Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 688/2007
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9C_688/2007

Urteil vom 22. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

M.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard
Zollinger, Rämistrasse 5,      8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene M.________ leidet an Polyarthritis. Im April 2001 meldete
sie sich bei der Invalidenversicherung zum Bezug einer Rente an. Nach
Abklärungen lehnte die IV-Stelle des Kantons Aargau mit Verfügung vom 6.
Januar 2003 und Einspracheentscheid vom 4. Juni 2003 das Leistungsbegehren
ab. Im April 2004 stellte M.________ erneut ein Rentengesuch. Mit Verfügung
vom 4. Juni 2004 trat die IV-Stelle auf das Begehren nicht ein. Dagegen liess
die Versicherte Einsprache erheben, welche sie am 24. September 2004
zurückzog. Mit Entscheid vom 14. Oktober 2004 schrieb die IV-Stelle die
Einsprache zufolge Rückzug als gegenstandslos geworden ab. Mit als
Revisionsgesuch bezeichneter Eingabe vom 20. Dezember 2004 ersuchte
M.________ die Invalidenversicherung erneut um eine Rente, eventualiter
berufliche Massnahmen. Auf entsprechende Aufforderung hin reichte die
Versicherte unter anderem eine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung des
behandelnden Arztes vom 12. Januar 2005 ein. Mit Verfügung vom 31. Januar
2005 trat die IV-Stelle auf das Leistungsbegehren nicht ein, was sie mit
Einspracheentscheid vom 27. November 2006 unter Berücksichtigung eines
Berichts des behandelnden Arztes vom 22. März 2005 bestätigte.

B.
Die Beschwerde der M.________ wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 15. August 2007 ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 15. August 2007 sei aufzuheben und
es sei ihr eine Dreiviertelrente zuzusprechen; eventualiter sei der Fall zur
weiteren Abklärung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 4. Dezember 2007 hat die II. sozialrechtliche Abteilung des
Bundesgerichts das Gesuch von M.________ um unentgeltliche Rechtspflege
mangels Bedürftigkeit abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle zu Recht mangels einer im Sinne
von Art. 87 Abs. 3 IVV glaubhaft gemachten Verschlechterung des
Gesundheitszustandes nicht auf das dritte Rentengesuch vom 20. Dezember 2004
eintrat, was das kantonale Gericht bestätigt hat (vgl. BGE 116 V 264 E. 2a S.
266; SVR 2003 IV Nr. 25 S. 77 E. 3.2 [I 238/02]).

2.
2.1 Wurde eine Rente wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades verweigert,
wird eine neue Anmeldung nur geprüft, wenn die gesuchstellende Person
glaubhaft macht, dass sich der Grad der Invalidität in einer für den Anspruch
erheblichen Weise geändert hat (Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV). Ob eine im Sinne
dieser Bestimmungen erhebliche Tatsachenänderung eingetreten ist, beurteilt
sich durch Vergleich der Verhältnisse im Zeitpunkt der Neuanmeldung mit
denjenigen bei Erlass der letzten, auf einer materiellen Prüfung des
Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung
und Ermittlung des Invaliditätsgrades beruhenden Verfügung, allenfalls des
diese bestätigenden Einspracheentscheids (BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 75 ff.;
vgl. auch BGE 133 V 108). Vorliegend sind in zeitlicher Hinsicht somit die
mit Revisionsgesuch bezeichnete Anmeldung vom 20. Dezember 2004 sowie der
Einspracheentscheid vom 4. Juni 2003 massgebend. Das Rentengesuch vom 28.
April 2004 hatte die IV-Stelle nicht materiell behandelt und das Verfahren
durch Nichteintreten erledigt.

2.2 Unter Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV ist nicht der
Beweis nach dem im Sozialversicherungsrecht allgemein massgebenden Grad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Beweisanforderungen sind
vielmehr herabgesetzt, indem nicht im Sinne eines vollen Beweises die
Überzeugung der Verwaltung begründet zu werden braucht, dass seit der
letzten, rechtskräftigen Entscheidung tatsächlich eine relevante Änderung
eingetreten ist. Es genügt, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen
Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus
noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich
die behauptete Sachverhaltsänderung nicht erstellen lassen. Bei der Prüfung
der Frage, ob die Vorbringen der versicherten Person glaubhaft sind,
berücksichtigt die Verwaltung u.a., ob seit der rechtskräftigen Erledigung
des letzten Rentengesuchs lediglich kurze oder schon längere Zeit vergangen
ist; je nachdem sind an die Glaubhaftmachung einer Änderung des
rechtserheblichen Sachverhalts höhere oder weniger hohe Anforderungen zu
stellen (SVR 2003 IV Nr. 25     S. 77 E. 2.2, 2002 IV Nr. 10 S. 26 E. 1c/aa
[in BGE 127 V 294 nicht publiziert]; Urteile I 460/01 vom 18. Februar 2003 E.
4.1 und I 172/98 vom 3. November 1998 E. 3).

2.3 Bei der Glaubhaftmachung (einer Tatsachenänderung im massgeblichen
Vergleichszeitraum) als Beweismass geht es um eine frei überprüfbare
Rechtsfrage. Ob der erforderliche Beweisgrad erreicht ist, stellt dagegen
eine Tatfrage dar (vgl. BGE 122 III 219 E. 3b S. 222). Diesbezügliche
Feststellungen des kantonalen Gerichts sind für das Bundesgericht
verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG). Die Beschwerde führende Partei kann derart rechtsfehlerhafte
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz rügen, wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Dabei kann sie sich grundsätzlich aber nicht darauf beschränken, den
bestrittenen Feststellungen des kantonalen Gerichts den nach ihrer Auffassung
richtigen Sachverhalt gegenüberzustellen oder ihre eigene Beweiswürdigung zu
erläutern. Vielmehr muss sie hinreichend genau angeben, inwiefern die
vorinstanzlichen Feststellungen rechtswidrig oder mit einem klaren Mangel
behaftet sind. Eine diesen Anforderungen nicht genügende Kritik ist
unzulässig (Urteil 4A_28/2007 vom 30. Mai 2007 E. 1.3 [in BGE 133 III 421
nicht publiziert]).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, die von der Versicherten auf
entsprechende Aufforderung der IV-Stelle produzierten Unterlagen vermöchten
keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen. Das
Zeugnis des behandelnden Arztes vom 12. Januar 2005, wonach eine
Arbeitsunfähigkeit von 80 % seit 15. Juni 2004 bestehe, enthalte nicht einmal
eine Diagnose. Im ebenfalls eingereichten Überweisungsschreiben desselben
Arztes vom 25. August 2003 an das Kantonsspital X.________ werde, wie bereits
in den Arztberichten vom 26. Juni 2002 und 6. Juli 2001 eine chronische
Polyarthritis diagnostiziert. Es werde zwar angegeben, die Schmerzen seien in
den letzten Jahren zunehmend. Gleichzeitig weise der behandelnde Arzt aber
darauf hin, die Versicherte sei nach wie vor drei bis vier Stunden im Tag
erwerbstätig, was bereits früher der Fall gewesen sei und auch
Berechnungsbasis für den Einspracheentscheid vom 4. Juni 2003 gebildet habe.

3.2 In der Beschwerde wird nicht dargelegt, inwiefern die vorinstanzlichen
Tatsachenfeststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Verletzung insbesondere von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) beruhen. Es wird
einzig geltend gemacht, aufgrund der Bescheinigung vom 12. Januar 2005 einer
Arbeitsunfähigkeit von 100 % (recte: 80 %) durch den behandelnden Arzt sei
offensichtlich eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber den
früheren, eine rentenerhebliche Erwerbsunfähigkeit verneinenden Verfügungen
der Invalidenversicherung eingetreten. Anders sei vollständige
Arbeitsunfähigkeit kaum zu erklären. Damit würdigt aber die
Beschwerdeführerin die Beweise lediglich anders und zieht daraus andere
Schlüsse als die Vorinstanz, was eine unzulässige appellatorische Kritik
darstellt (E. 2.3 in fine).

3.3 Fragen kann sich einzig, ob das kantonale Gericht in Bezug auf die
Glaubhaftmachung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes von einem
unrichtigen Beweismass im Sinne zu hoher Beweisanforderungen ausgegangen ist.
Die Beschwerdeführerin bejaht dies sinngemäss damit, beim behandelnden Arzt
handle es sich um einen in der Schweiz zugelassenen Arzt und dessen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 12. Januar 2005 datiere lange nach dem
früheren Fallabschluss durch die Invalidenversicherung.

3.3.1 Es trifft zu, dass seit der letzten materiellen Prüfung des Anspruchs
auf eine Invalidenrente (Einspracheentscheid vom 4. Juni 2003) und der
Neuanmeldung (Revisionsgesuch vom 20. Dezember 2004) beinahe 18 Monate
vergangen sind. Anders als bei der Prüfung einer glaubhaft gemachten
Sachverhaltsänderung ist indessen bei der Frage nach dem richtigen Beweismass
resp. den beweisrechtlichen Anforderungen an die Glaubhaftmachung auch die
spätere Nichteintretensverfügung vom 4. Juni 2004 zu berücksichtigen (Urteile
I 460/01 vom 18. Februar 2003 E. 4.1 und I 172/98 vom 3. November 1998 E. 3;
E. 2.2).
3.3.2 Die (zweite) Neuanmeldung vom 20. Dezember 2004 erfolgte 5½ Monate nach
der Nichteintretensverfügung vom 4. Juni 2004 und sogar lediglich drei Monate
nach dem Rückzug der dagegen erhobenen Einsprache am 24. September 2004.
Unter diesen Umständen durfte das kantonale Gericht durchaus etwas höhere
Anforderungen an die Glaubhaftmachung neuer Tatsachen stellen, welchen die
von der Versicherten eingereichten Unterlagen, insbesondere die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes nicht genügten.

Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer i.V. Nussbaumer