Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 669/2007
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9C_669/2007

Urteil vom 13. November 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

N. ________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan
Galligani, Ruederstrasse 8, 5040 Schöftland,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 15. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 7. Dezember 2005 lehnte die IV-Stelle des Kantons Aargau
den Anspruch der 1967 geborenen N.________ auf eine Invalidenrente ab, woran
sie mit Einspracheentscheid vom 29. Dezember 2006 festhielt.

B.
Auf die hiegegen am 12. Februar 2007 eingereichte Beschwerde trat das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau zufolge Fristversäumnisses nicht ein
(Entscheid vom 15. August 2007).

C.
N.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die
Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es über die Beschwerde
vom 12. Februar 2007 materiell entscheide.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zufolge Fristversäumnisses zu
Recht nicht auf die am 12. Februar 2007 eingereichte Beschwerde eingetreten
ist.

2.
2.1 Es steht fest, dass der Einspracheentscheid der Beschwerdeführerin am 3.
Januar 2007 zugestellt wurde. Die 30-tägige Beschwerdefrist begann demnach am
4. Januar 2007 zu laufen und endete gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG am 2. Februar
2007 mit der Folge, dass die am 12. Februar 2007 der Post übergebene
Beschwerde verspätet eingereicht wurde.
Die Versicherte macht geltend, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben sei
für die Fristberechnung das kantonale Prozessrecht massgebend; laut dessen
Bestimmungen zum Fristenstillstand sei die Beschwerdefrist gewahrt worden.

2.2 Im angefochtenen Entscheid wurde geprüft, ob die Beschwerdeführerin sich
auf Grund des Schreibens des kantonalen Versicherungsgerichts an den
Aargauischen Anwaltsverband vom 30. Januar 2006, worin festgehalten wurde,
dass bis längstens Ende 2007 mit Bezug auf den Fristenstillstand kantonales
Recht gelte, mit Erfolg auf den Vertrauensschutz (BGE 127 I 31 E. 3a S. 36;
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 113/06 vom 8. Mai 2006; vergleiche
BGE 127 I 31 E. 3a S. 36) berufen könne. Die Vorinstanz hat diese Frage
jedoch verneint. In der Begründung wies sie auf das Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts vom 8. März 2006 (BGE 132 V 361) hin, wonach u.a. im
Bereich der Invalidenversicherung die Fristbestimmungen des Art. 38 ATSG zur
Anwendung kommen und kein Raum für kantonales Recht verbleibt. Heft 6 von BGE
132 V, welches dieses Urteil enthält, sei bereits am 16. Januar 2007 und
damit vor Einreichung der Beschwerde erschienen. Überdies sei die
Inhaltsangabe des Urteils vom 8. März 2006 bereits im Oktober in SVR 2006,
Heft 10, IV Nr. 44, publiziert worden. Noch früher sei der
Bundesgerichtsentscheid auf Internet abrufbar gewesen. Schliesslich sei der
Einspracheentscheid vom 29. Dezember 2006 mit einer hinsichtlich des
Fristenstillstands korrekten Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen. Unter
diesen Umständen falle eine Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben
ausser Betracht.

2.3 Diesen Erwägungen ist vollumfänglich beizupflichten. Zwar trifft es zu,
dass der Vertrauensschutz auch und erst recht gilt, wenn eine richterliche
Behörde eine unrichtige Auskunft erteilt (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts U 113/06 vom 8. Mai 2006). Eine derartige falsche
Auskunft könnte im vorliegenden Fall im Brief des kantonalen
Versicherungsgerichts vom 30. Januar 2006 an den Aargauischen Anwaltsverband
erblickt werden, worin auf drei Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts vom
26. August 2005 (BGE 131 V 305, 314, 325) betreffend vorläufige Weitergeltung
der kantonalen Fristenstillstandsregeln sowie darauf hingewiesen wurde, dass
bis Ende 2007 demzufolge weiterhin die Fristenstillstandsbestimmungen gemäss
§ 89 f. der kantonalen Zivilprozessordnung zu beachten seien. Anders als in
dem, dem Urteil U 113/06 des Eidg. Versicherungsgerichts vom 8. Mai 2006 zu
Grunde liegenden Sachverhalt, wo die massgebenden Grundsatzentscheide vom 26.
August 2005 erst mehrere Monate nach Aufgabe der Beschwerde am 10. Mai 2005
ergangen waren, lag das im vorliegenden Fall bedeutsame Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts vom 8. März 2006 (BGE 132 V 361) längst vor, als die
Versicherte am 12. Februar 2007 ihre Beschwerde einreichte. Zudem war der
Entscheid vom 8. März 2006 in der Amtlichen Sammlung (BGE 132 V 361) vor
Einreichung der Beschwerde publiziert, wie die Vorinstanz richtig bemerkt.
Diese hat des Weiteren zu Recht auf zusätzliche Möglichkeiten hingewiesen,
die es dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin erlaubt hätten, dieses
Urteil zu konsultieren. Entscheidend ist jedoch, dass der Einspracheentscheid
der IV-Stelle vom 29. Dezember 2006 eine korrekte Rechtsmittelbelehrung
enthielt, welche auf die bundesrechtlichen Fristenstillstandsbestimmungen
gemäss Art. 38 ATSG hinwies. Davon abzuweichen bestand im Übrigen umso
weniger Anlass, als gemäss einem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art.
9 BV) fliessenden, in Art. 49 BGG ausdrücklich verankerten Grundsatz des
öffentlichen Prozessrechts den Parteien aus einer fehlerhaften behördlichen
Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf (BGE 131 I 153 E. 4 S.
158, 124 I 255 E. 1a aa S. 258). Somit konnte sich die Beschwerdeführerin auf
die Rechtsmittelbelehrung der Verwaltung verlassen, ohne nachteilige Folgen
einer falschen Fristangabe gewärtigen zu müssen.

2.4 Mit Blick auf die zutreffende Rechtsmittelbelehrung im
Einspracheentscheid und den zeitlichen Ablauf (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts vom 8. März 2006; Beschwerde vom 12. Februar 2007) kann
im Schreiben der Vorinstanz an den kantonalen Anwaltsverband vom 30. Januar
2006 keine Grundlage für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz
erblickt werden, woran sämtliche Ausführungen in der Beschwerde nichts zu
verändern mögen.

3.
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

4.
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren nach
Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG, insbesondere ohne Durchführung eines
Schriftenwechsels, erledigt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. November 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Widmer R.