Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 613/2007
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9C_613/2007

Urteil vom 23. Oktober 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

B. ________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Claudia
Eugster, Rämistrasse 3, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 3. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 18. August 1999 sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau
der 1969 geborenen B.________ für die Zeit vom 1. Juni 1994 bis 30. April
1995 eine halbe Rente und ab 1. Mai 1995 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung (Invaliditätsgrad: 68 %) samt Kinderrenten zu. Im Juli
2004 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein. Nach Abklärungen
setzte sie mit Verfügung vom 25. November 2005 die ganze Rente zum 1. Januar
2006 auf eine Dreiviertelsrente (Invaliditätsgrad: 68 %) herab, was sie mit
Einspracheentscheid vom 15. Februar 2007 bestätigte.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde der B.________ hob das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Einspracheentscheid auf und wies
die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie im Sinne der Erwägungen weitere
Abklärungen treffe und alsdann neu verfüge (Entscheid vom 3. Juli 2007).

C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit den Rechtsbegehren, der Entscheid vom 3. Juli 2007 sei aufzuheben und die
Sache sei zum weiteren Vorgehen im Sinne der nachstehenden Ausführungen an
das kantonale Gericht zurückzuweisen; eventualiter sei festzustellen, dass
sie weiterhin Anspruch auf eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung
habe.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid handelt es um einen - selbständig
eröffneten - Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (zur
Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil 9C_15/2007 vom 25.
Juli 2007 E. 4.2). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit u.a. -
alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen
würde (Abs. 1 lit. b).

2.
2.1 Ein im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht wieder gutzumachender
Nachteil ist gegeben, wenn er auch mit einem für die Beschwerde führende
Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich behoben werden kann
(Urteile 9C_301/2007 vom 28. September 2007 E. 2.1, 4A_85/2007 vom 11. Juni
2007 E. 3.1 und 4A_92/2007 vom 8. Juni 2007 E. 2). Die Rückweisung der Sache
an die IV-Stelle zu weiterer oder ergänzender Abklärung und neuer
Entscheidung stellt lediglich insoweit einen solchen Nachteil für die
Verwaltung dar, als diese durch materielle Vorgaben wesentlich in ihrem
Beurteilungsspielraum eingeschränkt wird und davon in der Folge nicht mehr
abgewichen werden kann (erwähntes Urteil 9C_15/2007 vom 25. Juli 2007 E.
5.2). Dies trifft u.a. zu, wenn das kantonale Gericht abweichend von der
IV-Stelle eine andere Invaliditätsbemessungsmethode für anwendbar erklärt
(vgl. zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil I 126/07
vom 6. August 2007 E. 1.2). Hingegen stellt die Verpflichtung der IV-Stelle
zur Vornahme weiterer oder ergänzender Abklärungen und neuer Entscheidung
durch das kantonale Gericht keinen im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
nicht wieder gutzumachenden Nachteil dar. Dies gilt, selbst wenn die
vorinstanzliche Feststellung, der rechtserhebliche Sachverhalt sei ungenügend
abgeklärt, offensichtlich unrichtig wäre oder auf einer qualifiziert
unrichtigen oder sogar willkürlichen Beweiswürdigung beruhte (Urteil
9C_301/2007 vom 28. September 2007 E. 2.2).
2.2 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin kann der angefochtene
Rückweisungsentscheid insofern einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im
Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken, als davon auszugehen sei, dass
die IV-Stelle eine Wiedererwägung der Verfügung vom 18. August 1999 vornehme.
Dagegen könnte zwar durchaus ein Rechtsmittel ergriffen werden, doch sei die
gerichtliche Überprüfung bei solchen Entscheiden zurückhaltend, indem etwa
die zeitliche Wirkung der Wiedererwägung regelmässig nicht geprüft werde.

2.2.1 Mit dem Anfechtungsgegenstand des kantonalen Verfahrens bildenden
Einspracheentscheid vom 15. Februar 2007 (SVR 2005 AHV Nr. 9 S. 31 E. 1.1.3
[H 53/04]) wurde in Bestätigung der Verfügung vom 25. November 2005 die seit
1. Mai 1995 laufende ganze Rente aufgrund eines - unveränderten -
Invaliditätsgrades von 68 % zum 1. Januar 2006 auf eine Dreiviertelsrente
herabgesetzt. Die Überprüfung der Rente erfolgte von Gesetzes wegen gestützt
auf lit. f der Schlussbestimmungen zur 4. IV-Revision vom 21. März 2003.
Dabei handelte es sich nicht um eine materielle Revision einer formell
rechtskräftig zugesprochenen Rente aufgrund einer seither eingetretenen,
anspruchserheblichen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach Art. 17
Abs. 1 ATSG (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349 ff.), sondern allein um eine
übergangsrechtlich begründete Anpassung der laufenden Renten an die mit der
4. IV-Revision eingeführte neue Rentenabstufung gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG
(Urteil I 462/06 vom 1. November 2006 E. 5). Streitgegenstand war somit die
Rente insgesamt, d.h. die Anspruchsberechtigung an sich, der Umfang des
Anspruchs sowie Beginn, Dauer und Höhe der Leistung (vgl. BGE 125 V 413 E. 2d
S. 417).

2.2.2 Obschon der Invaliditätsgrad von mindestens 68 % unbestritten war,
durfte die Vorinstanz - im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen - auch
prüfen, ob die von der IV-Stelle zugesprochene Dreiviertelsrente ab 1. Januar
2006 wegen zweifelloser Unrichtigkeit der ursprünglichen Verfügung vom 18.
August 1999 im wiedererwägungsrechtlichen Sinne (vgl. dazu BGE 127 V 14, 126
V 401 sowie SVR 2006 UV Nr. 17 S. 62 E. 5.2 und 5.3 [U 378/05]; ferner
Art. 53 Abs. 2 ATSG und BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52) herabzusetzen oder sogar
aufzuheben ist. Es wird zu Recht nicht geltend gemacht, dies stelle eine
Verletzung der Regel dar, wonach lediglich die Verwaltung eine Verfügung oder
einen Einspracheentscheid, die noch nicht Gegenstand richterlicher
Beurteilung gebildet haben, in Wiedererwägung ziehen darf (BGE 125 V 368 E.
3b S. 369). Abgesehen davon hat das kantonale Gericht die Verfügung vom 18.
August 1999, mit welcher der Beschwerdeführerin aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 68 % ab 1. Mai 1995 eine ganze Rente zugesprochen
worden war, lediglich insofern als zweifellos unrichtig bezeichnet, als es
die damalige Aktenlage für die Beurteilung des Rentenanspruchs als nicht
genügend erachtet hat. Insbesondere hat die Vorinstanz nicht festgestellt, es
habe überhaupt kein oder höchstens Anspruch auf eine halbe Rente bestanden.
Gegenteils hat das kantonale Gericht ausdrücklich festgehalten, die
Wiedererwägung sei Sache der IV-Stelle. Es stehe der Verwaltung frei,
revisionsweise - aufgrund aktuellster fachärztlicher Befunde - neu zu
verfügen und (je nach Ergebnis) dabei die ursprüngliche Verfügung in
Wiedererwägung zu ziehen. Damit ist auch der Rüge der Gehörsverletzung in dem
Sinne, dass die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit erhielt, zur Frage der
zweifellosen Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenzusprechung Stellung zu
nehmen, der Boden entzogen.

Die Zulässigkeitsvoraussetzung nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist somit nicht
erfüllt.

3.
3.1 Die alternative Zulässigkeitsvorschrift des 93 Abs. 1 lit. b BGG übernimmt
die Regelung von Art. 50 aOG (BBl 2001 4334). Der Normzweck dieser
Bestimmungen liegt nebst der Vermeidung unnötigen Verfahrensaufwandes darin
zu verhindern, dass sich das Bundesgericht mehrmals mit derselben Streitsache
zu befassen hat (BGE 131 III 404 E. 3.3 S. 407, 122 I 39 E. 1a/aa S. 41;
Urteil 5C.66/2003 vom 24. April 2003 E. 1.1; vgl. auch BGE 108 Ia 203 E. 1
S. 204). Die Beschwerde führende Partei hat grundsätzlich zu begründen, dass
sofort ein Endentscheid herbeigeführt und dadurch ein bedeutender Aufwand
erspart werden kann (Urteil 4A_109/2007 vom 30. Juli 2007 E. 2.4).
3.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, der vorinstanzliche
Rückweisungsentscheid führe unvermeidlicherweise zu einer Schlechterstellung
(reformatio in peius). Es sei offensichtlich, dass die IV-Stelle ge-stützt
auf die nunmehr feststehende zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen
Rentenzusprechung die Frage der Rentenanpassung unter diesem Gesichtspunkt
prüfen und vorbehältich einer Veränderung der massgeblichen Verhältnisse die
Rentenaufhebung verfügen werde. Es komme dazu, dass auch bei Annahme einer
Verschlechterung des Gesundheitszustandes eine Erhöhung der Dreiviertelsrente
auf eine ganze Rente nicht mehr in Frage komme. Wegen der zweifellosen
Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenzusprechung könne eine allfällige
Verschlechterung nur noch auf einem wesentlich tieferen Niveau eines
Invaliditätsgrades erfolgen, beispielsweise von 35 % auf 45 %. Werde ihr nach
hinreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs die Gelegenheit geboten, die
Beschwerde zurückzuziehen, werde sofort ein Endentscheid herbeigeführt, indem
der Einspracheentscheid in Rechtskraft erwachse. Dadurch würde das vom
kantonalen Gericht festgelegte aufwändige Beweisverfahren überflüssig.

3.3
3.3.1 Will das kantonale Versicherungsgericht einen Einspracheentscheid zu
Ungunsten der Beschwerde führenden Person ändern, hat es dieser Gelegenheit
zur Stellungnahme sowie zum Rückzug des Rechtsmittels zu geben (Art. 61 lit.
d ATSG). Ist diese Vorschrift verletzt worden, kann bei entsprechender
Willensäusserung im letztinstanzlichen Verfahren sofort ein Endentscheid
herbeigeführt werden in dem Sinne, dass in Gutheissung der Beschwerde der
angefochtene Entscheid aufgehoben und der Einspracheentscheid bestätigt
werden (BGE 122 V 166 E. 3 S. 168 und RKUV 2004 Nr. U 520 S. 444 E. 1
[U 202/03] sowie Urteil H 41/02 vom 19. August 2002 E. 2c), ohne dass es der
vorinstanzlich angeordneten Abklärungen noch bedürfte.

3.3.2 Die blosse Möglichkeit einer Schlechterstellung der Beschwerdeführerin
infolge Aufhebung des Einspracheentscheides und Rückweisung zu ergänzender
Sachverhaltsabklärung sowie neuer Verfügung an die IV-Stelle bedeutet keine
reformatio in peius im Sinne von Art. 61 lit. d ATSG. Das Verfahren wird
dadurch lediglich in den Zustand vor Erlass des Einspracheentscheides
zurückversetzt. Der Ausgang des weiteren Verfahrens ist völlig offen, und die
zu erlassende neue Verfügung ist in gleicher Weise anfechtbar, wie es die
erste war (ARV 1995 Nr. 23 S. 138 E. 3a mit Hinweisen; Urteil C 259/03 vom
13. Februar 2004 E. 2). Daran ändern entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin die Erwägungen im angefochtenen Entscheid zur Frage der
zweifellosen Unrichtigkeit der Verfügung vom 18. August 1999, mit welcher ihr
eine ganze Rente ab 1. Mai 1999 zugesprochen wurde, nichts. Ihnen kommt im
Sinne der Darlegungen in E. 2.2.2 hievor keine präjudizielle Bedeutung zu.
Die Vorinstanz war daher nicht verpflichtet, sie auf die beabsichtigte
Verfahrenserledigung aufmerksam zu machen und ihr Gelegenheit zum Rückzug der
Beschwerde gegen den Einspracheentscheid zu geben.

3.3.3 Nach dem Gesagten ist die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf
Stellungnahme zu einer (behaupteten) beabsichtigten Schlechterstellung mit
der Möglichkeit des Beschwerderückzugs unbegründet. Ein sofortiger
Endentscheid kann somit nicht herbeigeführt werden. Auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann daher auch aufgrund von Art. 93
Abs. 1 lit. b BGG nicht eingetreten werden.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der GastroSocial Ausgleichskasse, Aarau, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 23. Oktober 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: