Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 520/2007
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9C_520/2007

Urteil vom 9. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Lustenberger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Krankenkasse des Schweizer Hotelier-Vereins, Rue de la Gare 18,
1820 Montreux, Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 19. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1952 geborene B.________ war als Hotelangestellte tätig und über den
Arbeitgeber kollektiv bei der Krankenkasse des Schweizer Hotelier-Vereins
(nachfolgend: Hotela) in der Krankentaggeldversicherung nach KVG für ein
Taggeld von 80 % eines Jahreslohnes von Fr. 42'900.- (mit einer Wartefrist
von 30 Tagen) versichert. Ab dem 13. Februar 2006 war sie zu 100 %
arbeitsunfähig geschrieben. Wegen Verkaufs des Hotels verlor sie Ende Februar
2006 den Arbeitsplatz. Auf den 1. März 2006 trat sie in die
Einzel-Taggeldversicherung der Hotela über. Sie ist nun versichert für ein
Taggeld von Fr. 94.00 pro Tag bei einer Wartefrist von 30 Tagen. Mit
Verfügung vom 23. Juni 2006 stellte die Hotela die Taggeldleistungen ab dem
1. Juli 2006 mit der Begründung ein, nach vertrauensärztlicher Bestätigung
sei eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit ab sofort nicht mehr
gerechtfertigt. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 4.
August 2006 ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau mit Entscheid vom 19. Juni 2007 gut. Es hob den
Einspracheentscheid auf und verpflichtete die Hotela laut den Erwägungen, ab
dem 1. Juli 2006 das vertraglich vereinbarte Krankentaggeld im Rahmen einer
Arbeitsunfähigkeit von 50 % zu erbringen. Für Oktober und November 2006 hatte
sie die Arbeitsunfähigkeit noch abzuklären. Ab dem 18. Dezember 2006 legte
das Gericht die Arbeitsunfähigkeit wiederum auf 100 % fest.

C.
Die Hotela erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Begehren, der Einspracheentscheid vom 4. August 2006 sei unter Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheides zu bestätigen.

Versicherte, Vorinstanz und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf
Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
1.1 Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 414 E. 1a,
119 Ib 36 E. 1b, je mit Hinweisen). Streitgegenstand im System der
nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im
Rahmen des durch die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den auf
Grund der Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand
bildet. Nach dieser Begriffsumschreibung sind Anfechtungsgegenstand und
Streitgegenstand identisch, wenn die Verwaltungsverfügung insgesamt
angefochten wird. Nach der Rechtsprechung kann das verwaltungsgerichtliche
Verfahren aus prozessökonomischen Gründen auf eine ausserhalb des
Anfechtungsgegenstandes, d.h. ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten
Rechtsverhältnisses liegende spruchreife Frage ausgedehnt werden, wenn diese
mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer
Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und wenn sich die Verwaltung zu
dieser Streitfrage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat
(BGE 130 V 503, 122 V 34 E. 2a S. 36 mit Hinweisen).

1.2 Streitgegenstand des kantonalen Gerichtsverfahrens war demnach die
Situation, wie sie sich bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheides am 4.
August 2006 präsentierte, mit welchem die Beschwerdeführerin das bisher
ausgerichtete Taggeld einstellte. Da sie sich in ihrer vorinstanzlichen
Beschwerdeantwort vom 11. Oktober 2006 klar gegen die Annahme einer
50-prozentigen Arbeitsunfähigkeit stellte, hat sie sich zu dieser Streitfrage
mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert. Soweit das kantonale
Gericht aber eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit ab 18. Dezember 2006
feststellte, urteilte es über etwas, worüber die Beschwerdeführerin noch gar
nicht entschieden hatte, und das daher gar nicht Streitgegenstand war, zumal
dafür nun eine psychiatrische Diagnose massgebend war, nachdem die frühere
Arbeitsunfähigkeit nicht psychisch begründet war. Darüber zu entscheiden
bestand umso weniger Anlass, als die Beschwerdeführerin selber bereits eine
psychiatrische Begutachtung in Auftrag gegeben hatte. Insoweit die Vorinstanz
ab 18. Dezember 2006 ein Taggeld auf der Grundlage einer 100-prozentigen
Arbeitsunfähigkeit festgelegt hat, ist ihr Entscheid daher aufzuheben.

2.
Zu beurteilen bleibt nach dem Ausgeführten die Einstellung des
Taggeldanspruchs per 1. Juli 2006.

2.1 Das kantonale Gericht hat in materiell- und beweisrechtlicher Hinsicht
die für die Beurteilung des Anspruchs auf Leistungen der freiwilligen
Taggeldversicherung nach KVG massgeblichen Grundlagen (Art. 6 ATSG,
Art. 67-77 KVG und 107-109 KVV sowie die diesbezügliche Rechtsprechung)
zutreffend dargelegt. Es wird auf die vorinstanzliche Erwägung 1 verwiesen.

2.2 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff.
BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Einstellung des Taggeldanspruchs per 1. Juli
2006 damit begründet, die Beschwerdegegnerin sei ab diesem Zeitpunkt wieder
vollständig arbeitsfähig. Die Vorinstanz hat demgegenüber bloss eine
50-prozentige Arbeitsfähigkeit angenommen. Es handelt sich dabei um eine
Sachverhaltsfeststellung, die für das Bundesgericht verbindlich ist (vgl. E.
2.2), sofern sie sich nicht als offensichtlich unrichtig erweist, was hier
aber nicht der Fall ist. Denn wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist die
Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdegegnerin zumindest bis und mit September
2006 fachärztlich attestiert (vgl. Bericht Dr. med. M.________/Prof. Dr. med
H._______, Spital X.________, vom 7. November 2006 über die ambulante
Nachkontrolle vom 18. September 2006). Nach dem 18. September 2006 fanden
aber am Spital X.________ keine Nachkontrollen mehr statt und es liegen für
die Folgezeit auch keine anderen ärztlichen Berichte vor.

4.
Insgesamt bleibt es somit gemäss dem angefochtenen Entscheid (soweit er hier
nicht aufgehoben wird) bei einem Taggeld auf der Basis einer 50-prozentigen
Arbeitsunfähigkeit bis Ende September 2006. Für die Zeit danach wird die
Beschwerdeführerin die Arbeitsfähigkeit neu zu beurteilen und im Streitfall
über den Taggeldanspruch neu zu verfügen haben.

5.
Hat keine Partei vollständig obsiegt, können die Kosten verhältnismässig
verlegt werden (s. Art. 66 Abs. 1 BGG).

6.
Die Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren (Art. 109 Abs. 3 BGG) zu
erledigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 19. Juni 2007 wird insoweit
aufgehoben, als darin die Beschwerdeführerin verpflichtet wird, der
Beschwerdegegnerin ab 18. Dezember 2006 ein Taggeld auf der Basis einer
100-prozentigen Arbeitsunfähigkeit zu erbringen. Im Übrigen wird die
Beschwerde abgewiesen.

2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 250.-
und der Beschwerdegegnerin Fr. 250.- auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Lustenberger Schmutz