Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 847/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_847/2007

Urteil vom 9. Mai 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
I.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid der
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau
vom 19. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
I.________, geboren 1960, bezieht wegen auf Schwerhörigkeit zurückführenden
Einschränkungen seit 1. August 1994 eine Viertels- und ab 1. April 1995 eine
halbe Rente der Invalidenversicherung. Im Rahmen eines Revisionsverfahrens
ermittelte die IV-Stelle des Kantons Thurgau für die Zeit vom 1. Januar 2003
bis 31. Januar 2005 einen Invaliditätsgrad von 35 % bzw. 31 %, danach einen
solchen von 50 %. Mit Verfügung vom 10. April 2006 stellte sie daher die Rente
für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis 31. Januar 2005 ein und forderte mit
Verfügung vom 19. April 2006 die zu viel ausgerichteten Leistungen im Betrag
von Fr. 58'069.- zurück. Gegen beide Verfügungen erhob I.________ Einsprache.
Diejenige gegen die Renteneinstellung wies die IV-Stelle mit
Einspracheentscheid vom 30. März 2007 ab. Die Einsprache betreffend die
Rückerstattung ist nach Lage der Akten noch hängig.

B.
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau (seit 1. Januar 2008:
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau) wies die hiegegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 19. Oktober 2007 ab.

C.
I.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene sowie der
Einspracheentscheid seien aufzuheben und es sei die IV-Stelle zu verpflichten,
ihr ausgehend von einem Valideneinkommen von mindestens Fr. 150'000.- ab 1.
Januar 2003 die gesetzlichen Leistungen auszurichten. Auf die Renteneinstellung
sei zu verzichten und ab 1. Februar 2005 sei eine Dreiviertelsrente
auszurichten. Eventuell sei die Rente im Zeitraum 1. Januar 2003 bis 31. Januar
2005 auf eine Viertelsrente zu reduzieren sowie ab 1. Februar 2005 auf eine
halbe Rente festzusetzen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von
Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
2.1 Streitig und zu prüfen ist die Rentenherabsetzung. Dabei dreht sich der
Streit einzig um die Frage, ob beim Valideneinkommen nebst der im Mai 2002
erfolgreich abgeschlossenen Weiterbildung zur Buchhalterin mit eidg.
Fachausweis auch die von der Beschwerdeführerin für den Gesundheitsfall
behauptete weitergehende berufliche Entwicklung zur eidg. diplomierten
Buchhalterin oder Controllerin mitzuberücksichtigen ist.

2.2 Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung dieser Fragen einschlägigen
Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Zutreffend ist insbesondere, dass
Absichtserklärungen für erwerbliche Aufstiegsmöglichkeiten nicht genügen.
Vielmehr muss die Absicht, beruflich weiterzukommen, bereits durch konkrete
Schritte wie Kursbesuche, Aufnahme eines Studiums, Ablegung von Prüfungen usw.,
kundgetan worden sein (BGE 96 V 29; RKUV 2006 Nr. U 568 S. 65). Zu präzisieren
ist, dass sich diese Erwägungen zu den Voraussetzungen der Berücksichtigung
einer beruflichen Weiterentwicklung beim Valideneinkommen auf Fälle beziehen,
bei denen es um die erstmalige Rentenfestsetzung ging. Im
Rentenrevisionsverfahren besteht insoweit ein Unterschied, dass der
zwischenzeitig tatsächlich durchlaufene berufliche Werdegang als Invalider
bekannt ist. Dieser lässt - anders als bei der erstmaligen Rentenfestsetzung -
allenfalls (weitere) Rückschlüsse auf die hypothetische beruflich-erwerbliche
Entwicklung ohne versicherten Gesundheitsschaden zu. Bei der Beurteilung, was
die versicherte Person ohne versicherte Gesundheitsschädigung
beruflich-erwerblich erreicht oder wie sich ihr Lohn seit der erstmaligen
Rentenfestsetzung entwickelt hätte, sind die gesamten bis zum
Revisionszeitpunkt eingetretenen Umstände zu werten. Soweit ein zusätzlicher
persönlicher (etwa weiterbildungsbedingter) Produktivitätsfortschritt im
Gesundheitsfall geltend gemacht wird, müssen hiefür im Einzelfall greifbare
Anhaltspunkte ersichtlich sein (Urteil vom 22. Juni 2007, U 293/06, E. 9.3;
RKUV 2006 Nr. U 568 S. 65 E. 2.1.2 mit Hinweisen).

3.
Das kantonale Gericht hat in Würdigung der gesamten Umstände festgestellt, dass
die Beschwerdeführerin auch im Gesundheitsfall das eidg. Buchhaltungsdiplom
nicht erworben hätte. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringen lässt,
dringt nicht durch:

3.1 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, welche berufliche
Tätigkeit die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausüben
würde, als Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe eine Tatfrage ist,
soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch
Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung berücksichtigt werden
(Urteil 8C_234/2007 vom 14. November 2007, E. 4; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 3.3
S. 399). Die Feststellung der Vorinstanz bleibt daher für das Bundesgericht
grundsätzlich verbindlich, ausser sie sei offensichtlich unrichtig oder beruhe
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG (E. 1).

3.2 Dass die Vorinstanz Regeln der Beweisführung verletzt hätte, was eine
Rechtsverletzung wäre, bringt die Beschwerdeführerin nicht vor und ist auch
sonst nicht ersichtlich. Ebenso wenig macht sie geltend, die Feststellung, sie
hätte auch im Gesundheitsfall keine über den Fähigkeitsausweis Buchhalterin mit
eidg. Fachausweis hinausgehende Weiterbildung abgeschlossen, sei offensichtlich
unrichtig oder beruhe sonstwie auf einer Verletzung von Bundesrecht. Sie bringt
lediglich vor, in Würdigung der gesamthaft betrachteten Situation wäre ihr eine
noch weit grössere Karriere möglich gewesen, weshalb dem Grundsatz der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit Genüge getan sei. Dabei geht sie offenbar von
der unzutreffenden Überlegung aus, das Bundesgericht könne den Sachverhalt frei
überprüfen, was indessen nicht so ist, beschränkt sich doch die Prüfung auf den
Blickwinkel der Rechtsverletzung (E. 1).

3.3 Die Beschwerdeführerin leitet aus der abgeschlossenen Weiterbildung zur
Buchhalterin mit eidg. Fachausweis direkt ab, sie hätte als Valide auch eine
weiterführende Weiterbildung (Controller-Diplom) erfolgreich abschliessen
können. Damit vermag sie eine offensichtlich unrichtige Tatsachenfeststellung
nicht darzutun. Dies umso weniger, als die Schlussfolgerung des kantonalen
Gerichts auf einer sorgfältigen und nachvollziehbaren Würdigung der Umstände
beruht, insbesondere auch der für die Beschwerdeführerin sprechenden Tatsachen.
Angesichts der Umstände, dass die Beschwerdeführerin die Idee zur fraglichen
Weiterbildung erstmals in der Einsprache vom 10. Mai 2006 erwähnen liess und
sie keinen einzigen der von der Rechtsprechung vorausgesetzten greifbaren
Anhaltspunkte als erfüllt behauptet, kann jedenfalls nicht die Rede davon sein,
die Feststellung des kantonalen Gerichts sei offensichtlich unrichtig.

4.
Bleibt die Feststellung, die Beschwerdeführerin hätte auch ohne
Gesundheitsschaden keine über den eidg. Fachausweis Buchhaltung hinausgehende
berufliche Weiterbildung absolviert, für das Bundesgericht verbindlich, ist die
Beschwerde ohne Weiterungen abzuweisen, zumal sich die Beschwerdeführerin mit
den Erwägungen der Vorinstanz zum gestützt auf diese Prämisse vorgenommenen
Einkommensvergleich nicht auseinandersetzt.

5.
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als
Versicherungsgericht, der Ausgleichskasse Panvica und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 9. Mai 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Borella Maillard