Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 6/2007
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2007
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2007


I 6/07

Urteil vom 21. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke.

M.________, 1971, Beschwerdeführerin,
vertreten durch die Beratungsstelle für Ausländer, Schützengasse 7, 8001
Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. November 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1971 geborene M.________ erlitt am 1. Dezember 1993 bei einem
Tötungsversuch durch ihren Ehemann, der sich danach selbst richtete,
Schrotschussverletzungen am Hinterkopf (Diagnose gemäss ärztlichem
Zwischenbericht der neurochirurgischen Klinik X.________ vom 16. Januar 1994:
Schädel-Hirntrauma mit offener multifragmentärer Fraktur der Schädelkalotte,
vollständiger rechtsseitiger homonymer Hemianopsie sowie passagerer Hypakusis
rechts). Mit Verfügung vom 7. Juli 1999 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons
Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) mit Wirkung ab 1. Mai 1996 (ein Jahr
rückwirkend ab Anmeldung) bei einem Invaliditätsgrad von 60 % eine ganze
Invalidenrente zu. Am 15. Januar 2001 wechselte M.________ als
Büromitarbeiterin zum Unternehmen Y.________. Im Rahmen eines aufgrund des
Stellenwechsels durchgeführten Revisionsverfahrens wurde die ganze Rente mit
Verfügung vom 11. September 2001 bestätigt. Bei einer weiteren Revision legte
die IV-Stelle mit Verfügung vom 25. April 2005 die Invaliditätsgrade für die
Zeit ab 1. April 2002 neu fest. Sie hob die Invalidenrente vom 1. April bis
31. Dezember 2002 rückwirkend auf (Invaliditätsgrad von 36 %), bestätigte den
Anspruch auf eine Viertelsrente vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003
(Invaliditätsgrad von 43 %) und hob die Rente ab 1. April 2004 wieder auf
(Invaliditätsgrad von 33 %). Daran hielt die IV-Stelle mit
Einspracheentscheid vom 14. März 2006 fest, nachdem sie zudem am 9. Juni 2005
eine Rückforderungsverfügung erlassen hatte.

B.
Die gegen den Einspracheentscheid vom 14. März 2006 erhobene Beschwerde wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom
27. November 2006 ab.

C.
M.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, es sei
ihr unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides eine halbe
Invalidenrente zuzusprechen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG;
SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da
der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren
noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung.
Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder
ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde
(Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in
Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Mit Blick auf diese neue Kognitionsregelung für die Invalidenversicherung ist
aufgrund der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu prüfen, ob
der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht verletzt (Art. 104
lit. a OG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 105 Abs. 2 OG). Hingegen hat eine freie
Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht
(aArt. 132 lit. b OG) ebenso zu unterbleiben wie eine Prüfung der
Ermessensbetätigung (aArt. 132 lit. a OG) nach den Grundsätzen zur
Angemessenheitskontrolle (BGE 126 V 75 E. 6 S. 81 mit Hinweisen). Auch
besteht (entgegen aArt. 132 lit. c OG) Bindung an die Parteianträge, handelt
es sich doch nicht um eine Abgabestreitigkeit (Art. 114 Abs. 1 OG; zum Ganzen
BGE 132 V 393).

2.
Die Vorinstanz hat, teilweise unter Verweis auf den Einspracheentscheid, die
Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG
in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2003 gültigen
Fassung), über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), über die
Ermittlung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der Methode des
Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG)
sowie über die Berücksichtigung von Soziallohn (BGE 129 V 472 E. 4.2.1
S. 475) zutreffend dargelegt, ebenso die bei der Rentenrevision nach Art. 41
IVG (seit 1. Januar 2003: Art. 17 Abs. 1 ATSG [in Verbindung mit Art. 2 ATSG
und Art. 1 Abs. 1 IVG]) anwendbaren Rechtsgrundsätze, welche auch unter der
Herrschaft des ATSG gelten (BGE 130 V 343) und woran die am 1. Januar 2004 in
Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung
vom 21. März 2003 und der Verordnung über die Invalidenversicherung vom
21. Mai 2003 nichts geändert haben. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle zu Recht die Rente rückwirkend
teilweise aufgehoben hat. In Frage steht dabei die Höhe des
Invalideneinkommens.
Während die IV-Stelle in ihrer Verfügung vom 11. September 2001 noch vom im
Arbeitgeberbericht vom 2. Juni 2001 angegebenen "jetzigen
AHV-beitragspflichtigen Lohn" von Fr. 22'560.- ausgegangen war (ergebend
einen Invaliditätsgrad von 58 % unter Berücksichtigung eines
Valideneinkommens von Fr. 54'165.-), legte sie der Verfügung vom 25. April
2005 die vom Arbeitgeber im Bericht vom 16. Dezember 2004 angegebenen
effektiv erzielten Einkommen (2002: Fr. 35'700.-, 2003: Fr. 32'000.-, 2004:
Fr. 38'000.-) zu Grunde, was im Einkommensvergleich einen Invaliditätsgrad
von 36 % (2002: Valideneinkommen Fr. 55'515.57), 43 % (Fr. 56'292.79) sowie
33 % (Fr. 56'743.-) ergab. Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend,
beim von der IV-Stelle berücksichtigten, erzielten Lohn handle es sich
teilweise um Soziallohn. Sie verweist dazu erneut auf die bereits im
vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten Schreiben der Arbeitgeberin vom
2. Juni 2005 sowie der Arbeitskollegen vom 21. Juni 2005.

3.1 Die Rentenverfügung vom 7. Juli 1999 stützte sich in medizinischer
Hinsicht auf das ABI-Gutachten vom 10. Dezember 1998, worin die
Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin in der damaligen Tätigkeit auf 40 %
bei halbtägiger Präsenzzeit geschätzt und dazu ausgeführt wurde, es müsse mit
aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die jetzige 50%ige Leistungsfähigkeit
einerseits nur dank dem grossen Verständnis des Arbeitgebers und andererseits
dank der Tatsache, dass die Arbeitnehmerin von gewissen Funktionen
dispensiert werde, realisiert werden könne.
Die Vorinstanz erwog dazu, in Bezug auf den Gesundheitszustand seien seit der
rechtskräftigen Verfügung vom 7. Juli 1999 keine wesentlichen Änderungen
auszumachen. Anders als im MEDAS-Gutachten sei die Restarbeitsfähigkeit von
Frau Dr. med. F.________ seit dem 15. November 2000 aber auf 50 % geschätzt
worden. Berücksichtige man, dass die Versicherte seit der MEDAS-Begutachtung
die Arbeitsstelle gewechselt habe und seit dem 15. Januar 2001 auch zu 50 %
arbeite, vermöge die Einschätzung der Frau Dr. med. F.________ zu überzeugen.
Die Versicherte schöpfe die ihr verbliebene Arbeitsfähigkeit von 50 % voll
aus. Die Arbeitgeberin habe bestätigt, diese erbringe bei einer Präsenzzeit
von über 50 % eine Arbeitsleistung bis 50 %, weshalb deren Einkommen als
angemessen und nicht als Soziallohn erscheine. Daran ändere das Schreiben der
Arbeitskollegen, wonach die effektive Leistungsfähigkeit 30 % betrage,
nichts, da an den Nachweis von Soziallohn strenge Anforderungen zu stellen
sind.

3.2 Die Vorinstanz stellt wie die Verwaltung auf den Arbeitgeberbericht vom
16. Dezember 2004 ab und verneint das Vorliegen von Soziallohn mit der
Begründung, die Arbeitgeberin habe bestätigt, dass die Versicherte bei einer
Präsenzzeit von über 50 % eine Arbeitsleistung bis 50 % erbringe, was denn
auch der von ihr als medizinisch ausgewiesen betrachteten Arbeitsfähigkeit
von 50 % entspricht.
Vergleicht man jedoch den im Arbeitgeberbericht angegebenen Lohn ohne
Gesundheitsschaden von Fr. 4'500.- monatlich (entsprechend einem Jahreslohn
von Fr. 54'000.- [Fr. 4'500.- x 12, da gemäss früherem Arbeitgeberbericht
kein 13. Monatslohn ausbezahlt wird]) mit den jeweils effektiv erzielten
Jahreseinkommen, ergibt dies nicht etwa ein Pensum von 50 %, sondern von 66 %
(2002), 60 % (2003) und 70 % (2004) - dies, obwohl im Arbeitgeberbericht
gemäss Arbeitsvertrag eine effektive Arbeitszeit von 4 Std./Tag bei einer
üblichen Arbeitszeit von 8.5 Std./Tag angegeben wird. Indem die Vorinstanz
trotz dieser widersprüchlichen Angaben - und obwohl sie selbst davon ausging,
der Gesundheitszustand der Versicherten sei seit 1999 stationär geblieben -
keine weiteren Abklärungen dazu getroffen hat, weshalb die Versicherte ohne
ausgewiesene Veränderung des Gesundheitszustandes beim gleichen Arbeitgeber
seit 2002 plötzlich mehr verdiente als noch im Jahre 2001, hat sie den
rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig festgestellt, weshalb das Gericht
daran nicht gebunden ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

3.3 Ob in den effektiv ausbezahlten Jahreslöhnen eine Soziallohnkomponente
enthalten ist, lässt sich aufgrund der vorliegenden widersprüchlichen und
unvollständigen Unterlagen nicht abschliessend beurteilen. Jedenfalls kann
dem Schreiben des Arbeitgebers vom 2. Juni 2005 und dem Schreiben der
Arbeitskollegen vom 21. Juni 2005 nicht von vornherein jeglicher Beweiswert
abgesprochen und das Vorliegen von Soziallohn nicht ohne weiteres verneint
werden. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, wonach entgegen der
Einschätzung im ABI-Gutachten auf die Arbeitsfähigkeitsschätzung der Frau Dr.
med. F.________ abzustellen ist, überzeugt schon deshalb nicht, weil aus
deren Berichten nicht ersichtlich ist, inwiefern sich der Gesundheitszustand
gegenüber der Begutachtung durch das ABI plötzlich verbessert haben soll.
Vielmehr ging auch Frau Dr. med. F.________ davon aus, die Hemianopsie habe
eine ausserordentlich starke Behinderung zur Folge, ferner davon, dass
bereits im Zeitpunkt der ABI-Begutachtung eine Arbeitsfähigkeit von 50 %
bestand.
Die Sache ist deshalb an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es
weitere Abklärungen vornehme und hernach neu entscheide.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG in der seit 1. Juli 2006
geltenden Fassung). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdegegnerin als
unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 135 OG). Der durch eine Beratungsstelle für Ausländer vertretenen,
obsiegenden Beschwerdeführerin steht nach Massgabe der zu Art. 159 Abs. 1 und
2 OG ergangenen Rechtsprechung (BGE 122 V 278; Urteil I 652/06 vom 25. Juli
2007 E. 11) eine Parteientschädigung zu.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. November 2006 und der
Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 14. März 2006
aufgehoben und es wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit
diese nach erfolgten Abklärungen im Sinne der Erwägungen neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 21. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer i.V. Widmer