Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 772/2007
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9C_772/2007

Urteil vom 26. Februar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Borella,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

J. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Beratungsstelle für Ausländer,
Schützengasse 7, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische National Sammelstiftung BVG, Wuhrmattstrasse 19, 4103
Bottmingen,
Beschwerdegegnerin.

Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom
25. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
J. ________, geboren 1960, war vom 19. Juli 1993 bis 14. Dezember 1996 bei
der Firma O.________ AG, als Bauarbeiter angestellt und bei der damaligen
Coop Lebensversicherungs-Genossenschaft Basel (seit der Fusion mit der
Schweizerischen National Lebensversicherungsgesellschaft im Jahre 2002:
Schweizerische National Sammelstiftung BVG; im Folgenden: National)
berufsvorsorgeversichert. Am 11. November 1996 stürzte er bei der Arbeit und
zog sich eine Fraktur des Steissbeins zu. Die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher J.________ obligatorisch
versichert war, erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Am 27. Januar 1997
unterzog er sich einer operativen Resektion; in der Folge manifestierte sich
ein protrahierter Heilungsverlauf.

Am 9. September 1997 meldete sich J.________ bei der Invalidenversicherung
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Basel-Landschaft verfügte nach
medizinischen und erwerblichen Abklärungen am 3. Juli 1998 die Ablehnung des
Leistungsbegehrens, da der Invaliditätsgrad lediglich 20 % betrage. Eine
hiegegen erhobene Beschwerde zog J.________ wieder zurück. Die SUVA verfügte
am 22. Juni 1999 den Fallabschluss per 9. Februar 1999. Die hiegegen erhobene
Einsprache des J.________ hiess sie am 14. Januar 2000 teilweise gut und
verfügte am 17. April 2000 die Zusprechung einer Invalidenrente bei einem
Invaliditätsgrad von 20 %. Die IV-Stelle sprach J.________ nach erneuten
medizinischen Abklärungen (polydisziplinäre Begutachtung in der Medizinischen
Abklärungsstelle der Invalidenversicherung [MEDAS] am Spital X.________;
Gutachten vom 18. August 1999) mit Verfügungen vom 22. März 2000 eine
Viertelsrente vom 1. März bis 31. Mai 1999 (bei einem Invaliditätsgrad von
40 %) sowie eine halbe Rente ab 1. Juni 1999 (bei einem Invaliditätsgrad von
63 %) zu. Mit Schreiben vom 17. Mai 2000 liess J.________ bei der damaligen
Coop Lebensversicherungs-Genossenschaft um Ausrichtung der
Versicherungsleistungen ersuchen.

Am 15. September 2000 meldete er der IV-Stelle eine wesentliche
Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustandes; vom 22. Oktober bis
17. November 2000 hielt er sich stationär in der Psychiatrischen Klinik
Y.________ auf. Seit 1. Januar 2001 bezieht J.________ eine ganze Rente der
Invalidenversicherung bei einem Invaliditätsgrad von 100 % (Verfügung vom 10.
Januar 2003). Am 6. September 2004 liess er der Vorsorgeeinrichtung
mitteilen, seit dem Unfall im Jahre 1996 bestehe eine vollständige und
ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit, weshalb er nochmals um Ausrichtung einer
Invalidenrente ersuche.

B.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft wies die am 14. September 2006 erhobene
Klage des J.________, mit welcher er die Zusprechung einer Rente ab 11.
November 1998 beantragte, mit Entscheid vom 25. Juli 2007 ab.

C.
J.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Zusprechung einer Rente
der beruflichen Vorsorge bei einem Invaliditätsgrad von 100 % ab November
1998 beantragen. Gleichzeitig ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung.

Die National schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt
für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts ist letztinstanzlich
zuständig zum Entscheid über die Leistungspflicht der National
(Beschwerdegegnerin) für den vorsorgerechtlichen Versicherungsfall
Invalidität beim Beschwerdeführer (Art. 73 BVG und Art. 35 lit. e des
Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BgerR], in Kraft seit
1. Januar 2007; Urteile des Bundesgerichtes B 114/06 vom 11. Mai 2007 E. 2
und B 130/06 vom 27. April 2007 E. 2).

2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

3.
3.1 Der gerichtlichen Beurteilung in vorsorgerechtlichen Streitigkeiten sind
die Verhältnisse zu Grunde zu legen, wie sie sich bis zum Erlass des
kantonalen Klageentscheides (hier: 25. Juli 2007) verwirklicht haben (BGE 130
V 78 E. 1.2 S. 79 mit Hinweis). Zu beurteilen ist ein Sachverhalt, der sich
teilweise vor dem Inkrafttreten der Neufassung von Art. 23 BVG verwirklicht
hat. Da der Rechtsstreit eine Dauerleistung betrifft, über welche noch nicht
rechtskräftig entschieden wurde, hat die Vorinstanz entsprechend den
allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln für die Zeit bis Ende 2004 zu
Recht auf den damals gültig gewesenen Art. 23 BVG und ab diesem Zeitpunkt auf
Art. 23 lit. a BVG abgestellt (BGE 130 V 445 E. 1.2 S. 446 f.; vgl. zur
übergangsrechtlichen Problematik auch lit. f. der Übergangsbestimmungen der
Änderung vom 3. Oktober 2003 [1. BVG-Revision]).
Nach Art. 23 BVG, in Kraft gestanden bis 31. Dezember 2004, haben Personen
Anspruch auf Invalidenleistungen, die im Sinne der IV zu mindestens 50 %
invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur
Invalidität geführt hat, versichert waren. Gemäss dem am 1. Januar 2005 in
Kraft getretenen Art. 23 lit. a BVG besteht bereits bei einer Invalidität von
mindestens 40 % Anspruch auf Invalidenleistungen. Das anwendbare Reglement
der National, in der ab 1. Januar 1995 gültigen Fassung, geht insoweit zu
Gunsten der Versicherten weiter als das Gesetz, dass bereits bei einer
Erwerbsunfähigkeit von 25 % Anspruch auf Leistungen besteht (Ziff. 5.9.8
Reglement).

3.2 Eine registrierte Vorsorgeeinrichtung ist zur Erbringung der gesetzlichen
Invaliditätsleistungen verpflichtet, sofern der Berechtigte zur Zeit der
erstmaligen Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bei ihr versichert (BGE 123
V 264 E. 1b) und die Beeinträchtigung sinnfällig, d.h. erheblich und
dauerhaft war. Erheblich ist die Arbeitsunfähigkeit, wenn sie mindestens 20 %
beträgt (Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes B 48/97 vom 7.
Oktober 1998 und B 18/97 vom 29. April 1998). Weiter setzt der Anspruch auf
Invalidenleistungen einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang
zwischen der während der Dauer des Vorsorgeverhältnisses eingetretenen
Arbeitsunfähigkeit und der allenfalls erst später bestehenden Invalidität
voraus (BGE 130 V 270 E. 4.1 S. 275). Der Gesundheitsschaden, der zur
Arbeitsunfähigkeit geführt hat, muss von der Art her im Wesentlichen derselbe
sein, der der Erwerbsunfähigkeit zu Grunde liegt. Sodann darf die versicherte
Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht während längerer Zeit
wieder arbeitsfähig geworden sein (BGE 123 V 262 E. 1c S. 275 mit Hinweisen).

Der sachliche Zusammenhang kann auch gegeben sein, wenn die bei noch
bestehender Versicherungsdeckung eingetretene Arbeitsunfähigkeit somatisch,
die Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung begründende, allenfalls
auch berufsvorsorgerechtliche Leistungen auslösende Invalidität jedoch
psychisch bedingt ist. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung hiefür
ist, dass das psychische Leiden sich schon während des Vorsorgeverhältnisses
manifestierte und das Krankheitsgeschehen erkennbar mitprägte (vgl. Urteil
des Eidgenössischen Versicherungsgerichtes B 32/03 vom 22. September 2006
E. 3.3). Zu den psychischen Leiden zählen auch anhaltende somatoforme
Schmerzstörungen nach ICD-10 F45.4 (BGE 130 V 352 E. 2.2.2 S. 353). Sie
bewirken allerdings nur ausnahmsweise eine Invalidität (BGE a.a.O.).

4.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine
Invalidenrente der National hat.

4.1 Es ist unbestritten und steht aufgrund der Akten fest, dass der
Beschwerdeführer am 11. November 1996 - und damit während der Dauer des
Vorsorgeverhältnisses - eine Steissbeinfraktur erlitt, die in der Folge zu
einer Arbeitsunfähigkeit von 20 % und zur Zusprechung einer entsprechenden
Invalidenrente der SUVA ab 1. August 1997 führte (auf Einsprache des
Versicherten hin erlassene Verfügung vom 17. April 2000). Nachdem die
IV-Stelle in ihrer Verfügung vom 3. Juli 1998 noch von einer mindestens
80%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit ausgegangen war
(gestützt auf die Einschätzungen des Gutachters Dr. med. W.________, FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, der am 28. März 1998 in psychischer Hinsicht
eine beginnende somatoforme Schmerzstörung [ICD-10 F45.4] mit ängstlicher
Fehlverarbeitung von Beschwerden bei einfachst strukturierter Persönlichkeit
diagnostizierte und aus rein psychiatrischer Sicht eine vollschichtige
Arbeitsfähigkeit attestierte, indessen eine leicht verminderte Belastbarkeit
und eine leichte Einbusse der Leistungsfähigkeit von 20 % festhielt), stellte
sich in der Folge eine psychische Verschlechterung bis hin zu einer eindeutig
depressiven Symptomatik ein, die ab Mitte 1998 zu einer 50%igen
Arbeitsfähigkeit (auch) in einer körperlich leichten Tätigkeit führte
(Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle der Invalidenversicherung
[MEDAS] am Spital X.________ vom 18. August 1999) und schliesslich eine
vollständige Arbeitsunfähigkeit für jegliche Erwerbstätigkeit in der freien
Wirtschaft bewirkte.

4.2 Dieser von der IV anerkannte Invaliditätsgrad von zuletzt 100 % ist für
eine allfällige Leistungspflicht der Vorsorgeeinrichtung indes nicht ohne
weiteres massgeblich. Nach dem Gesagten (E. 3.2 in fine) muss ein psychisches
Leiden mit Auswirkungen auf das Leistungsvermögen bereits während des
Versicherungsverhältnisses erkennbar in Erscheinung getreten sein, damit eine
entsprechende Leistungspflicht besteht. Dies trifft nach Lage der Akten nicht
zu. Aus den umfangreichen medizinischen Unterlagen geht hervor, dass bis zum
Ende der Versicherungsdeckung bei der Beschwerdegegnerin Ende Januar 1997
ausschliesslich somatische Beschwerden bestanden. Erst als sich im weiteren
Verlauf die subjektiv empfundenen Schmerzen weder nach der operativen
Resektion vom 27. Januar 1997 noch im Anschluss an die nachfolgenden
physiotherapeutischen und balneologischen Behandlungen wesentlich besserten,
vermerkten die Ärzte der Klinik C.________ erstmals eine
Verdeutlichungstendenz (bei 4 von 5 positiven Waddell- und Kummel-Zeichen,
wobei sie aber gleichzeitig eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit für
mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeiten attestierten; Austrittsbericht
vom 8. August 1997). Eine psychiatrische Behandlung bei Dr. med. K.________,
FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, nahm der Beschwerdeführer ab
11. Februar 1998 auf. Die nachfolgenden ärztlichen Berichte und Gutachten
belegen eindrücklich die stetige Verschlechterung des psychischen
Gesundheitszustandes bis hin zu einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung
und einer schweren depressiven Episode (ohne psychotische Symptome) mit
akuter Suizidalität im Oktober 2000 (Bericht der Psychiatrischen Klinik
Y.________ vom 26. September 2001). Dass sich der psychische
Gesundheitszustand markant verschlechtert hatte, bestätigten auch die Ärzte
der MEDAS, welche im polydisziplinären Gutachten vom 24. Juli 2002 eine
redizivierende depressive Störung (gegenwärtige mittelschwere depressive
Störung mit somatischem Syndrom) sowie eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung und ein chronisches lumbosakrales Schmerzsyndrom
diagnostizierten.
Es ist nachvollziehbar, dass sowohl die subjektiv empfundenen starken
Schmerzen als auch die operative Sanierung einer Uretheraverengung den
Beschwerdeführer - vor dem Hintergrund der Blasenkrebserkrankung seines
Vaters - verängstigt und verunsichert haben. Dies ändert indes ebenso wenig
wie die lange Leidensgeschichte etwas daran, dass während der Dauer des
Vorsorgeverhältnisses ein psychisches Leiden mit Krankheitswert (noch) nicht
erkennbar in Erscheinung trat, was für die Leistungspflicht der
Vorsorgeeinrichtung allein entscheidend ist. Dem Vorbringen des
Beschwerdeführers, die von der IV-Stelle anerkannte Invalidität aus
psychischen Gründen wäre ohne die langjährigen, auf den während des
Versicherungsverhältnisses erlittenen Unfall zurückzuführenden Schmerzen
nicht eingetreten, kann somit nicht gefolgt werden, auch wenn es zutreffen
mag, dass die unfallbedingten Beschwerden massgeblich an der Genese des
krankheitswertigen psychischen Leidens beteiligt waren. Ausschlaggebend ist
einzig, dass der (sekundäre) psychische Gesundheitsschaden nicht identisch
ist mit dem während der Versicherungsdeckung eingetretenen Leiden (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichtes B 9/06 vom 21. November 2006 E. 4.2
mit Hinweisen) und sich jenes bis zum massgeblichen Zeitpunkt des
Klageentscheides nicht rechtserheblich verschlimmert hat.

4.3 Damit hat die Vorinstanz den erforderlichen engen Zusammenhang zwischen
der mit einer ganzen IV-Invalidenrente abgegoltenen Arbeitsunfähigkeit und
dem Vorsorgeverhältnis mit der Beschwerdegegnerin zu Recht verneint. Die
diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Gerichtes sind
weder mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG noch beruhen sie auf einer
Rechtsverletzung (Art. 95 BGG).

5.
Von der Erhebung von Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) wird abgesehen; das
entsprechende Gesuch ist somit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. Februar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer i.V. Grunder