Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 674/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_674/2007

Urteil vom 8. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Ettlin.

Parteien
L.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter F.
Siegen, Dynamostrasse 2, 5400 Baden,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 30. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1934 geborene L.________ meldete sich am 8. Dezember 2001 bei der
Ausgleichskasse des Kantons Zürich zum Bezug einer AHV-Altersrente an. Mit
Verfügung vom 25. Januar 2002 sprach die Ausgleichskasse rückwirkend ab dem 1.
Dezember 1996 eine ausserordentliche AHV-Rente zu. Bereits am 24. Juli 2002 hob
sie diese jedoch verfügungsweise auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns wieder auf
und sie ordnete die Rückerstattung der Rentenzahlungen in der Höhe von Fr.
68'540.- an. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die von
L.________ eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 2. Juli 2003 im Sinne der
Erwägungen gut und wies die Sache unter Aufhebung der Verfügung vom 24. Juli
2002 zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Verwaltung zurück.

Die Ausgleichskasse verfügte am 15. April 2004 erneut die Rentenaufhebung per
1. Dezember 1996 sowie die Rückforderung des Rentenbetrages von Fr. 68'540.-.
In teilweiser Gutheissung der Einsprache reduzierte sie mit Entscheid vom 12.
September 2005 den Rückforderungsbetrag auf Fr. 61'600.-.

B.
L.________ liess hiegegen Beschwerde erheben, welche das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Juli 2007
abwies.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt L.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei sie von der
Pflicht zu entbinden, die Renten zurückzuerstatten.

Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

D.
Mit Verfügung vom 26. November 2007 erteilte der Instruktionsrichter der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Laut Art. 82 Abs. 1 Satz 1 ATSG sind materielle Bestimmungen dieses
Gesetzes auf die beim Inkrafttreten laufenden Leistungen und festgesetzten
Forderungen nicht anwendbar. Die Nichtanwendbarkeit gilt auch dann, wenn sich
der zu den Rechtsfolgen führende Sachverhalt vor dem 1. Januar 2003
verwirklicht hat (RKUV 2005 Nr. U 536 S. 58; BGE 127 V 466 E. 1 S. 467; vgl.
auch BGE 129 V 1 E. 1.2 S. 4 mit Hinweisen).

2.2 In der hier zu beurteilenden Sache sind sämtliche Rentenzahlungen vor der
Inkraftsetzung des ATSG erfolgt. Darüber hinaus hat die Ausgleichskasse vor dem
1. Januar 2003 festgestellt, die ausserordentliche Altersrente sei zu Unrecht
zugesprochen worden. Dies hat sie der Versicherten erstmals am 24. Juli 2002
mitgeteilt. Der zu den Rechtsfolgen führende Sachverhalt ist somit vor dem 1.
Januar 2003 eingetreten und die materiellen Bestimmungen des ATSG sind nicht
anwendbar. Davon abgesehen würde eine Anwendung des ATSG zu keiner abweichenden
Beurteilung führen, da sich die Rechtslage zur Rückerstattung unrechtmässig
bezogener Leistungen weder materiell- (Art. 25 ATSG) noch rückkommens- (Art. 53
Abs. 1 oder Abs. 2 ATSG) noch vertrauensschutzrechtlich (Art. 9 BV) verändert
hat.

3.
Unstrittig ist, dass aufgrund der materiellen Rechtslage kein Anspruch auf eine
ausserordentliche Altersrente besteht und eine Wiedererwägung zufolge
zweifelloser Unrichtigkeit und erheblicher Bedeutung der Berichtigung (Art. 53
Abs. 2 ATSG) zulässig war. Streitig und zu prüfen ist, ob der
Rückerstattungspflicht der Vertrauensgrundsatz entgegensteht.

4.
Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen richtig dargelegt, unter denen der
Vertrauensgrundsatz ausnahmsweise eine vom materiellen Recht abweichende
Behandlung des Rechtssuchenden gebietet (vgl. BGE 127 I 31 E. 3a S. 36, 126 II
377 E. 3a S. 387; RKUV 2001 Nr. KV 171 S. 281 E. 3b, 2000 Nr. KV 126 S. 223,
Nr. KV 133 S. 291 E. 2a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende
Rechtsprechung: BGE 121 V 65 E. 2a S. 66 mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen
werden.

5.
Als Frage des Bundesrechts frei zu prüfen ist einzig, ob die nicht ohne
Nachteil rückgängig zu machende Disposition bejaht werden kann.

5.1 Die Beschwerdeführerin geht mit der Vorinstanz einig, dass es sich bei der
blossen Verwendung zu Unrecht erhaltener Rentenleistungen um keine Disposition
handelt, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden kann. Sie wendet
jedoch ein, auf die Anwendung dieses Vertrauensschutzerfordernisses sei zu
verzichten. Darin ist ihr nicht zu folgen. In aller Regel sind nämlich bei der
verfügungsweisen Zusprechung nicht geschuldeter Versicherungsleistungen die
restlichen vier vertrauensbildenden Voraussetzungen erfüllt, und der Verzicht
auf das erwähnte Erfordernis hätte zur Folge, dass die vom materiellen Recht
abweichende Behandlung der Regelfall wäre. Nachdem eine erfolgreiche Anrufung
des Vertrauensgrundsatzes in einem Spannungsverhältnis zum Gebot der
rechtsgleichen und zutreffenden Gesetzesanwendung, wie es in den materiellen
Rückerstattungsnormen seinen Niederschlag gefunden hat, steht (vgl. BGE 116 V
298 E. 4c S. 301; Meyer-Blaser, Die Rückerstattung von
Sozialversicherungsleistungen, ZBJV 131/1995, S. 473 ff., 499 f.), muss eine
auf den Grundsatz von Treu und Glauben abgestützte und vom materiellen Recht
abweichende Behandlung die Ausnahme bleiben. Es besteht daher kein Anlass, von
der bisherigen Rechtsprechung abzurücken. Von vornherein unbegründet ist die
Rüge, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör verletzt, indem sie das
Festhalten am Erfordernis der nicht ohne Nachteil rückgängig zu machenden
Disposition bloss mit einem Hinweis auf die Rechtsprechung begründet habe. Vom
kantonalen Gericht konnten schon deshalb keine weitergehenden Ausführungen
erwartet werden, da es die Beschwerdeführerin genügen liess, ihre
Rechtsauffassung mit Hinweisen auf frühere Rechtsschriften, eine
Literaturstelle sowie ein Urteil zu begründen, in welchem das Eidg.
Versicherungsgericht sämtliche fünf Vertrauenserfordernisse bejaht hat (Urteil
B 59/01 vom 24. Oktober 2003).

5.2 In einem Eventualstandpunkt bringt die Beschwerdeführerin vor, sie habe die
erhaltenen Rentenleistungen für den Einbau einer luxuriösen Küche verwendet.
Dabei handle es sich nicht um eine Investition, welche Einfluss auf den
Wiederverkaufswert der Liegenschaft habe, weshalb von einer Disposition
auszugehen sei, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden könne. Diesem
Einwand ist zunächst entgegen zu halten, dass der Einbau einer Luxusküche den
Wert einer Liegenschaft erhöht. Davon abgesehen kennt die Rechtsprechung in
diesem Zusammenhang die sinngemäss vorgenommene Unterscheidung zwischen
wertvermehrenden und -erhaltenden Investitionen sowie gewöhnlichen Ausgaben
nicht. Im Kauf einer Küche ist demzufolge eine blosse Geldmittelverwendung zu
erblicken und gerade keine Disposition, welche nicht ohne Nachteil wieder
rückgängig gemacht werden kann. Insofern die Beschwerdeführerin geltend macht,
als Folge der Rentenzusprechung habe sie es unterlassen, ihr künstlerisches
Schaffen weiter zu kommerzialisieren, ist nicht ersichtlich, aus welchen
Gründen diese behauptete Disposition nicht ohne Nachteil hätte rückgängig
gemacht werden können. Ein Nachteil wird denn auch nicht nachgewiesen. Im
Übrigen ist auf die überzeugenden und schlüssigen Ausführungen der Vorinstanz
zu verweisen.

5.3 Die Beschwerdeführerin unterliegt im Lichte des Dargelegten den
gesetzlichen Regeln über die Rückerstattung zu Unrecht erbrachter
Versicherungsleistungen und sie kommt nicht in den Genuss einer - auf den
Vertrauensgrundsatz abgestützten - davon abweichenden Behandlung. Die
Beschwerde ist unbegründet.

6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. a, Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. April 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Ettlin