Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 67/2007
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I 67/07

Urteil vom 4. Oktober 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Heine.

G. ________, 1967, Beschwerdeführer, vertreten durch die Stadt Zürich Support
Sozialdepartement, Recht, Werdstrasse 75, 8036 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. November 2006.

Sachverhalt:

A.
Der 1967 geborene G.________ war von 1993 bis 1999 im Restaurant X.________
als Kellner und von Oktober 2000 bis Dezember 2001 als selbständigerwerbender
Gastronom tätig gewesen. Am 5. April 2004 meldete er sich zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich
klärte die medizinischen sowie die beruflich-erwerblichen Verhältnisse ab.
Sie holte zu diesem Zwecke insbesondere ein psychiatrisches Gutachten des
Dr. med. L.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom
24. März 2005 sowie einen Zusammenruf der individuellen Konten ein. Mit
Verfügung vom 2. Juni 2005 verneinte die Verwaltung bei einem
Invaliditätsgrad von 33 % den Anspruch auf eine Invalidenrente. Daran hielt
sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 21. September 2005).

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 29. November 2006).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ beantragen, es sei ihm
unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids ab 1. Februar 2003 eine
Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zu ergänzenden
medizinischen und beruflichen Abklärungen an die Verwaltung zurückzuweisen;
ferner sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR
173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Da der angefochtene
Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art.
132 Abs. 1 BGG).

1.2 Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung.
Gemäss dem wie dargelegt anwendbaren Art. 132 Abs. 2 OG (i.V.m. Art. 104 lit.
a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG) prüft das Bundesgericht daher nur, ob das
vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde.

2.
Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt: die Bestimmungen und
Grundsätze über die Begriffe der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), der
Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG; BGE
130 V 343) sowie die Bedeutung ärztlicher Auskünfte für die Belange der
Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 133 E. 2 S. 134; vgl. auch BGE 125 V 256 E.
4 S. 261). Darauf wird verwiesen.

3.
Aufgrund der Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist streitig, ob
die Einschätzung des IV-Grades durch Verwaltung und Vorinstanz zu Recht
erfolgte oder ob, wie es der Versicherte beantragt, eine Invalidenrente
zuzusprechen oder die Sache zur Neubeurteilung an die Verwaltung
zurückzuweisen ist.

3.1 Dem vorinstanzlichen Entscheid ist zu entnehmen, dass eine 70%ige
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten, körperlich leichten Hilfsarbeit
ohne Publikumsverkehr besteht. Diese Feststellung einer beschränkten
Leistungsfähigkeit in angepassten Verweisungstätigkeiten ist tatsächlicher
Natur (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397) und daher für das Bundesgericht
grundsätzlich verbindlich (E. 1.2 hievor).

3.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird das Gutachten des Dr. med.
L.________ kritisiert, da es unbegründet sei, und verlangt, es sei auf die
Ausführungen des behandelnden Psychiaters Dr. med. K.________ abzustellen.
Indessen legt die Vorinstanz in nachvollziehbarer Weise dar, warum sie sich
auf das Gutachten des Dr. med. L.________ vom 24. März 2005 stützt; sie führt
aus, dass die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch den Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie im Rahmen der Anamnese die medizinischen
Vorakten berücksichtigt und sich insbesondere mit der vorgängigen Beurteilung
durch Dr. med. K.________, Facharzt FMH für Psychiaterie und Psychotherapie,
auseinandersetzt. Ferner räumt das kantonale Gericht dem umfassenden
Gutachten des Dr. med. L.________ gegenüber den Berichten des behandelnden
Arztes zu Recht einen höheren Beweiswert ein (BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353),
weshalb die Vorinstanz von einer behinderungsangepassten Arbeitsfähigkeit von
70 % ausgeht. Diese Sachverhaltsdarstellung ist nicht offensichtlich
unrichtig oder unvollständig und bindet daher das Bundesgericht (E. 1.2).

4.
Auf der beruflich-erwerblichen Stufe der Invaliditätsbemessung
charakterisieren sich als Rechtsfragen die gesetzlichen und
rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des Einkommensvergleichs
(BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348), einschliesslich derjenigen über die Anwendung
der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung/LSE (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475
f.) und der Dokumentation von Arbeitsplätzen/DAP (BGE 129 V 472). Die
Feststellung der beiden hypothetischen Vergleichseinkommen ist Tatfrage,
soweit sie auf konkreter Beweiswürdigung beruht, hingegen Rechtsfrage, soweit
sich der Entscheid nach der allgemeinen Lebenserfahrung richtet. Letzteres
betrifft etwa die Frage, ob Tabellenlöhne anwendbar sind, welches die
massgebliche Tabelle ist und ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig
begründeter) Leidensabzug vorzunehmen sei.

4.1 Beim Einkommensvergleich ermittelte die Vorinstanz das Valideneinkommen
gestützt auf die Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik des
Jahres 2002 (TA1 Anforderungsniveau 4, einfache und repetitive Tätigkeiten im
Gastgewerbe) und die Lohnentwicklung für das Jahr 2003 auf Fr. 42'829.-, da
der Beschwerdeführer fast ausschliesslich im Gastgewerbe gearbeitet hatte.

4.2 Der Beschwerdeführer rügt, dass die Anwendung der speziellen
Lohnkategorie "Gastgewerbe" nicht anwendbar sei. Vielmehr müsse wegen der
verschiedenen ausgeübten Tätigkeiten das Valideneinkommen des Versicherten
nach dem Durchschnittslohn sämtlicher Tätigkeiten ermittelt werden. Gestützt
auf das zuletzt erzielte Einkommen als Kellner im Restaurant X.________, wäre
die spezielle Lohnkategorie "Gastgewerbe" nur dann anwendbar, wenn nicht das
Anforderungsniveau 4, sondern der Durchschnitt des Anforderungsniveau 1+2 und
dem Anforderungsniveau 3 herangezogen würde.

4.3 Bei der Ermittlung des ohne Invalidität vom Versicherten erzielbaren
Einkommens ist entscheidend, was er im massgebenden Zeitpunkt nach dem
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunder tatsächlich
verdienen würde (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 E. 3b mit Hinweis). Die
Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen. Es ist daher in
der Regel vom letzten Lohn, welchen der Versicherte vor Eintritt der
Gesundheitsschädigung erzielt hat, auszugehen. Aktenkundig ist, dass die
gesundheitliche Beeinträchtigung ihren Ursprung in einem Vorfall während der
Beschäftigung als Kellner hatte. Gestützt auf die Tatsache, dass der
Versicherte zuletzt 1998 beschwerdefrei war und von 1993 bis 1999 im
Restaurant X.________ als Kellner gearbeitet hatte, ist eine Abstützung auf
das Einkommen im Jahr 1998, wie dies bereits die Verwaltung vornahm, in Höhe
von Fr. 56'282.- richtig (BGE 128 V 29 E. 1 S. 30). Indem das kantonale
Gericht bei der Ermittlung des Valideneinkommens die Tabellenlöhne TA1
Anforderungsniveau 4, einfache und repetitive Tätigkeiten im Gastgewerbe,
heranzog, hat es Bundesrecht verletzt (E. 4.). Unter Berücksichtigung der
allgemeinen Lohnentwicklung (1999: 0.3 %, 2000: 1.3 %, 2001: 2.5 %, 2002: 1.8
%, 2003: 1.4 %, Die Volkswirtschaft 2006 Heft 1/2 S. 95 Tabelle B 10.2)
ergibt sich für das Jahr 2003 ein Valideneinkommen von Fr. 60'505.-.

Aus dem Vergleich des Valideneinkommens von Fr. 60'505.- mit dem
unbestrittenen Invalideneinkommen von Fr. 32'371.- resultiert eine
Lohneinbusse von Fr. 28'134.- und demnach ein Invaliditätsgrad von gerundet
46 % (BGE 130 V 121).

4.4 Der Beschwerdeführer meldete sich am 5. April 2004 zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung. Auf Grund der medizinischen Akten
besteht eine 70%ige Arbeitsfähigkeit seit Februar 2002. Meldet sich jedoch
ein Versicherter mehr als zwölf Monate nach Entstehung des Anspruchs an, so
werden die Leistungen lediglich für die zwölf der Anmeldung vorangehenden
Monate ausgerichtet (Art. 48 IVG), weshalb erst ab April 2003 ein Anspruch
auf eine Viertelsrente besteht (Art. 28 Abs. 1 IVG blieb bezüglich einer
Viertelsrente nach dem 1. Januar 2003 unverändert).

5.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen. Der von
der öffentlichen Sozialhilfe vertretene obsiegende Versicherte hat keinen
Anspruch auf Parteientschädigung (BGE 126 V 11).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. November 2006 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 21. September 2005 werden
aufgehoben, und es wird festegestellt, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf
eine Viertelsrente seit April 2003 hat.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 4. Oktober 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: