Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 889/2007
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9C_889/2007

Urteil vom 12. Februar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400
Winterthur,
Beschwerdegegner.

Rechtsverzögerung

Sachverhalt:

A.
B. ________ ist bei der Wincare Versicherungen obligatorisch
krankenpflegeversichert. Mit Rechtsschriften vom 17. und 25. September 2007
focht er beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ein mit
"Einspracheentscheid betreffend der Verfügung des Regionalen Service Centers
Winterthur vom 21. November 2005" betiteltes Dokument des Krankenversicheres
vom 17. August 2006 an. Der kantonale Instruktionsrichter stellte mit
verfahrensleitender Verfügung vom 10. Dezember 2007 fest, dem von B.________
ins Recht gelegten Entscheid vom 17. August 2006 könne nicht entnommen
werden, ob es sich um eine Verfügung oder um einen Einspracheentscheid
handle; die Wincare Versicherungen habe "sich zu diesen Vorbringen zu äussern
und gegebenenfalls auch zu den auf Leistungen zielenden Rechtsbegehren des
Versicherten Stellung zu nehmen". Der Beschwerdegegnerin werde daher eine
Kopie der Eingabe des Beschwerdeführers vom 17. September 2007 zugestellt und
es werde ihr eine Frist von 30 Tagen gesetzt, um "dazu im Sinne der
Erwägungen schriftlich Stellung zu nehmen". Die Beschwerdegegnerin werde
ausserdem verpflichtet, dem Gericht zusammen mit der Beschwerdeantwort unter
anderem das vollständige Dossier einzureichen. Die Verfügung wurde B.________
zur Kenntnisnahme zugestellt. Das kantonale Gericht erstreckte dem
Krankenversicherer auf Gesuch hin die Frist zur Beschwerdeantwort bis zum
10. März 2008.

B.
B.________ führt Rechtsverzögerungsbeschwerde mit den Anträgen, das kantonale
Gericht sei anzuweisen, die durch die Eingabe vom 17. September 2007 anhängig
gemachte Streitsache sofort an die Hand zu nehmen und ihm eine
Eingangsbestätigung zuzustellen; es sei ihm kein Kostenvorschuss
abzuverlangen; schliesslich sei ihm eine Umtriebsentschädigung zuzusprechen
(Eingaben vom 12. Dezember 2007, 7. Januar 2008 und 17. Januar 2008).

Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich verzichtet auf
Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
1.1 Eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde muss jeden Entscheid binnen einer
Frist fassen, die nach der Natur der Sache und nach den gesamten übrigen
Umständen angemessen erscheint (BGE 131 V 407 E. 1.1 S. 409; 119 Ib 311 E. 5
S. 323; SVR 1997 ALV Nr. 105 S. 324 E. 4b; Rüedi, Die Bedeutung des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts für die Verwirklichung des
Sozialversicherungsrechts des Bundes, in: ZBJV 1994 S. 74 ff.; Schmuckli, Die
Fairness in der Verwaltungsrechtspflege, Diss. Freiburg 1990, S. 100 ff.),
ansonsten sie dem Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsverbot
zuwiderhandelt (Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 BV; vgl. dazu Jörg
Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 495 ff.).
Rechtsverzögerung kann nicht nur im Ausbleiben der Entscheidfällung selber
begründet sein, sondern auch in langdauerndem Untätigbleiben bezüglich
notwendiger Prozessvorkehren.

1.2 Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren
Entscheids kann Beschwerde geführt werden (Art. 94 BGG). Gemäss Art. 82
lit. a BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in
Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Im Falle einer Rechtsverweigerungs-
oder -verzögerungsbeschwerde muss darauf abgestellt werden, zu welchem
Rechtsgebiet der Entscheid gehört, der angeblich verweigert oder ungebührlich
verzögert wird. Im vorliegenden Fall richtet sich die Beschwerde gegen die
angebliche Verfahrensverschleppung durch ein kantonales
Sozialversicherungsgericht. Die Rechtsverzögerungsbeschwerde beschlägt damit
ein Gebiet des Verwaltungsrechts, weshalb die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegeben ist.

2.
Art. 61 lit. a ATSG verschafft dem Rechtssuchenden unter anderem den Anspruch
auf ein einfaches und rasches kantonales Beschwerdeverfahren. Der
Beschwerdeführer rügt die Frist, welche die Vorinstanz hat verstreichen
lassen, bis sie nach Empfang der Rechtsschriften vom 17. und 25. September
2007 verfahrensleitende Schritte unternommen hat.

2.1 Die Rechtsschriften des B.________ sind dem kantonalen Gericht am 19. und
am 28. September 2007 zugegangen. Am 10. Dezember 2007 erliess der
Instruktionsrichter eine erste verfahrensleitende Verfügung. Im Gegensatz zu
den Fällen, in denen Wartezeiten von spruchreifen Dossiers zu beurteilen
sind, stellt sich hier nicht die Frage nach einem angemessenen Ausgleich
zwischen dem Interesse des Rechtsuchenden an einer beförderlichen
Verfahrenserledigung und den begrenzten Ressourcen der Gerichtsbehörde. Ob
die mehrwöchige Nachrichtenlosigkeit einer Rechtsverzögerung gleichkommt,
muss indes dahingestellt bleiben.

2.2 Das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers zielt auf Anordnungen ab, welche
die Vorinstanz zwischenzeitlich realisiert hat. Das aktuelle
Rechtsschutzinteresse (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG) des Beschwerdeführers ist
mit der kantonalgerichtlichen Verfügung vom 10. Dezember 2007, die der
Beschwerdeführer nach eigenen Angaben am 17. Dezember 2007, also nach
Eintritt der Rechtshängigkeit beim Bundesgericht, rechtsgültig in Empfang
genommen hat, weggefallen. Liegt das aktuelle Interesse im Zeitpunkt der
Beschwerdeerhebung vor, fällt es aber nachträglich im Laufe des Verfahrens
dahin, ist die Rechtsverzögerungsbeschwerde als gegenstandslos abzuschreiben
(SVR 1998 UV Nr. 11 S. 29). Im Falle einer Beschwerdeerhebung zu einem
Zeitpunkt nach der anbegehrten gerichtlichen Prozesshandlung hätte von Beginn
weg kein aktuelles Rechtsschutzinteresse bestanden und wäre auf die
Beschwerde nicht einzutreten gewesen (vgl. Urteil I 25/99 vom 14. Februar
2000, E. 1).

Anzumerken bleibt, dass es auch in der Verantwortung der an einem Entscheid
interessierten Verfahrenspartei liegt, die Behörde auf eine ohne
ersichtlichen Grund eintretende Säumnis hinzuweisen. Damit kann eine solche
Situation im Regelfall ohne Weiterungen bereinigt werden, soweit sie, wie
hier vermutlich der Fall, auf ein Versehen der Behörde zurückzuführen ist.

2.3 Der Beschwerdeführer stellt darüber hinaus die Angängigkeit einer
Fristsetzung über 30 Tage als übermässig in Frage; geschweige denn sollten im
Rahmen des Schriftenwechsels Fristerstreckungen gewährt werden. Ein solches
Vorgehen sei mit einem raschen Verfahren nicht zu vereinbaren. Die
Anordnungen im Rahmen der seit dem 10. Dezember 2007 betriebenen
Verfahrensleitung sind jedoch nicht zu beanstanden. Die
Verfahrensbeschleunigung ist dahingehend begrenzt, als den
Verfahrensbeteiligten realistische zeitliche Vorgaben zur Wahrnehmung ihrer
Verfahrensrechte und -obliegenheiten gesetzt werden müssen. Die hier
praktizierten Fristansetzungen entsprechen durchaus den Gepflogenheiten
kantonaler Sozialversicherungsprozesse. Insoweit begründet auch die dem
Krankenversicherer eingeräumte Fristverlängerung bis zum 10. März 2008 keine
Rechtsverzögerung. Für die Sicherung gefährdeter Rechtspositionen während des
Verfahrens stehen die Rechtsinstitute der aufschiebenden Wirkung des
Rechtsmittels bzw. der vorsorglichen Massnahmen zur Verfügung. Der
Beschwerdeführer rügt denn auch, das kantonale Gericht habe "den gestellten
Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung" nicht behandelt und
argumentiert sinngemäss mit einer Gefährdung des obligatorischen
Versicherungsschutzes. Gegenstand der Verfügung der Wincare vom 17. August
2006 ist indes nur die Feststellung, der Adressat schulde ihr den Betrag von
Fr. 1663.25. Die Ausführungen über allfällige Rechtsfolgen einer (anscheinend
hypothetischen) Auflösung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
beziehen sich nur auf den Fall, dass diese Auflösung durch den Versicherten
selbst erfolgt. Somit ist nicht ersichtlich, inwiefern diesem eine Notlage
drohen sollte.

3.
Der Beschwerdeführer beantragt eine Umtriebsentschädigung. Wie bei der
Parteientschädigung entscheidet das Bundesgericht darüber im Falle des
Gegenstandsloswerdens einer Streitsache aufgrund der Sachlage vor Eintritt
des Erledigungsgrundes (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP). Dabei ist
im Besonderen auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (BGE
125 V 373 E. 2a S. 375).

Zur Entscheidung über die beantragte Umtriebsentschädigung muss indes nicht
geprüft werden, wie die Rechtsverzögerungsbeschwerde ohne
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu behandeln gewesen wäre. Denn die
Interessenwahrung zog keinen Arbeitsaufwand nach sich, welcher den Rahmen
dessen überschreitet, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise auf sich
zu nehmen hat (BGE 110 V 72 S. 82). Der Anspruch entfällt daher von
vornherein.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang hat der unterliegende Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird, soweit nicht gegenstandslos, abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1000.- zu tragen.

3.
Es wird keine Umtriebsentschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Wincare Versicherungen und dem Bundesamt
für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Februar 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub