Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 94/2007
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9C_94/2007

Urteil vom 20. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiber Maillard.

R. ________, 1962, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Petra Oehmke Schiess, Bahnhofplatz 9,
8910 Affoltern am Albis,

gegen

IV-Stelle Zug, Baarerstrasse 11, 6304 Zug, Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug
vom 30. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Die IV-Stelle Zug sprach R.________, geboren 1962, mit Verfügung vom
15. Februar 2000 wegen den Restfolgen eines am 21. September 1990 erlittenen
Fahrradunfalles basierend auf einem Invaliditätsgrad von 55 % ab September
1991 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Nachdem er eine von
dieser Versicherung übernommene Umschulung zum Sozialversicherungsfachmann
erfolgreich abgeschlossen hatte, führte die IV-Stelle eine Rentenrevision
durch. Dabei stellte sie fest, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse
von R.________ verbessert haben. Bei einem Invaliditätsgrad von nunmehr 47 %
setzte sie deshalb mit Verfügung vom 30. Juni 2005 die bisherige Rente
revisionsweise auf eine Viertelsrente herab. Am 21. Oktober 2005 teilte ihm
die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), von der er seit 1. März
1994 eine Invalidenrente von 55 % bezieht, mit, dass gestützt auf ihre
Abklärungen die Rente nicht geändert werde. Die IV-Stelle wurde mit einer
Kopie dieser Mitteilung bedient. Die IV-Stelle hielt mit Einspracheentscheid
vom 20. Dezember 2005 an der Herabsetzung der Rente fest.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wies die hiegegen erhobene Beschwerde
am 30. Januar 2007 ab.

C.
R.________ lässt Beschwerde einreichen und beantragen, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er weiterhin Anspruch
auf eine halbe Invalidenrente habe.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt
für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach
Art. 95 lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist die Rentenherabsetzung. Die Vorinstanz hat die
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Das kantonale Gericht hat zunächst unbestrittenermassen festgestellt, dass
sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers seit der
ursprünglichen Verfügung vom 15. Februar 2000 bis zum Einspracheentscheid
(20. Dezember 2005) nicht verändert haben. Hingegen hat sich, was ebenfalls
unbestritten ist, die Erwerbsfähigkeit aufgrund seiner Ausbildung zum
Sozialversicherungsfachmann verbessert. Mit seinem 50%igen Pensum (dass er
die ihm verbliebene Restarbeitsfähigkeit von 57 % ausreichend verwertet, ist
nicht bestritten) bei der Fachstelle X.________ erzielte der Beschwerdeführer
im Jahre 2005 mit Fr. 46'500.- ein Invalideneinkommen, welches wesentlich
höher ist als das der ursprünglichen Rentenverfügung zugrunde liegende.
Uneinigkeit herrscht einzig hinsichtlich der Höhe des Valideneinkommens.

3.1 Im ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Urteil vom 5. Juli 1999
(U 314/98) war die Höhe der Invalidenrente der Unfallversicherung und damit
der Invaliditätsgrad streitig. Das damalige Eidgenössische
Versicherungsgericht (heute Bundesgericht) stellte zum Valideneinkommen fest,
dass der Beschwerdeführer ohne Unfall als Architekt arbeiten würde. Er
verfüge über keine überdurchschnittlichen Fähigkeiten ( kein "Topmann") und
daher wäre für ihn eine leitende Funktion kaum in Betracht gekommen. Das
Gericht ging vom im Jahre 1996 für einen 31- bis 35-jährigen Architekten von
der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI empfohlenen Grundlohn von monatlich
Fr. 6200.- aus. Wegen des ausländischen Diploms und der - trotz guten
Deutschkenntnissen - fremden Muttersprache machte es einen Abzug von
Fr. 200.- pro Monat, was zu einem jährlichen Valideneinkommen von
Fr. 78'000.- (13 x Fr. 6000.-) führte.

3.2 Die Vorinstanz bestätigte im angefochtenen Entscheid die Auffassung der
Beschwerdegegnerin, wonach das in E. 3.1 dargestellte Valideneinkommen
lediglich um die bis 2005 eingetretene Nominallohnentwicklung auf
Fr. 88'427.- erhöht wurde. Sie erwog dabei, dass die IV-Stelle nicht an den
von der SUVA am 21. Oktober 2005 mitgeteilten Invaliditätsgrad von
unverändert 55 % gebunden sei. Dies wird vom Beschwerdeführer unter Hinweis
auf die Bindungswirkung letztinstanzlich als bundesrechtswidrig gerügt.

4.
4.1 Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zur Tragweite der
Bindungswirkung rechtskräftiger Invaliditätsschätzungen der
Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung für den jeweils anderen
Sozialversicherungsbereich (siehe BGE 126 V 288) an sich zutreffend
wiedergegeben. Diese Rechtsprechung hat auch nach Inkrafttreten des ATSG
weiterhin Gültigkeit (BGE 131 V 362 E. 2.2.1 S. 366). Es hat auch richtig
erkannt, dass es nicht angeht, die Invalidität in den einzelnen
Sozialversicherungszweigen völlig unabhängig von allenfalls schon getroffenen
Entscheiden anderer Versicherer festzulegen. Zumindest rechtskräftig
abgeschlossene Invaliditätsschätzungen dürfen nicht einfach unbeachtet
bleiben. Vielmehr müssen sie als Indiz für eine zuverlässige Beurteilung
gewertet und als solches in den Entscheidungsprozess erst später verfügender
Versicherungsträger miteinbezogen werden (BGE 126 V 288 E. 2d S. 294).

4.2 Im Zeitpunkt, als die IV-Stelle über die Einsprache entschied
(20. Dezember 2005), lag ihr die Mitteilung der SUVA vom 21. Oktober 2005
unbestrittenermassen vor. Sie durfte diesen Entscheid nach dem in E. 4.1
Gesagten nicht einfach ausser Acht lassen, sondern war verpflichtet, dessen
allfällige Auswirkungen auf die Invaliditätsbemessung im
Invalidenversicherungsbereich zu klären. Daran ändert nichts, dass die
genannte Mitteilung der SUVA nicht als Verfügung bezeichnet und keine
detaillierte Begründung für das Festhalten an der bisherigen Rentenhöhe
enthält. Immerhin wird im genannten Schreiben auf getätigte Abklärungen
hingewiesen. Mit Blick auf die Einheitlichkeit des Invaliditätsbegriffes wäre
es die Pflicht der IV-Stelle gewesen, die Akten der SUVA einzufordern,
Einblick in die Abklärungsergebnisse zu nehmen und allenfalls die
Entscheidgründe der SUVA zu erfragen. Dies umso mehr, als die IV-Stelle
selbst zum Valideneinkommen keine Abklärungen getätigt hat, obwohl die
ursprungliche Verfügung hinsichtlich des Valideneinkommens darauf basierte,
der Beschwerdeführer gehöre zur Kategorie der sei 31- bis 35-jährigen
Architekten. Im Zeitpunkt der Rentenrevision war er jedoch im 43. Altersjahr.
Wenn schon beim Invalideneinkommen vom aktuellen Verdienst ausgegangen wird
reicht es nicht aus, beim Valideneinkommen einfach die bis zu diesem
Zeitpunkt erfolgte Nominallohnentwicklung aufzurechnen.

4.3 Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten in Verletzung des
Untersuchungsgrundsatzes den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig
festgestellt (Art. 97 BGG und Art. 61 lit. c ATSG). Die Behebung dieses
Mangels kann für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1
BGG), würde doch bereits eine geringe Korrektur des Valideneinkommens
(Fr. 7573.- im Jahr oder Fr. 582.- pro Monat [13 x]) weiterhin zu einer
halben Rente berechtigen. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen
Entscheids. Zwar liegen die von der SUVA eingeholten Berichte
letztinstanzlich vor. Aus diesen geht indessen nicht hervor, auf welche
Zahlen und Überlegungen sich die SUVA letztlich stützte. Die IV-Stelle wird
daher im dargelegten Sinne ergänzende Abklärungen vorzunehmen haben und
danach über die Rentenrevision neu verfügen.

5.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zudem hat sie dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 30. Januar 2007 und der
Einspracheentscheid vom 20. Dezember 2005 werden aufgehoben. Die Sache wird
an die IV-Stelle Zug zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im
Sinne der Erwägungen, über die Rentenrevision neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wird über eine Parteientschädigung für
das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, der Ausgleichskasse des Kantons Zug und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 20. Juli 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V.