Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 881/2007
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9C_881/2007

Urteil vom 22. Februar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

K. ________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer, Sempacherstrasse
6 (Schillerhof), 6003 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 19. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies das in einer Beschwerde der
K.________ vom 20. August 2007 gestellte Gesuch um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege ab (Verfügung vom 19. November 2007). Im
Zeitpunkt der angefochtenen, auf Neuanmeldung vom 12. April/21. Mai 2007 hin
erfolgten Nichteintretensverfügung der IV-Stelle des Kantons Luzern vom
2. August 2007 sei - im Vergleich mit den Verhältnissen, wie sie einem
früheren, rechtskräftig erledigten Verfahren (durch Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 29. Dezember 2006 [I 435/06]
bestätigter Einspracheentscheid vom 31. März 2005) zugrunde gelegen hätten -
keine anspruchserhebliche Änderung der für die Bemessung des
Invaliditätsgrades massgebenden Sachverhaltselemente glaubhaft gemacht
(Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV). Das Rechtsmittel sei daher als aussichtslos zu
betrachten.

B.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, die Verfügung des Verwaltungsgerichts vom
19. November 2007 sei aufzuheben und es sei ihr für das vorinstanzliche
Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das
entsprechende Gesuch für das bundesgerichtliche Verfahren wird mit Schreiben
vom 13. Dezember 2007 zurückgezogen.

Erwägungen:

1.
Gegen selbständig eröffnete, weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (vgl.
Art. 92 BGG) betreffende Zwischenentscheide ist die Beschwerde an das
Bundesgericht - abgesehen vom hier nicht gegebenen Ausnahmefall gemäss
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG - nur zulässig, wenn sie einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).
Angefochten ist ein in einem hängigen kantonalen Beschwerdeverfahren
ergangener Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege; dabei handelt es
sich um einen Zwischenentscheid (Urteil 2D_1/2007 vom 2. April 2007, E. 2.1),
von dem die Rechtsprechung annimmt, er bewirke in der Regel einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil, jedenfalls wenn nicht nur die unentgeltliche
Rechtspflege verweigert, sondern zugleich auch die Anhandnahme des
Rechtsmittels von der Bezahlung eines Kostenvorschusses durch die
gesuchstellende Partei abhängig gemacht wird (soeben erwähntes Urteil
2D_1/2007, E. 3.2; Urteil 5A_85/2007 vom 17. April 2007, E. 1.2; vgl. BGE
129 I 129 E. 1.1; 126 I 207 E. 2a S. 210).

2.
Nach Auffassung der Vorinstanz scheinen die in der Neuanmeldung vom
12. April/21. Mai 2007 enthaltenen Vorbringen und die beigelegten
medizinischen Berichte nicht geeignet, eine Sachverhaltsänderung glaubhaft zu
machen. Dementsprechend stufte sie die gegen die Nichteintretensverfügung
gerichtete Beschwerde als aussichtslos ein.

2.1 Prozessbegehren sind als aussichtslos anzusehen, wenn die
Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren, so dass
eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, bei
vernünftiger Überlegung von einem Prozess absehen würde (BGE 129 I 129
E. 2.3.1 S. 135; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 236 mit Hinweis).

2.2 Die Neuanmeldung wird - wie auch das Revisionsgesuch - nur materiell
geprüft, wenn die versicherte Person glaubhaft macht, dass sich die
tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten, rechtskräftigen Entscheidung in
einem für den Rentenanspruch erheblichen Mass verändert haben (Art. 87 Abs. 4
in Verbindung mit Abs. 3 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen).
Gelingt ihr dies nicht, so wird auf das Gesuch nicht eingetreten.
Mit dem Beweismass des "Glaubhaftmachens" ist nur verlangt, dass die
versicherte Person die Änderung eines Elements aus dem gesamten für die
Rentenberechtigung erheblichen Tatsachenspektrum glaubwürdig dartut. Die
Tatsachenänderung muss also nicht nach dem im Sozialversicherungsrecht sonst
üblichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt sein. Es genügt,
dass für den geltend gemachten anspruchserheblichen Sachumstand wenigstens
gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit
zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die behauptete Änderung
nicht erstellen lassen. Erheblich ist eine Sachverhaltsänderung, wenn
angenommen werden kann, der Anspruch auf eine Invalidenrente (oder deren
Erhöhung) sei begründet, falls sich die geltend gemachten Umstände als
richtig erweisen sollten (SVR 2003 IV Nr. 25 S. 77 E. 2.2 und 2.3 [I 238/02],
2002 IV Nr. 10 S. 26 E. 1c/aa [I 724/99]).
Der Verwaltung steht bei der Beurteilung der Eintretensvoraussetzungen ein
gewisser Beurteilungsspielraum zu. So wird sie zu berücksichtigen haben, ob
die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliegt, und an
die Glaubhaftmachung dementsprechend mehr oder weniger hohe Anforderungen
stellen (BGE 109 V 108 E. 2b S. 114). Ist die anspruchserhebliche Änderung
glaubhaft gemacht, ist die Verwaltung verpflichtet, auf das neue
Leistungsbegehren einzutreten und es in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht umfassend zu prüfen (vgl. BGE 117 V 198 E. 4b S. 200).

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die vorinstanzliche Beurteilung,
die kantonale Beschwerde sei aussichtslos, indem sie geltend macht,
einerseits habe sich ihr gesundheitlicher Zustand, namentlich hinsichtlich
eines Karpaltunnelsyndroms, verschlechtert; anderseits hätten sich die
hypothetischen erwerblichen Verhältnisse im Gesundheitsfall seit der
rechtskräftigen Festlegung des Invaliditätsgrades insofern geändert, als sie
nun nicht mehr, wie im früheren Verfahren angenommen, im Verhältnis 60 zu 40
Prozent in Erwerb und Haushalt arbeiten würde, sondern vollzeitlich
erwerbstätig wäre.

3.2 Dem materiell rechtskräftigen Einspracheentscheid vom 31. März 2005 lagen
folgende medizinische Erkenntnisse zugrunde: Die Versicherte leidet an einer
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, an einer rezidivierenden depressiven
Störung (gegenwärtig leichte Episode) sowie an einem chronischen
pseudoradikulären Syndrom der Lendenwirbelsäule bei Osteochondrose. Die
Arbeitsfähigkeit ist bezogen auf die bisherige Tätigkeit einer Pflegehilfe zu
100 Prozent, hinsichtlich einer leidensadaptierten Arbeit um 50 Prozent
eingeschränkt (psychiatrischer und rheumatologisch-orthopädischer
Untersuchungsbericht des Regionalen Ärztlichen Dienstes [RAD] vom 7. Januar
und 16. Februar 2005). Im Zuge der Neuanmeldung reichte die Versicherte
medizinische Unterlagen ein, darunter namentlich einen Bericht der Klinik
X.________ vom 7. April 2007, in welchem grundsätzlich dieselben Diagnosen
festgehalten sind (anhaltende somatoforme Schmerzstörung, [nunmehr]
mittelschwere Episode einer "Major Depression" bei chronischen Schmerzen,
lumbospondylogenes Syndrom bei Osteochondrose).
Die Arbeitsfähigkeit für wenig belastende Tätigkeiten wurde im neu
aufgelegten Bericht vom 7. April 2007 nach wie vor auf (insgesamt) 50 Prozent
festgesetzt. Ein Unterschied gegenüber den früheren medizinischen Angaben
lässt sich ausmachen: Während die Unterlagen des RAD (sowie etwa der Bericht
des Rheumatologen Dr. J.________ vom 24. Mai 2002) bezogen auf
leidensangepasste Tätigkeiten aus rheumatologischer Sicht ein Vollzeitpensum
als zumutbar ausweisen, sich die hälftige Arbeitsunfähigkeit somit
ausschliesslich auf den psychiatrischen Befund stützte, wird in den neu
eingereichten Attesten sowohl bezüglich der psychiatrischen wie - neu - auch
der körperlich bedingten Beeinträchtigung eine Einschränkung um jeweils
50 Prozent ausgewiesen. Der Umstand, dass im Bericht der Klinik X.________
vom 7. April 2007 zwar eine - offenbar als Gesamteinschätzung zu verstehende
- Arbeitsfähigkeit von 50 Prozent verurkundet wird, hierzu aber keine auf
gesamthafter Würdigung beruhende Begründung gegeben ist, wirft die Frage auf,
wie sich die neu attestierte Einschränkung der Leistungsfähigkeit aus
rheumatologischer Sicht im Zusammenspiel mit der unveränderten
Folgenabschätzung im psychischen Bereich auswirkt.

3.3 Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob die vorinstanzliche Auffassung
haltbar ist, die in den neu eingereichten Unterlagen enthaltenen
Anhaltspunkte für ein mögliches Fortschreiten des Gesundheitsschadens seien
nicht derart substantiell, dass der Nichteintretensentscheid der Verwaltung
unrichtig erscheint. Im Hinblick auf den Umstand, dass nicht generell davon
ausgegangen werden kann, der Umfang der jeweils grössten Teileinschränkung
decke auch die weiteren Entlastungserfordernisse ohne weiteres ab (vgl.
Urteile I 514/06 vom 25. Mai 2007, E. 2.1, I 506/02 vom 26. Mai 2003, E. 2.2,
und I 372/02 vom 11. März 2003, E. 3.3), könnte sich eine Ergänzung des
medizinischen Tatbestands aufdrängen. Im Zusammenhang mit der Bemessung des
Invalideneinkommens (Art. 16 ATSG) wäre allenfalls eine erwerbliche
Neubewertung (Frage nach der angemessenen Kürzung der statistisch ermittelten
Lohnansätze [BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75]) ins Auge zu fassen.
Es ist indes zu berücksichtigen, dass die aus somatischer Sicht attestierte
Minderung der Leistungsfähigkeit neuanmeldungsrechtlich nur bedeutsam ist,
wenn sie Ausdruck einer tatsächlichen Veränderung der - hier gesundheitlichen
- Verhältnisse ist. Hingegen stellt die bloss andere - abweichende -
Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts keine
revisionsbegründende oder im Rahmen der Neuanmeldung relevante Änderung dar
(BGE 112 V 371 S. 372 unten; SVR 2004 IV Nr. 5 S. 13 E. 2 [I 574/02]). Unter
Berücksichtigung des dem kantonalen Gericht zustehenden
Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Einschätzung der Voraussetzungen für
die unentgeltliche Rechtspflege ist die - im Rahmen der
Aussichtslosigkeitsprüfung vorzunehmende - Würdigung der Aktenlage durch das
kantonale Gericht nicht offensichtlich unrichtig, wonach seit dem Abschluss
der früheren Leistungsprüfung nicht eine Verschlimmerung des Zustandsbildes
(im Rahmen von im Wesentlichen gleich gebliebenen Diagnosen) stattgefunden
habe; verändert habe sich nur die ärztliche Folgenabschätzung. Zu bedenken
bleibt in diesem Zusammenhang, dass die Neuanmeldung vom Frühjahr 2007 nur
kurze Zeit nach der rechtskräftigen Erledigung durch das Eidgenössische
Versicherungsgericht (Urteil vom 29. Dezember 2006) erfolgte.

3.4 Die übrigen Vorbringen der Beschwerdeführerin führen zu keinem anderen
Ergebnis: Aus dem Bericht des Neurologen Dr. V.________, Klinik Y.________,
vom 4. April 2007 ergibt sich keine Verschlimmerung des Karpaltunnelsyndroms
beider Handgelenke; entgegen den Ausführungen in der Beschwerde ist in diesem
Bericht nicht von einem deutlich ausgeprägten Karpaltunnelsyndrom die Rede,
sondern von deutlichen Hinweisen auf das Vorliegen eines solchen. Ebenso
wenig bestehen ernstzunehmende Anzeichen dafür, dass sich zwischenzeitlich am
hypothetischen Verhältnis der Tätigkeitsbereiche Erwerb und Haushalt etwas
geändert haben könnte. Die vorinstanzliche Einschätzung ist nicht
offensichtlich unrichtig, mit der Anmeldung seien keine Unterlagen
eingereicht worden, welche diesbezüglich eine Veränderung glaubhaft machen
würden. Der blosse Hinweis auf noch abzunehmende Beweise (hier: beantragte
Aussagen der Familienmitglieder) genügt nicht (BGE 130 V 64).

3.5 Nach dem Gesagten verletzt die vorinstanzliche Schlussfolgerung, die
kantonale Beschwerde gegen die Nichteintretensverfügung der IV-Stelle habe
keine Aussichten auf Erfolg (vgl. oben E. 2.1), Bundesrecht nicht.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern, und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 22. Februar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub