Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 824/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_824/2007

Urteil vom 3. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Parteien
T.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin F. Rübel,
Bahnhofstrasse 22, 8703 Erlenbach,

gegen

CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG, Bundesplatz 15,
6003 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 17. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1947 geborene T.________ ersuchte die Concordia Schweizerische Kranken- und
Unfallversicherung (seit 1. Januar 2007 Concordia Schweizerische Kranken- und
Unfallversicherung AG; nachfolgend: Concordia) im Rahmen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung um Kostengutsprache für eine acht Wochen dauernde
diagnosespezifische Intensivtherapie im Medizinischen Zentrum X.________. Mit
Verfügung vom 22. Februar 2006 lehnte die Concordia das Gesuch ab, was sie mit
Einspracheentscheid vom 15. Mai 2006 bestätigte.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 17. September 2007 ab.

C.
T.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der Entscheid vom 17. September 2007 sei aufzuheben und die
Concordia sei zu verpflichten, die Kostengutsprache für den Aufenthalt im
Medizinischen Zentrum X.________ zu erteilen bzw. die Kosten für die 8-wöchige
ambulante Behandlung zu einem pauschalen Tagessatz von Fr. 207.- zu bezahlen;
eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen und zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Concordia beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG).
Die Beschwerde hat u. a. die Begehren und deren Begründung zu enthalten. In der
Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt
Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Eine besondere Rügepflicht gilt für
Grundrechte (Art. 106 Abs. 2 BGG), wozu der Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art. 29 Abs. 2 BV) gehört. Diesem Erfordernis genügt die Eingabe des
Beschwerdeführers nicht, soweit er rügt, die Vorinstanz habe seinen Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie auf die Einholung eines von ihm
verlangten Gutachtens verzichtet habe. Er legt auch nicht ansatzweise dar,
weshalb ein solches notwendig gewesen wäre. Insoweit ist auf die Beschwerde
nicht einzutreten.

Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an
die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem
anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Urteil 9C_294/
2007 vom 10. Oktober 2007 E. 2 mit Hinweis; vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S.
140).

2.
Streitgegenstand bildet die Frage, ob der Beschwerdeführer im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung Anspruch auf Vergütung der Kosten
einer Behandlung im Medizinischen Zentrum X.________ in Form eines
"diagnosespezifischen 8-Wochen Intensiv-Rehabilitationsprogrammes" hat.

3.
3.1 Zwischen der Concordia und dem Medizinischen Zentrum X.________ bestand in
den massgeblichen Jahren 2005 und 2006 eine "Vereinbarung über die ambulante
Behandlung von Krankenkassenpatienten im Medizinischen Zentrum X.________".
Dabei handelt es sich um einen Tarifvertrag nach Art. 46 KVG. Die für die
vorliegenden Belange wichtigsten Bestimmungen finden sich in Anhang 3 der
Vereinbarung, wo generelle Kriterien für die Indikation einer Therapie in Form
eines "diagnosespezifischen 8-Wochen Intensiv-Rehabilitationsprogrammes"
aufgeführt sind, sowie in Anhang 2, wo mittels sogenannter Indikationenliste
konkret definiert wird, welche Leiden unter welchen Voraussetzungen im Rahmen
der Intensivtherapie behandelt werden. Danach ist eine in der Regel während
acht Wochen an jeweils fünf Tagen durchzuführende ambulante Behandlung u.a.
vorgesehen bei Depressionen (ICD-10 F32), falls eine medikamentöse Behandlung
keinen Erfolg gezeigt hat und bei chronischem Schmerz (ICD-10 F45), falls eine
adäquate Vorbehandlung von sechs Monaten keinen Erfolg gezeigt hat (Ziff. 5 und
7 des Anhangs 2).

3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, der Beschwerdeführer leide an einer
somatoformen Schmerzstörung, welche als psychiatrische Diagnose den psychischen
Erkrankungen zuzuordnen sei. Daraus lasse sich ableiten, dass unter einer
adäquaten Vorbehandlung der Krankheit neben der körperlichen auch eine
psychiatrische Behandlung zu verstehen sei. Eine solche Therapie sei nicht
durchgeführt worden. Der zuweisende Arzt Dr. med. H.________ habe den
Beschwerdeführer mit gezielten physiotherapeutischen Massnahmen behandelt und
ein Antidepressivum verschrieben. Er sei Spezialarzt FMH für Chirurgie,
speziell Wirbelsäulenleiden, Schleudertrauma und orthopädische Traumatologie,
der beim Beschwerdeführer seit Mai 2005 insbesondere die somatische Seite der
Schmerzstörung behandelt habe. Mit dem Verschreiben eines Antidepressivums
allein sei noch keine adäquate Vorbehandlung im Sinne von Ziff. 5 und 7 des
Anhangs 2 der Vereinbarung durchgeführt worden. Vielmehr bedürfe es hierzu
einer fachärztlichen psychiatrischen Therapie während der Dauer von sechs
Monaten, welche sowohl eine medikamentöse als auch eine psychotherapeutische
Komponente enthalte. Dies führe zur Abweisung der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer bringt vor, bei vielen psychiatrischen Störungen sei die
Behandlung durch einen Hausarzt oder Facharzt etwa der Orthopädie, Gynäkologie
oder Inneren Medizin durchaus adäquat. Es gebe eine Vielzahl von psychischen
Störungen, bei denen eine psychiatrische Einzeltherapie kontraindiziert sei.
Neben der psychiatrischen Diagnose seien Faktoren wie Motivationslage,
Introspektionsfähigkeit und somatische Fixierung (Einstellung) des Patienten
sowie die Vielschichtigkeit des Störungsbildes in die Frage der Adäquanz
einzubeziehen. Viele psychisch kranke Menschen sähen den Sinn einer
psychiatrischen Behandlung überhaupt nicht ein oder brauchten intensive, z.B.
tagesklinische Behandlung oder Gruppenbehandlung. Eine ambulante psychiatrische
(Einzel-)Behandlung gegen den Willen des Patienten sei im besten Fall sinnlos,
meist aber kontraproduktiv. Bei ihm liege die Ursache der Schmerzstörung in den
mechanischen Beschwerden aufgrund einer Diskushernie. Die psychischen Probleme
seien lediglich Folge derselben. Er sehe seine Probleme denn auch als
mechanische, weshalb er zu einer psychiatrischen Therapie ausserhalb des
Medizinischen Zentrums X.________ weder willig noch bereit gewesen sei. Er habe
lediglich für eine tagesklinische psychosomatische Behandlung motiviert werden
können, da diese nicht das Stigma der Psychiatrie trage. Die Behandlung der
Ursache, mithin des mechanischen Problems, durch Dr. med. H.________ erweise
sich als adäquat. Wäre sie erfolgreich gewesen, wären auch die Schmerzen und
damit die Depressionen verschwunden. Gegen die Auslegung der Vorinstanz spreche
auch die Formulierung der Vereinbarung. Wäre für alle psychiatrischen
Indikationen eine psychiatrische Vorbehandlung notwendig, wäre dies in der
Vereinbarung so formuliert worden. Dies sei bewusst nicht getan worden. Der
Entscheid der Vorinstanz erweise sich somit als willkürlich und falsch.

3.3 Ein Tarifvertrag ist insbesondere notwendig, damit ein
krankenversicherungsrechtlich zugelassener Leistungserbringer abrechnungsfähig
fakturieren kann (Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR]/Soziale Sicherheit, 2. Aufl., S. 631 Rz. 708 f.).
Das Gesetz sieht die Stellung der Versicherten als Vertragspartei nicht vor.
Deren Leistungsansprüche gegenüber dem Krankenversicherer richten sich daher
nicht nach dem Tarifvertrag - welcher im Übrigen auch keine
Anspruchsvoraussetzung darstellt (vgl. BGE 131 V 133) - sondern nach Gesetz
(KVG) und Verordnungen (KVV, KLV; vgl. RKUV 2006 Nr. KV 382 S. 360 E. 5.1 [K
158/05]). Vorliegend stellt sich somit nicht in erster Linie die Frage, was
unter einer adäquaten Vorbehandlung im Sinne von Ziff. 5 und 7 des Anhangs 2
der Vereinbarung zwischen der Concordia und dem Medizinischen Zentrum
X.________ zu verstehen ist und ob im konkreten Fall eine solche durchgeführt
worden ist. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Behandlung im Medizinischen Zentrum
X.________ in Form eines "diagnosespezifischen 8-Wochen
Intensiv-Rehabilitationsprogrammes" die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen
erfüllt. Dazu muss die Behandlung zum einen zu den in Art. 25-31 KVG genannten
Leistungen gehören. Zum anderen muss sie den Anspruchsvoraussetzungen der
Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit nach Art. 32 Abs. 1 KVG
genügen.
3.3.1 Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen, die weder bestritten noch
offensichtlich unrichtig sind, bezweckt das Medizinische Zentrum X.________ die
Rehabilitation psychisch belasteter oder traumatisierter Patienten. Es handelt
sich somit bei der streitigen Therapie um eine Massnahme der medizinischen
Rehabilitation im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG. Deren besonderes Merkmal
besteht darin, dass die Behandlung der Krankheit an sich abgeschlossen ist und
Therapieformen zur Nachbehandlung von Krankheiten zur Anwendung gelangen. Die
medizinische Rehabilitation schliesst an die eigentliche Krankheitsbehandlung
an und bezweckt, die durch die Krankheit oder die Behandlung selbst bewirkte
Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit mit Hilfe
medizinischer Massnahmen ganz oder teilweise zu beheben, oder sie dient
insbesondere bei Chronischkranken der Erhaltung und allenfalls Verbesserung des
verbliebenen Funktionsvermögens. Sie kann ambulant, teilstationär, in einer
Kuranstalt, in einem Pflegeheim oder in einer spezialisierten
Rehabilitationsklinik erfolgen, wobei im letzteren Fall eine
Spitalbedürftigkeit vorausgesetzt ist, welche nach der notwendigen
Behandlungsintensität, dem Behinderungsgrad, der Pflegebedürftigkeit und der
Schwere des Hauptleidens oder zusätzlich komplizierender Krankheiten zu
beurteilen ist (BGE 126 V 323 E. 2c). Die Rehabilitation zielt somit auf die
Nachbehandlung desjenigen Krankheitsbildes, das bereits Gegenstand der
vorangegangenen Behandlung war. Geht es um eine psychiatrische Rehabilitation,
muss demzufolge vorerst eine eigentliche psychiatrische Krankheitsbehandlung
stattgefunden haben. Eine solche ist nach den unbestrittenen
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz bisher nicht erfolgt, weshalb kein
Anlass für eine psychiatrische Rehabilitation besteht.
3.3.2 Die Beschwerde wäre überdies auch dann abzuweisen, wenn die streitige
Behandlung nicht als Rehabilitation im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG,
sondern als Behandlung oder Pflegemassnahme im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. a
KVG qualifiziert würde. Eine medizinische Leistung ist im Sinne von Art. 32
Abs. 1 KVG wirksam, wenn sie objektiv geeignet ist, auf ein angestrebtes
diagnostisches, therapeutisches oder pflegerisches Ziel hinzuwirken. Die
Zweckmässigkeit einer Behandlung ist hinsichtlich des angestrebten Ziels nach
medizinischen Kriterien, prospektiv und objektiv zu beurteilen (BGE 130 V 299
E. 6.1 und 6.2.1.1 S. 304 f.; Eugster, a.a.O., S. 494 Rz. 291 ff.). Bestehen
zwischen zwei alternativen Behandlungsmethoden vom medizinischen Standpunkt aus
keine ins Gewicht fallenden Unterschiede in dem Sinne, dass sie unter dem
Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit mit Bezug auf den angestrebten Erfolg als
gleichwertig zu bezeichnen sind, ist grundsätzlich die kostengünstigere und
damit wirtschaftlichere Anwendung zu wählen (BGE 127 V 138 E. 5 S. 146 f. mit
weiteren Hinweisen). Ist die Erfolgsprognose einer kostengünstigeren Massnahme
nicht eindeutig, kann im Rahmen des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der
Schadenminderungspflicht zumindest ein Versuch damit verlangt werden (Eugster,
a.a.O., S. 613 Rz. 645 f.; vgl. auch BGE 130 V 299 E. 6.2.2.2 S. 307).
3.3.3 Der zuweisende Arzt Dr. med. H.________ und die Ärzte des Medizinischen
Zentrums X.________ diagnostizierten u.a. eine mittelgradige depressive Episode
(ICD-10 F32.1) sowie eine autonome somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45).
Beide Diagnosen sind im Anhang 2 der Vereinbarung erwähnt. Doch hat bisher
keine psychiatrische Behandlung mit Ausnahme einer Medikation stattgefunden.
Der Beschwerdegegnerin ist zuzustimmen, dass vorgängig des vorgesehenen
8-Wochen-Programms eine ambulante psychiatrische Behandlung zumindest versucht
werden muss. Dies bildet Bestandteil einer adäquaten Vorbehandlung im Sinne der
Vereinbarung, welche insofern auch dazu dient, Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und
Wirtschaftlichkeit der fraglichen Therapie resp. einer ambulanten Behandlung
abzuklären. Ein solches Vorgehen ist dem Beschwerdeführer auch im Rahmen der
Schadenminderungspflicht zumutbar, woran der Einwand, er leide an mechanischen
Problemen und er habe lediglich für eine tagesklinische psychosomatische
Behandlung motiviert werden können, da diese nicht das Stigma der Psychiatrie
trage, nichts ändert. Der Entscheid der Vorinstanz erweist sich als rechtens.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 3. April 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Dormann