Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 83/2007
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I 83/07

Urteil vom 2. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Amstutz.

G. ________, 1976, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 14. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
A.a G.________ meldete sich am 3. Juli 2003 bei der IV-Stelle des Kantons St.
Gallen zum Leistungsbezug an, wobei er als Auszahlungsadresse das Konto bei
der Bank X.________ angab. Mit Abtretungserklärung vom 22. März 2005, bei der
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (SVA) am 23. März 2005
eingegangen, trat er seine Ansprüche gegenüber der Invalidenversicherung ab
11. März 2005 bis auf Weiteres im Umfang von Fr. 1'955.- monatlich an das
Sozialamt T.________ ab. Mit Schreiben vom 24. Juni 2005 (Posteingang: 28.
Juni 2005) teilte er sodann der SVA mit, allfällige weitere Zahlungen seien
ausschliesslich auf das Konto bei der Bank Y.________ zu überweisen. Mit
Verfügung und Abrechnung vom 29. Juli 2005 teilte die IV-Stelle G.________
mit, er habe für die Zeit vom 21. Juni bis 14. August 2005 Anspruch auf ein
IV-Taggeld von insgesamt Fr. 7'606.20; die Verfügung enthielt den Vermerk,
die Auszahlung erfolge auf das Konto bei der Bank X.________. Dorthin wurde
der Betrag am 26. Juli 2005 überwiesen und am 29. Juli 2005 gutgeschrieben.
Vom 27. Juli - 14. August 2005 war G.________ landesabwesend. Nach seiner
Rückkehr erstattete er Strafanzeige gegen Unbekannt, weil ihm seine
Bankkontokarte für das Konto bei der Bank X.________  gestohlen worden sei
und von einer unbekannten Drittperson von diesem Konto Fr. 7'600.- abgehoben
worden seien, und zwar durch insgesamt sechs Bancomat-Bezüge (mit Valuta vom
30. Juli, 31. Juli und 1. August 2005). Das Strafverfahren wurde mangels
Hinweisen auf eine Täterschaft vorläufig eingestellt.

Nachdem sich das Sozialamt T.________ nach dem Verbleib der abgetretenen
Summe erkundigt hatte, teilte die SVA dem Sozialamt am 27. Oktober 2005 mit,
die Abtretungserklärung sei bei der Auszahlung nicht berücksichtigt worden;
sie bat das Sozialamt, dessen Vorschussleistung direkt beim Versicherten
einzufordern. Das Sozialamt forderte daraufhin G.________ mit Schreiben vom
22. November 2005 auf, Fr. 3'530.- zurückzuerstatten.

A.b Mit Schreiben vom 10. Februar 2006 liess G.________ die SVA St. Gallen
ersuchen, dem Sozialamt T.________ den Betrag von 3'530.- und ihm den Betrag
von Fr. 4'070.- (recte: Fr. 4076.20) nochmals zu überweisen, was mit
Verfügung vom 15. Februar 2006 und Einspracheentscheid vom 28. August 2006
abgelehnt wurde.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Urteil vom 14. Dezember 2006 ab.

C.
G.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die SVA sei zu
verpflichten, die ihm zustehenden Taggelder ein zweites Mal auszuzahlen, und
zwar den Betrag von Fr. 3'530.- direkt an das Sozialamt T.________, den
Restbetrag in der Höhe von Fr. 4'076.20 an ihn. Zudem ersucht er um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach dem bis Ende 2006 in Kraft gestan-denen Bundesgesetz vom 16. Dezember
1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE
132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Mit Bezug auf die vom Beschwerdeführer vorinstanzlich u.a. beantragte
direkte Zahlung des vom Sozialamt T.________ zurückgeforderten Betrags von
Fr. 3'530.- an dieses erwog das kantonale Gericht, die mit Schreiben vom 22.
November 2005 verlangte Rückerstattung liege nicht im Streit, ebensowenig ein
mögliches Rechtsverhältnis zwischen der IV-Stelle und dem Sozialamt
betreffend irrtümlicher Nichtüberweisung der abgetretenen IV-Taggelder.
Anfechtungs- und Streitgegenstand sei lediglich, ob die Beschwerdegegnerin
mit befreiender Wirkung die Zahlung auf das Bankkonto des Beschwerdeführers
bei der Bank X.________ leisten konnte. Die Vorinstanz erkannte im Dispositiv
ihres Entscheids allerdings nicht auf teilweises Nichteintreten auf die
Beschwerde, sondern wies diese schlicht ab.
In seiner Beschwerde an das Bundesgericht beantragt der Beschwerdeführer zwar
ebenfalls die Auszahlung des Betrags von Fr. 3'530.- direkt an das Sozialamt
T.________, setzt sich aber in der Begründung der Beschwerde einzig mit der
Zahlung auf sein Bankkonto auseinander.

2.2 Unbestritten und aktenkundig hat der Beschwerdeführer seine Ansprüche
gegenüber der Invalidenversicherung im Betrag von            Fr. 1'955.- pro
Monat dem Sozialamt T.________ abgetreten, was - bezogen auf den hier zur
Diskussion stehenden Zeitraum der Taggeldzahlung - den Betrag von (gerundet)
Fr. 3'530.- ausmacht. Durch die Abtretung der Forderung geht diese auf den
neuen Gläubiger (d.h. das Sozialamt) über. Der bisherige Gläubiger (d.h. der
Beschwerdeführer) ist daran nicht mehr berechtigt und kann sie nicht
einklagen (BGE 130 III 417 E. 3.4 S. 426). Er ist zwar zur Beschwerde
legitimiert, wenn er die Gültigkeit der vorgenommenen Abtretung bzw. der
Drittauszahlung bestreiten will (vgl. BGE 132 V 113, nicht publ. E. 1).
Ebenso sind der Schuldner und der Zessionar der abgetretenen Forderung in
diesem Streit legitimiert, weil es dabei um ihre Zahlungspflicht bzw. um
ihren Befriedigungsanspruch geht (BGE 126 V 258, nicht publ. E. 1b). Ist
jedoch - wie hier - die Gültigkeit der Abtretung nicht bestritten, kann der
Zedent nicht vom Schuldner verlangen, an den Zessionar zu leisten. Mit Recht
hat zwar der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz ausgeführt, die IV-Stelle,
welcher die Abtretung rechtzeitig angezeigt worden ist, habe nicht mit
befreiender Wirkung an ihn leisten können (Art. 167 OR); sie hätte daher dem
Sozialamt die Leistung, die sie bisher nicht befreiend erbracht hatte,
erbringen müssen. Die SVA hat jedoch stattdessen das Sozialamt aufgefordert,
beim Beschwerdeführer den Betrag einzufordern, was dieses auch getan hat,
allerdings nach Lage der Akten nicht verfügungsweise, sondern mit einem
einfachen Schreiben. Dieser vom Sozialamt geltend gemachten Rückforderung
würde der Boden entzogen, wenn die IV-Stelle - wie dies der Beschwerdeführer
beantragt - die Leistung an das Sozialamt erbrächte. Der Beschwerdeführer hat
insofern zwar durchaus ein faktisches Interesse an dieser Zahlung. Dies
ändert aber nichts daran, dass es sich dabei um eine Forderung des
Sozialamtes handelt, welche einzig dieses geltend machen kann. Soweit der
Beschwerdeführer beantragt, den Betrag von Fr. 3'530.- an das Sozialamt
auszubezahlen, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer
den verbleibenden, nicht dem Sozialamt abgetretenen Betrag von Fr. 4'076.20
nochmals bezahlen muss.

3.1 Sachverhaltlich steht fest, dass die Beschwerdegegnerin den fraglichen
Betrag dem Beschwerdeführer ausbezahlt hat, jedoch nicht auf das Konto,
welches dieser zuvor angegeben hatte. Fest steht auch, dass das Konto bei der
Bank X.________, auf welches die Zahlung erfolgte, nicht aufgehoben war,
sondern im Zeitpunkt der Zahlung weiterhin auf den Namen des
Beschwerdeführers lautend bestand; dies ergibt sich daraus, dass die Bank
X.________ dem Beschwerdeführer am 29. Juli 2005 eine Gutschriftsanzeige für
die von der IV geleistete Zahlung zustellte, noch mit Valuta vom 5. August
2005 in seinem Auftrag eine Zahlung überwies und ihm einen Kontoauszug für
die Zeit vom 28. Juli - 15. August 2005 zustellte. Weiter ist davon
auszugehen, dass dieses Geld von einer unbekannten Person von jenem Konto
abgehoben wurde, und zwar - wie sich aus dem Schreiben der Bank X.________
vom 21. Oktober 2005 an den Beschwerdeführer ergibt - mit der Karte des
Beschwerdeführers und unter auf Anhieb richtiger Eingabe der nur diesem
bekannten PIN-Nummer. Unklar ist, weshalb der Beschwerdeführer die
Beschwerdegegnerin angewiesen hatte, den Betrag nicht auf das Konto bei der
Bank X.________, sondern auf jenes bei der Bank Y.________ zu überweisen.
Offensichtlich lag der Grund nicht darin, dass er den Verlust der Karte
bemerkt hätte, hätte doch sonst die adäquate Reaktion darin bestanden, das
Konto bei der Bank X.________ zu sperren. Er hat in seiner Aussage bei der
Polizei angegeben, die Karte im Juni noch im Besitz gehabt zu haben, und
offenbar erst nach seiner Abreise in die Ferien den Verlust festgestellt.

3.2 Die Vorinstanz erwog, die Zahlung sei auf ein Konto des Beschwerdeführers
und damit mit befreiender Wirkung erfolgt; sie prüfte sodann, ob die
Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer den Schaden aus Verantwortlichkeit zu
ersetzen habe und verneinte dies, weil es an der adäquaten Kausalität
zwischen dem fehlerhaften Überweisung und dem eingetretenen Schaden fehle.
Der Beschwerdeführer bestreitet demgegenüber eine befreiende Leistung.

3.3 Geldschulden sind mangels abweichender Parteivereinbarung (Art. 74 Abs. 1
OR) Bringschulden (Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR). Beim bargeldlosen
Zahlungsverkehr ist die Schuld dann erfüllt, wenn die Zahlung auf dem Konto
des Gläubigers gutgeschrieben wird und dieser darüber verfügen kann (BGE 124
III 112 E. 2a S. 117; 119 II 232 E. 2 S. 235). Grundsätzlich besteht kein
Annahmezwang des Gläubigers für Buchgeld; gibt er jedoch ein Bankkonto an, so
ist dieses gültige Zahlungsadresse (Rolf H. Weber, Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht [Berner Kommentar], Das Obligationenrecht,
Artikel 68-96, 2. Aufl., Bern 2005, N 104 zu Art. 74; Marius Schraner,
Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [Zürcher Kommentar],
Obligationenrecht, Die Erfüllung der  Obligationen: Art. 68-96 OR, 3. Aufl.,
Zürich 2000, N 94 zu Art. 74 OR;  Peter Gauch/Walter R. Schluep/Jörg
Schmid/Heinz Rey, Obligationenrecht. Allgemeiner Teil,  Bd. II, 8. Aufl.,
Zürich/Basel/Genf 2003, S. 48 Rz. 2357-2358; vgl. bzgl. Postcheckkonto BGE
124 III 145 E. 2a). Eine solche Angabe kann grundsätzlich widerrufen werden.

3.4 Wird eine Leistung nicht oder nicht richtig erfüllt, so kann der
Gläubiger in erster Linie Erfüllung der geschuldeten Leistung, in zweiter
Linie Schadenersatz verlangen (Art. 97 Abs. 1 OR bzw. im Bereich des
Sozialversicherungsrechts Art. 78 ATSG). Die Zahlung auf ein falsches
Bankkonto ist keine Nicht-Erfüllung, sondern eine nicht richtige Erfüllung.
Diese hat zur Folge, dass der Schuldner die Gefahr einer Leistungsstörung
trägt (Eugen Bucher, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil ohne
Deliktsrecht, 2. Aufl., Zürich 1988, S. 304). Im hier zu beurteilenden Fall
ist indessen die Leistung unbestritten erbracht worden: Sie ist auf ein auf
den Namen des Beschwerdeführers lautendes Konto gutgeschrieben worden und
damit in dessen Verfügungsbereich übergegangen. Die Frage einer
Leistungsstörung stellt sich daher nicht mehr und eine erneute Erfüllung kann
nicht gefordert werden. Zu prüfen bleibt hingegen die Schadenersatzpflicht
der Beschwerdegegnerin für eine fehlerhafte Erfüllung (vgl.
Gauch/Schluep/Schmid/Rey, a.a.O., S. 100 f.).
3.5 Der fragliche Betrag ist offenbar von einem Unberechtigten vom Bankkonto
des Beschwerdeführers abgehoben worden. Grundsätzlich trägt die Bank das
Risiko, wenn sie von einem Konto Geld an eine nicht ermächtigte Person
ausbezahlt (BGE 132 III 449 E. 2 S. 452;  Pra 2004 Nr. 116 E. 2). Der
Beschwerdeführer könnte daher von der Bank die Auszahlung des streitigen
Guthabens verlangen. Sie kann dies nur verweigern, wenn sie bzw. ihr Personal
schuldlos oder - gültige Haftungswegbedingung vorausgesetzt (Art. 100 und
Art. 101 Abs. 2 OR) - mit höchstens einfacher Fahrlässigkeit gehandelt hat
(BGE 132 II 449 E. 2, 112 II 450 E. 3a). Hier hat die Bank eine Zahlung an
den Beschwerdeführer abgelehnt, weil das Geld mittels Karte und PIN des
Beschwerdeführers abgehoben worden sei. Sie ging somit davon aus, dass der
Beschwerdeführer die Zahlung an den Unberechtigten selber verschuldet habe,
was unter Umständen die Verweigerung einer Auszahlung an den Kontoinhaber
rechtfertigen kann (BGE 111 II 263), so z.B. wenn der Kontoinhaber der Bank
einen festgestellten Verlust der Kontokarte nicht meldet oder die PIN-Nummer
nicht ändert (Markus Steinmann, Kundenidentifikation durch Code und ihre
rechtliche Bedeutung im Bankwesen, Diss. Zürich 1994, S. 220). Ob der
Beschwerdeführer weitere Schritte gegen die Bank unternommen hat, ist nicht
aktenkundig.

3.6 Bei dieser Sachlage ist der Schaden nicht unmittelbar dadurch entstanden,
dass die Beschwerdegegnerin auf das falsche Konto einbezahlt hat, sondern
dadurch, dass die Bank an einen Unberechtigten ausbezahlt hat. Dieser Schaden
ist entweder von der Bank oder vom Beschwerdeführer selber zu vertreten. Wie
die Vorinstanz richtig erwogen hat, hängt ein derartiges Ereignis nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht mit der
Überweisung auf ein falsches Konto zusammen. Der adäquate Kausalzusammenhang
zwischen der fehlerhaften Zahlung durch die Beschwerdegegnerin und dem
eingetretenen Schaden ist daher durch überwiegendes Dritt- oder
Selbstverschulden unterbrochen worden.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 Satz 2 OG in der seit 1. Juli
2006 geltenden Fassung). Die unentgeltliche Rechtspflege kann jedoch gewährt
werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG). Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später
dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung werden sie einstweilen
auf die Gerichtskasse genommen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 2. Mai 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: