Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 95/2007
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9C_95/2007

Urteil vom 29. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Ersatzrichter Bühler,
Gerichtsschreiber Maillard.

B. ________, 1959, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Gerhard
Lanz, Schwanengasse 8, 3011 Bern,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 5. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1959 geborene, aus dem Kosovo stammende B.________ reiste 1984 in die
Schweiz ein und war hier als Bauarbeiter tätig, zuletzt ab April 1997 bei der
Firma X.________ AG. Ab 20. Juli 2000 war er 100 % arbeitsunfähig. Er leidet
an einer mittelgradig depressiven Episode, einer somatoformen Schmerzstörung,
einem chronisch lumbovertebralen Schmerzsyndrom und einer möglichen
chronischen tieflumbalen Wurzelreizung rechts mit/bei lumbosakraler
Übergangsanomalie, median bis mediolateral rechts gelegener flach erhabener
Diskushernie L5/S1 mit Einengung des rezessalen Anteils der Wurzel S1 (MRI
vom 28. Dezember 2000 und MR-Myelographie vom 4. Oktober 2002), sensorischem
Reizsyndrom L5 rechts, persistierender ASR-Abschwächung rechts,
Beckenschiefstand links und links-konvexer Wirbelsäulenskoliose sowie an
einer statischen Fussdeformität links bei Status nach IP-I-Arthrodese links
und Rückversetzung der Flexor hallucis longus-Sehne 1990 bei Status nach
Mittelgelenksresektion Dig. III mit Kappung der Extensorensehne 1992, Status
nach Mittelgelenksresektion Dig. II links 1994 und leichter
Spreizfussstellung links.

Am 10. September 1991 meldete sich B.________ bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn zog einen
Formularbericht des Hausarztes Dr. med. F.________ vom 27. September 2001 und
die diesem beigelegten Arztberichte des Spitals Y.________ vom 30. Mai 2001,
28. März 2001 (Hospitalisation vom 26. Februar bis 23. März 2001), 31. Januar
2001 und 20. Dezember 2000 (Hospitalisation vom 27. November bis 15. Dezember
2000), des Spezialarztes für Innere Medizin Dr. med. M.________ vom
20. November 2000 und 25. September 2000 sowie des Spitals Region Z.________
vom 17. August 2000 (Hospitalisation vom 3. bis 15. August 2000) und einen
Arbeitgeber-Formularbericht der Firma X.________ AG vom 24. September 2001
bei. Ausserdem liess sie die berufliche Eingliederungs- und Arbeitsfähigkeit
des Versicherten vom 22. April bis 7. Mai 2002 in der BEFAS "I.________",
Berufliche Abklärungsstelle, abklären. Nachdem ein vom Amt für Wirtschaft und
Arbeit des Kantons Solothurn zu Lasten der Arbeitslosenversicherung
durchgeführtes Qualifizierungsprogramm (vom 15. Juli 2002 bis 17. Januar
2003) ungenügende Resultate ergeben hatte, ordnete die IV-Stelle am 24.
Januar 2003 eine medizinische Begutachtung durch die Medas Medizinische
Abklärungsstelle Universitätskliniken an, welche ihr interdisziplinäres
Gutachten am 12. Januar 2004 erstattete. Die Gutachter der Medas attestierten
dem Versicherten eine 50%ige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten
leichten bis mittelschweren Verweisungstätigkeit. Gestützt darauf ermittelte
die IV-Stelle einen Invaliditätsgrad von 51 % und sprach B.________ mit
Verfügungen vom 18. Juni 2004 ab 1. Juli 2001 eine halbe Invalidenrente nebst
Zusatzrente für die Ehefrau und drei (ab 1. April 2003 zwei) Kinderrenten zu.
Der Versicherte liess dagegen Einsprache erheben und machte unter Hinweis auf
die inzwischen vorliegenden ärztlichen Berichte der Rehaklinik H.________ vom
18. Oktober 2004 (Hospitalisation vom 16. September bis 6. Oktober 2004), des
Hausarztes vom 17. September 2004 und des Prof. Dr. med. R.________, Klinik
U.________, vom 15. April 2004 eine Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes geltend. Die IV-Stelle liess hierauf B.________ erneut
durch die Medas interdisziplinär begutachten (zweites Gutachten vom 29.
August 2005). Die Sachverständigen bestätigten im Wesentlichen die Diagnosen
und Schlussfolgerungen ihrer ersten Expertise, worauf die IV-Stelle die
Einsprache mit Entscheid vom 12. Dezember 2005 abwies, wobei sie den
Invaliditätsgrad neu auf 55 % festsetzte.

