Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 808/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_808/2007

Urteil vom 19. Mai 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Borella, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

Parteien
S.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecherin Daniela Mathys, Sulgeneckstrasse 37, 3007 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 28. September 2007.

Sachverhalt:

A.
S.________, geboren 1966, war von anfangs Februar 2003 bis Ende April 2005 in
einem Pflegeheim als Krankenschwester tätig. Am 15. September 2005 meldete sie
sich unter Hinweis auf Kraftlosigkeit in den Armen, Schmerzen sowie
Gefühllosigkeit in Händen und Beinen bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Nach medizinischen und erwerblichen Abklärungen sowie
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle Bern mit
Verfügung vom 14. November 2006 einen Rentenanspruch.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die hiegegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 28. September 2007 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben und ihr sei ab Oktober 2005 eine ganze Rente zuzusprechen.
Eventuell seien die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei fachkompetenten,
unabhängigen Gutachtern weiter interdisziplinär abzuklären.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art. 95
lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von
Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Rente
der Invalidenversicherung hat. Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung
dieser Fragen einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt.

3.
Als erstes ist die Frage zu prüfen, in welchem Ausmass die Versicherte noch
arbeitsfähig ist.

3.1 Die Vorinstanz hat in einlässlicher Würdigung der medizinischen Akten,
insbesondere der Gutachten der Dres. med. R.________, Spezialarzt FMH für
Rheumatologie, und H.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. Juli
2006 und 15. September 2006, sowie deren gemeinsame interdisziplinäre
Beurteilung vom 15. September 2006, festgestellt, dass aus somatischer Sicht
der Beschwerdeführerin die bisherige Tätigkeit vollumfänglich zugemutet werden
könne und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung, unter der sie leide,
überwindbar sei. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringen lässt, vermag
diese Tatsachenfeststellungen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397) weder als
offensichtlich unrichtig noch sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen:
3.1.1 Dies gilt als erstes für den Einwand, es bestehe eine somatische
Erklärung für ihre Schmerzen, liege doch nach wie vor eine
Impingement-Symptomatik beider Schultern vor. Abgesehen davon, dass Dr. med.
R.________ in seinem Gutachten nachvollziehbar begründet, weshalb eine
Impingement-Symptomatik nicht mehr vorhanden ist, wird entgegen der Auffassung
der Versicherten weder für den Nachweis einer solchen noch zur Bestimmung deren
Ausmasses ein bildgebendes Verfahren verlangt. Beim Impingement-Syndrom handelt
es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung des Schultergelenks durch mechanische
Irritation der Rotatorenmanschette und der Bursa subacromialis unter dem
Akromion. Diagnostiziert wird es in erster Linie anhand der Impingement-Zeichen
und dem Test nach Neer oder Hawkins, ggf. Röntgen, MRT (vgl. Pschyrembel,
Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl., Berlin/New York 2007, S. 902). Anlässlich
der rheumatologischen Untersuchung vom 26. Juli 2006 hat Dr. med. R.________
unter anderem festgestellt, dass beide Schultern aktiv und passiv völlig
unbehindert beweglich sind. Lag bereits aufgrund der rheumatologischen
Untersuchung keine Funktionsbeeinträchtigung der Schultern mehr vor, durfte der
Sachverständige ohne weiteres auf eine bildgebende Untersuchung verzichten.
3.1.2 Steht fest, dass die Schmerzen aus somatischer Sicht nicht erklärbar
sind, liegt - was auch von der Beschwerdeführerin anerkannt wird - eine
somatoforme Schmerzstörung vor. Die Vorinstanz hat dazu richtig erwogen, dass
eine diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung als solche nach der
Rechtsprechung noch keine Invalidität begründet. Vielmehr besteht eine
Vermutung, dass die somatoforme Schmerzstörung oder ihre Folgen mit einer
zumutbaren Willensanstrengung überwindbar sind (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50).
Während die Vorinstanz gestützt auf das Gutachten des Dr. med. H.________
keines der Kriterien, unter denen ausnahmseise von der genannten Vermutung
abgewichen werden kann (vgl. dazu BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50), als erfüllt
betrachtet, reklamiert die Beschwerdeführerin mehrere als gegeben. Dazu kann
sie sich jedoch auf keinerlei psychiatrisch-fachärztliche Unterlagen stützen.
Insbesondere enthält der Bericht vom 30. November 2005 des Dr. med. W.________,
eidg. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, keine Ausführungen zur
Überwindbarkeit der von ihm ebenfalls diagnostizierten Schmerzstörung.
Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang der Einwand der Beschwerdeführerin, der
psychiatrische Experte begründe die vollständige Arbeitsfähigkeit mit
juristischer Literatur, handelt es sich doch bei der zu entscheidenden Frage
der zumutbaren Willensanstrengung zur Überwindung der Schmerzen und Ausübung
einer Erwerbstätigkeit um eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398).
Inwiefern es bundesrechtswidrig sein soll, dass ein Sachverständiger zum
besseren Verständnis seiner nachfolgenden Ausführungen die von der
Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur ausnahmsweisen Anerkennung der
invalidisierenden Wirkung einer somatoformen Schmerzstörung auflistet, legt die
Beschwerdeführerin nicht dar. Der genannte Einwand ist im Übrigen auch
unzutreffend, zeigt doch der Sachverständige anhand der konkreten Umstände
plausibel auf, dass sich bei der Beschwerdeführerin mehrere Hinweise dafür
finden, wonach sie die Schmerzen überwinden kann. Namentlich werden das Fehlen
einer auffälligen prämorbiden Persönlichkeitsstruktur, eine nur mässig
ausgeprägte psychiatrische Komorbidität, das Fehlen chronischer körperlicher
Begleiterkrankungen sowie der nicht vollständige Verlust der sozialen
Integration genannt. Jedenfalls ist der von der Vorinstanz daraus gezogene
Schluss, die Schmerzen seien überwindbar, nicht offensichtlich unrichtig.
3.1.3 Daran ändert auch die Kritik der Beschwerdeführerin am Beweiswert der
Gutachten nichts. Soweit sie vorbringt, die Experten hätten sich nicht explizit
mit allen Vorakten auseinandergesetzt, hat bereits die Vorinstanz zu Recht
darauf hingewiesen, dass dies von der Rechtsprechung auch nicht verlangt wird.
Vielmehr ist in diesem Zusammenhang nur - aber immerhin - erforderlich, dass
das Gutachten in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben wurde (BGE 125 V
351 E. 3a S. 352). Dass einer der Sachverständigen ein relevantes medizinisches
Aktenstück übersehen hätte, wird indessen nicht geltend gemacht und ist auch
sonst nicht ersichtlich.
3.1.4 Inwiefern die in E. 3.1 erwähnten Feststellungen des kantonalen Gerichts
offensichtlich unrichtig sein sollen, legt die Beschwerdeführerin auch sonst
nicht dar. Sie kritisiert vielmehr weiter, dass die beiden Experten von der
Beschwerdegegnerin seit Jahren in ganz erheblichem Umfange mit der Erstellung
von Gutachten beauftragt werden. Nach ständiger Rechtsprechung stellt indessen
der Umstand, dass ein Arzt wiederholt von einem Sozialversicherungsträger als
Gutachter beigezogen wird, für sich allein keinen Ausstandsgrund dar (SVR 2008
IV Nr. 22 S. 69 E. 2.4). Inwiefern die Vorinstanz eine zu einem Dogma mutierte
Rangordnung der Beweismittel aufgestellt haben soll, ist nicht ersichtlich.
Vielmehr hat sie die in BGE 125 V 351 E. 3b S. 352 f. dargelegten Richtlinien
für die Beweiswürdigung bestimmter Formen medizinischer Berichte und Gutachten
befolgt. Insbesondere hat sie bei einander widersprechenden Berichten - in
vorbildlicher Weise BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 folgend - das gesamte
Beweismaterial gewürdigt und jeweils die Gründe angegeben, warum auf die eine
und nicht auf die andere medizinische These abgestellt wird.
3.1.5 Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich die bereits im
vorinstanzlichen Verfahren erhobenen und vom kantonalen Gericht mit
zutreffender Begründung entkräfteten Vorbringen wiederholt, wird wiederum auf
den angefochtenen Entscheid verwiesen.

3.2 Bleiben die vorinstanzlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit der
Beschwerdeführerin für das Bundesgericht verbindlich, erweist sich die
vorinstanzliche Verneinung des Rentenanspruchs mangels Invalidität als
bundesrechtskonform.

3.3 Angesichts der schlüssigen medizinischen Aktenlage bedarf es keiner
zusätzlichen Abklärung, weshalb von der eventualiter beantragten Einholung
eines Gutachtens abzusehen ist (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 90 E.
4b S. 94).

4.
Bei diesem Verfahrensausgang ist der angefochtene Entscheid auch hinsichtlich
der Kostenfolge zu bestätigen, wurden doch die Verfahrenskosten der
Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt. Inwiefern das kantonale
Gericht dadurch eine Rechtsverletzung begangen haben soll, legt die
Beschwerdeführerin nicht dar. Dass die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin in
anderen Verfahren trotz Unterliegens angeblich von Verfahrenskosten befreien
soll, ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren
unterlegen und deswegen kostenpflichtig ist. Auch aus dem aus Art. 8 BV
abgeleiteten Anspruch auf "Gleichbehandlung im Unrecht" ergibt sich nichts
anderes. Ein solcher Anspruch wird nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
nur ausnahmsweise anerkannt (BGE 132 II 485 E. 8.6 S. 510, mit Hinweis); dann
nämlich, wenn eine rechtsanwendende Behörde eine gesetzwidrige Praxis pflegt
und überdies zu erkennen gibt, dass sie davon auch in Zukunft nicht abweichen
werde. Grundbedingung für eine ausnahmsweise "Gleichbehandlung im Unrecht" ist
in jedem Fall, dass sich der Betroffene in einer gleichen oder vergleichbaren
Lage befindet wie der Dritte, dem der rechtswidrige Vorteil gewährt wurde. In
aller Regel geht jedoch der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung der
Rücksicht auf die gleichmässige Rechtsanwendung vor (vgl. statt vieler: BGE 112
Ib 381 E. 6 S. 387; 122 II 446 E. 4a S. 451 f., mit Hinweisen). Die Berufung
auf "Gleichbehandlung im Unrecht" scheitert hier jedoch bereits an der
Voraussetzung der gesetzwidrigen Praxis, musste sich doch das Bundesgericht -
soweit ersichtlich - bisher noch nicht dazu äussern, ob die IV-Stellen im
Beschwerdeverfahren vor den kantonalen Versicherungsgerichten nach Art. 61 ATSG
unter die Kostenpflicht nach Art. 69 Abs. 1bis IVG fallen oder nicht. Für das
bundesgerichtliche Verfahren hat es hingegen die Kostenpflicht bestätigt, weil
die Ausnahmeregelung von Art. 66 Abs. 4 BGG nicht anwendbar ist, da die
IV-Stelle in ihrem Vermögensinteresse handelt (Urteil vom 25. September 2007,
8C_67/2007, E. 6).

5.
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 19. Mai 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Borella Maillard