Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 766/2007
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


9C_766/2007

Urteil vom 3. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

I. ________, 1966, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 2. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1966 geborene I.________ meldete sich am 20. Februar 2007 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug (Berufsberatung, Umschulung,
Wiedereinschulung und Arbeitsvermittlung) an. Die IV-Stelle des Kantons
Zürich tätigte medizinische sowie berufliche Abklärungen und wies mit
Verfügung vom 4. Juni 2007 einen Rentenanspruch ab, da der Invaliditätsgrad
mit 20 % unter dem erforderlichen Mass von 40 % liege.

B.
I.________ führte dagegen Beschwerde, da er gar keine Rente beantragt habe.
Er erneuerte sein Begehren um Zusprechung beruflicher Massnahmen. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich teilte ihm mit Verfügung vom
10. September 2007 mit, berufliche Massnahmen bildeten nicht Gegenstand des
Vorbescheides und der Verfügung vom 4. Juni 2007, weshalb es an einem
Anfechtungsgegenstand fehle und auf die Beschwerde nicht einzutreten wäre.
Die IV-Stelle sei jedoch gemäss der Beschwerdeantwort vom 13. August 2007
bereit, die Beschwerde als Gesuch um Ausrichtung beruflicher Massnahmen
entgegenzunehmen und darüber in einem separaten Verfahren zu entscheiden.
Innert angesetzter Frist erklärte daraufhin I.________ am 30. September 2007,
das Ziel seiner Beschwerde könne somit als erreicht betrachtet werden und er
verzichte daher auf deren Weiterführung. Das Sozialversicherungsgericht
schrieb den Prozess mit Verfügung vom 2. Oktober 2007 als durch Rückzug der
Beschwerde erledigt ab (Dispositiv-Ziffer 1) und überband I.________ die
Gerichtskosten von Fr. 200.- (Dispositiv-Ziffer 2).

C.
I.________ führt Beschwerde mit dem Antrag, Ziffer 2 des Dispositivs des
angefochtenen Entscheids sei aufzuheben und die vorinstanzlichen
Verfahrenskosten seien der IV-Stelle zu überbinden.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das kantonale
Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung
verzichten.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach
Art. 95 lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer für das infolge Rückzug
gegenstandslos gewordene vorinstanzliche Verfahren die Kosten auferlegt
werden können.

3.
3.1 Abweichend von Art. 61 lit. a ATSG ist das Beschwerdeverfahren bei
Streitigkeiten um die Bewilligung oder die Verweigerung von IV-Leistungen vor
dem kantonalen Versicherungsgericht kostenpflichtig. Die Kosten werden nach
dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von 200 bis
1000 Franken festgelegt (Art. 69 Abs. 1bis IVG in der seit 1. Juli 2006
geltenden Fassung).

3.2 Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen
Interesses dahin, entscheidet das Bundesgericht mit summarischer Begründung
über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des
Erledigungsgrundes (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP). Bei der
Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie
auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (BGE 125 V 373 E. 2a
S. 374). Dabei geht es nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelnen zu
prüfen und dadurch weitere Umtriebe zu verursachen. Vielmehr muss es bei
einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben. Auf dem Weg über
den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil gefällt und unter
Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden.
Lässt sich der mutmassliche Ausgang eines Verfahrens im konkreten Fall nicht
ohne weiteres feststellen, ist auf allgemein zivilprozessrechtliche Kriterien
zurückzugreifen. Danach wird in erster Linie jene Partei kosten- und
entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens geführt haben (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 33
E. 6a mit Hinweisen). Demgegenüber gilt  Rückzug grundsätzlich als
Unterliegen (vgl. RKUV 2001 Nr. U 411 S. 76). Diese Grundsätze gelten auch
für das erstinstanzliche Gerichtsverfahren (SVR 2004 AlV Nr. 8 S. 21 E. 3.1).

4.
Der Beschwerdeführer hat in der IV-Anmeldung nur - aber immerhin - berufliche
Massnahmen, aber keine Rente (das entsprechende Feld wurde nicht angekreuzt),
beantragt. Die IV-Stelle hat mit Verfügung vom 4. Juni 2007 jedoch einzig den
Rentenanspruch geprüft und diesen schliesslich verneint. Sie hat damit nicht
den gestellten Antrag, sondern etwas anderes beantwortet. Dagegen hat sich
der Beschwerdeführer zu Recht mit Beschwerde bei der Vorinstanz zur Wehr
gesetzt. Das Beschwerdeverfahren wurde somit durch das Verhalten der
Beschwerdegegnerin veranlasst. Entgegen der Verfügung des kantonalen
Gerichtes vom 10. September 2007 wäre daher im Urteilsfall nicht auf die
Beschwerde nicht einzutreten gewesen, sondern diese wäre - zumindest im Sinne
einer Rückweisung an die Verwaltung - gutzuheissen gewesen, zumal der
Anspruch auf berufliche Massnahmen bei einem von der IV-Stelle ermittelten
Invaliditätsgrad von 20 % unter diesem Gesichtswinkel grundsätzlich gegeben
war. Anfechtungs- und Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren ist nicht nur
das Verfügte, sondern auch das, worüber die Verwaltung hätte verfügen müssen
(Urteile V. vom 20. August 2002, I 347/00 und D. vom 27. Mai 2003, I 66/03,
E. 4.1 mit weiteren Verweisungen). Der Beschwerdeführer wurde durch die
insoweit unzutreffenden Ausführungen der Vorinstanz in der Verfügung vom
10. September 2007 zum Rückzug der Beschwerde veranlasst. Ihrem wirklichen
rechtlichen Gehalt nach hat die IV-Stelle mit Beschwerdeantwort vom
13. August 2007 materiell den Abstand erklärt, was als Unterliegen zu werten
ist, auch kostenmässig. Daran ändert nichts, dass die IV-Stelle bereits mit
Vorbescheid eine Abweisung des Rentenanspruchs in Aussicht gestellt und der
Beschwerdeführer offenbar darauf nicht reagiert hat.

5.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen
(Art. 65 Abs. 4 lit. a und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 2 der Verfügung des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Oktober 2007 wird
aufgehoben. Die Kosten des kantonalen Gerichtsverfahrens von Fr. 200.- werden
der Beschwerdegegnerin auferlegt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 3. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Maillard