Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 826/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_826/2007

Urteil vom 16. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld, Weinbergstrasse 18, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 29. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 2. März 2006 meldete sich der 1945 geborene und seit 1979 als Bauarbeiter
tätige K.________ wegen Rückenbeschwerden bei der IV-Stelle des Kantons Zürich
zum Bezug von Leistungen an. Diese holte Berichte von Ärzten und Arbeitgebern
des Versicherten sowie des IV-Berufsberaters ein. Mit Vorbescheid vom 31.
August 2006 und Verfügung vom 26. Oktober 2006 lehnte sie den Anspruch auf eine
Invalidenrente mangels eines leistungsbegründenden Invaliditätsgrades ab, den
sie unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 15 % auf 18 %
festlegte.

B.
Die dagegen von K.________ erhobene Beschwerde mit dem Antrag, die IV-Stelle
sei unter Aufhebung der angefochtenen Verfügung zu verpflichten, den Grad der
verbliebenen Arbeitsfähigkeit und den Umfang des noch erzielbaren Verdienstes
neu festzusetzen und eine Rente von mindestens 50 % zuzusprechen, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. Oktober
2007 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache
zu neuer Entscheidung an die Verwaltung zurückzuweisen; ferner beantragt er die
unentgeltliche Rechtspflege.
Die Verwaltung schliesst auf Abweisung der Beschwerde; Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 zur auch unter der Herrschaft des BGG gültigen
Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der Invaliditätsbemessung [Art.
16 ATSG] für die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach Art. 28 Abs. 1 IVG).

1.2 Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Invalidenrente. Feststellungen
der Vorinstanz hinsichtlich Eintritt, Grad, Dauer und Prognose der
Arbeitsunfähigkeit betreffen Tatfragen, soweit sie auf der Würdigung konkreter
Umstände beruhen, und sind daher lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel
überprüfbar (Art. 97 Abs. 1 BGG sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 132 V
393 E. 3.2 S. 397 f.).

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43
und 61 lit. c ATSG), indem die Vorinstanz wie schon die IV-Stelle bei
lückenhafter medizinischer Aktenlage, ohne die erforderlichen Abklärungen
getätigt oder veranlasst zu haben, davon ausgegangen sei, er könne eine
leidensangepasste Tätigkeit zu 100 % ausüben und dadurch ein
rentenausschliessendes Einkommen erzielen.

2.1 Verwaltung und Vorinstanz haben bei der Beurteilung des
Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit im Wesentlichen auf die Berichte
der Klinik X.________ vom 1./9. und 8. Juni 2006 abgestellt, worin die Ärzte
zum Ergebnis gekommen sind, dem Beschwerdeführer sei bei Vermeiden von
repetitiven Arbeiten und Heben von Lasten die Ausübung leichter bis
mittelschwerer Tätigkeiten noch möglich. Den Umstand, dass sich die Rapporte
zum zeitlichen Umfang der Arbeitsfähigkeit in einer solchen Tätigkeit nicht
äussern, deutete die Vorinstanz dahin gehend, es sei damit eine volle
Arbeitsfähigkeit attestiert worden.
Da die IV-Stelle auch den Umfang der Arbeitsfähigkeit in einer
leidensangepassten Tätigkeit von Amtes wegen festzustellen hat (Art. 43 Abs. 1
ATSG; Art. 57 Abs. 1 lit. b und d IVG), fragte sie in dem der Klinik X.________
unterbreiteten Formular ausdrücklich: "Wie beurteilen Sie die Arbeitsfähigkeit
des Versicherten a) bis heute und b) auf längere Sicht? In welchem Rahmen und
Umfang ist eventuell die Ausübung einer anderen (welcher?) besser geeigneten
Erwerbstätigkeit zumutbar?". Die Ärzte der Klinik X.________ haben in den
Berichten vom 1. und 8. Juni 2006 diese Fragen nicht vollständig beantwortet,
und die IV-Stelle hat es unterlassen nachzufragen. Die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung, die Ärzte hätten im Bericht vom 1. Juni 2006 auf eine
zumutbare Verweisungstätigkeit von 100 % geschlossen ist aktenwidrig, weil sich
eine solche Schlussfolgerung aus der Aussage, unter einschränkenden
Rahmenbedingungen seien nur noch leichte bis höchstens mittelschwere Arbeiten
zumutbar, weder ausdrücklich noch sinngemäss ergibt.

2.2 Die Beschwerde ist nach dem Gesagten insofern begründet, als angesichts der
im entscheidwesentlichen Punkt unpräzisen und mit einem erheblichen Mangel
behafteten Angaben der Klinik X.________ die Vorinstanz auf einer unvollständig
erhobenen Sachverhaltsgrundlage ihr Urteil gefällt hat, was eine Aktenergänzung
gebietet. Bei dieser Gelegenheit hat die IV-Stelle zu berücksichtigen, dass der
Schmerztherapeut Prof. Dr. med. A.________, Facharzt FMH für Anästhesiologie,
Praxis für Schmerztherapie, sich in seinem Bericht vom 21. November 2006 bei
weitgehend übereinstimmender Diagnose und für den gleichen Zeitraum lediglich
auf eine 50-prozentige Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit
festgelegt hat. Prof. Dr. med. A.________ hat u.a. eine "Kissing Spine L3-L5"
diagnostiziert; gemäss Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage 2003, handelt es sich
bei diesem (Baastrup)-Syndrom um durch Hyperlordose ausgelöste
Neugelenkbildungen (Nearthrosen) zwischen den sich berührenden ("kissing
spine") und sich gegenseitig abschleifenden Dornfortsätzen der LWS, welche zu
örtlichem Druckschmerz, Kreuzschmerzen und Bewegungseinschränkungen der
Wirbelsäule führen. Da im Bericht der Klinik X.________ vom 8. Juni 2006 auf
der Höhe L3/4 keine Beeinträchtigung diagnostiziert worden ist, könnte sich
hier allenfalls ein zusätzliches Element ergeben, das im Hinblick auf die
offene Frage nach dem Umfang der Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen ist.

3.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Dessen Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist demzufolge gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 29. Oktober 2007 und die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Zürich vom 26. Oktober 2006 werden aufgehoben. Die Sache wird an die
IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie nach ergänzenden
Abklärungen über den Anspruch auf Invalidenrente neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 16. April 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz