Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 29/2007
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C 29/07

Urteil vom 10. März 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Arbeitsamt des Kantons Schaffhausen, Mühlentalstrasse 105, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdeführer,

gegen

M.________, 1958, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Sieber,
Quaistrasse 3, 8200 Schaffhausen.

Arbeitslosenversicherung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen
vom 15. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Die 1958 geborene, aus Mazedonien stammende M.________ ist Mutter einer
erwachsenen, betreuungsbedürftigen behinderten Tochter und war ab 1. Januar
2004 teilzeitlich als Abwartin bei der Gebäudereinigung X.________ AG tätig.
Die Arbeitgeberin löste das Arbeitsverhältnis per 28. Februar 2006 auf. Am
23. Dezember 2005 meldete sich M.________ zur Arbeitsvermittlung im Umfang
von 40 % ab 1. März 2006 und zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an. Das
Arbeitsamt des Kantons Schaffhausen verneinte mit Verfügung vom 17. Februar
2006 die Vermittlungsfähigkeit und somit den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung der Versicherten ab 1. März 2006. Daran hielt es
mit Einspracheentscheid vom 26. April 2006 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons
Schaffhausen mit Entscheid vom 15. Dezember 2006 gut und hob die Verfügung
vom 17. Februar 2006 sowie den Einspracheentscheid vom 26. April 2006 auf.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Arbeitsamt des Kantons
Schaffhausen die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
M.________ und das Obergericht des Kantons Schaffhausen schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft (seco) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110)
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die
Vermittlungsfähigkeit als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15
Abs. 1 AVIG), die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 126 V 520 E. 3a S. 521
mit Hinweisen) und die Rechtsprechung zur Vermittlungsfähigkeit von
versicherten Personen, die sich im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen
oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder
Wochenstunden erwerblich betätigen wollen (BGE 123 V 214 E. 3 S. 216, 120 V
385 E. 3a S. 388 mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen
werden.

2.2 Zu betonen ist, dass für die Frage der Vermittlungsfähigkeit die
konkreten Aussichten auf eine Anstellung auf dem für die versicherte Person
in Betracht fallenden allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der
zeitlichen Verfügbarkeit, aber auch der herrschenden konjunkturellen
Verhältnisse sowie aller andern Umstände, entscheidend sind. Nach der
Rechtsprechung begründet der Umstand, dass Versicherte sich im Hinblick auf
anderweitige, namentlich familiäre Verpflichtungen, oder besondere
persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden
erwerblich betätigen wollen oder Eltern betreuungspflichtiger Kinder eine
Arbeit in Gegenschicht zum erwerbstätigen Ehegatten wünschen, allein noch
keine Vermittlungsunfähigkeit. Diese Rechtsfolge tritt indes dann ein, wenn
der versicherten Person bei der Auswahl des Arbeitsplatzes aus familiären
oder persönlichen Gründen nachweislich derart enge Grenzen gesetzt sind, dass
das Finden einer passenden, eventuell zu jener des Ehegatten komplementären,
Stelle sehr ungewiss ist (vgl. BGE 123 V 214 E. 3 S. 216, 120 V 385 E. 3a
S. 388 mit Hinweisen; ARV 2004 Nr. 29 S. 278 E. 3.1, C 255/02 und 1991 Nr. 2
S. 18 E. 3a, C 45/90).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Vermittlungsfähigkeit der Versicherten ab dem
1. März 2006.

3.1 In der Anmeldung zur Arbeitsvermittlung gab die Beschwerdegegnerin an,
eine 40 %-Stelle als Reinigerin zu suchen. Anlässlich des Beratungsgesprächs
vom 6. Januar 2006 kam zur Sprache, dass die Versicherte eine erwachsene
behinderte Tochter hat, die eine ganztägige Betreuung brauche, weshalb eine
unselbstständige Tätigkeit ausser Haus schwierig sei. Ihr Ehemann, der sie in
der Betreuung unterstütze, arbeite im Schichtbetrieb und könne sie somit
nicht zu regelmässigen Zeiten ablösen. Auf Fragen des Arbeitsamtes zur
Möglichkeit einer Berufstätigkeit ausser Haus hin schrieb die
Beschwerdegegnerin am 2. Februar 2006, in ihrer Situation sei es schwierig,
Entscheidungen zu treffen, sie könnte jedoch jeden Nachmittag zwei Stunden
von zu Hause abwesend sein.

3.2 Mit Verfügung vom 17. Februar 2006 verneinte das Arbeitsamt die
Vermittlungsfähigkeit der Versicherten wegen der zeitlichen Bedingungen und
der fehlenden Deutschkenntnisse.
Im Rahmen des Einspracheverfahrens teilte die Beschwerdegegnerin mit,
aufgrund der Fragestellung des Arbeitsamtes habe sie angegeben, lieber am
Nachmittag zu arbeiten. Ihr sei aber eigentlich egal, wann sie arbeite - ob
am Morgen, am Nachmittag oder am Abend spiele keine Rolle. Ihr Mann, ihr Sohn
und ihre Tochter, die Schicht arbeiten, würden sie bei der Betreuung der
behinderten Tochter ablösen. Auf entsprechende Nachfrage hin bestätigte der
Ehemann der Beschwerdegegnerin, seine Frau könne zu jeder Tageszeit arbeiten.
Mit Schreiben vom 10. bzw. 12. April 2006 wies das Arbeitsamt der
Versicherten eine Stelle als Mitarbeiterin eines Beschäftigungsprogramms bei
der Stiftung Y.________ zu, welche sie jedoch nicht antrat, da sie weder
nähen noch mit Werkzeugen umgehen und daher die ihr zugewiesenen Arbeiten im
Recyclingbetrieb und Nähatelier nicht ausführen könne.
Mit Einspracheentscheid vom 26. April 2006 hielt das Arbeitsamt an der
Verneinung der Vermittlungsfähigkeit fest, da der Erklärung der Versicherten
nicht gefolgt werden könne, diese nur albanisch spreche, einen zugewiesenen
Arbeitseinsatz verneint und nicht taugliche Arbeitsbemühungen nachgewiesen
habe.

4.
4.1 Was zunächst die Frage der zeitlichen Verfügbarkeit anbelangt, ist nicht
zu beanstanden, dass das kantonale Gericht die Angaben der
Beschwerdegegnerin, wonach sie durch die Betreuungsbedürftigkeit ihrer
behinderten Tochter an einem ausserhäuslichen Einsatz vormittags, nachmittags
oder abends nicht gehindert sei, für glaubhaft hielt. Wohl ist dem Arbeitsamt
insoweit zuzustimmen, als die diesbezüglichen Angaben anfänglich unklar waren
und erst nach und nach ergänzt wurden, doch wurde bis zum massgebenden
Zeitpunkt des Einspracheentscheides dargetan, dass im Haushalt der
Beschwerdegegnerin insgesamt sieben Familienmitglieder, eingeschlossen die
behinderte Tochter, leben und dass die Betreuung auch durch den Ehemann, den
Sohn und die Tochter, welche Schicht arbeiten, sowie durch die Mutter der
Beschwerdegegnerin wahrgenommen werden kann. Soweit das Arbeitsamt
argumentiert, die "Aussage der ersten Stunde" sei zuverlässiger als spätere
Aussagen, ist ihr mit der Vorinstanz entgegenzuhalten, dass dies vorliegend,
wo die Angaben - teilweise auf entsprechendes Nachfragen der Verwaltung hin -
ergänzt und präzisiert wurden, nicht dieselbe Bedeutung hat wie in Fällen, wo
ein Ereignis plötzlich anders geschildert wird. Zudem ist den mangelnden
Deutschkenntnissen Rechnung zu tragen. Sodann darf die Vermittlungsfähigkeit
rechtsprechungsgemäss nicht leichthin unter Verweis auf familiäre
Betreuungsaufgaben verneint werden. Dies gilt namentlich dann, wenn eine
Person schon vor Eintritt der Arbeitslosigkeit den Tatbeweis erbracht hat,
dass sie trotz Betreuungsaufgaben eine Beschäftigung auszuüben bereit und in
der Lage war, und sie die bisherige Stelle nicht aus Gründen der fehlenden
Betreuungsmöglichkeit aufgeben musste. Wie das Arbeitsamt selber erwähnt,
wird auch im neuen Kreisschreiben ALE, Januar 2007, Rz. B225 ausgeführt, die
Regelung der Kinderbetreuung sei der versicherten Person überlassen. Erst
wenn im Verlaufe des Leistungsbezugs der Wille oder die Möglichkeit, die
Kinder einer Drittperson anzuvertrauen, als zweifelhaft erscheine, müsse die
zuständige Amtsstelle die Vermittlungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete
Möglichkeit einer Kinderbetreuung prüfen und einen Obhutsnachweis verlangen.
Ausser bei offensichtlichem Missbrauch ist somit nicht schon zum Zeitpunkt
des Einreichens des Entschädigungsgesuchs der Nachweis der Betreuung zu
prüfen (ARV 2006 Nr. 3 S. 62, C 88/05, mit Hinweis), sondern auf plausible
Angaben abzustellen (vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in:
Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, Rz. 267). Das
Vorhandensein solcher Angaben ist mit dem kantonalen Gericht zu bejahen.

4.2 Ist somit davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin vormittags,
nachmittags oder abends zwei Stunden einer ausserhäuslichen Tätigkeit
nachgehen kann, sind die konkreten Aussichten auf eine Anstellung auf dem für
die versicherte Person in Betracht fallenden Arbeitsmarkt unter
Berücksichtigung der zeitlichen Verfügbarkeit, der konjunkturellen
Verhältnisse und der andern entscheidenden Umstände mit der Vorinstanz als
intakt zu beurteilen. Für die Beschwerdegegnerin kommen in erster Linie
Reinigungs- und Hilfsarbeiten in Frage, bei welchen sowohl Schichtarbeiten
wie abendliche Einsätze und insbesondere stundenweise Einsätze zu
unterschiedlichen Tageszeiten möglich sind. Wenn das Arbeitsamt mit dem
Mangel an gemeldeten derartigen Stellen argumentiert, ist ihm
entgegenzuhalten, dass in der Reinigungsbranche etliche Stellen nicht
öffentlich ausgeschrieben, sondern aufgrund persönlicher Anfragen besetzt
werden. Zu denken ist an Privathaushalte oder kleinere Unternehmen, welche
eine bestimmte Person aufgrund einer Empfehlung als Reinigerin anstellen,
mittels Annonce an einem Anschlagbrett oder via Internet jemanden suchen. Bei
derartigen Stellen dürfen denn auch die mangelnden Deutschkenntnisse nicht
derart erschwerend gewichtet werden, ist doch lediglich für die Einführung in
die Arbeit eine deutsch und albanisch sprechende Person, allenfalls ein
Familienmitglied der Versicherten, beizuziehen.

4.3 Dass die Beschwerdegegnerin die ihr bei der Stiftung Y.________
zugewiesene Stelle nicht annahm, vermag sodann ihre grundsätzliche
Vermittlungsfähigkeit ebenfalls nicht in Frage zu stellen, entsprachen die
Tätigkeiten im Nähatelier und Recyclingbetrieb doch nicht ihren Fähigkeiten,
dies im Gegensatz zur gesuchten Tätigkeit als Reinigerin, die schon bei der
innegehabten Hauswartstelle zu ihrem Aufgabenkreis zählte. Der Vorwurf
ungenügender bzw. untauglicher Arbeitsbemühungen schliesslich rechtfertigt
rechtsprechungsgemäss nicht den Schluss auf mangelnde
Vermittlungsbereitschaft, solange diese nur Ausdruck unzureichender Erfüllung
der Schadenminderungspflicht sind. Auch dürftige Bemühungen um eine neue
Arbeit sind in der Regel nur Ausdruck unzureichender Erfüllung der
gesetzlichen Schadenminderungspflicht und nicht die Folge davon, dass die
versicherte Person in der fraglichen Zeit eine neue Anstellung gar nicht
finden wollte. Wenn immerhin gewisse Anstrengungen der Versicherten
festzustellen sind, wie dies vorliegend der Fall ist, kann grundsätzlich
nicht auf fehlende Vermittlungsbereitschaft erkannt werden, es sei denn, dass
trotz des äusseren Scheins nachweislich keine Absicht zur Wiederaufnahme
einer Arbeitnehmertätigkeit bestanden hat (ARV 1996/1997 Nr. 8 S. 29 E. 3,
C 84/94). An einem solchen Nachweis fehlt es im konkreten Fall. Allenfalls
qualitativ oder quantitativ nicht in jeder Hinsicht genügende
Arbeitsbemühungen wären - nach dem auch im Arbeitslosenversicherungsrecht
geltenden Verhältnismässigkeitsprinzip - nicht mit der Verneinung der
Vermittlungsfähigkeit, sondern vielmehr mit einer Einstellung in der
Anspruchsberechtigung (Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG) zu sanktionieren (SVR 1997
ALV Nr. 81 S. 245 E. 3b/bb, C 91/96, mit Hinweisen).

4.4 In Würdigung der Aktenlage ist zusammenfassend nicht zu beanstanden, dass
das kantonale Gericht die Vermittlungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin ab
1. März 2006 bejaht hat. Daran vermag die nicht durchgehend korrekte
Verwendung der Begriffe Vermittelbarkeit und Vermittlungsfähigkeit nichts zu
ändern, hat sie doch keinen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens.
Ebenfalls nicht relevant sind die Ausführungen des Arbeitsamtes zur
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin ab 1. Mai 2006,
da die Beurteilung der Vermittlungsfähigkeit prospektiv, d.h. von jenem
Zeitpunkt aus und unter Würdigung jener Verhältnisse, die bei Erlass des
Einspracheentscheides gegeben waren, zu erfolgen hat (BGE 129 V 167 E. 1
S. 169, 120 V 385 E. 2 S. 387).

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat die Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Schaffhausen,
der Kantonalen Arbeitslosenkasse Schaffhausen und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 10. März 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Kopp Käch