
der Ergänzungsleistungen sei ohne Anrechnung der Lebensversicherung
vorzunehmen. Zudem sei ihm die Krankenkassenprämienverbilligung zuzusprechen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist
am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene
Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach dem
Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943
(OG; Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
haben durch das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6.
Oktober 2006 über die Schaffung von Erlassen zur Neugestaltung des
Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (AS 2007
5779) eine umfassende Neuregelung erfahren. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen (materiellen) Rechtssätze massgebend sind, die bei der
Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 132 V
215 E. 3.1.1 S. 220 mit Hinweisen), richtet sich der hier zu beurteilende
Anspruch auf Ergänzungsleistungen nach den bis Ende 2007 gültig gewesenen
Bestimmungen (vgl. Urteil 8C_147/2007 vom 27. Februar 2008, E. 2.1).

3.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die persönlichen
Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug von Ergänzungsleistungen (Art. 2 ff. ELG)
und die anrechenbaren Einnahmen (Art. 3c Abs. 1 ELG; BGE 121 V 204 E. 4a S. 205
mit Hinweisen), insbesondere im Rahmen eines Vermögensverzichts (Art. 3c lit. g
ELG; BGE 131 V 329; AHI 2001 S. 132 E. 1b, je mit Hinweisen) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer bezieht eine ganze Rente der Invalidenversicherung.
Dadurch hat er zusätzlich Anspruch auf eine jährliche Erwerbsausfallrente der
Lebensversicherung X.________ im Betrag von Fr. 13'832.-. Diese Police hatte er
am 5. Dezember 1995 zur Sicherstellung seiner persönlichen und geschäftlichen
(A.________ AG) Verpflichtungen der Bank Y.________ verpfändet. Nachdem über
die A.________ AG der Konkurs eröffnet worden war und die Versteigerung der mit
der verpfändeten Police gesicherten Grundstücke die Forderungen der Bank
Y.________ nicht deckte (vgl. Schreiben der Bank Y.________ vom 9. Februar 2000
und 29. Oktober 2002), verblieb eine Restschuld von über Fr. 100'000.-. Die
Bank Y.________ machte in der Folge ihr Pfandrecht geltend und bezog die
laufende Erwerbsausfallrente. Ausgleichskasse und kantonales Gericht
berücksichtigten bei der Ermittlung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen die
Erwerbsausfallrente als anrechenbares Einkommen.

4.2 Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht geltend, gemäss Art. 196 Ziff.
10 BV würden die Ergänzungsleistungen eine angemessene Deckung des
Existenzbedarfs bezwecken, weshalb nur solche Einkünfte zu berücksichtigen
seien, welche ihm tatsächlich zur Verfügung stünden. Ferner sei er auch nicht
in der Lage, die Krankenversicherungsprämien zu bezahlen, weshalb er einen
Antrag auf Prämienverbilligung stelle.

5.
5.1 Vorweg ist zu prüfen, was unter "anrechenbar" im Sinne von Art. 3c Abs. 1
ELG zu verstehen ist.

5.2 In seiner Botschaft zum Entwurf eines Bundesgesetzes über
Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom
21. September 1964 hielt der Bundesrat bezüglich des anrechenbaren Einkommens
fest, der massgebenden Einkommensgrenze sei das Nettoeinkommen aus Arbeit,
Vermögen und Rente mit Einschluss der AHV- und IV-Renten gegenüberzustellen.
Nur wenn dieses Einkommen den Grenzbetrag nicht erreiche, solle die
versicherungsmässige "Auffüllleistung" zur Auszahlung gelangen. Nach einem
anerkannten Grundsatz gingen die Versicherungsleistungen den reinen
Fürsorgeleistungen vor (BBl 1964 I 681, 692). Die einzelnen Bestandteile des
anrechenbaren Einkommens in Art. 3 Abs. 1 ELG würden sich an den für
ausserordentliche Renten der AHV und IV massgebenden Katalog anlehnen (BBl 1964
I 681, 705; vgl. auch AB 1964 SR S. 267, Votum Wipfli). In den
parlamentarischen Beratungen gab es keine weiteren Äusserungen in diesem
Zusammenhang.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat hiezu folgende Rechtsprechung
entwickelt: In seinem Urteil P 18/69 vom 22. Oktober 1969 hielt das
Eidgenössische Versicherungsgericht unter Verweis auf EVGE 1968 S. 128 fest,
bei den Ergänzungsleistungen gehe es um die laufenden Lebensbedürfnisse,
weshalb nur tatsächlich vereinnahmtes Einkommen anrechenbar ist. Gemäss Urteil
P 41/69 vom 2. Juni 1970 fallen Leistungen aus einem Verpfründungs- oder
ähnlichen Vertrag nur insoweit unter die anrechenbaren Einnahmen, als sie der
EL-beziehenden Person auch wirklich erbracht wurden. Im Urteil P 1/76 vom 10.
Mai 1976 stellte das Gericht fest, nach dem eindeutigen Sinn von Art. 3 Abs. 1
lit. b ELG (in der bis 31. Dezember 1997 in Kraft gewesenen Fassung) ist "nur
anrechenbar, was einem Versicherten als Reinvermögen bzw. als Kapitalertrag
rechtlich ungeschmälert zur Verfügung steht". Mit Urteil P 12/80 vom 9. Juni
1982 fasste das Gericht seine bisherige Rechtsprechung zusammen, wonach "nur
tatsächlich vereinnahmtes Einkommen" bzw. der versicherten Person "rechtlich
ungeschmälert zur Verfügung" stehendes Vermögen anrechenbar ist. Mit BGE 110 V
17 bestätigte das Gericht, dass nur jene Aktiven anrechenbares Vermögen im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b ELG (in der bis 31. Dezember 1997 in Kraft
gewesenen Fassung) darstellen, welche die versicherte Person tatsächlich
erhalten hat und über welche sie unbeschränkt verfügen kann. In ZAK 1988 S. 255
führte das Gericht aus, die Ergänzungsleistungen bezweckten die Deckung der
laufenden Bedürfnisse, weshalb bei der Anspruchsberechnung "nur tatsächlich
vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte" berücksichtigt werden
dürften, "über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann". Dieser
Grundsatz findet dort eine Einschränkung, wo die versicherte Person einen
Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte oder Vermögenswerte hat, davon aber
faktisch keinen Gebrauch macht. Diese Ausführungen zur angemessenen Deckung des
Existenzminimums und der Anrechenbarkeit von Einkommen und Vermögen wurden u.a.
bestätigt mit BGE 115 V 352 E. 5c S. 353, 121 V 204 E. 4a S. 205, 122 V 19 E.
5a S. 24, 127 V 368 E. 5a S. 369 sowie AHI 1994 S. 213 E. 3a und 2001 S. 290 E.
4b.
Aus der Rechtsprechung zu den verschiedenen Einkommensarten von Art. 3 Abs. 1
ELG (in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung) ergibt sich, dass das
Eidgenössische Versicherungsgericht nur jene Einnahmen als anrechenbar
erachtete, welche die EL-beanspruchende Person tatsächlich erhalten hat und
über welche sie im Zeitpunkt der EL-Beanspruchung in rechtlich ungeschmälerter
Weise verfügen kann. Nachdem das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil
P 10/99 vom 27. Januar 2000 entschieden hat, dass die Materialien und
Rechtsprechung zum bis 31. Dezember 1997 in Kraft gewesenen Art. 3 Abs. 1 lit.
c ELG auch für den seit 1. Januar 1998 geltenden Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG
relevant bleiben, da die beiden Normen übereinstimmen, ist davon auszugehen,
dass zum Begriff der Anrechenbarkeit die bisherige Rechtsprechung
weiterzuführen ist. Diese Auffassung von "anrechenbaren Einnahmen" steht auch
in Einklang mit dem Grundsatz, wonach bei der Ermittlung des Anspruchs auf
Ergänzungsleistungen keine Lebensführungskontrolle stattfindet (BGE 115 V 352
E. 5d S. 355).

5.3 Der Beschwerdeführer verpfändete seine Lebensversicherungspolice im Jahr
1995 zur Sicherung des Bankkredites. Nachdem sein Betrieb in Konkurs gefallen
war, machte die Bank Y.________, deren Forderungen ungedeckt blieben, ihr
Pfandrecht geltend. Anfänglich bot sie ihm den Rückkauf an (vgl. ihre Schreiben
vom 9. Februar 2000 und vom 29. Oktober 2002). Da der Beschwerdeführer jedoch
nach seiner vom 1. April 2000 bis 30. März 2001 dauernden Tätigkeit für die
B.________ AG eine ganze Invalidenrente bezog, floss der Bank Y.________ die
dadurch fällig gewordene Erwerbsausfallrente der Lebensversicherung X.________
zu. Der Beschwerdeführer hatte somit im Zeitpunkt, in welchem er um
Ergänzungsleistungen ersuchte, keine (rechtliche) Möglichkeit, diese Verwertung
des Pfandrechts zu verhindern. Da er somit die Erwerbsausfallrente weder
tatsächlich vereinnahmt hatte, noch darüber rechtlich verfügen konnte, ist ihm
diese Rente auch nicht als Einnahme im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG
anzurechnen. Ein anderes Ergebnis wäre nur möglich, wenn ihm ein Verzicht
gemäss Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG vorzuwerfen wäre (E. 6). Der hier zu
beurteilende Fall ist auch nicht mit dem von der Vorinstanz zitierten Urteil P
55/04 vom 11. Juli 2005 vergleichbar. Zwar ging es dort ebenfalls um Einkünfte
aus einer verpfändeten Lebensversicherungspolice. Die Verpfändung erfolgte
jedoch zur Sicherung einer Hypothek zu einer Liegenschaft, welche im Zeitpunkt
der strittigen Ergänzungsleistungen dem Leistungsansprecher zu Wohnzwecken
diente, so dass diese Einkünfte zu berücksichtigende Auslagen im Sinne von Art.
3b Abs. 3 lit. b ELG deckten.

6.
6.1 Die anrechenbaren Einnahmen werden nach Art. 3c ELG berechnet. Als
Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Einkünfte und Vermögenswerte, auf die
verzichtet worden ist (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG). Eine Verzichtshandlung liegt
vor, wenn die versicherte Person ohne rechtliche Verpflichtung auf Vermögen
verzichtet hat, wenn sie einen Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und
Vermögenswerte hat, davon aber faktisch nicht Gebrauch macht bzw. ihre Rechte
nicht durchsetzt oder wenn sie aus von ihr zu verantwortenden Gründen von der
Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (AHI 2001 S.
132 E. 1b mit Hinweisen).

6.2 Der Beschwerdeführer hat im Jahre 1995 seine Lebensversicherungspolice zur
Sicherung des von der Bank Y.________ gewährten Kredites verpfändet. Nachdem er
seinen Geschäftsbetrieb infolge Konkurs aufgeben musste, war er vom 1. April
2000 bis 30. März 2001 bei der B.________ AG als Arbeitnehmer tätig. In der
Folge bezog er eine ganze Invalidenrente. Bei dieser Sachlage ist ein
Vermögensverzicht zu verneinen. Denn einerseits erhielt der Beschwerdeführer
anlässlich der Verpfändung im Jahr 1995 von der Bank Y.________ eine
angemessene Gegenleistung in Form eines Kredites. Eine derartige Verpfändung im
Rahmen eines Geschäftsbetriebes stellt denn auch ein übliches Vorgehen dar und
es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Handlung als Verzicht zu werten wäre
(vgl. auch Urteil P 55/04 vom 11. Juli 2005, E. 4.3.1). Anderseits musste der
bei der Verpfändung 45-jährige Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass er
sechs Jahre später aus gesundheitlichen Gründen Bezüger einer Invalidenrente
werden und sich das bei der Lebensversicherung X.________ versicherte Risiko
verwirklichen würde. Es verhält sich hier also grundlegend anders als bei einer
versicherten Person, welche kurz vor Eintritt ins Rentenalter oder ein Heim
einen Vermögensbestandteil unter seinem Wert verkauft. Der Verpfändung der
Police im Jahr 1995 liegt somit kein annähernd rechtsmissbräuchliches Moment
inne, welches durch Anrechnung aus Verzicht korrigiert werden müsste (vgl. BGE
131 V 329 E. 4.4 S. 335 mit Hinweisen).

7.
Nach dem Gesagten sind der vorinstanzliche Entscheid sowie der
Einspracheentscheid vom 12. Oktober 2005 aufzuheben und die Sache an die
Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese den Anspruch auf
Ergänzungsleistungen unter Ausserachtlassung der Erwerbsausfallrente der
Lebensversicherung X.________ neu berechne.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 5. Dezember 2006 und der
Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn vom 12. Oktober
2005 werden aufgehoben. Es wird die Sache an die Ausgleichskasse des Kantons
Solothurn zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers auf
Ergänzungsleistungen neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold