Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 712/2007
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9C_712/2007

Urteil vom 5. Februar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Z. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Reto Marugg, Ochsenweidstrasse 36, 7205 Zizers,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Versicherungsrecht, Zürichstrasse 130, 8600
Dübendorf,
Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 11. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Z. ________, geboren 1947, ist bei der Helsana Versicherungen AG
(nachfolgend: Helsana) obligatorisch krankenpflegeversichert. Seit einer im
Februar 2003 durchgeführten Nierentransplantation wird er zur
Infektbekämpfung medikamentös behandelt (Immunsuppression). Der Zahnarzt med.
dent. S.________ behandelte ihn am 8. Mai 2005 notfallmässig wegen eines von
Zahn 43 ausgehenden Abszesses. Er stellte Karies an den Zähnen 42, 32, 33 und
ein stark abradiertes Restgebiss im Unterkiefer fest. Der Zahn 43 musste
wegen des Abszesses gezogen werden. Die Zähne 32, 33, 41 und 42 wurden
überkront. Dafür wurden Z.________ am 28. November 2005 Kosten von
Fr. 8'743.60 in Rechnung gestellt. Die Helsana übernahm den Teilbetrag von
Fr. 1'350.- (Abszessbehandlung und Zahnextraktion). Die Vergütung der Kosten
für die Überkronungen und die Unterkieferprothese lehnte sie mit Verfügung
vom 23. Juni 2006 und Einspracheentscheid vom 8. März 2007 ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 11. Juni 2007 ab.

C.
Z.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragt Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an das
Verwaltungsgericht; eventualiter sei die Helsana zu verpflichten, die
gesamten am 28. November 2005 in Rechnung gestellten Kosten zu bezahlen.

Die Helsana schliesst auf Nichteintreten, eventuell Abweisung, die Vorinstanz
auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist; das Bundesamt
für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Es ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde zu
prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der
massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht
verletzt (Art. 95 BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf Übernahme
der Kosten der Überkronungen und der Unterkieferprothese durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung hat. Das kantonale Gericht hat die
massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen für
zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in
Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17 bis 19a KLV) sowie die
diesbezügliche Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen, die Vorinstanz sei dem
Beweisantrag auf Einholung einer zahnärztlichen Expertise zur Beantwortung
des in der Beschwerde ausformulierten Fragenkataloges ohne Begründung nicht
gefolgt. Sie habe so den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und gegen
das Willkürverbot verstossen. Da der Entscheid alleine auf Berichte und
Meinungen aus dem Einflussbereich der Beschwerdegegnerin abgestützt sei, sei
der Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung vor dem Gericht verletzt
worden. Aus diesen Gründen sei die Streitsache zur Einholung einer neutralen
Expertise und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

4.
4.1 Es trifft zwar zu, dass im kantonalen Entscheid nicht ausdrücklich
begründet ist, warum dem Beweisantrag auf Einholung einer zahnärztlichen
Expertise nicht gefolgt wird. Indes legt das kantonale Gericht klar dar, es
sei schon "im Lichte der bei den Akten liegenden medizinischen Berichte zur
Überzeugung gelangt", "dass objektiv keine hinreichenden Anhaltspunkte oder
gar stichhaltige Belege für die Annahme und Bejahung einer schweren Zahn-,
Kiefer- oder Allgemeinerkrankung nach Art. 31 KVG i.V.m. Art. 17-19 KLV
auszumachen" sind. Das Bundesgericht ist gemäss Art. 105 BGG an die
Sachverhaltsdarstellung der Vorinstanz gebunden, wenn sie nicht
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung beruht (E. 1).
Solches ist jedoch nicht der Fall. Willkür liegt nicht vor, weil der
Entscheid weder offensichtlich unhaltbar ist, noch grobe Fehler bei der
Sachverhaltsermittlung gemacht worden sind. Qualifiziert unkorrekt ist eine
Sachverhaltsfeststellung dann, wenn ohne Gründe von einem Gutachten
abgewichen wird, oder ein nicht fachkundiges Gericht eine Frage, die nur auf
Grund von Fachwissen beurteilt werden kann, selber beantwortet oder wenn sie
aktenwidrig ist (Hansjörg Seiler, in: Seiler/von Werdt/ Güngerich,
Bundesgerichtsgesetz, Handkommentar, Bern 2007, N. 14 f. Art. 97 BGG). Das
Gericht stützt sich im Entscheid auf ausreichend detaillierte Arztberichte
und begründet das Ergebnis ausführlich. Es führt aus, dass die Überkronung
der vier Zähne und die Unterkieferprothese klar erkennbar nicht als
unvermeidliche Folge der Nierentransplantation sowie der damit verbundenen
Immunsuppression angesehen werden können. Vielmehr bilde die Vernachlässigung
der regelmässigen Mund-/Dentalhygiene die Hauptursache für die
diagnostizierten Kariesschäden, die durch die medikamentös bedingte
Mundtrockenheit (fehlender Speichelfluss) zwar begünstigt worden seien, durch
geeignete und rechtzeitig ausgelöste Gegenmassnahmen aber dennoch mit Erfolg
hätten vermieden werden können. Letztlich sei dies auch der Grund, warum der
Beschwerdeführer die Unterkieferprothese nicht mehr habe schmerzfrei tragen
können. Die vier Zähne seien überkront und eine entsprechende
Unterkieferprothese neu angefertigt worden, um die fortschreitende Abrasion
möglichst rasch zu stoppen. Die Eingriffe seien damit eindeutig aus rein
präventiven Zwecken erfolgt und könnten darum nicht als unmittelbarer
Folgeschaden der Immunsuppression gewertet werden.

4.2 Diese jedenfalls nicht offensichtlich unrichtigen Tatsachenfeststellungen
sind rechtlich richtig subsumiert worden. Denn nach Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG
und Art. 19 KLV übernimmt die soziale Krankenversicherung die Kosten der
zahnärztlichen Behandlung, wenn diese zur Behandlung einer schweren
Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Mit Art. 31 Abs. 1
lit. c KVG will der Gesetzgeber in bestimmten Fällen Versicherungsschutz
gewähren, wenn und soweit die zahnärztliche Versorgung notwendiger
Bestandteil der ärztlichen Therapie einer schweren Allgemeinerkrankung ist.
Primärziel ist nicht die Behebung von Kausystemschäden, sondern die
sachgerechte Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung, welche durch die
fehlende Pflichtleistung für zahnärztliche Behandlungen nicht gefährdet
werden soll (Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: SBVR/Soziale
Sicherheit, 2. Aufl., Rz. 437 S. 545). Eine im Rahmen von Art. 19 KLV
notwendig werdende zahnärztliche Versorgung kann darum unter Umständen
bedeuten, dass ein mehr oder weniger desolates Gebiss, das ohnehin
zahnärztlich hätte versorgt werden müssen, zu Lasten der sozialen
Krankenversicherung saniert wird. Das Krankenversicherungsgesetz kennt
diesbezüglich keine Vorteilsanrechnung. Diese Ausnahme vom Grundsatz, dass
die Krankenversicherung für die zahnärztliche Behandlung vermeidbarer
Kausystemerkrankungen nicht aufkommt, wird indessen im Interesse der
sachgerechten Behandlung der schweren Allgemeinerkrankung in Kauf genommen.
Es liegt ein mit dem so genannten Behandlungskomplex vergleichbarer
Sachverhalt vor (Gebhard Eugster, a.a.O., Rz. 438 S. 545 mit Hinweis auf Rz.
635 S. 610). Dagegen rechtfertigt es sich nicht, die zahnärztliche
Behandlung, die erst nach Durchführung der Eingriffe oder Therapien gemäss
Art. 19 lit. a-c KLV aufgetreten sind und mit einer guten Mund- und
Zahnhygiene vermeidbar gewesen wären, als Pflichtleistungen zu qualifizieren
(Gebhard Eugster, a.a.O., Rz. 439 S. 545 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung
in Rz. 440 und 441 S. 545 f.).
4.3 Da unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer im Anschluss an die
Nierentransplantation im Februar 2003 sich trotz dauermedikamentöser
Immunsuppression während gut zweier Jahre nicht mehr in zahnärztliche
Behandlung begab, bis 2005 die Situation so weit fortgeschritten war, dass
die hier streitigen Vorkehrungen erforderlich geworden sind, ist die
Vorinstanz zu Recht zum Schluss gekommen, dass offensichtlich keine
kassenpflichtige Behandlung erfolgte, soweit es um die Überkronungen und die
Unterkieferprothese geht. Auch in formeller Hinsicht ist das beweisrechtliche
Vorgehen des kantonalen Gerichts nicht zu beanstanden, darf doch praxisgemäss
auf die Angaben des Versicherungsarztes abgestellt werden, wenn er - wie hier
der Fall - auf Grund einer sachverständigen Würdigung der medizinischen Akten
(namentlich auch der Angaben der behandelnden Ärzte) zu klaren und
schlüssigen Resultaten kommt (vgl. statt vieler BGE 125 V 351 E.3b/ee S.
353).

5.
Dem Prozessausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Februar 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz