Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 67/2007
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9C_67/2007

Urteil vom 28. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Borella, Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,

gegen

G.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch B.________,

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 21. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1950 geborene G.________ meldete sich am 20. Juli 2004 erneut bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem ein im Jahre 2000
gestelltes Gesuch um Ausrichtung einer Rente der Invalidenversicherung
abgewiesen worden war (letztinstanzlich bestätigt mit Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts I 564/04 vom 14. April 2005). Die IV-Stelle des Kantons
Solothurn informierte G.________ mit Schreiben vom 15. Dezember 2005, dass
eine medizinische Abklärung bei Dr. med. L.________, Facharzt FMH für
Rheumaerkrankungen, vorgesehen sei. Mit Schreiben vom 9. Januar 2006 liess
die Versicherte der IV-Stelle mitteilen, sie sei mit dem vorgesehenen
Gutachter nicht einverstanden, einerseits weil sie nicht an
rheumatologischen, sondern orthopädischen Krankheiten leide, anderseits mit
der Begründung, Dr. med. L.________ sei aufgrund des Ausmasses, in welchem
die IV-Stelle ihm Gutachten erteile, nicht mehr unabhängig. Mit Verfügung vom
18. Januar 2006 hielt die IV-Stelle an einer Begutachtung durch Dr. med.
L.________ fest.

B.
Beschwerdeweise liess G.________ beantragen, die Begutachtung sei von einem
Facharzt FMH für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des
Bewegungsapparates durchzuführen; sie rügte erneut die fehlende fachliche
Zuständigkeit und Unabhängigkeit des Dr. med. L.________.

Mit Verfügung vom 21. Februar 2007 forderte das angerufene
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die IV-Stelle auf, bis 6. März
2007 offenzulegen, wie viele Gutachten und Arztberichte die IV-Stelle Dr.
med. L.________ im Jahr 2006 in Auftrag gegeben und welches Honorar dieser
hierfür gesamthaft bezogen habe.

C.
Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag, die Verfügung vom 21. Februar 2007 sei aufzuheben und es sei
festzustellen, dass aufgrund der Zahl der an einen Gutachter erteilten
Aufträge und des daraus resultierenden Honorarvolumens keine Befangenheit
angenommen werden könne.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen und Dr. med. L.________ schliessen
sich den Begehren in der Beschwerde an, während G.________ die Abweisung des
Rechtsmittels beantragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die angefochtene Verfügung ist ein Zwischenentscheid. Mit der bei der
Vorinstanz eingereichten Beschwerde hat die Versicherte gegen Dr. med.
L.________ ein Ausstandsbegehren gestellt. Die angefochtene Verfügung erging
zwar im Rahmen der Beurteilung dieses Ausstandsbegehrens; sie entscheidet
aber nicht darüber, sondern ist bloss eine prozessleitende Verfügung mit dem
Ziel, Unterlagen zu beschaffen, um über den Ausstand entscheiden zu können.
Es handelt sich daher nicht um einen Entscheid über das Ausstandsbegehren im
Sinne von Art. 92 Abs. 1 BGG, der in jedem Fall selbstständig angefochten
werden könnte, sondern um einen anderen Zwischenentscheid, der nur unter den
Voraussetzungen von Art. 93 BGG anfechtbar ist.

1.2 Nach Art. 93 Abs. 1 BGG ist gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und
Zwischenentscheide die Beschwerde zulässig, wenn sie einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung
der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen
bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
ersparen würde (lit. b). Eine Gutheissung der Beschwerde würde hier zwar
nicht einen Endentscheid in der Sache (Berechtigung zu Leistungen der
Invalidenversicherung) herbeiführen, wohl aber einen endgültigen
Zwischenentscheid über eine Frage (Ausstand) präjudizieren, bezüglich welcher
in jedem Fall eine selbstständige Beschwerde ans Bundesgericht möglich wäre
(Art. 92 BGG). Da Haupt- und Zwischenverfahren hier in einem ganz speziellen
und engen Zusammenhang stehen, kann in analoger Anwendung von Art. 93 Abs. 1
lit. b BGG auf das Rechtsmittel eingetreten werden.

2.
2.1 Thema eines Ablehnungsgesuchs, welches zu einem selbstständig anfechtbaren
Entscheid im Sinne von Art. 92 BGG führt, können nur formelle Ausstandsgründe
(Art. 10 VwVG; Art. 36 ATSG) bilden. Bedenken materieller Natur gegen die
Fachkompetenz des in Aussicht genommenen Gutachters können nicht Gegenstand
eines Ablehnungsgesuchs sein, sondern sind allenfalls im Rahmen der
materiellen Würdigung des Gutachtens vorzubringen (BGE 132 V 93 E. 6.5
S. 108 f.). Thema der Verfügung der IV-Stelle vom 18. Januar 2006 und damit
auch Streitgegenstand im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren konnte und kann
daher nur die Frage sein, ob gegen den vorgesehenen Gutachter Ausstandsgründe
im Sinne von Art. 36 ATSG vorliegen.

2.2 Die Ausstandsgründe nach Art. 36 ATSG stimmen mit denjenigen nach Art. 10
VwVG überein (SVR 2007 IV Nr. 22 S. 77 E. 2.2.3, I 478/04). Dazu gehören ein
persönliches Interesse an der zu beurteilenden Sache, aber auch die enge
verwandtschaftliche oder freundschaftliche Verbundenheit mit einer Partei
oder andere Gründe von ähnlichem Gewicht (Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich
2003, N 3 und 6 zu Art. 36).

2.3 Die Versicherte hat in ihrer Beschwerde vom 22. Februar 2006
Dr. med. L.________ einerseits wegen mangelnder Fachkompetenz für das von ihr
beklagte Leiden abgelehnt, was nach dem Gesagten nicht Gegenstand eines
Ablehnungsgesuchs bilden kann. Andererseits hat sie vorgebracht, die Anzahl
der von der IV-Stelle bei Dr. med. L.________ in Auftrag gegebenen Gutachten
und Arztberichte sowie das daraus resultierende Honorarvolumen bewegten sich
in einer Höhe, dass von einer Unabhängigkeit des Experten im Sinne von
Art. 44 ATSG nicht mehr ausgegangen werden könne. Sie nimmt dabei
offensichtlich an, dass ein Gutachter, der einen erheblichen Teil seines
Einkommens mit der Erstellung von Gutachten und Arztberichten für die
IV-Stelle erzielt, dadurch befangen sei. Dies ist offenbar auch die Meinung
der Vorinstanz, wäre doch andernfalls die Zahl der Gutachten und Arztberichte
sowie das hierfür gesamthaft bezogene Honorar für die Beurteilung des
Ablehnungsgesuchs unerheblich.

2.4 Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Umstand, dass ein Arzt
wiederholt von einem Sozialversicherungsträger als Gutachter beigezogen wird,
für sich allein keinen Ausstandsgrund dar (RKUV 2001 Nr. KV 189 S. 490 E. 5b,
K 6/01, 1999 Nr. U 332 S. 193 E. 2a/bb; Urteile I 371/05 vom 1. September
2006, E. 5.3.2, I 415/05 vom 29. September 2005, E. 2, I 40/02 vom 22. Januar
2003, E. 3.2, und I 218/00 vom 14. Juni 2000, E. 4b). Daran ist trotz
gelegentlich in Rechtsschriften und in der Literatur vorgebrachter Kritik,
wer dem Versicherungsträger wirtschaftlich nahe stehe, könne nicht
unparteiisch sein (Alfred Bühler, Versicherungsinterne Gutachten und
Privatgutachten, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Rechtsfragen der
medizinischen Begutachtung in der Sozialversicherung, St. Gallen 1997, S. 179
ff., 220 f.; Leo R. Gehrer, Zur Erhebung und Würdigung medizinischer
Entscheidungsgrundlagen im Sozialversicherungsrecht, SJZ 2000 S. 461 ff.,
462 f.), festzuhalten.
Wenn angestellte Ärzte, die wirtschaftlich vollständig von ihrem Arbeitgeber
abhängig sind, nicht allein aus diesem Grund als befangen abgelehnt werden
können (BGE 132 V 376 E. 6.2 S. 382, 123 V 175 E. 4b S. 179, 122 V 157 E. 1c
S. 161 f.), vermag aus dem gleichen Grund auch eine ausgedehnte
Gutachtertätigkeit für die Verwaltung keine Befangenheit im Sinne von Art. 36
ATSG zu begründen, selbst dann nicht, wenn der betreffende Gutachter sein
Einkommen vollständig durch Gutachtensaufträge der Invalidenversicherung
erzielen sollte. Die Bestimmung des Art. 58 BZP gilt gemäss Art. 19 VwVG in
Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG im Verwaltungsverfahren nur "sinngemäss"
(BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 353), was erlaubt, den systembedingten
Unterschieden zwischen Verwaltungs- und Gerichtsgutachten Rechnung zu tragen
(BGE 123 V 331 E. 1b S. 332 f.). Verlangt wird auch vom Verwaltungsgutachter
eine fachlich-inhaltliche Weisungsunabhängigkeit im Einzelfall, die aber
nicht allein deswegen verneint werden kann, weil die begutachtenden Personen
in einem Anstellungsverhältnis zum Versicherungsträger stehen (BGE 132 V 376
E. 6.2 S. 382, 123 V 175 E. 4b S. 179, 122 V 157 E. 1c S. 161 f.). Umso
weniger ist ein externer Arzt allein schon deshalb befangen, weil er von
einem Versicherungsträger wiederholt als Gutachter beigezogen wird. Die von
der Vorinstanz angeordnete Beweismassnahme betrifft daher einen Aspekt, der
für die Beurteilung des Ablehnungsgesuchs von vornherein nicht erheblich sein
kann (Urteil I 885/06 vom 20. Juni 2007, E. 5.2.1).

3.
Die unterliegende Beschwerdegegnerin trägt die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die obsiegende Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung
(Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 21. Februar 2007 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, dem Bundesamt für
Sozialversicherungen und Dr. med. L.________ zugestellt.

Luzern, 28. August 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: