Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 606/2007
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9C_606/2007

Urteil vom 31. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

R. ________, 1946, Beschwerdeführer,

gegen

Innova Krankenversicherung AG,
Bahnhofstrasse 4, 3073 Gümligen,
Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 13. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene R.________ musste sich im Januar 1993 einer
Herztransplantation unterziehen. Seither steht er unter immunsuppressiver
medikamentöser Behandlung. Er ist bei der Innova Krankenversicherung AG
(nachfolgend: Innova), obligatorisch krankenpflegeversichert. Am 10. Oktober
2003 stellte er ein Gesuch um Übernahme der Kosten einer geplanten
Zahnbehandlung bei Dr. med. dent. U.________ für die Wurzelbehandlung dreier
Zähne, die Extraktion zweier Zähne und das Anbringen zweier Brücken im
Gesamtbetrag von Fr. 11'797.85. Nach medizinischen Abklärungen und der
Beurteilung durch den Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent. B.________ lehnte die
Innova die Übernahme der Kosten mit Verfügung vom 15. Juni 2005 ab.
R.________ erhob Einsprache, worauf die Innova die Verfügung mit Schreiben
vom 15. August 2005 widerrief und weitere Abklärungen in Aussicht stellte.
Dabei gelangte sie wiederum zu einer abschlägigen Beurteilung und lehnte ihre
Leistungspflicht mit Verfügung vom 11. Januar 2006 und Einspracheentscheid
vom 13. Februar 2006 erneut ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 13. August 2007 ab.

C.
R.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt sinngemäss Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des
Einspracheentscheides vom 13. Februar 2006 sowie Verpflichtung der Innova zur
Übernahme der Kosten der Zahnsanierung; zudem sei ihm kostenlose
Prozessführung zu gewähren.
Innova und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2007 weist das Bundesgericht das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ab.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Es ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde zu
prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der
massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht
verletzt (Art. 95 BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 BGG; unrichtige oder unvollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin für die vom
Versicherten geltend gemachten Kosten der zahnärztlichen Behandlung
aufzukommen hat. Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen
Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG,
Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17
bis 19a KLV) sowie die diesbezügliche Rechtsprechung (auch zur Abgrenzung der
zahnärztlichen von der ärztlichen Behandlung im Sinne von Art. 25 Abs. 2
lit. a KVG) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Es ist ausgewiesen, dass der Beschwerdeführer an Wurzelkaries und
fortgeschrittener adulter Parodontitis litt. Er führt beides auf
Nebenwirkungen von Medikamenten im Rahmen der seit der Herztransplantation
1993 erforderlichen immunsuppressiven Dauerbehandlung zurück. Die kantonale
Instanz hält dem entgegen, dass auf Grund der Untersuchung des Zentrums für
Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität X.________ vom 27. März 2006
eine Oligosialie (verminderter Speichelfluss) oder eine Xerostomie
(Trockenheit der Mundschleimhaut) ausgeschlossen werden könnten, und darum
die Wurzelkaries keine direkte Nebenwirkung der Medikamentation
(Immunsuppressivum Ciclosporin) darstellte. Sie lässt offen, ob die
Parodontitis als "irreversible Nebenwirkung" im Sinne von Art. 17 lit. b
Ziff. 3 KLV zu qualifizieren sei, da sie zum Schluss kommt, dass diese
überwiegend wahrscheinlich nicht unvermeidbar gewesen ist.

4.
Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, löst Art. 31 Abs. 1 lit. a KVG in
Verbindung mit Art. 17 KLV nur bei nicht vermeidbaren Erkrankungen des
Kausystems Pflichtleistungen aus. Nicht die schwere Allgemeinerkrankung,
sondern die Kausystemerkrankung muss unvermeidbar gewesen sein. Dies geht aus
dem klaren Wortlaut des Gesetzes sowie der parlamentarischen Debatte über
Art. 31 KVG hervor, bei der die Mehrheit in den Räten die Auffassung vertrat,
dass vermeidbare Erkrankungen des Kausystems, wie Karies, generell nicht zu
den Pflichtleistungen der Krankenkassen gehören (vgl. Amtl.Bull. 1992 S 1301
f.; Amtl.Bull. 1993 N 1843 f.). Zudem ergeben auch Sinn und Zweck der
Verordnungsbestimmung, dass der Grund für die Zuordnung zu den
Pflichtleistungen darin zu sehen ist, dass die versicherte Person für die
Kosten der zahnärztlichen Behandlung dann nicht soll aufkommen müssen, wenn
sie an einer nicht vermeidbaren Erkrankung des Kausystems leidet, die durch
eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Dieser
Auslegung liegt somit der Gedanke zu Grunde, dass von einer versicherten
Person eine genügende Mundhygiene erwartet wird. Diese verlangt Anstrengungen
in Form täglicher Verrichtungen, namentlich die Reinigung der Zähne, die
Selbstkontrolle der Zähne, soweit dem Laien möglich, in Form des Ganges zum
Zahnarzt, wenn sich Auffälligkeiten am Kausystem zeigen, sowie in Form von
periodischen Kontrollen und Behandlungen durch den Zahnarzt (einschliesslich
einer periodischen professionellen Dentalhygiene). Sie richtet sich nach dem
jeweiligen Wissensstand der Zahnheilkunde. Was die Vermeidbarkeit anbelangt,
fällt darunter alles, was durch eine genügende Mund- und Zahnhygiene
vermieden werden könnte. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf eine
objektive Vermeidbarkeit der Kausystemerkrankung. Massgebend ist demzufolge,
ob beispielsweise Karies oder Parodontitis hätte vermieden werden können,
wenn die Mund- und Zahnhygiene genügend gewesen wäre, dies ohne Rücksicht
darauf, ob die versäumte Prophylaxe im Einzelfall als subjektiv entschuldbar
zu betrachten ist. Dazu gehört eine allgemein übliche genügende Mund- und
Zahnhygiene (BGE 128 V 59 E. 4 S. 62 f.). Dies will indessen nicht heissen,
dass eine versicherte Person, die auf Grund ihrer Konstitution,
durchgemachten Krankheiten oder durchgeführten Zahnbehandlungen eine erhöhte
Anfälligkeit für Zahnerkrankungen hat, es mit der allgemein üblichen
Mundhygiene bewenden lassen kann. Die Mundhygiene muss aber in jedem Fall
sowohl in der täglichen Durchführung wie auch hinsichtlich des periodischen
Ganges zum Zahnarzt und der Dentalhygiene in vernünftigem und zumutbarem
Rahmen bleiben (BGE 128 V 59 E. 6d S. 65).

5.
Wie der Beschwerdeführer zu Recht anführt, ist die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung insofern unrichtig, als es nicht zutrifft, dass er
den behandelnden Zahnarzt Dr. med. dent. U.________ nicht über die
Immunsuppression und die damit verbundenen erhöhten Anforderungen an die
Mundhygiene informiert hat. Der Zahnarzt hat in dem von der Vorinstanz
interpretierten Schreiben vom 23. Dezember 2005 lediglich ausgeführt, weder
er noch sein Patient seien von den die Immunsuppression verschreibenden
Ärzten der Universitätsklinik Y.________ über mögliche Zahnproblematiken als
Folge der Einnahme informiert worden. Damit hat er nicht gesagt, er sei über
die Immunsuppression nicht informiert gewesen. Aus den Akten geht denn auch
hervor, dass Dr. med. dent. U.________ schon die im Hinblick auf die
Herztransplantation erforderlichen zahnärztlichen Verrichtungen vornahm und
den Beschwerdeführer auch in der Folge während des gesamten hier relevanten
Zeitraums behandelte. Der Vertrauenszahnarzt Dr. med. dent. B.________ hat
aber in seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2004 nachvollziehbar und
überzeugend ausgeführt, dass, falls die Immunsuppression zu einer
verminderten Speichelfliessrate geführt hätte, dies schon lange dokumentiert
und der Beschwerdeführer einem Intensivhygieneregime hätte zugeführt werden
müssen. Für beides fehlten Anhaltspunkte. Die jetzt notwendigen
zahnärztlichen Behandlungen seien nicht auf Folgen von allfälligem
Speichelmangel zurückzuführen. Endodontische Konsequenzen (d.h.
Wurzelbehandlungen) ebenso wie Überkronungen wegen tiefen kariösen Läsionen
seien durch frühzeitiges Erkennen und entsprechende Abwehrmassnahmen
anlässlich regelmässiger zahnärztlicher Routinekontrollen vermeidbar, an
welchen es aber hier gefehlt habe. Beide Aussagen sind nach dem Stand der
Akten überwiegend wahrscheinlich richtig. Wie in E. 3 dargelegt, konnten
anlässlich einer Untersuchung an der Universität X.________ am 27. März 2006
ein verminderter Speichelfluss und eine Trockenheit der Mundschleimhaut
ausgeschlossen werden. Auch fehlen nach der zutreffenden vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung für die Zeit nach 1999 Aufzeichnungen über
zahnärztliche und Dentalhygieneleistungen, nachdem der Beschwerdeführer vor
1999 mehrfach in zahnärztlicher Behandlung war und zwischen 1992 und 1998
zwei Termine für spezielle Dentalhygieneleistungen ausgewiesen sind. Es
drängt sich der vom Vertrauenszahnarzt in seiner Beurteilung vom 2. November
2005 gezogene Schluss auf, dass schwer erklärbar wäre, wie die hier
bestandenen tiefen kariösen Läsionen entstehen konnten, ohne dass der
Zahnarzt früher eingegriffen hätte, wenn der Beschwerdeführer die vor 1999
eingehaltene Behandlungsfrequenz beibehalten hätte. Ein solcher Ablauf lässt
sich ohne Widerspruch mit der Aussage des behandelnden Arztes im Schreiben
vom 23. Dezember 2005 an die Beschwerdegegnerin vereinbaren, dass der
Beschwerdeführer während Jahren seine Zähne bestens gepflegt und kein Anlass
zu irgendwelchen Besorgnissen bestanden habe, und erst in den letzten zwei
bis drei Jahren die multiplen kariösen Läsionen aufgetreten seien. Die
Vorinstanz hat nach dem Gesagten der Rechts- und im Ergebnis der
Sachverhaltslage in bundesrechtskonformer Weise Rechnung getragen.

6.
Dem Prozessausgang entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 31. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz