Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 4/2007
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9C_4/2007

Urteil vom 30. Juli 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

C. ________, 1955, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Sutter,
Haus Eden, Paradiesweg 2, 9410 Heiden,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 16. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1955 geborene C.________ leidet an Multipler Sklerose. Am 30. April 2004
meldete sie sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Gestützt auf Abklärungen in medizinischer, erwerblicher und
hauswirtschaftlicher Hinsicht ermittelte die IV-Stelle des Kantons Graubünden
nach der gemischten Bemessungsmethode einen Invaliditätsgrad von 57 %. Mit
Verfügung vom 8. Juli 2005 sprach sie C.________ ab 1. März 2005 eine halbe
Invalidenrente zu. Hiegegen erhob die Versicherte Einsprache und machte
geltend, ihr Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Vom
25. Oktober bis 19. November 2005 war C.________ in der Klinik X.________
hospitalisiert (Austrittsbericht vom 28. November 2005). Mit Entscheid vom
22. Juni 2006 wies die IV-Stelle die Einsprache ab.

B.
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden den Einspracheentscheid auf und
wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie die erforderlichen
Abklärungen treffe und hernach über das Leistungsgesuch neu verfüge
(Dispositiv-Ziffer 1). Ferner stellte das Gericht in Dispositiv-Ziffer 2
fest, es würden keine Gerichtskosten erhoben und keine aussergerichtlichen
Entschädigungen zugesprochen (Entscheid vom 16. Januar 2007). Den Umstand,
dass es der anwaltlich vertretenen Versicherten trotz Obsiegens keine
Parteientschädigung zusprach, begründete das Verwaltungsgericht damit, dass
sie es unterlassen habe, den im Beschwerdeverfahren aufgelegten
Austrittsbericht der Klinik X.________ vom 28. November 2005 an die IV-Stelle
weiterzuleiten. Denn es sei davon auszugehen, dass die IV-Stelle ihren
Standpunkt überprüft hätte, wenn sie Kenntnis von diesem Bericht gehabt
hätte.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt C.________
beantragen, unter Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 2 des kantonalen
Entscheides sei ihr für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine
Parteientschädigung zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Festsetzung
einer Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren an die
Vorinstanz zurückzuweisen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Beschwerde führende Person
Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht
festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der
Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen. Nach ständiger
Rechtsprechung hat unnötige Kosten zu bezahlen, wer sie verursacht hat.
Dementsprechend kann keine Parteientschädigung beanspruchen, wer zwar im
Prozess obsiegt, sich aber den Vorwurf gefallen lassen muss, er habe es wegen
Verletzung der auch im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes geltenden
Mitwirkungspflicht (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195) selber zu verantworten, dass
ein unnötiger Prozess geführt worden sei (RKUV 2006 Nr. U 583 S. 245 E. 3;
Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 463/03 vom 8. Oktober
2003).

2.
Streitig und als Frage des Bundesrechts (Art. 95 lit. a BGG) frei zu prüfen
ist einzig, ob die Vorinstanz den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine
Parteientschädigung zu Recht verneint hat, wogegen der kantonale Entscheid in
materieller Hinsicht unangefochten geblieben ist.
Es steht fest, dass die Versicherte den Austrittsbericht der Klinik
X.________ vom 28. November 2005 erst mit Eingabe vom 31. Oktober 2006 im
kantonalen Verfahren aufgelegt hat. Aus diesem Bericht schloss die
Vorinstanz, dass sich der Gesundheitszustand der Versicherten seit dem
Klinikaufenthalt vom Frühjahr 2004 und der Haushaltabklärung vom 22. April
2005 ganz erheblich verschlechtert habe. Dass der Austrittsbericht nicht
bereits während Hängigkeit des mit Entscheid vom 22. Juni 2006
abgeschlossenen Einspracheverfahrens eingereicht wurde, ist offenbar dem
Verhalten des Hausarztes Dr. med. P.________ zuzuschreiben, welcher erst nach
Einsicht in den Einspracheentscheid der IV-Stelle mit Schreiben vom
23. Oktober 2006 an den Rechtsvertreter der Versicherten gelangte, seine
Sicht der Dinge darlegte und den Austrittsbericht der Klinik X.________ vom
28. November 2005 beilegte. Wie die Vorinstanz in für das Bundesgericht
verbindlicher Weise (Art. 105 Abs. 1 BGG) festhält, hätte die IV-Stelle
gestützt auf diesen Bericht, der die Verschlimmerung des Gesundheitszustandes
in aller Deutlichkeit belegt, den in der Verfügung vom 8. Juli 2005
vertretenen Standpunkt überprüft. Entgegen den Vorbringen der
Beschwerdeführerin lässt sich aus dem prozessualen Verhalten der IV-Stelle
nicht schliessen, dass sie den Austrittsbericht unbeachtet gelassen hätte.
Vielmehr muss angenommen werden, dass die Verwaltung weitere Abklärungen
veranlasst und in der Folge mit dem Einspracheentscheid eine Rente auf der
Grundlage eines höheren Invaliditätsgrades hätte zusprechen können. Damit
wäre der Prozess vor dem Verwaltungsgericht vermeidbar gewesen. Den Umstand,
dass Dr. P.________ den Austrittsbericht vom 28. November 2005 erst am
23. Oktober 2006 an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin weiterleitete,
hat nicht die IV-Stelle, sondern die Versicherte selbst zu vertreten. Dass
nach dem vom 25. Oktober bis 19. November 2005 dauernden stationären
Klinikaufenthalt ein Austrittsbericht mit Erkenntnissen über das
Fortschreiten der invalidisierenden Multiplen Sklerose verfasst worden sein
dürfte, musste ihr von früheren Klinikaufenthalten bekannt sein; im Rahmen
der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht (E. 1 hievor) hätte die
Beschwerdeführerin mit Blick auf die Vermeidung unnötiger Gerichtsverfahren
die IV-Stelle auf diesen Umstand hinweisen oder den Hausarzt um Zustellung
des Austrittsberichts an die Invalidenversicherung ersuchen müssen. Ob auch
die IV-Stelle im Verwaltungsverfahren nicht alle erforderlichen Schritte
unternommen hat, um den Gesundheitszustand der Versicherten näher abzuklären,
wie in der Beschwerdeschrift eingewendet wird, kann offen bleiben. Dies
vermöchte nichts daran zu ändern, dass es sich bei den im vorinstanzlichen
Verfahren entstandenen Parteikosten um unnötige Kosten im Sinne der
Rechtsprechung handelt, die hätten vermieden werden können, wenn die
Beschwerdeführerin während des Einspracheverfahrens an die IV-Stelle oder
ihren Hausarzt gelangt wäre. Das Verwaltungsgericht hat daher Bundesrecht
nicht verletzt, wenn es ihr keine Parteientschädigung zugesprochen hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 30. Juli 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: