Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 15/2007
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H 15/07

Urteil vom 20. November 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

1.  M.________ AG, (vormals: G.________ AG;  E.________ AG; T.________),
2. R.________ AG, (vormals O.________ AG),
3. B.________ AG, Beschwerdeführerinnen,
alle handelnd durch die I.________ und diese
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Durrer, Dorfplatz 6,
6371 Stans,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdegegnerin.

Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zug vom 21. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Gestützt auf die Ergebnisse einer Arbeitgeberkontrolle stellte die
Ausgleichskasse des Kantons Zug fest, dass die G.________ AG, die T.________
AG, die D.________ AG, die O.________ AG, die B.________ AG, sowie die
E.________ AG, auf Entgelten, die sie in den Jahren 2001 und 2003
verschiedenen Mitarbeitern ausgerichtet hatten, keine Beiträge abgerechnet
hatten. Mit Verfügungen vom 2. November 2004 verpflichtete die
Ausgleichskasse die erwähnten sechs Gesellschaften zur Nachzahlung
paritätischer AHV/IV/EO/ALV-Beiträge, von Beiträgen an die
Familienausgleichskasse sowie von Verwaltungskosten im Gesamtbetrag von
Fr. 424'186.-. Die Einsprache der genannten Gesellschaften lehnte die
Ausgleichskasse ab, erhöhte hingegen die von der G.________ AG geschuldeten
Beiträge von Fr. 131'335.20 auf Fr. 176'560.40 und die Beitragsforderung
gegenüber der T.________ AG von Fr. 18'444.40 auf Fr. 29'371.20 (Entscheid
vom 26. September 2005).

B.
Die von den eingangs aufgeführten sechs Gesellschaften (T.________ AG nunmehr
als M.________ AG, O.________ AG und R.________ AG, firmierend) eingereichte
Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des Einspracheentscheides und die
Abänderung der Nachzahlungsverfügungen hatten beantragen lassen, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Zug ab (Entscheid vom 21. Dezember 2006).

C.
Die M.________ AG, als Rechtsnachfolgerin der E.________ AG, der G.________
AG und der T.________ AG, die R.________ AG (früher O.________ AG) sowie die
B.________ AG, lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den
Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des
Einspracheentscheides seien die Nachzahlungsverfügungen vom 2. November 2004
dahin zu ändern, dass in Anwendung der Verordnungsbestimmungen zu Leistungen
im Rahmen einer Vorruhestandsregelung des Arbeitgebers und/oder betreffend
Entschädigungen bei Entlassungen im Falle von Betriebsschliessung oder
Betriebszusammenlegung die der Beitragspflicht unterliegende Lohnsumme
reduziert werde; eventuell sei die Sache zu weiterer Abklärung und neuer
Festsetzung der geschuldeten Nachzahlungen an die Ausgleichskasse
zurückzuweisen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Beschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug äussert sich in ablehnendem Sinne zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Bundesgericht nur zu
prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der
rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist
(Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Bundesgericht in
Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im
Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder
unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

3.
3.1 Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben.
Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in
unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete
Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge der
Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem
Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis
fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden
oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt
für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder
Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie
nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht
ausgenommen ist. Grundsätzlich unterliegen nur Einkünfte, die tatsächlich
geflossen sind, der Beitragspflicht (BGE 131 V 446 E. 1.1, 128 V 180 E. 3c,
126 V 222 E. 4a, 124 V 101 E. 2, je mit Hinweisen).
Bestandteil des massgebenden Lohnes sind nach Art. 7 lit. q AHVV auch
Leistungen des Arbeitgebers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, soweit
sie nicht im Sinne von Art. 8ter AHVV davon ausgenommen sind.

3.2 Nach Art. 5 Abs. 4 AHVG kann der Bundesrat Sozialleistungen sowie
anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebers an
seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen. Der
Bundesrat hat von dieser Delegationsbefugnis Gebrauch gemacht und am
18. September 2000 mit Inkrafttreten am 1. Januar 2001 Art. 8ter AHVV mit dem
Titel "Sozialleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses" erlassen,
der wie folgt lautet:
1 Nicht zum massgebenden Lohn gehören die nachfolgenden Leistungen, soweit
sie acht Monatslöhne nicht übersteigen:
a. Abgangsentschädigungen für langjährige Dienstverhältnisse nach Art. 339b
des Obligationenrechts (OR) nach Abzug der Ersatzleistungen nach Artikel 339d
OR;
b. Abfindungen des Arbeitgebers an jene Arbeitnehmer, die nicht in der
obligatorischen beruflichen Vorsorge versichert waren;
c. Leistungen im Rahmen einer Vorruhestandsregelung des Arbeitgebers;
d. Entschädigungen bei Entlassungen im Falle von Betriebsschliessung oder
Betriebszusammenlegung.
2 Als Lohn gilt der während des letzten ganzen Kalenderjahres erzielte Lohn.

3 Renten werden nach den Tabellen des Bundesamtes in Kapital umgerechnet.

4.
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
(Art. 105 Abs. 2 OG) handelt es sich bei den von den Kassenverfügungen vom 2.
November 2004 erfassten Zahlungen der Beschwerdeführerinnen um Leistungen,
welche diese bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse einzelnen Arbeitnehmern
erbrachten hatten. Streitig und zu prüfen ist, ob Ausgleichskasse und
Vorinstanz die entsprechenden Zahlungen zu Recht der Beitragspflicht
unterworfen haben, oder ob Sie gestützt auf Art. 8ter Abs. 1 lit. c und /oder
d AHVV vom massgebenden Lohn und der Beitragspflicht ausgenommen sind.

5.
5.1 In BGE 133 V 153 hat sich das Bundesgericht mit den vorliegend
interessierenden Verordnungsbestimmungen befasst. Es hat erkannt, dass die
Beitragsbefreiung im Rahmen der Vorruhestandsregelung des Arbeitgebers nach
Art 8ter Abs. 1 lit. c AHVV nicht voraussetzt, dass der Arbeitnehmer
freiwillig vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Ebenso ist entgegen
den Verwaltungsweisungen nicht erforderlich, dass Vorruhestandsregelungen für
die ganze Belegschaft oder klar bestimmbare Teile der Belegschaft gelten. Des
Weitern hat das Gericht festgehalten, dass eine beitragsrechtliche
Privilegierung von Zahlungen an Arbeitnehmer, deren Stelle im Sinne von Art
8ter Abs. 1 lit. d AHVV infolge Betriebschliessung/Zusammenlegung im Rahmen
eines Sozialplans aufgehoben wird, im Vergleich zu Leistungen an
Arbeitnehmer, deren Stelle auf Grund betrieblicher
Restrukturierungsmassnahmen und ebenfalls im Rahmen eines Sozialplans
wegfällt, einer sachlichen Grundlage entbehrt.

5.2 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die "Massnahmen-Matrix" der
Beschwerdeführerinnen entgegen der Ansicht der Vorinstanz die Voraussetzungen
einer Vorruhestandsregelung im Sinne von Art 8ter Abs. 1 lit. c AHVV erfüllt,
spielt doch der Umstand, dass die Frühpensionierungen (teilweise) gegen den
Willen der Arbeitnehmer erfolgten, in diesem Zusammenhang keine Rolle. Die
Leistungen der Beschwerdeführerinnen an die Arbeitnehmer sind daher nach
Massgabe von Art. 8ter Abs. 1 lit. c AHVV im Umfang von acht Monatslöhnen von
der Beitragspflicht ausgenommen.

5.3 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird weiter geltend gemacht, zufolge
Betriebsschliessung sei sämtlichen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen der
G.________ AG, der T.________ AG und O.________ AG gekündigt worden. Indessen
habe sichergestellt werden müssen, dass das operative Geschäft während zweier
Jahre aufrecht erhalten werden konnte. Dies habe dazu geführt, dass der
Personalabbau gestaffelt über zwei Jahre erfolgte. Die Voraussetzungen von
Art. 8ter Abs. 1 lit. d AHVV seien somit erfüllt.
Ob unter den gegebenen Umständen von einer Entlassung sämtlicher Arbeitnehmer
des betreffenden Arbeitgebers gesprochen werden kann, wie die
Beschwerdeführerinnen geltend machen, kann dahingestellt bleiben, da dieses
Kriterium nicht erfüllt zu sein braucht; wie das Bundesgericht in BGE 133 V
153 E. 8.4 S. 159 festgestellt hat, sind Zahlungen im Falle von Entlassungen
bei Betriebsschliessungen und Leistungen des Arbeitgebers bei erzwungenem
vorzeitigem Rücktritt das Arbeitnehmers im Fall von Restrukturierungen
beitragsrechtlich gleich zu behandeln. Art 8ter Abs. 1 lit. d AHVV ist somit
im vorliegenden Fall selbst dann anzuwenden, wenn nicht von einer Entlassung
aller Arbeitnehmer auszugehen wäre.

6.
Die Ausgleichskasse, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird über die
Höhe der von den Beschwerdeführerinnen nachzuzahlenden Beiträge in Anwendung
von Art 8ter Abs. 1 lit. c und d AHVV neu verfügen.

7.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der
unterliegenden Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Diese hat
den Beschwerdeführerinnen überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art.
159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 21. Dezember 2006 und der
Einspracheentscheid vom 26. September 2005 aufgehoben. Die Sache wird an die
Ausgleichskasse des Kantons Zug zurückgewiesen, damit sie über die
Nachzahlung der Beiträge im Sinne der Erwägungen neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.- werden der Ausgleichskasse des Kantons Zug
auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von gesamthaft Fr. 16'500.- wird den
Beschwerdeführerinnen entsprechend den bezahlten Anteilen zurückerstattet.

4.
Die Ausgleichskasse des Kantons Zug hat den Beschwerdeführerinnen für das
Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- zu
bezahlen.

5.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wird über eine Parteientschädigung für
das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. November 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Päsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer