Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 91/2007
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{T 7}
I 91/07

Urteil vom 20. März 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Meyer U., Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiber Arnold.

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

S._______, 1969, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt  Markus
Zimmermann, Dell'Olivo Frey & Pribnow, Stadtturmstrasse 10, 5400 Baden.

Invalidenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau vom 28. November 2006.

In Erwägung,
dass sich S._______, geb. 1969, am 19. Juni 2002 unter Hinweis auf seit
Anfang 2001 bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen ("Schmerzen an
Füssen, Gelenken, Augen, Depression") zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung anmeldete,
dass die IV-Stelle des Kantons Aargau die Abklärung der medizinischen und
beruflich-erwerblichen Verhältnisse an die Hand nahm, wobei sie u. a. einen
Bericht des Dr. med. O._______, Spezialarzt FMH Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 16. März 2004, ein Gutachten des Spitals X.________,
Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom
24. März 2005 sowie eine Expertise des Externen Psychiatrischen Dienstes
Y.________ vom 3. November 2005 einholte,
dass die Verwaltung S._______ mit Schreiben vom 8. und 9. Dezember 2005
eröffnete, es werde, wie vorgängig bereits in Aussicht gestellt, eine
Expertise durch das Zentrum Q.________ angeordnet, wobei von einer Wartezeit
von circa 15 Monaten ausgegangen werden müsse,
dass das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die von S._______ am 23.
Dezember 2005 eingereichte Rechtsverzögerungsbeschwerde guthiess und die
IV-Stelle verpflichtete, "unverzüglich auf Grund der vorliegenden
medizinischen Akten über das Rentenbegehren (...) zu befinden und eine
entsprechende Verfügung zu erlassen" (Entscheid vom 28. November 2006),
dass die IV-Stelle Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt und beantragt, der
kantonale Gerichtsentscheid sei "vollumfänglich aufzuheben; evtl. sei dieser
Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen",
dass der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Präsidialverfügung vom 2. Februar
2007 einstweilen aufschiebene Wirkung erteilt wurde und dem Beschwerdeführer
eine Frist von 20 Tagen gesetzt wurde, um sich vernehmen zu lassen,
dass der Beschwerdeführer auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen lässt, während er dem Antrag nicht opponiert, wonach der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung zukommen soll,
dass das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR
173.110) am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist (AS 2006 1205, 1243); da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E.1.2 S. 395),
dass streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin eine
Rechtsverzögerung begangen hat, indem sie im Dezember 2005 eine Expertise
durch das Zentrum Q.________, anordnete und nicht - wie vom Beschwerdegegener
geltend gemacht - auf der Grundlage der vorhandenen medizinischen Akten über
den Rentenanspruch befunden hat,
dass die durch Verfügung oder Einspracheentscheid zu regelnden materiellen
Rechte und Pflichten, hier der Anspruch auf Invalidenrente, demgegenüber
nicht zum Streitgegenstand gehören (SVR 2005 IV Nr. 26 S 102 E. 4.2, I
328/03),
dass Art. 29 Abs. 1 BV verletzt ist, wenn die zuständige Behörde sich zwar
bereit zeigt, einen Entscheid zu treffen, diesen aber nicht binnen der Frist
fasst, welche nach der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen
Umstände als angemessen erscheint (Rechtsverzögerung; statt vieler: BGE 117
Ia 193 E. 1c S. 197 mit Hinweisen),
dass eine verfassungswidrige Rechtsverzögerung ausnahmsweise auch durch eine
positive Anordnung begangen werden kann, wobei rechtsprechungsgemäss
vorausgesetzt wird, dass die fragliche Anordnung rechtsmissbräuchlich
getroffen wurde, und sich ein Eingreifen des Gerichts hinsichtlich
angeordneter Abklärungsmassnahmen nur rechtfertigt, wenn die Behörde ihr
Ermessen offensichtlich überschritten hat (Urteile 18/92 vom 3. Juli 1992, E.
5b und I 671/00 vom 21. August 2001, E. 3b),
dass der kantonale Gerichtsentscheid Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a
OG), weil die IV-Stelle bei der von Amtes wegen vorzunehmenden Abklärung des
rechtserheblichen Sachverhaltes (vgl. Art. 43 Abs. 1 ATSG, Art. 69 IVV)
naturgemäss über ein erhebliches Ermessen verfügt und sie dieses mit Blick
auf die konkreten Umstände nicht offensichtlich überschritt, indem sie im
Dezember 2005 eine polydisziplinäre Expertise als angezeigt erachtete,
dass daran insbesondere auch der Umstand nichts zu ändern vermag, dass eine
frühzeitigere Anordnung eines entsprechenden Gutachtens wünschbar gewesen
wäre, nachdem bereits im Bericht des Dr. med. O._______ vom 16. März 2004
unter Hinweis auf die "unklaren somatischen Diagnosen sowie die Komplexität
des Falles" eine multidisziplinäre Abklärung empfohlen wurde,
dass hinsichtlich des weiteren Verfahrensganges darauf hinzuweisen ist, dass
es der Verwaltung unbenommen ist, das in Aussicht gestellte polydiziplinäre
Gutachten bei einer anderen Stelle als dem Zentrum Q.________, einzuholen
oder aber bei der eben genannten Institution vorstellig zu werden, um die
Experten anzuhalten, die Sache, soweit möglich, vordringlich zu behandeln,
dass das Verfahren betreffend Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung unter
Geltung des OG - vorbehältlich mutwilliger Prozessführung - praxisgemäss
kostenlos ist (Gesamtgerichtsbeschluss vom 18. Dezember 1992, BSV-Liste 2006
10 4 E. 4.2, 760/05),
erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 28. November 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. März 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: