Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 587/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_587/2007

Urteil vom 20. März 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Seiler,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

H.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mattias
Dolder, Poststrasse 23, 9001 St. Gallen.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 7. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1951 geborene H.________ war von 1989 bis zum gesundheitsbedingten
Ausscheiden auf Ende Februar 2004 im Pflegeheim X.________ mit einem Pensum von
70 Prozent als Hausangestellte tätig. Sie leidet an Rückenproblemen
(persistierende rezidivierende Lumboischialgien, Status nach Spondylodese
L3-S1) und an einer mässigen Arthrose des rechten Knies. Am 15. Dezember 2003
meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die
IV-Stelle des Kantons St. Gallen klärte den medizinischen sowie erwerblichen
Sachverhalt und erhob eine Einschränkung von 34 Prozent im Haushalt
(Abklärungsbericht vom 15. Oktober 2004). Der Regionale Ärztliche Dienst der
Invalidenversicherung (RAD) ermittelte eine Arbeitsunfähigkeit von 80 Prozent
in der angestammten Arbeit und von 60 Prozent in einer leidensangepassten
Tätigkeit (Bericht vom 8. März 2005). Die IV-Stelle sprach H.________ mit
Wirkung ab März 2004 eine Viertelsrente bei einem Invaliditätsgrad von 48
Prozent zu (durch Einspracheentscheid vom 8. Juni 2006 bestätigte Verfügung vom
3. November 2005).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene
Beschwerde teilweise gut und sprach H.________ eine halbe Invalidenrente zu
(Entscheid vom 7. Juni 2007).

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

Die Versicherte lässt beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne; eventuell sei die Sache zur Abklärung der
Leistungsfähigkeit in Erwerb und Haushalt an die Verwaltung zurückzuweisen. Das
kantonale Gericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf deren Gutheissung.
Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz schützte die Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode
(Art. 28 Abs. 2ter IVG; BGE 133 V 504; 130 V 97; vgl. BGE 130 V 393) dem
Grundsatz nach, bestätigte die hypothetische Aufteilung der Tätigkeitsbereiche
im Gesundheitsfall (70 Prozent Erwerb, 30 Prozent Haushalt) und schloss sich
hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Entscheidungsgrundlagen sowie
der Beurteilung der erwerblichen Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit
(Teilinvaliditätsgrad von 37,8 Prozent) der Verwaltung an. Bezüglich der
Ermittlung der Invalidität im Haushalt gelangte die Vorinstanz demgegenüber zum
Schluss, eine Einschränkung bei häuslichen Verrichtungen von lediglich 20 bis
30 Prozent sei nicht mit dem Umstand zu vereinbaren, dass selbst für leichte
leidensadaptierte erwerbliche Tätigkeiten eine Arbeitsunfähigkeit von 60
Prozent angenommen werde. Bei der hauswirtschaftlichen Abklärung sei eine
gebührende Berücksichtigung des fachärztlich attestierten
Restleistungsvermögens verlangt. Nach einer Korrektur der
Leistungsminderungsschätzung in einzelnen Bereichen der Haushaltführung
(Ernährung, Wäsche und Kleiderpflege, Einkauf) betrage hier die Einschränkung
52 Prozent, mithin die Teilinvalidität 15,6 Prozent (anstelle der von der
IV-Stelle angenommenen 34 respektive 10,2 Prozent). Der Gesamtinvaliditätsgrad
erhöhe sich dadurch auf 53 Prozent (0,7 x 54 Prozent plus 0,3 x 52 Prozent),
was den Anspruch auf eine halbe Invalidenrente begründe.

2.
Streitig ist, ob die auf einer abweichenden Beurteilung der massgebenden
Einschränkung im Haushalt beruhende leistungsrelevante Anhebung des
Invaliditätsgrades durch das kantonale Gericht rechtmässig sei.

2.1 Die vorinstanzliche Feststellung über das Ausmass einer Einschränkung ist
grundsätzlich eine Sachverhaltsfeststellung (Urteil I 693/06 vom 20. Dezember
2006, E. 6.3; vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2), die im Rahmen von Art. 105 Abs. 1 und
2 BGG für das Bundesgericht verbindlich ist. Vom Bundesgericht frei zu prüfende
Rechtsfrage ist hingegen, ob die Vorinstanz dabei von zutreffenden
Rechtsbegriffen ausgegangen ist. Die vorinstanzliche Annahme einer
Einschränkung im Haushalt von 53 Prozent erscheint im Vergleich zum
erwerblichen Bereich nicht als offensichtlich unrichtig: Die Beschwerdegegnerin
war nach ärztlichem Bekunden, auf welches das kantonale Gericht und die
IV-Stelle abstellten, in der früheren Tätigkeit einer Hausangestellten, welche
im Wesentlichen Putzarbeiten umfasste, zu 80 Prozent und in einer
leidensadaptierten, das heisst leichten und wechselbelastenden Arbeit immer
noch zu 60 Prozent arbeitsunfähig (Bericht des RAD vom 8. März 2005). Auch
unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Auswirkungen des
Gesundheitsschadens auf die Leistungsfähigkeit durch geeignete organisatorische
Massnahmen und - im Rahmen der Verhältnismässigkeit - durch die Mithilfe der
Familienangehörigen möglichst zu mildern sind (vgl. BGE 133 V 504), ist es
plausibel, dass die Einschränkung im Haushalt unter den gegebenen Umständen
jedenfalls nicht wesentlich geringer einzuschätzen ist als in einer
leidensangepassten Tätigkeit; dies zumal der Spielraum für eine der
gesundheitlichen Beeinträchtigung Rechnung tragenden Einteilung der Arbeit, für
Pausen etc. bei einem Anteil der Betätigung im Haushalt von einem knappen
Drittel der Gesamtaktivität geringer ist als bei einem grösseren Pensum in
diesem Aufgabenbereich (vgl. Urteil I 681/02 vom 11. August 2003, E. 5.1).

2.2 Nach vorinstanzlicher Rechtsauffassung muss für die Festlegung des
Ausmasses der Einschränkung im Aufgabenbereich Haushalt stets danach gefragt
werden, wie es sich mit der Leistungsfähigkeit verhalte, wenn die einzelne
Verrichtung vollzeitlich ausgeübt werden müsste. Diese methodische Vorgabe ist,
wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht, zu verwerfen: Massgebend ist
nicht die hypothetische Einschränkung, wenn jede der einzelnen Tätigkeiten in
einem Vollpensum ausgeübt würde, sondern die konkrete Einschränkung in der
bisher ausgeübten Tätigkeit (Urteile I 300/04 vom 19. Oktober 2004, E. 6.2.2,
und I 693/06 vom 20. Dezember 2006, E. 6.5). Im Ergebnis wird der angefochtene
Entscheid indes auch durch die aktuelle bundesgerichtliche Rechtsprechung zur
Beachtung von Wechselwirkungen im Rahmen der gemischten
Invaliditätsbemessungsmethode gestützt (vgl. Art. 106 Abs. 1 BGG). Mit Urteil I
156/04 vom 13. Dezember 2005 (SVR 2006 IV Nr. 42 S. 151) hatte das
Bundesgericht festgehalten, die ärztliche Einschätzung der Leistungseinbusse in
Erwerb und Haushalt habe grundsätzlich auch allenfalls leistungsmindernde
Auswirkungen der jeweils anderen Tätigkeit miteinzubeziehen (E. 6.2). In
Präzisierung dieses Grundsatzes definierte das Bundesgericht später eine Reihe
von Voraussetzungen, unter denen die Beanspruchung im jeweils anderen
Tätigkeitsfeld zu berücksichtigen ist (BGE I 246/05 vom 30. Oktober 2007, E.
7). So erscheint die Möglichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung umso
geringer, je komplementärer die Anforderungsprofile der Tätigkeitsgebiete
ausgestaltet sind (E. 7.3.1). Mit Blick auf die ärztliche
Zumutbarkeitsbeurteilung und das berufliche Curriculum der Beschwerdegegnerin
sind die Belastungen in beiden versicherten Bereichen weitgehend ähnlich: Die
Inanspruchnahme des vom Leiden betroffenen Bewegungsapparats ist im Haushalt
unausweichlich; auch adaptierte erwerbliche Tätigkeiten dürften zwangsläufig
wiederum mit einer Belastung des Achsenorgans verbunden sein. Die erwähnte
Komplementarität ist mithin kaum gegeben, so dass sich das Vorhandensein
nachteiliger Wechselwirkungen aufdrängt. Weitere der im zitierten Entscheid
erwähnten Voraussetzungen (E. 7.3.2-7.2.5) sind hier nicht einschlägig. Unter
Annahme einer zusätzlichen Einschränkung im Umfang von (ungewichteten) 15
Prozentpunkten (vgl. BGE I 246/05, E. 7.3.6) errechnet sich ein
Gesamtinvaliditätsgrad von (gerundeten; BGE 130 V 121) 53 Prozent, was ziemlich
genau dem vorinstanzlichen Ergebnis entspricht.

3.
Unter Beibehaltung aller übrigen Parameter der Invaliditätsbemessung bleibt es
somit bei einem Invaliditätsgrad, aufgrund dessen die Beschwerdegegnerin mit
Wirkung ab März 2004 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat.

4.
Die Gerichtskosten werden der beschwerdeführenden Behörde als unterliegender
Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG; Urteil 8C_67/2007 vom 25. September 2007,
E. 6). Diese hat der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. März 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub