Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 848/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_848/2007

Urteil vom 27. Juni 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdeführerin,

gegen

G.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Dr. Heiner Schärrer,
Aeschenvorstadt 67, 4051 Basel.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
4. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Seit G.________, geboren 1966, am 7. September 2001 von einer Leiter
abgerutscht war, litt er an persistierenden Beschwerden am rechten Fussgelenk,
wozu ab Herbst 2005 eine Meniskusproblematik am linken Kniegelenk trat. Die
IV-Stelle Basel-Stadt sprach ihm am 17. Januar 2006 ab 1. September 2002 eine
ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Für die Unfallfolgen gewährte ihm die
SUVA am 13. Juli 2006 basierend auf einem Invaliditätsgrad von 26 % ab 1. Juni
2006 eine Rente der Unfallversicherung. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2006 hob
die IV-Stelle die ganze Rente auf Ende Januar 2007 revisionsweise auf.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die von G.________
hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 4. Oktober 2007 gut und hob die
Verfügung vom 13. Dezember 2006 auf.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben. Zudem ersucht sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung.

G.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Weiter ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Mit der Erteilung der
aufschiebenden Wirkung erklärt er sich einverstanden. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von
Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Streitig ist, ob dem Beschwerdegegner auch über Ende Januar 2007 hinaus eine
Rente der Invalidenversicherung zusteht. Das kantonale Gericht hat die zur
Beurteilung dieses Anspruchs einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass der Revisionsordnung
der Grundsatz vorgeht, dass die Verwaltung befugt ist, jederzeit von Amtes
wegen auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide, welche
nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet haben,
zurückzukommen, wenn sie zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von
erheblicher Bedeutung ist (Art. 53 Abs. 2 ATSG). Unter diesen Voraussetzungen
kann die Verwaltung eine Rentenverfügung auch dann abändern, wenn die
Revisionsvoraussetzungen des Art. 17 ATSG nicht erfüllt sind. Wird die
zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung erst vom Gericht
festgestellt, so kann es die auf Art. 17 ATSG gestützte Revisionsverfügung mit
dieser substituierten Begründung schützen (BGE 125 V 368 E. 2 S. 369).

3.
Es stellt sich zunächst die Frage, ob sich der Gesundheitszustand des
Beschwerdegegners und das damit verbundene Ausmass der ihm trotz
gesundheitlichen Beschwerden verbliebenen Arbeitsfähigkeit seit der
ursprünglichen Rentenzusprechung verbessert hat oder nicht.

3.1 Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen gestützt auf die Berichte des
SUVA-Kreisarztes Dr. med. S.________ vom 5. Oktober 2005 und 10. Mai 2006 sowie
des Dr. med. C.________, Klinik X.________, vom 13. Juli 2006, festgestellt,
dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdegegners seit der ursprünglichen
Verfügung vom 17. Januar 2006 nicht wesentlich verbessert hat. Was die
IV-Stelle dagegen vorbringt, vermag diese Entscheidung über eine Tatfrage (BGE
132 V 393 E. 3.2 S. 397) als weder offensichtlich unrichtig noch sonstwie
bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen:
Zwar ist die zur ursprünglichen Berentung führende Arbeitsunfähigkeit in der
Tat hauptsächlich auf die Meniskusproblematik am linken Knie zurückzuführen. Am
24. Januar 2006 wurde deswegen eine Arthroskopie und Teilmeniscektomie links
lateral durchgeführt. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, seither habe sich
der Zustand dieses Knies und damit die Arbeitsfähigkeit wesentlich verbessert,
findet indessen keine Stütze in den Akten. Im Gegenteil: Die an die Operation
anschliessenden Verlaufsberichte des behandelnden Arztes Dr. med. C.________
enthielten zunächst zwar eine positive Prognose. So kann dem Bericht vom 7.
März 2006 entnommen werden, dass von Seiten des Knies ein normaler,
regelrechter postoperativer Verlauf mit lokal reizlosem Zustand bestehe und die
Arbeitsunfähigkeit ab 15. März 2006 auf 0 % gesetzt werden könne. Bereits am
25. April 2006 stellte jedoch derselbe Arzt fest, der Versicherte klage erneut
über Beschwerden von Seiten des linken Knies. Im Vordergrund stünden zwar das
rechte Fuss-/Sprunggelenk. Trotzdem hielt er fest, dass die Beschwerden des
Knies durchaus auf die intraoperativ bestätigte, eindrückliche Chondrocalinose
bei Gonarthrose zurückzuführen sei. Dem Bericht vom 13. Juli 2006, auf den sich
die IV-Stelle im Wesentlichen beruft, kann bezüglich des linken Knies auch
keine Verbesserung des Gesundheitszustandes entnommen werden. Zur
Arbeitsfähigkeit wird zwar Stellung genommen, indessen - wie im Übrigen auch im
Bericht des SUVA-Kreisarztes vom 10. Mai 2006 - nur hinsichtlich der
Beschwerden am rechten Fuss. Weitere fachärztliche Berichte finden sich bis zum
Zeitpunkt der Revisionsverfügung (13. Dezember 2006) nicht, sodass bei dieser
Aktenlage die Feststellung der Vorinstanz, seit der ursprünglichen Verfügung
vom 17. Januar 2006 habe sich der Gesundheitszustand nicht wesentlich
verbessert, jedenfalls nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnet werden
kann.

3.2 Die Invalidenrente ist jedoch nicht nur bei einer wesentlichen Veränderung
des Gesundheitszustandes, sondern auch dann revidierbar, wenn sich die
erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitsschadens
erheblich verändert haben (BGE 130 V 343 E. 3.5 349 mit Hinweisen). Zu prüfen
wäre somit weiter, ob sich der - gleich gebliebene - Gesundheitszustand des
Beschwerdegegners gegenüber früher weniger einschränkend auf die berufliche
Leistungsfähigkeit auswirkt. Der ursprünglichen Rentenzusprechung lag indessen
keine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit
zugrunde (dazu: E. 4). Daher ist aber auch nicht feststellbar, ob sich die
Arbeitsfähigkeit seither verändert hat.

4.
Die zur Zeit der Rentenverfügung vom 17. Januar 2006 vorhandenen medizinischen
Akten, so unter anderem insbesondere auch die Berichte des SUVA-Kreisarztes vom
22. November 2004 und 5. Oktober 2005, bescheinigten dem Beschwerdegegner zwar
eine vollständige Arbeitsunfähigkeit, allerdings in der bisher ausgeübten
Tätigkeit als Bau- und Reinigungsarbeiter. Zur IV-rechtlich allein
entscheidenden Frage der Arbeitsfähigkeit in einer zumutbaren
Verweisungstätigkeit (Art. 16 ATSG) gaben indessen weder diese noch andere
medizinischen Berichte Auskunft. Die rechtskräftige Zusprechung einer ganzen
Rente war daher insoweit gesetzwidrig und die ursprüngliche Verfügung - was das
kantonale Gericht übersehen hat - zweifellos unrichtig, weswegen die
Voraussetzungen, unter denen eine Revisionsverfügung mit dieser substituierten
Begründung geschützt werden kann (vgl. E. 2), erfüllt sind. Das für eine
Wiedererwägung weiter notwendige Erfordernis der Erheblichkeit der Berichtigung
der seinerzeitigen Verfügung ist angesichts der zur Diskussion stehenden
Dauerleistung ohne Weiteres gegeben (vgl. BGE 119 V 480 Erw. 1c mit Hinweis).

5.
Lag zum Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung keine rechtsgenügliche
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit vor (E. 4), und lassen die vorhandenen Akten
auch keine Rückschlüsse auf die zum Zeitpunkt der Rentenrevision vorhandene
Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners in einer zumutbaren
Verweisungstätigkeit zu (die Berichte zu jenem Zeitpunkt nehmen nur
hinsichtlich der Beschwerden am rechten Fuss Stellung; siehe dazu E. 3.1), ist
die Sache an die Beschwerdeführerin zurückzuweisen, damit sie den
Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit umfassend (nicht nur hinsichtlich
der Unfallfolgen, wie dies die Kreisärzte taten) von einem sachverständigen
Facharzt abklären lasse und anschliessend über den Rentenanspruch ab 1. Februar
2007 revisions- oder wiedererwägungsweise neu verfüge.

6.
Es bleibt festzuhalten, dass der allenfalls zur Wiedererwägung führende Fehler
bei der Beurteilung eines spezifisch IV-rechtlichen Gesichtspunktes unterlaufen
ist (vgl. Art. 85 Abs. 2 IVV). Aus diesem Grund und mangels
Meldepflichtverletzung wirkt die Wiedererwägung ex nunc et pro futuro; sie
zieht demnach nicht die Pflicht zur Rückerstattung der von der
Invalidenversicherung zu Unrecht bezogenen Leistung nach sich (vgl. Art. 47
Abs. 1 Satz 1 AHVG in Verbindung mit Art. 49 IVG [je in Kraft gestanden bis 31.
Dezember 2002]; seit 1. Januar 2003: Art. 1 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art.
25 Abs. 1 Satz 1 ATSG; BGE 119 V 432 Erw. 2, 110 V 301 Erw. 2a).

7.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG). Gleichzeitig wird ihm die unentgeltliche Rechtspflege
(Prozessführung und Verbeiständung; Art. 64 BGG) gewährt, da die hiefür
erforderlichen Voraussetzungen (Bedürftigkeit, Gebotenheit einer
Verbeiständung) gegeben sind (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372,
je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 4. Oktober 2007 und die Verfügung
der IV-Stelle Basel-Stadt vom 13. Juli 2006 aufgehoben werden und die Sache an
die IV-Stelle Basel-Stadt zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch ab 1. Februar 2007
neu verfüge.

2.
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Dr. Heiner Schärrer, Basel, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdegegners bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. Juni 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer i.V. Amstutz