Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 18/2007
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H 18/07

Urteil vom 26. November 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

1. E.________,

2. N.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Advokat Dr. Dieter M. Troxler, Wasserturmplatz 2, 4410
Liestal,

gegen

Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband, Sumatrastrasse 15, 8035
Zürich, Beschwerdegegnerin.

Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft
vom 29. November 2006.

Sachverhalt:

A.
H. ________ war Präsident, E.________ und N.________ waren Mitglieder des
Verwaltungsrates der X.________ AG, die als beitragspflichtige Arbeitgeberin
der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes angeschlossen
war. Am 8. Januar 2004 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Mit
Verfügung vom 9. Dezember 2005 verpflichtete die Ausgleichskasse H.________
zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 534'774.40 für ungedeckt
gebliebene Beiträge. Mit Verfügung vom gleichen Tag verhielt die
Ausgleichskasse auch die Ehegatten E.________ und N.________ in solidarischer
Haftung mit H.________ zur Bezahlung von Schadenersatz in nämlicher Höhe.
In teilweiser Gutheissung der von allen Belangten erhobenen Einsprachen
setzte die Ausgleichskasse ihre Schadenersatzforderung mit Entscheiden vom
15. Februar und 12. April 2006 auf Fr. 425'245.65 herab.

B.
H.________ sowie E.________ und N.________ liessen je Beschwerde führen mit
dem Hauptantrag, der Einspracheentscheid sei aufzuheben. Das Kantonsgericht
Basel-Landschaft vereinigte die beiden Verfahren. Mit Entscheid vom
29. November 2006 wies es die Beschwerden ab.

C.
E.________ und N.________ führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache
zu näherer Abklärung und neuer Entscheidung an das kantonale Gericht oder die
Ausgleichskasse zurückzuweisen; eventuell sei festzustellen, dass die
Beschwerdeführer nicht oder jedenfalls nicht vollumfänglich
schadenersatzpflichtig sind. Ferner ersuchen sie darum, der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

D.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2007 teilte der Instruktionsrichter den
Beschwerdeführern mit, dass die Beschwerde als Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nach OG zu behandeln sei und von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung habe.
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung sei damit gegenstandslos.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob
das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche
Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in
Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
In formellrechtlicher Hinsicht rügen die Beschwerdeführer, die
Ausgleichskasse habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie
sich nicht mit den in der Einsprache vorgebrachten Argumenten
auseinandergesetzt habe. Diesbezüglich hat bereits die Vorinstanz
festgehalten, dass die Ausgleichskasse im Einspracheentscheid ihrer
Begründungspflicht, wenn auch knapp, Genüge getan hat; der
Einspracheentscheid vom 12. April 2006 hält fest, aus welchen Gründen die
Haftungsvoraussetzungen aus Sicht der Ausgleichskasse erfüllt sind und nimmt
auch in geraffter Form zu den wichtigsten in der Einsprache erhobenen
Einwendungen Stellung (vgl. zu den Anforderungen an die Begründungsdichte von
Einspracheentscheiden Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 3/05
vom 17. Juni 2005). Entgegen der offenbaren Annahme der Beschwerdeführer kann
auch im Umstand, dass hinsichtlich der Baulandreserven und des zugesicherten
Kredits der Bank Y.________ keine Beweismassnahmen getroffen wurden, keine
Verletzung des rechtlichen Gehörs erblickt werden. Vielmehr ist von einer
zulässigen antizipierten Beweiswürdigung auszugehen (vgl. BGE 131 I 153 E. 3
S. 157 mit Hinweisen).

4.
Im kantonalen Entscheid werden die Rechtsgrundlagen der Arbeitgeberhaftung
(Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) und
die Rechtsprechung zur subsidiären Haftbarkeit der verantwortlichen Organe
(BGE 123 V 12 E. 5b S. 15 mit Hinweisen), zur Haftungsvoraussetzung des
qualifizierten Verschuldens (BGE 108 V 199 E. 3a S. 202; ZAK 1985 S. 620
E. 3b; vgl. auch BGE 121 V 244 E. 4b) und zum erforderlichen adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen der absichtlichen oder grobfahrlässigen
Missachtung von Vorschriften und dem eingetretenen Schaden (BGE 119 V 401
E. 4a S. 406) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

5.
5.1 Die Vorinstanz hat festgehalten, dass die Beschwerdeführerin als Mitglied
des Verwaltungsrates von den Vorgängen in der Unternehmung hätte Kenntnis
haben und gegen die finanziellen Schwierigkeiten hätte einschreiten müssen.
Der Einwand, dass sie in der X.________ AG nur subalterne Aufgaben
wahrgenommen habe, sei nicht stichhaltig. Gründe, welche die schuldhafte
Pflichtverletzung bezüglich der Nichtbezahlung der Beiträge rechtfertigen
oder entschuldigen würden, lägen nicht vor. Gleiches gelte im Ergebnis auch
für den Beschwerdeführer, der als kollektiv zu zweien zeichnungsberechtigtes
Mitglied des Verwaltungsrates für den grobfahrlässig verursachten Schaden
ebenfalls solidarisch hafte. Auf diese Darlegungen, welchen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde keine stichhaltigen Argumente entgegengesetzt
werden, wird verwiesen.
Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, die Begründung der
Ausgleichskasse sei nicht erkennbar, und die Vorinstanz argumentiere anstelle
der Verwaltung, scheinen sie zu übersehen, dass im Verfahren vor
Bundesgericht der kantonale Entscheid das Anfechtungsobjekt bildet. Die Rügen
haben sich somit gegen den Gerichtsentscheid und nicht gegen die
Verwaltungsverfügung oder den Einspracheentscheid zu richten. Im Übrigen
trifft es nicht zu, dass die Beschwerdeführer in tatsächlicher Hinsicht vor
Bundesgericht keine Einwendungen mehr vorbringen können, besteht doch keine
Bindung an den dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegenden Sachverhalt,
wenn dieser offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (E. 2 hievor).

5.2 Soweit sich die Beschwerdeführer im Weitern mit den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz zu den Aussichten auf eine Sanierung der
nachmaligen Konkursitin befassen, machen sie wiederum geltend, das kantonale
Gericht habe den rechtserheblichen Sachverhalt unter Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes und des rechtlichen Gehörs mangelhaft im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG festgestellt. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe die
angebotenen Beweise im Zusammenhang mit den behaupteten Sanierungsabsichten
nicht abgenommen, ist indessen unbegründet: Im angefochtenen Entscheid wurde
dargelegt, unter welchen Voraussetzungen es den Organen erlaubt ist, im
Hinblick auf eine mögliche Sanierung der Unternehmung für kurze Zeit die
Beiträge nicht zu begleichen. Da diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall
offensichtlich nicht erfüllt waren, weil die X.________ AG bereits seit 2002
mit der Beitragszahlung in Verzug war, indem sämtliche Beitragsrechnungen
gemahnt und auch betrieben werden mussten, konnte das Kantonsgericht auf die
Abnahme von Beweisen zu diesem Punkt verzichten.

5.3 Im Zusammenhang mit der Höhe des Schadens machen die Beschwerdeführer,
wie bereits im kantonalen Verfahren, geltend, die Ausgleichskasse treffe ein
Mitverschulden: Wenn diese Mitte 2003 mit einem Gesuch nach Art. 190 SchKG an
das Bezirksgericht gelangt wäre, hätte der mutmassliche Ausstand bloss
Fr. 350'000.- betragen.
Nach Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG kann ein Gläubiger ohne vorgängige
Betreibung beim Gericht die Konkurseröffnung gegen einen der
Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner verlangen, der seine Zahlungen
eingestellt hat. Nach der Rechtsprechung (BGE 122 V 185; Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 90/00 vom 20. Juni 2001) ist die
Schadenersatzpflicht nach Art. 52 AHVG einer Herabsetzung wegen
Mitverschuldens der Verwaltung zugänglich, sofern sich diese einer groben
Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, was namentlich dann der Fall ist,
wenn sie elementare Vorschriften der Beitragsveranlagung und des
Beitragsbezugs missachtet hat. Zudem muss zwischen dem rechtswidrigen
Verhalten und dem Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Nachdem
selbst die Beschwerdeführer nicht behaupten, die Ausgleichskasse habe eine
grobe Pflichtverletzung begangen, indem sie von einer Einleitung des
Konkurses nach Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG abgesehen hat, und in der Tat
nicht ersichtlich ist, dass die Kasse vor Einleitung oder nach Eröffnung des
Konkurses (zufolge Passivität) grob pflichtwidrig gehandelt hat, fällt eine
Herabsetzung der Schadenersatzforderung ausser Betracht, sodass auf die
weiteren Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu diesem Punkt
nicht einzugehen ist.

5.4 Zu bejahen ist sodann auch der für die Organhaftung weiter vorausgesetzte
adäquate Kausalzusammenhang zwischen der grobfahrlässigen Missachtung der
Vorschriften über den Beitragsbezug durch die Beschwerdeführer und dem
eingetretenen Schaden.

6.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass das Kantonsgericht zu Recht
sämtliche Voraussetzungen der Schadenersatzpflicht gemäss Art. 52 AHVG in der
von der Ausgleichskasse im Einspracheentscheid vom 12. April 2006
festgesetzen Höhe bestätigt hat, woran die weiteren Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern vermögen.

7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den unterliegenden
Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 9000.- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
auferlegt.

3.
Der Differenzbetrag von Fr. 9000.- zu den geleisteten Kostenvorschüssen wird
den Beschwerdeführern je hälftig zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 26. November 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer