Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 846/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_846/2007

Urteil vom 11. März 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta,
Obergasse 20, 8400 Winterthur,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 23. Oktober 2007.

Sachverhalt:
A.
Der 1964 geborene M.________ meldete sich am 13. Dezember 2005 wegen eines
Rückenleidens zum Bezug von Leistungen bei der Invalidenversicherung an. Die
IV-Stelle des Kantons Zürich holte zur Abklärung der medizinischen Verhältnisse
unter anderem den Bericht des Spitals X.________ vom 24. Januar 2006 ein und
sie veranlasste eine Begutachtung des Versicherten durch Dr. med. A.________,
Spezialarzt für Chirurgie und Neurochirurgie (Expertise vom 31. Mai 2006).
Gestützt auf diese Abklärungen verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 11.
Dezember 2006 einen Anspruch auf berufliche Massnahmen. Am 16. Februar 2007
lehnte sie es verfügungsweise ab, eine Invalidenrente auszurichten.
B.
Die von M.________ gegen die Verfügung vom 16. Februar 2007 eingereichte
Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid
vom 23. Oktober 2007 ab.
C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, es sei die IV-Stelle zu verpflichten, die gesetzlichen
Leistungen, mindestens aber eine Viertelsrente auszurichten. Eventualiter sei
die Sache zwecks Durchführung weiterer Abklärungen an die Verwaltung
zurückzuweisen. Ihm sei zudem die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
2.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über die Begriffe der
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und Invalidität erwerbstätiger Versicherter
(Art. 8 Abs. 1 ATSG) sowie den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG)
und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach
der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG in
Verbindung mit Art. 16 ATSG) richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
Zutreffend dargelegt hat sie zudem die Anforderungen an den Beweiswert von
Arztberichten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352, 122 V 157 E. 1c S. 160).
3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt, der Gutachter sei voreingenommen. Das von ihm
erstellte Gutachten vom 31. Mai 2006 sei moralisierend und wertend abgefasst.
Zudem habe Dr. med. A.________ eine Begehrungshaltung unterstellt.
3.2 Befangenheit eines Gutachters ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die
geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu erwecken. Bei der
Befangenheit handelt es sich allerdings um einen inneren Zustand, der nur
schwer bewiesen werden kann, weshalb es genügt, wenn Umstände vorliegen, die
den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu
begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins der Befangenheit und der
Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf das subjektive Empfinden
einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen muss vielmehr in objektiver
Weise als begründet erscheinen. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung,
welche den Arztgutachten im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist an die
Unparteilichkeit des Gutachters ein strenger Massstab anzusetzen (BGE 132 V 93
E. 7.1 S. 109, 120 V 357 E. 3 S. 364).
3.3 Ob bei einer gegebenen Sachlage auf die Voreingenommenheit des Gutachters
zu schliessen ist, stellt eine Rechtsfrage dar, welche vom Bundesgericht mit
voller Kognition geprüft wird (Art. 95 BGG; Urteil 1P.711/2004 vom 17. März
2005 E. 1.2). Fest steht, dass sich Dr. med. A.________ mit Blick auf den von
der IV-Stelle vorgelegten Fragenkatalog zum Vorhandensein einer Aggravation
oder Simulation zu äussern hatte. Folglich kam er nicht umhin, seine - die
Aggravation bejahende - Antwort zu begründen und die Umstände darzutun, welche
ihn veranlasst haben, von einem aggravatorischen Verhalten auszugehen. Dass die
Benennung dieser Faktoren mit kritischen Bemerkungen des Gutachters gegenüber
dem Begutachteten einhergeht, lässt sich nur schwer vermeiden. Es kann
demgemäss nicht schon deswegen die Befangenheit angenommen werden, weil Dr.
med. A.________ dem Versicherten widersprüchliches Verhalten sowie mangelnde
Motivation für die Arbeitssuche vorhält und seine Ansicht kundtut, dass
aufgrund der Taggeldleistungen kein finanzieller Anreiz bestehe, die Arbeit
wieder aufzunehmen (vgl. Urteil I 874/06 vom 8. August 2007, E. 4.1.3). Diese
Aussage ist im Zusammenhang mit der Feststellung des Gutachters zu sehen,
wonach kein ernsthafter Arbeitsversuch unternommen worden sei, obwohl ein
solcher seiner Ansicht nach zumutbar gewesen wäre. Ebenfalls kann eine
Voreingenommenheit nicht begründen, dass der Gutachter auf die Möglichkeit
eines Krankheitsgewinns hinweist; denn hiebei handelt es sich mitunter um eine
entscheiderhebliche Feststellung (BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 355). Trotz der
teilweise kritischen Bemerkungen hat Dr. med. A.________ sachbezogen dargelegt,
weshalb er eine Aggravation für gegeben erachtet. Ebenfalls hat er die Frage
nach der Zumutbarkeit mittels der erhobenen objektiven Befunde sachlich
beantwortet. Insgesamt sind keine Umstände ersichtlich, die geeignet wären, den
Gutachter bei objektiver Betrachtung als befangen erscheinen zu lassen.
4.
Das kantonale Gericht hat insbesondere gestützt auf das Gutachten des Dr. med.
A.________ vom 31. Mai 2006 erkannt, der Beschwerdeführer sei in einer
behinderungsangepassten Tätigkeit zu 100% arbeitsfähig und in der Lage, ein
rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen. Diese Folgerungen sind
tatsächlicher Natur und gestützt auf Art. 97 Abs. 1 BGG für das Bundesgericht
verbindlich, wenn der Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig oder unter
Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) festgestellt wurde.
4.1 Der Versicherte wendet gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung
ein, das Gutachten vom 31. Mai 2006 sei ohne Beizug eines Dolmetschers
ergangen, obwohl er über bloss ungenügende Deutschkenntnisse verfüge. Das
kantonale Gericht ist zum Schluss gelangt, dass ein Dolmetscher aufgrund der
ausreichenden Deutschkenntnisse des Versicherten nicht erforderlich war. An
diese im Lichte der Akten weder offensichtlich unrichtige noch rechtsfehlerhaft
getroffene Feststellung ist das Bundesgericht gebunden (vgl. hiezu auch Urteil
I 329/05 vom 10. Februar 2006, E. 4.1). Sodann begründet die Rüge, das
Gutachten vom 31. Mai 2006 sei im Entscheidzeitpunkt nicht mehr aktuell gewesen
und der nachträglich eingegangene Bericht der Klinik Y.________ vom 5. Oktober
2006 habe darin keinen Niederschlag gefunden, keine im Sinne von Art. 97 Abs. 1
BGG mangelhafte Sachverhaltsfeststellung. Die Vorinstanz hat im angefochtenen
Entscheid einlässlich erläutert, weshalb die Stellungnahme der Ärzte der Klinik
Y.________ keine vom Gutachten abweichende Beurteilung zulässt. Die
Arbeitsfähigkeitsschätzung durch die Ärzte der Höhenklinik beschlägt die
angestammte Beschäftigung. Wie im Gutachten so sind auch im Austrittsbericht
der Klinik Y.________ vom 5. Oktober 2006 eine Symptomausweitung (Waddell,
Pseudostrength-Test) sowie eine Selbstlimitierung festgehalten worden. Darin
liegt der entscheidende Grund für die medizinisch nicht erklärbare Entwicklung,
woran die Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern vermögen, namentlich
nicht die geltend gemachten Verständigungsschwierigkeiten. Das Abstellen des
kantonalen Gerichts auf das Gutachten des Dr. med. A.________ lässt sich daher
auch unter diesem Gesichtswinkel nicht beanstanden. Mit Bezug auf die
Berichterstattungen des Dr. med. C.________ vom 9. und 24. Januar 2006 hat die
Vorinstanz zutreffend bemerkt, dass diese einerseits nicht auf einer
Begutachtung beruhen und anderseits die von Dr. med. A.________ später
festgestellte Aggravation nicht berücksichtigt worden ist.

Das kantonale Gericht hat im Rahmen einer sorgfältigen und
bundesrechtskonformen Beweiswürdigung (vgl. Art. 61 lit. c ATSG; vgl. auch BGE
132 V 393 E. 4.1 S. 400) überzeugend dargelegt, weshalb das Gutachten des Dr.
med. A.________ für die zu entscheidenden Belange ausreichend und umfassend
ist. Nachdem der rechtserhebliche Sachverhalt rechtsgenüglich abgeklärt worden
ist, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes auf die
Anordnung weiterer Beweismassnahmen in antizipierter Beweiswürdigung verzichten
(vgl. BGE 124 V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S. 162). Dem Antrag, es sei die
Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen zurückzuweisen, ist daher nicht
stattzugeben.
4.2 Der Beschwerdeführer erachtet den von der Vorinstanz gewährten Leidensabzug
von 10 % als zu niedrig. Die Gewährung des leidensbedingten Abzuges (vgl. dazu
BGE 126 V 75) ist indessen eine typische Ermessensfrage, deren Beantwortung
letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das kantonale
Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also
Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (BGE 132 V
393 E. 3.3 S. 399). Das kantonale Gericht hat schlüssig begründet, weshalb ein
über 10% gehender Abzug nicht gerechtfertigt ist. Eine fehlerhafte
Ermessensausübung liegt nicht vor.
5.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Vorinstanz den
Sachverhalt weder offensichtlich unrichtig noch in Verletzung von Bundesrecht
festgestellt hat. Im Weiteren ist die vorgenommene Beweiswürdigung nicht zu
beanstanden und die Rechtsanwendung bundesrechtskonform (Art. 95 lit. a BGG).
Von einer bundesrechtswidrigen oder gar willkürlichen Rechtsanwendung kann
keine Rede sein. Denn nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt eine
solche vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit
der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17 f.; 131 I 467 E.
3.1 S. 473 f., je mit Hinweisen).
6.
Da nach den Feststellungen der Vorinstanz der Versicherte in einer angepassten
Tätigkeit voll arbeitsfähig ist, liegt keine leistungsbegründende Invalidität
vor. In Anbetracht des vorinstanzlich verbindlich festgestellten erwerblich
verwertbaren Leistungsvermögens kann ein Invaliditätsgrad von wenigstens 40%
mittels Schätzungs- oder Prozentvergleichs zuverlässig ausgeschlossen werden
(BGE 104 V 135 E. 2b in fine S. 136/7).
7.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da der Prozess
nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche
Verbeiständung geboten ist (Art. 64 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und
371 E. 5b S. 372). Es wird ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen,
wonach die Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu
in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
4.
Rechtsanwalt Massimo Aliotta, Winterthur, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.-
ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. März 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin