Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 7/2007
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B 7/07

Urteil vom 28. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Borella, Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Pensionskasse der Firma X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch die
Swisscanto Vorsorge AG, Waisenhausstrasse 2, 8001 Zürich,

gegen

I.________, 1944, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph
Häberli, Langstrasse 4, 8004 Zürich.

Berufliche Vorsorge,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zug vom 30. November 2006.

Sachverhalt:

A.
I. ________, geboren 1944, war bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung am 1.
Mai 2005 in einem Betrieb tätig, welcher berufsvorsorgerechtlich der
Pensionskasse der Firma X.________ angeschlossen war. Die Pensionskasse
lehnte es ab, ihm vor Erlangen des ordentlichen Rücktrittsalters von 65
Jahren im Jahre 2009 nebst der unbestrittenen Altersrente auch Kinderrenten
für die 1990 und 1991 geborenen Töchter auszurichten.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess die von I.________ eingereichte
Klage mit Entscheid vom 30. November 2006 insofern gut, als es feststellte,
dass er gegenüber der Pensionskasse für seine beiden Töchter Anspruch auf
zwei Pensionierten-Kinderrenten habe, dies im Rahmen der
BVG-Mindestleistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 2005 bis zum Erreichen der
Altersgrenze gemäss AHV-Gesetzgebung.

C.
Die Pensionskasse wendet sich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
kantonalen Entscheid und beantragt, die Klage sei vollständig abzuweisen.

I. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) enthält sich in seiner
Vernehmlassung eines Antrages.

D.
Am 28. August 2007 hat das Bundesgericht eine parteiöffentliche Beratung
durchgeführt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110])
ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205 und 1243). Da der
angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch
nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395).

2.
Strittig ist, ob der Beschwerdegegner, der als vorzeitig Pensionierter
Altersleistungen im Sinne von Art. 13 Abs. 2 BVG bezieht, vor Erreichen des
65. Altersjahres im Rahmen der obligatorischen beruflichen Vorsorge Anspruch
auf Kinderrenten nach Art. 17 BVG hat. Unangefochten blieben hingegen die
Feststellungen der Vorinstanz, dass im überobligatorischen Bereich kein
solcher Anspruch besteht und dass der Beschwerdegegner aus der
Besitzstandsregelung nichts zu seinen Gunsten ableiten kann.

3.
3.1 Nach Art. 13 Abs. 1 BVG haben Männer (lit. a), die das 65. Altersjahr und
Frauen (lit. b), die das 62. Altersjahr (heute 64. Altersjahr gemäss Art. 62a
Abs. 1 BVV 2) zurückgelegt haben, Anspruch auf Altersleistungen. Nach Art. 13
Abs. 2 BVG können die reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung
abweichend davon vorsehen, dass der Anspruch auf Altersleistungen mit der
Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht. In diesem Fall ist der
Umwandlungssatz (Art. 14) entsprechend anzupassen.

3.2 Versicherte, denen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind, das im
Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine
Kinderrente in Höhe der Waisenrente (Art. 17 BVG). Der Kinderrente, die
teilweise den Ersatz des Einkommensbestandteils der im Erwerbsleben durch den
Arbeitgeber ausgerichteten Kinderzulagen bezweckt (SZS 2003 S. 432 E. 5b),
kommt insofern akzessorischer Charakter zu, als sie nur zur Ausrichtung
gelangt, wenn Anspruch auf eine Altersrente besteht (BGE 121 V 104 E. 4c S.
107 mit Hinweis).

4.
4.1 Das kantonale Gericht bejaht den strittigen Anspruch im Wesentlichen mit
der Begründung, der zweite Teil des BVG (Art. 7 bis 47) enthalte nach Art. 6
BVG Mindestvorschriften; dazu gehöre auch Art. 17 BVG. Umhüllende
Vorsorgeeinrichtungen hätten daher im Rahmen des obligatorischen Bereichs
sämtliche Leistungsarten vorzusehen, die das BVG vorschreibe. Dies treffe
insbesondere auch hinsichtlich des hier streitigen Anspruchs auf eine
Pensionierten-Kinderrente nach Art. 17 BVG zu. Gleiches gelte auch bei einer
vorzeitigen Pensionierung, da die in Art. 13 Abs. 2 BVG statuierte
Kann-Vorschrift, wonach die reglementarischen Bestimmungen der
Vorsorgeeinrichtung abweichend von Abs. 1 vorsehen können, dass der Anspruch
auf Altersleistungen mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit entsteht, Teil
des Mindestvorschriften enthaltenden zweiten Teils des BVG sei und damit den
obligatorischen Bereich betreffe. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber
geltend, die gemäss ihrem Reglement an frühzeitig Pensionierte ausgerichteten
Leistungen hätten rein überobligatorischen Charakter, weshalb erst mit Alter
65 ein Anspruch auf Kinderrente entstehe.

4.2 Nach der Rechtsprechung sind im obligatorischen Bereich die
Mindestvorschriften des zweiten Teils des BVG zu beachten, wozu nicht nur die
Bestimmungen über die Leistungshöhe, sondern auch diejenigen über die
Leistungsarten gehören (BGE 121 V 104 E. 4a S. 106). Im genannten Entscheid
wurde daher bezüglich einer Invaliden-Kinderrente nach Art. 25 BVG
entschieden, dass die im obligatorischen und überobligatorischen Bereich
tätige Vorsorgeeinrichtung (umhüllende Kasse) ihrer Leistungspflicht nicht
genügt, wenn sie insgesamt Leistungen in Höhe der BVG-Mindestleistungen
erbringt. Daraus folgt unter anderem, dass umhüllende Vorsorgeeinrichtungen
im Rahmen des obligatorischen Bereichs sämtliche Leistungsarten vorzusehen
haben, die das BVG vorschreibt (BGE 121 V 104 E. 4b S. 106). An dieser
Rechtsprechung wurde - soweit ersichtlich - weder von der Lehre noch der
Praxis je Kritik geübt, sodass kein Grund besteht, davon abzuweichen.
Aufgrund der Systematik des Gesetzes und der akzessorischen Natur der
Kinderrente nach Art. 17 BVG gilt auch diese als eine vom BVG vorgeschriebene
Leistungsart, was dazu führt, dass das sog. Anrechnungsprinzip (siehe dazu
BGE 127 V 264 E. 4 S. 266) hier nicht zur Anwendung gelangen kann.

5.
5.1 Auch die bei (reglementarisch vorgesehener) vorzeitiger Pensionierung
auszurichtenden Leistungen können in den obligatorischen Bereich des BVG
gehören. Das BSV weist in seiner Stellungnahme vom 20. April 2007 darauf hin,
dass die ursprünglich vorgesehene Charakterisierung der Altersleistungen aus
vorzeitiger Pensionierung als weitergehende (überobligatorische) Leistung
(vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-
und Invalidenvorsorge vom 19. Dezember 1975, BBl 1976 I S. 227) vom Parlament
ausdrücklich fallen gelassen wurde. Der Berichterstatter wies darauf hin,
dass nach der von der Ständeratskommission beantragten Lösung der Vorbezug
innerhalb des Obligatoriums möglich sein soll. Der Beginn des Anspruchs soll
zusammenfallen können mit der Beendigung der Erwerbstätigkeit. Die fragliche
Bestimmung wurde dann in der von der Ständeratskommission vorgeschlagenen
Fassung diskussionslos angenommen (vgl. Amtliches Bulletin Ständerat 1980 S.
268 zu Art. 14). Aufgrund dieses klaren gesetzgeberischen Willens steht fest,
dass auch den vorzeitig bezogenen Altersleistungen obligatorischer Charakter
zukommen kann. Soweit in früheren Urteilen - allerdings ohne nähere
Begründung - davon ausgegangen wurde, es handle sich dabei um weitergehende
berufliche Vorsorge (vgl. Urteile P. vom 28. Juni 2005, B 74/04, E. 2 und B.
vom 13. September 2002, B 51/02, E. 1), kann daran nicht festgehalten werden.

6.
6.1 Nach der Auffassung des BSV kann bei Altersleistungen aus vorzeitiger
Pensionierung indessen nur dann von obligatorischen Leistungen ausgegangen
werden, wenn im Reglement einerseits auf die Aufgabe der Erwerbstätigkeit
abgestellt und anderseits der Umwandlungssatz nach Art. 14 BVG an das frühere
als das gesetzliche Rentenalter angepasst wird. Unterbleibe im Reglement
diese Anpassung des Umwandlungssatzes, so handle es sich nicht um den
Vorbezug der BVG-Altersleistungen, sondern um das ordentliche
reglementarische Rücktrittsalter und somit um überobligatorische Leistungen.

6.2 Diese Ansicht lässt sich mit dem in E. 4.2 zur umhüllenden
Vorsorgeeinrichtung Gesagten nicht vereinbaren. Sieht diese zwar
reglementarisch ein früheres Rücktrittsalter vor, unterlässt sie es aber -
wie im hier zu entscheidenden Fall - den Umwandlungssatz reglementarisch
anzupassen, hat dies nicht zur Folge, dass damit der Charakter der gesamten
Altersleistung ins Überobligatorische kippt und damit der Anspruch auf die
akzessorische Kinderrente vollständig entfällt. Eine solche Betrachtungsweise
würde insbesondere dem in E. 3.2 dargestellten Zweck der Kinderrente nicht
gerecht. Bei Lücken im Reglement der Beschwerdeführerin trifft der
Stiftungsrat nach Art. 30 des Reglementes eine dem Stiftungszweck und dem
Gesetz entsprechende Regelung. Im Sinne einer Schattenrechnung ist daher die
Mindest-Kinderrente gemäss BVG-Obligatorium aufgrund eines angepassten
Umwandlungssatzes (siehe dazu SZS 2002 S. 492 E. 3b) zu berechnen. Da die
Kinderrente in der Höhe derjenigen der Waisenrente entspricht und letztere
20% der zuletzt ausgerichteten Altersrente beträgt (Art. 21 Abs. 2 BVG), kann
entsprechend der Mitteilung des BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 7 vom 5.
Februar 1988, Rz. 37, S. 5, der Rentenumwandlungssatz, der gemäss Art. 8 Abs.
2 des Reglementes der Beschwerdeführerin 6,8% beträgt, für jedes Jahr der
vorzeitigen Pensionierung um 0,2% abgesenkt werden. Auf 20% der so
errechneten Altersrente hat der Beschwerdegegner unter dem Titel Kinderrente
im Rahmen der BVG-Mindestleistungen Anspruch, wie das kantonale Gericht
richtig erkannt hat.

7.
Da es um Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenlos (Art. 134
OG). Der Beschwerdegegner hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159
Abs. 2 OG), welche entsprechend des geringen Aufwandes auf Fr. 1000.-
festgelegt wird.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 28. August 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: