Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 911/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_911/2007

Urteil vom 23. Juni 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, nebenamtlicher Bundesrichter Bühler,
Gerichtsschreiber Fessler.

Parteien
Vorsorgestiftung VSAO, Kollerweg 32, 3000 Bern 6,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Daniel Hoffet, Bahnhofstrasse
54, 2500 Biel,

gegen

1. B.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokatin Heidi Mayer Jülich,
Elisabethenstrasse 2, Postfach 130, 4010 Basel,
2. A.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Daniel Brügger, Ochsengasse 19, 4460
Gelterkinden,

Zürich Lebensversicherungs-Gesellschaft, Postfach, 8085 Zürich Versicherung.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 7. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil des Bezirksgerichts X.________ vom 15. Februar 2007 wurde die Ehe
von A.________ und B.________ geschieden. In Ziff. 7 des Urteilsdispositivs
wurde die Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge beider
Ehegatten im Verhältnis 50 : 50 angeordnet. Nach Eintritt der Rechtskraft des
Scheidungsurteils am 26. Februar 2007 überwies das Bezirksgericht die Akten an
das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht
(nachfolgend: kantonales Sozialversicherungsgericht).

B.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht holte bei der Vorsorgestiftung VSAO
als Vorsorgeeinrichtung von A.________ und bei der "Zürich"
Lebensversicherungs-Gesellschaft, bei welcher B.________ eine
Freizügigkeitspolice unterhielt, die für die Berechnung der während der Ehe bis
zum 26. Februar 2007 erworbenen Austrittsleistungen inkl. Zins notwendigen
Angaben ein. Mit Entscheid vom 7. November 2007 wies es die Vorsorgestiftung
VSAO an, zu Lasten des Vorsorgekontos des früheren Ehemannes Fr. 108'696.95
nebst Zins ab Rechtskraft des Scheidungsurteils auf das Freizügigkeitskonto der
früheren Ehefrau bei der Freizügigkeitsstiftung der Zürcher Kantonalbank zu
überweisen (Dispositiv-Ziff. 1). Ausserdem verpflichtete es die
Vorsorgestiftung VSAO, den geschiedenen Eheleuten eine Parteientschädigung von
Fr. 739.65 und Fr. 867.75, je einschliesslich Auslagen und Mehrwertsteuer, zu
bezahlen (Dispositiv-Ziff. 3).

C.
Die Vorsorgestiftung VSAO lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, Dispositiv-Ziff. 3 des
Entscheids vom 7. November 2007 sei aufzuheben.

A.________ und B.________, welche um unentgeltliche Rechtspflege ersucht,
lassen die Abweisung der Beschwerde beantragen. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht äussert sich zur Beschwerde, ohne einen Antrag zu
stellen.
Erwägungen:

1.
Angefochten ist einzig Dispositiv-Ziff. 3 des vorinstanzlichen Entscheids,
welche die Beschwerde führende Vorsorgeeinrichtung zur Bezahlung einer
Parteientschädigung an die Beschwerdegegner verpflichtet.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die streitigen Parteientschädigungen zu Lasten der
Beschwerdeführerin gestützt auf § 21 Abs. 1 Satz 1 des basellandschaftlichen
Gesetzes vom 16. Dezember 1993 über die Verfassungs- und
Verwaltungsprozessordnung (VPO; GS 31.847) festgesetzt. Diese Bestimmung lautet
wie folgt:
"Der ganz oder teilweise obsiegenden Partei kann für den Beizug eines Anwalts
bzw. einer Anwältin eine angemessene Parteientschädigung zulasten der
Gegenpartei zugesprochen werden."
Die Vorinstanz hat erwogen, in "Ausnahmefällen" könnten in Abweichung von
dieser Vorschrift die Parteikosten nach dem Verursacherprinzip verteilt werden.
Danach seien unnötige Parteikosten unabhängig vom Verfahrensausgang von
demjenigen zu tragen, der sie verursacht habe.

Die Beschwerdeführerin rügt, diese Rechtsauffassung sei unhaltbar. § 21 Abs. 1
Satz 1 VPO sehe nur die Zusprechung einer Parteientschädigung an die obsiegende
Partei vor. Eine Kostenauflage nach dem Verursacherprinzip sei im
basellandschaftlichen Verfahrensrecht - im Gegensatz zu anderen kantonalen
Regelungen (z.B. Art. 108 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Bern)
- nicht vorgesehen. Die Regelung von § 21 VPO sei abschliessend und lasse
keinen Raum für eine anderweitige Kostenverteilung.
2.2
2.2.1 Mit dem kantonalen Recht hat sich das Bundesgericht unter Vorbehalt der
in Art. 95 lit. c-e BGG genannten Ausnahmen (kantonale verfassungsmässige
Rechte, kantonale Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger
und Bürgerinnen und Volkswahlen und -abstimmungen, interkantonales Recht)
grundsätzlich nicht zu befassen. Eine Bundesrechtsverletzung im Sinne von Art.
95 lit. a BGG liegt nur vor, wenn die Anwendung kantonalen Rechts, sei es wegen
seiner Ausgestaltung oder aufgrund des Ergebnisses im konkreten Fall, zu einer
Verfassungsverletzung führt. Dabei fällt im Bereich der nach kantonalem Recht
zuzusprechenden und zu bemessenden Parteientschädigungen praktisch nur das
Willkürverbot (Art. 9 BV) in Betracht (BGE 125 V 408 E. 3a S. 408 mit
Hinweisen; SVR 2006 BVG Nr. 19 S. 75 E. 9.1.1 [in BGE 132 V 127 nicht
publiziert]; Seiler/ von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern
2007, N 21 und 22 zu Art. 95).
2.2.2 Eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts liegt nur dann vor, wenn
der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis
unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder sogar
zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17, 125 V 408 E.
3a S. 409, je mit Hinweisen).

2.3 § 21 Abs. 1 Satz 1 VPO enthält eine Kann-Formulierung und räumt den
kantonalen Behörden damit Ermessen ein, und zwar sowohl in Bezug auf die Frage,
ob von der Möglichkeit der Parteikostenauflage an die ganz oder teilweise
unterliegende Partei überhaupt Gebrauch gemacht werden soll
(Entschliessungsermessen), als auch hinsichtlich der Bemessung der Höhe der
Parteientschädigung im konkreten Einzelfall (Auswahlermessen). Ein Rechtsfehler
liegt deshalb nur vor, wenn das kantonale Gericht den ihm in § 21 Abs. 1 Satz 1
VPO eingeräumten Ermessensspielraum missbraucht oder überschreitet (BGE 130 III
213 E. 3.1 S. 220 mit Hinweisen; Seiler/von Werdt/ Güngerich a.a.O. N 52 zu
Art. 95). Im vorliegenden Fall rügt die Beschwerdeführerin zu Recht weder
Ermessensmissbrauch noch Ermessensüberschreitung.
2.4
2.4.1 § 21 Abs. 1 VPO enthält eine gesetzliche Regelung des sogenannten
Erfolgsprinzips. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz für
die Kostenverteilung sowohl im Zivil- als auch im Verwaltungsprozess. Für die
Kostenauflage genügt danach, dass eine Partei den Prozess erfolglos veranlasst
hat. Ein Verschulden ist nicht vorausgesetzt (Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar
zur Aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N 2 zu § 112; BGE
119 Ia 1 E. 6a S. 2). Das Erfolgsprinzip beruht auf der Vermutung, dass die
unterliegende Partei die Kosten verursacht hat. Dabei ist die
Kostenverursachung nicht in einem engen Sinn dahingehend zu verstehen, dass
eine Partei nur solche Kosten zu tragen hätte, die durch ihr Verhalten
unmittelbar entstanden sind. Vielmehr fallen darunter auch Kosten, die durch
Massnahmen des Gerichts im Interesse oder auf Antrag der Gegenpartei veranlasst
worden sind (BGE 119 Ia 1 E. 6b S. 2).
2.4.2 Indem das kantonale Gericht in § 21 Abs. 1 Satz 1 VPO die gesetzliche
Verankerung des Grundsatzes, dass die Parteikosten nach dem Verursacherprinzip
zu verteilen sind, erblickt hat, hat es den normativen Gehalt dieser Vorschrift
zutreffend bestimmt. Die darauf gestützte Rechtsanwendung ist somit nicht
willkürlich.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die vorinstanzliche Feststellung, sie habe das
Verfahren vor dem Berufsvorsorgegericht verursacht, weil sie aus technischen
Gründen nicht in der Lage gewesen sei, die Höhe des Altersguthabens des
geschiedenen Ehemannes für den Zeitpunkt der bezirksgerichtlichen
Hauptverhandlung vom 15. Februar 2007 zu berechnen, sei offensichtlich
unzutreffend. Dass sie unmittelbar nach Beginn des Jahres 2007 noch nicht über
alle Informationen der angeschlossenen Arbeitgeber verfügt habe und daher noch
keine Berechnung der Freizügigkeitsleistung auf diesen Gerichtstermin habe
vornehmen können, könne ihr nicht vorgeworfen werden. Zum Verfahren vor dem
Berufsvorsorgegericht sei es im Übrigen nur deshalb gekommen, weil u.a. das
Scheidungsgericht nicht bereit gewesen sei, die Parteien beim Abschluss einer
Vereinbarung im Sinne von Art. 141 ZGB zu unterstützen.

3.2 Die Beschwerdeführerin hatte dem Beschwerdegegner auf dessen Ersuchen vom
28. Dezember 2006 um Zustellung eines Versicherungsausweises per 15. Februar
2007 geantwortet, es sei ihr nicht möglich, Berechnungen ins 2007 zu erstellen,
bevor die zahlreichen Vorsorgepläne für dieses Jahr programmiert seien. In den
nächsten Tagen werde ihm aber eine Berechnung per 31. Dezember 2006 zugestellt.
Diese lasse sich zu einem späteren Zeitpunkt (ca. März) mit geringem Aufwand
aktualisieren. Mit Schreiben vom 5. Januar 2007 teilte die Vorsorgeeinrichtung
ihrem Versicherten die "Provisorische Berechnung der zu teilenden
Austrittsleistung per 31.12.2006 infolge Scheidung" mit. Es ist nicht
ersichtlich, aus welchem anderen Grund als der - angeblichen - Unmöglichkeit
der rechtzeitigen Berechnung des Altersguthabens zum Stichtag aus technischen
Gründen das Scheidungsgericht im Urteil vom 15. Februar 2007 nur das
Teilungsverhältnis festsetzte und die Streitsache zur Bestimmung der Höhe der
auszugleichenden Austrittsleistungen an das zuständige Berufsvorsorgegericht
überwies (Art. 142 Abs. 1 und 2 ZGB). Die Vorinstanz hat daher den Sachverhalt
in keiner Weise offensichtlich unrichtig - vielmehr für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 105 BGG) - festgestellt, wenn sie die Zusprechung einer
Parteientschädigung an die Beschwerdegegner damit begründet hat, die
Beschwerdeführerin sei "aus technischen Gründen" nicht in der Lage gewesen, die
Höhe des Altersguthabens zum massgebenden Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung zu
berechnen. Im Übrigen ist nicht einsehbar, dass es einer Vorsorgeeinrichtung
nicht möglich sein soll, schon zu Beginn eines neuen Kalenderjahres durch
Rückfrage beim angeschlossenen Arbeitgeber die bis Mitte Februar hinzukommende
Altersgutschrift zu ermitteln, falls der versicherte Jahreslohn reglementarisch
nach der Pränumerandomethode festgesetzt wird (vgl. zur Publikation bestimmtes
Urteil 9C_568/2007 vom 14. März 2008 E. 3.2) und vom Arbeitgeber für die
einzelnen Versicherten noch nicht gemeldet worden ist.

Der vorinstanzliche Parteikostenentscheid verletzt Bundesrecht nicht.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdegegner, welcher
auf eine begründete Vernehmlassung verzichtet hat, eine reduzierte und der
Beschwerdegegnerin eine volle Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2
BGG). Deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist somit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin mit Fr. 2'500.-- und den
Beschwerdegegner mit Fr. 500.-- für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Juni 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Fessler