B.
Beschwerdeweise liess B.________ beantragen, die Verfügung (recte:
Einspracheentscheid) vom 12. Dezember 2005 sei aufzuheben und die Streitsache
zur Vornahme weiterer Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen. Das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die Beschwerde mit Entscheid
vom 5. Februar 2007 ab.

C.
B.________ lässt Beschwerde führen, mit der er sein vorinstanzliches
Rechtsbegehren erneuern lässt.

Die IV-Stelle schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung
verzichtet

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann daher gemäss Art.
95 und 96 BGG nur wegen Rechtsverletzungen erhoben werden. Die Feststellung
des Sachverhaltes durch die Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Diese
Kognitionsregelung bedeutet, dass das Bundesgericht den angefochtenen
Entscheid grundsätzlich nur daraufhin überprüfen kann und darf, ob er
materielles oder formelles Bundesrecht verletzt. An die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen ist es auch insoweit gebunden, als diese auf
richterlicher Beweiswürdigung beruhen. Die Tatsachenfeststellungen des
kantonalen Gerichts sind im bundesgerichtlichen Verfahren nur insoweit noch
rüg- und korrigierbar, als die hiefür in Art. 97 Abs. 1 BGG statuierten
Voraussetzungen - offensichtliche Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellungen
oder Rechtsverletzung bei der Feststellung des Sachverhaltes und
Entscheidrelevanz der fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung - substantiiert
werden und erfüllt sind.

2.
Streitig ist, ob dem Beschwerdeführer eine ganze Invalidenrente zusteht. Das
kantonale Gericht hat die für die Beurteilung des Leistungsanspruchs
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen
werden.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt unter dem Titel "Feststellung des Sachverhaltes
in Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften, insbesondere Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes" im Wesentlichen Folgendes:

Das (zweite) Gutachten der Medas sei unvollständig und zum Teil
widersprüchlich, weil die Gutachter das Vorliegen einer Wurzelreizung
lediglich als möglich diagnostiziert hätten, obwohl eine Wurzelkompression im
MRT nachgewiesen worden sei. Ferner gehe aus dem Gutachten nicht klar hervor,
weshalb die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer
leidensangepassten Tätigkeit exakt auf 50 % festgesetzt worden sei. Ebenso
hätten die Gutachter nicht ausreichend begründet, weshalb sie die abweichende
Einschätzung einer 100%igen "Erwerbsunfähigkeit" durch Prof. Dr. med.
R.________ als unrichtig erachteten. Schliesslich sei die "Methodik" des
(zweiten) Medas-Gutachtens ungenügend, weil es auf drei Teilbegutachtungen
beruhe. Richtigerweise hätten "sowohl internistisch-somatische als auch
psychiatrisch-psychosoziale Faktoren in einen Arbeitsgang integriert" werden
müssen.

3.2 Mit diesen Vorbringen macht der Beschwerdeführer keinerlei
Rechtsverletzung, namentlich auch nicht eine Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) geltend, sondern rügt  einzig
die Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts, welches der
Arbeitsfähigkeitsbeurteilung - 50%ige Restarbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten leichten bis mittelschweren Tätigkeit - der
Medas-Gutachter volle Beweiskraft beigemessen hat. Dabei geht es um eine
vorinstanzliche Tatsachenfeststellung (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398), an
welche das Bundesgericht nur dann nicht gebunden wäre, wenn sie
offensichtlich unrichtig oder die Vorinstanz dabei in Bundesrecht
verletzender Weise verfahren wäre. Inwiefern die vorinstanzliche Würdigung
der beiden Medas-Gutachten aber qualifiziert falsch sein soll, wird vom
Beschwerdeführer in keiner Weise substantiiert. Vielmehr bemängelt er nur die
Einschätzung der ihm verbliebenen Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch die
Medas-Gutachter in ihrer zweiten Expertise vom 29. August 2005. Insbesondere
legt er nicht dar, inwiefern die Vorinstanz einzelne inhaltliche oder
formelle Kriterien missachtet hätte, die gewahrt sein müssen, damit einem
medizinischen Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung volle Beweiskraft
beigemessen werden darf. Wird aber eine qualifiziert falsche Beweiswürdigung
vom Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise gerügt, hat sich das
Bundesgericht auch nicht mit den vorgebrachten, konkreten Bemängelungen des
der Beweiswürdigung zugrunde liegenden Medas-Gutachtens zu befassen.

4.
4.1 Unter dem Titel "Verletzung von Art. 28 Abs. 2 IVG (Begriff des
Invalideneinkommens)" rügt der Beschwerdeführer ferner, die von der IV-Stelle
und vom kantonalen Gericht genannten konkreten Verweisungstätigkeiten seien
alle "repetitiver und monotoner Natur" und deshalb gemäss Medas-Gutachten für
den Beschwerdeführer nicht "ausführbar". Eine Arbeitstätigkeit, wie sie im
(zweiten) Medas-Gutachten vom Beschwerdeführer "gefordert" werde, existiere
auf dem fiktiven ausgeglichenen Arbeitsmarkt gar nicht.

4.2 Das kantonale Gericht hat die von der IV-Stelle im Einspracheentscheid
genannten konkreten Verweisungstätigkeiten nicht übernommen, sondern
lediglich festgehalten, es könne nicht zweifelhaft sein, dass dem
Beschwerdeführer trotz seines Gesundheitsschadens noch Beschäftigungen offen
stünden, in denen er die ihm verbliebene, zumutbare Arbeitsfähigkeit
verwerten könne. Die diesbezügliche Tatsachenfeststellung rügt der
Beschwerdeführer zu Recht nicht als offensichtlich unrichtig, weshalb das
Bundesgericht daran gebunden ist.

4.3 Soweit der Beschwerdeführer nach dem objektiven Sinn seiner Rüge geltend
macht, die Vorinstanz sei von einem falschen Begriff des ausgeglichenen
Arbeitsmarktes mit einem zu extensiven Angebotsfächer an Arbeitsgelegenheiten
ausgegangen, wirft er eine Rechtsfrage auf. Indessen hat das kantonale
Gericht zutreffend festgehalten, beim ausgeglichenen Arbeitsmarkt gehe es
"nicht um reale, geschweige denn offene Stellen, sondern um (gesundheitlich
zumutbare) Arbeitsmöglichkeiten, welche der Arbeitsmarkt von seiner Struktur
her, jedoch abstrahiert von den konjunkturellen Verhältnissen, umfasst".
Diese Umschreibung entspricht dem von der Rechtsprechung entwickelten
Begriffsinhalt des ausgeglichenen Arbeitsmarktes (vgl. BGE 110 V 271 E. 4b S.
276). Demgemäss umfasst der ausgeglichene Arbeitsmarkt selbst sogenannte
Nischenarbeitsplätze, also Stellen- und Arbeitsangebote, bei welchen
Behinderte mit einem sozialen Entgegenkommen von Seiten des Arbeitgebers
rechnen können (ARV 1989 Nr. 5 S. 30 E. 3b/aa; Urteil P. vom 29. Januar 2003,
U 425/00, E. 4.4). Von einer Verletzung von Bundesrecht mit Bezug auf den vom
kantonalen Gericht seinem Urteil zugrunde gelegten Begriff des allgemeinen
Arbeitsmarktes kann daher keine Rede sein.

5.
Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt, dass
und weshalb das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen des
kantonalen Gerichts über Art und Umfang der ihm verbliebenen
Restarbeitsfähigkeit nicht gebunden wäre. Da mit Bezug auf den Begriff des
ausgeglichenen Arbeitsmarktes auch keine Rechtsverletzung vorliegt, ist die
Beschwerde insgesamt als unbegründet abzuweisen.

6.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 29. August 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: