Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 61/2007
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{T 7}
I 61/07

Urteil vom 4. Mai 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, 1947, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Bodenmann, Brühlgasse 39,
9000 St. Gallen.

Invalidenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen
vom 8. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
B. ________, geboren 1947, meldete sich am 24. Oktober 2000 unter Hinweis auf
Rücken- und Knieschmerzen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
an. Am 18. Juli 2001 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons St. Gallen ab
1. November 2000 eine halbe Invalidenrente zu. Dies bestätigte die IV-Stelle
in einem ersten Revisionsverfahren am 22. Juli 2003. Mit Verfügung vom
20. Juli 2005 lehnte die IV-Stelle eine Erhöhung der Rente ab. Mit
Einspracheentscheid vom 30. Januar 2006 zog die IV-Stelle die Verfügung vom
18. Juli 2001 wie angedroht zu Ungunsten von B.________ in Wiedererwägung,
stellte fest, dass der Invaliditätsgrad rentenausschliessende 38,64 % beträgt
und hob die Ausrichtung der halben Rente per 1. März 2006 auf.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 8. Dezember 2006 teilweise gut, hob den
Einspracheentscheid vom 30. Januar 2006 auf und stellte fest, dass B.________
weiterhin Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat.

C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom
30. Januar 2006 sei zu bestätigen.

B. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110])
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das
Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder
ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde
(Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in
Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zum Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG in der bis Ende 2003 gültig
gewesenen Fassung; Art. 28 Abs. 1 IVG in der am 1. Januar 2004 in Kraft
getretenen Version) und zur Revision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) zutreffend
dargelegt. Zu ergänzen ist, dass der Revisionsordnung nach Art. 17 ATSG der
nunmehr in Art. 53 Abs. 2 ATSG verankerte Grundsatz vorgeht, wonach die
Verwaltung befugt ist, jederzeit von Amtes wegen auf eine formell
rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher
Beurteilung gebildet hatte, zurückzukommen, wenn sich diese als zweifellos
unrichtig erweist und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Unter
diesen Voraussetzungen kann die Verwaltung eine Rentenverfügung auch dann
abändern, wenn die Revisionsvoraussetzungen des Art. 17 ATSG nicht erfüllt
sind. Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung
erst vom Gericht festgestellt, so kann es die auf Art. 17 ATSG gestützte
Revisionsverfügung der Verwaltung mit dieser substituierten Begründung
schützen (BGE 125 V 369 E. 2 mit Hinweisen).

4.
Soweit das kantonale Gericht die revisionsweise Erhöhung der Rente abgelehnt
hat, blieb der Entscheid unangefochten. Streitig und zu prüfen ist daher
einzig, ob die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der Verfügung vom
18. Juli 2001 erfüllt sind.

5.
5.1 Die IV-Stelle stützte die rentenzusprechende Verfügung vom 18. Juli 2001
in medizinischer Hinsicht einzig auf den Bericht des behandelnden Arztes Dr.
med. M.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 10. November 2000. Dort
wurde der Beschwerdegegnerin eine seit Ende November 1999 bestehende
Arbeitsunfähigkeit im bisherigen Beruf von 100 % bis 27. Februar 2000 und von
50 % ab 29. Februar 2000 (seither einzig unterbrochen durch eine zweitägige
völlige Arbeitsunfähigkeit im April 2000) bescheinigt. Gestützt auf diese
Einschätzung der Leistungsfähigkeit wurde dann der Einkommensvergleich
durchgeführt. Die Beschwerdeführerin macht nun zu Recht geltend, die
Verfügung vom 18. Juli 2001 sei zweifellos unrichtig gewesen, da einerseits
die Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit, die gemäss Gutachten des
Dr. med. N.________, Spezialarzt Orthopädische Chirurgie FMH, vom 18. Mai
2005, 70 % betrage, nicht eruiert und anderseits der Einkommensvergleich
basierend auf dem Einkommen im bisherigen Beruf durchgeführt worden sei.

5.2 Aus den Akten geht ohne weiteres hervor, dass sich die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit von Dr. med. M.________ einzig auf die angestammte Arbeit
und nicht auf eine leidensangepasste Verweisungstätigkeit, wie sie für die
Bestimmung des Invaliditätsgrades massgebend wäre, bezieht. Auch kreuzte der
behandelnde Arzt in seinem Bericht vom 10. November 2000 an, dass diese
Arbeitsansprüche (gemeint ist wohl: Arbeitsunterbrüche) nicht ausschliesslich
gesundheitlich begründet seien. Die Beschwerdeführerin hat aber trotz dieser
offenkundig mangelhaften Sachverhaltsabklärungen einen Einkommensvergleich
durchgeführt, wobei sie im Ergebnis von der attestierten Arbeitsunfähigkeit
auf den Invaliditätsgrad schloss, da sowohl das Validen- als auch
fälschlicherweise das Invalideneinkommen auf der bisherigen Tätigkeit
basierte. Die Zusprechung der halben Rente erfolgte damit nicht nur in
offenkundiger Verletzung des im Sozialversicherungsrecht allgemein geltenden
Untersuchungsgrundsatzes im Sinne mangelhafter Sachverhaltsabklärung, sondern
auch in unrichtiger Anwendung der für die konkrete Invaliditätsbemessung
einschlägigen Rechtsregeln (siehe dazu Urteil O. vom 21. August 2006, I 64/06
mit Hinweisen).

5.3 Trotz dieser offenkundigen Mängel hält das kantonale Gericht das
Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit als nicht erfüllt, da nicht
erstellt sei, dass eine konkrete Invaliditätsbemessung hinsichtlich des
Leistungsanspruchs zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Dem ist
entgegenzuhalten, dass im Einspracheentscheid vom 30. Januar 2006 ein in
allen Teilen zutreffender und nachvollziehbarer Einkommensvergleich für das
Jahr 2000, basierend auf einer Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer
leidensangepassten Tätigkeit, zu einem rentenausschliessenden
Invaliditätsgrad von 38,64 % führt. Dabei ist auch ein Leidensabzug von 10 %
berücksichtigt. Die damalige Bejahung einer halben Invalidität bewegte sich
daher nicht mehr im Bereich vertretbarer Ermessensausübung. Daran ändert
wiedererwägungsrechtlich nichts, dass die Beschwerdeführerin bei den beiden
Überprüfungen des Invaliditätsgrades an der ursprünglichen Rentenzusprache
festhielt (BGE 105 V 29). Ihren Fehler hat sie offensichtlich erst im Rahmen
des Einspracheverfahrens gegen die Verfügung vom 20. Juli 2005 entdeckt.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 Satz 2 OG in der seit 1. Juli
2006 geltenden Fassung). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdegegnerin als
unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Dezember 2006 wird
aufgehoben, soweit damit die Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom
30. Januar 2006 teilweise gutgeheissen wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen, der Ausgleichskasse der Migros-Betriebe und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 4. Mai 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: