Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 545/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_545/2007

Urteil vom 9. Juli 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Kernen,
Gerichtsschreiber Traub.

Parteien
Ausgleichskasse Schwyz, 6430 Schwyz,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________, vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Carla Wassmer, Oberer Steisteg 18, 6431 Schwyz,

Erbengemeinschaft B.________, bestehend aus:
1. A.________,
2. C.________,
3. D.________,
4. E.________,
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Carla Wassmer, Oberer Steisteg 18, 6431 Schwyz,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom
13. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Der verstorbene B.________ war nebenamtlich als Genossenrat der Genossame
X.________ tätig. Aufgrund einer Deklaration des B.________ und ausgehend von
Veranlagungsverfügungen der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz verfügte die
Ausgleichskasse des Kantons Schwyz am 12. Mai 2006, B.________ und seine
Ehefrau A.________ hätten für die Jahre 2001 und 2002 Beiträge (AHV, IV, EO)
für Nichterwerbstätige (einschliesslich Verwaltungskosten) von jeweils Fr.
10'403.- sowie für die Jahre 2003 bis 2006 Akontozahlungen in gleichem Betrag
zu bezahlen.

Auf Einsprachen hin bestätigte die Ausgleichskasse die Verfügungen vom 12. Mai
2006 mit Entscheid vom 10. November 2006, soweit sie auf die Rechtsbehelfe
eintrat. Zur Begründung führte die Verwaltung aus, die Beiträge auf dem
Erwerbseinkommen betrügen weniger als die Hälfte des
Nichterwerbstätigenbeitrages. Nach den gesetzlichen Regeln seien die
Einsprecher daher als Nichterwerbstätige zu betrachten.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde insoweit teilweise gut, als es die
angefochtenen Beitragsverfügungen für das Jahr 2001 aufhob. Im Übrigen wies es
die Beschwerde ab (Entscheid vom 13. Juni 2007).

C.
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, soweit er vom
Einspracheentscheid abweiche.

A.________ und die Erbengemeinschaft B.________ lassen auf Abweisung der
Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet
auf Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Nach Art. 10 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 28bis Abs. 1 AHVV leisten
Personen, die nicht dauernd voll erwerbstätig sind, die Beiträge wie
Nichterwerbstätige, wenn ihre Beiträge vom Erwerbseinkommen zusammen mit denen
ihres Arbeitgebers in einem Kalenderjahr nicht mindestens der Hälfte des
Beitrages nach Art. 28 AHVV (Bemessungsgrundlage gemäss Abs. 1: Vermögen bzw.
mit 20 multipliziertes jährliches Renteneinkommen) entsprechen. Ihre Beiträge
vom Erwerbseinkommen müssen auf jeden Fall den Mindestbeitrag nach Art. 28 AHVV
(für das Jahr 2001 [siehe unten E. 3]: 324 Franken) erreichen. Für das
betreffende Jahr bezahlte Beiträge vom Erwerbseinkommen werden auf Verlangen
angerechnet (Art. 28bis Abs. 2 in Verbindung mit Art. 30 AHVV).

"Volle Erwerbstätigkeit" im Sinne der zitierten Bestimmung liegt in der Regel
vor, wenn für die Tätigkeit ein erheblicher Teil der im betreffenden
Erwerbszweig üblichen Arbeitszeit aufgewendet wird. Diese Voraussetzung fehlt
nach Verwaltungspraxis und Rechtsprechung, wenn die beitragspflichtige Person
nicht während mindestens der halben üblichen Arbeitszeit tätig ist (BGE 115 V
161 E. 10d S. 174; SVR 2007 AHV Nr. 16 S. 45, E. 3.1 [H 29/06]; siehe auch Rz.
2039 der Wegleitung des BSV über die Beiträge der Selbständigerwerbenden und
Nichterwerbstätigen [WSN] in der AHV, IV und EO).

2.
Das kantonale Gericht erwog, streitig sei die AHV-rechtliche Beurteilung der
Tätigkeit des B.________ für die Genossame X.________ ab dem Jahr 2001. Für die
Jahre 2002 bis 2006 habe der Versicherte mit den von seinem damaligen
Teilerwerbseinkommen zu entrichtenden Beiträgen nicht die Hälfte der Beiträge
Nichterwerbstätiger erreicht, weshalb die Ausgleichskasse zu Recht davon
ausgegangen sei, es seien für die genannten Jahre Beiträge als
Nichterwerbstätiger geschuldet. Hingegen ergebe die Vergleichsrechnung nach
Art. 28bis AHVV für das Jahr 2001, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen
mehr als die halben Beiträge für Nichterwerbstätige entrichtet hätten. Die 2001
geleisteten Verwaltungsstunden sowie das aktenkundige Sitzungsvolumen führten
ausserdem zur Annahme, der Versicherte sei in dieser Beitragsperiode mindestens
während der halben üblichen Arbeitszeit tätig gewesen. Im Jahr 2001 habe er
deshalb die Beitragspflicht als Erwerbstätiger erfüllt. Die Beschwerdegegner
schliessen sich dieser Betrachtungsweise an.

Die beschwerdeführende Verwaltung wendet ein, der Beschäftigungsumfang habe
auch 2001 unterhalb eines Pensums von 50 Prozent gelegen. Das kantonale Gericht
sei für 2001 richtigerweise von einem Nebenerwerbseinkommen von Fr. 40'370.-
ausgegangen. In der Vergleichsrechnung habe es sodann aber auf Seiten der
Beiträge vom Erwerbseinkommen neben den AHV/IV/EO-Beiträgen von 5,05 Prozent
(Fr. 2038.-) auch die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung von 1,5 Prozent
einbezogen, was zur Annahme geleisteter Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von Fr.
2644.- (einschliesslich des Arbeitgeberanteils: von Fr. 5288.-) geführt habe.
Ohne die ALV-Beiträge belaufe sich der Gesamtbeitrag indes nur auf Fr. 4076.-,
also auf weniger als die Hälfte des Beitrages des Nichterwerbstätigen (Fr.
5050.-). Damit entfalle die in Art. 28bis Abs. 1 AHVV statuierte Voraussetzung
für eine Befreiung von weiteren Beiträgen. Im Rahmen der Vergleichsrechnung
einseitig auch ALV-Beiträge zu berücksichtigen, gehe unter anderem deswegen
nicht an, weil die Beiträge Nichterwerbstätiger vollumfänglich in die AHV, IV
und EO flössen. Dagegen seien Nichterwerbstätige bei der
Arbeitslosenversicherung nicht versichert.

3.
Streitig ist allein noch die Beitragspflicht für das Jahr 2001.

3.1 Zunächst ist zu prüfen, ob die - von der beschwerdeführenden
Ausgleichskasse bestrittene - Auffassung der Beitragspflichtigen zutrifft, für
das Jahr 2001 sei eine "volle" Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 28bis Abs. 1
AHVV ausgewiesen. Diese gesetzliche Rechtsfolgevoraussetzung entspricht einer -
letztinstanzlich frei überprüfbaren - Rechtsfrage insoweit, als es um die
Bezeichnung der Anforderungen für die Annahme einer "vollen" Erwerbstätigkeit
geht. Die Feststellung der konkreten Umstände der Beschäftigung ist Tatfrage,
die das Bundesgericht grundsätzlich bindet (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1
und 2 BGG).

Die Schwierigkeiten der Ermittlung des tatsächlichen Umfangs der Arbeit eines
Genossenrates legen auf den ersten Blick Gemeinsamkeiten mit der Situation bei
Selbständigerwerbenden nahe. Das Bundesgericht hat sich mit Bezug auf diese
Kategorie von Beitragspflichtigen folgendermassen geäussert: Bei
Selbständigerwerbenden darf dauernde volle Erwerbstätigkeit nicht einfach
aufgrund einer Gegenüberstellung der erzielten Jahresgewinne mit dem
Durchschnittsverdienst einer entsprechenden unselbständigen Erwerbstätigkeit
angenommen oder verworfen werden. Massgebend sind vielmehr die tatsächlichen
wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es ist durchaus möglich, dass eine selbständige
Betätigung unter Umständen erst nach längerer Zeit zu Einkünften führt oder
sich trotz vollumfänglicher Erwerbstätigkeit zwischenzeitlich Ertragseinbrüche
ergeben. Ebenso können Investitionen, Amortisationen, ausserordentliche
Aufwendungen, Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld etc. die Jahresrechnung
eines Betriebs negativ beeinflussen (Urteile H 73/01 vom 23. August 2002, E.
3.2, und H 64/98 vom 14. September 1999, E. 5c). Bei einer nebenamtlichen
Tätigkeit zugunsten eines Gemeinwesens fallen diese Gesichtspunkte jedoch
ausser Betracht; der Konnex zwischen dem Zeitaufwand und dem Einkommen ist -
anders als im Fall von Selbständigerwerbenden - insoweit grundsätzlich gegeben,
so dass die Einkommenssituation hier grösseres Gewicht hat.

Im fraglichen Jahr 2001 erhielt B.________ von der Genossame X.________
Entschädigungen von insgesamt Fr. 40'370.-. Dieser Betrag ist mit der Erfüllung
eines mindestens halben Pensums vereinbar. Das kantonale Gericht hat denn auch
angenommen, den Akten sei zu entnehmen, dass sich die im Jahr 2001 geleisteten
585 Verwaltungsstunden für die Genossame auf rund 162 Tage verteilten, was pro
Arbeitstag durchschnittlich 3,6 Stunden ausmache; unter Hinzurechnung der
Teilnahme an insgesamt 80 Sitzungen könne für 2001 eine mindestens halbe
übliche Arbeitszeit bejaht werden. Für die beschwerdeführende Verwaltung sind
die vorinstanzlichen Annahmen unzutreffend. Letztlich nehmen sowohl die
Ausgleichskasse wie das kantonale Gericht - vor allem was die Gewichtung der
Sitzungsgelder betrifft - blosse Plausibilitätsrechnungen vor. Ob eines der
Szenarien für sich allein als ausreichendes Tatsachenfundament anerkannt werden
könnte, muss hier nicht entschieden werden. Ausschlaggebend ist, dass die
nebenamtliche Tätigkeit eines Genossenrates eine gemeinnützige Komponente
aufweist; soweit Ehrenamt, ist sie nicht Erwerbszwecken gewidmet. Die
Beschwerdegegner betonen, dass gerade ein vermögender Korporationsbürger sich
keinesfalls zu Lasten der Genossame bereichern würde: "Er tut, was B.________
tat, nämlich weit mehr als 50 % seiner Arbeitskraft der Genossame zur Verfügung
zu stellen, ohne sich entsprechend dafür angemessen bezahlt zu machen"
(Beschwerdeantwort, S. 4). Soweit B.________ mit seiner Tätigkeit als
Genossenrat - auch - ein Ehrenamt ausgeübt hat, kann daraus keine AHV-rechtlich
bedeutsame Erwerbstätigkeit abgeleitet werden. Die vorinstanzliche Annahme, es
liege volle Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 28bis Abs. 1 AHVV vor - wonach
bezogen auf das Jahr 2001 eigentlich gar keine Vergleichsrechnung (unten E.
3.2) mehr anzustellen wäre -, lässt sich nicht aufrechterhalten. Selbst wenn
das zeitliche Engagement insgesamt mehr als 50 Prozent einer allgemein üblichen
Beschäftigungsdauer betragen haben sollte, lässt sich diese Konstellation -
nach Abzug des ehrenamtlichen Anteils der Beschäftigung - unter dem Aspekt der
streitigen Statusfrage ohne weiteres mit derjenigen des (nebenamtlichen)
Verwaltungsrates vergleichen. Das Bundesgericht hat festgehalten, ein reines
Verwaltungsratsmandat (ohne gleichzeitige Wahrnehmung geschäftsführender
Funktionen oder von Sekretariatsarbeiten) stelle grundsätzlich keine "volle"
Erwerbstätigkeit dar (SVR 2007 AHV Nr. 16 S. 45, E. 5.1 [H 29/06]).

3.2 Ist davon auszugehen, eine beitragspflichtige Person sei im massgebenden
Zeitraum nicht dauernd oder, wie hier, nicht voll erwerbstätig gewesen,
entscheidet sich die Frage nach dem Beitragsstatus (Erwerbstätige oder
Nichterwerbstätige) aufgrund von Art. 28bis Abs. 1 AHVV danach, welcher Bereich
im Einzelfall gegenüber dem anderen überwiegt. Nach konkretisierender Auslegung
durch Rechtsprechung und Verwaltungspraxis (oben E. 1) ist die Vorgabe einer
"vollen" Erwerbstätigkeit erfüllt, wenn dafür ein erheblicher Teil der im
betreffenden Erwerbszweig üblichen Arbeitszeit aufgewendet wird; dies soll ab
einem halben Pensum der Fall sein. Bei einem Beschäftigungsumfang von weniger
als der halben üblichen Arbeitszeit gilt die versicherte Person als
Nichterwerbstätige, wenn zudem die Beiträge von einem allfälligen
Erwerbseinkommen weniger als die Hälfte des aufgrund von Vermögen und
Renteneinkommen bemessenen Beitrages für Nichterwerbstätige (Art. 28 Abs. 1
AHVV) ausmachen. Nichterwerbstätigkeit ist somit nur solange gegeben, als der
mindere Zeitaufwand für die Erwerbstätigkeit nicht durch deren wirtschaftliches
Rendement aufgewogen wird. Die beiden Bemessungssubstrate - Erwerbseinkommen
einerseits, Vermögen und Renteneinkommen anderseits - sind einander in Gestalt
ihrer jeweiligen beitragsrechtlichen Belastung gegenüberzustellen. Bei einem
unterschiedlich weitgehenden Einbezug von Beitragsarten würde diese normative
Gewichtung verfälscht. Die von der Beschwerdeführerin angemahnte Parallelität
der zu vergleichenden Grössen ist damit unabdingbar. Das kantonale Gericht hat
in der Vergleichsrechnung die - bei Nichterwerbstätigen nicht erhobenen -
Beiträge zugunsten der Arbeitslosenversicherung auf Seiten der Beiträge vom
Erwerbseinkommen zu Unrecht veranschlagt. Damit liegen diese, soweit
anrechenbar (Fr. 4076.-), unter der Hälfte des Nichterwerbstätigenbeitrages von
Fr. 5050.-.

3.3 Bei fehlender "voller" Erwerbstätigkeit sowie aufgrund des Umstandes, dass
die anrechenbaren Beiträge vom Erwerbseinkommen diejenigen aufgrund der
Bemessungsgrundlage eines Nichterwerbstätigen untertreffen, gilt B.________
auch bezogen auf das Beitragsjahr 2001 als Nichterwerbstätiger.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Schwyz vom 13. Juni 2007 aufgehoben, soweit er die Beitragspflicht für
das Jahr 2001 betrifft.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1500.- werden den Beschwerdegegnern auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 9. Juli 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Traub