Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 445/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_445/2007

Urteil vom 4. April 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Parteien
N.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Christine Kessi,
Holbeinstrasse 34, 8008 Zürich,

gegen

1. Stiftung 2. Säule swissstaffing, VPDS,
c/o Hewitt Associates SA,
Avenue Edouard-Dubois 20, 2000 Neuchâtel,
2. Vorsorgestiftung Manpower, Case postale 1472, 1211 Genève 1,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
24. April 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1940 geborene, N.________ ist gelernter Schlosser und Schweisser. Er erlitt
1987 einen Herzinfarkt und musste sich einer Bypass-Operation unterziehen. Im
Rahmen von Restrukturierungsmassnahmen verlor er 1991 seine Arbeitsstelle bei
der Firma B.________ AG und bezog daraufhin Arbeitslosenentschädigung. In durch
die Firma X.________ AG vermittelten temporären Arbeitsverhältnissen war er vom
1. Dezember 1994 bis 6. Januar 1995 für die Firma S.________ AG, vom 17. Januar
bis 17. Februar 1995 für die Firma C.________ AG, vom 27. Februar bis 24. März
1995 für die Firma M.________ AG und vom 8. Mai bis 12. Juni 1995 für die Firma
H.________ AG tätig. Infolge eines erneuten Herzinfarktes ist er seit 13. Juni
1995 als Schweisser vollständig und in einer körperlich leichten Tätigkeit zu
50 % arbeitsunfähig. Seit 1. Juni 1996 bezieht er eine halbe (Invaliditätsgrad:
63 %) und seit 1. Januar 1999 eine ganze Rente der Invalidenversicherung
(Invaliditätsgrad: 100 %).

Am 30. September 2002 teilte die Stiftung 2. Säule VPDS (Verband der
Personaldienstleister der Schweiz; heute: Stiftung 2. Säule swissstaffing)
N.________ mit, ein für eine Dauer von weniger als drei Monaten verpflichteter
Mitarbeiter werde nicht Mitglied der Personalvorsorgestiftung. In den ihr
übermittelten Verträgen sei vermerkt, dass seine Arbeitseinsätze drei Monate
nicht überschreiten würden, wie dies auch aus der von ihm erstellten Liste
hervorgehe. Unter diesen Umständen sei er der Stiftung nicht angeschlossen und
habe er keinen Leistungsanspruch.

B.
Am 19. Mai 2006 erhob N.________ Klage gegen die Stiftung 2. Säule VPDS
(Beklagte 1) und gegen die Vorsorgestiftung Manpower (Beklagte 2) mit dem
Rechtsbegehren, die Beklagte 1, eventualiter die Beklagte 2, sei zu
verpflichten, ihm aus dem Vorsorgeverhältnis spätestens ab 1. Juni 1996 eine
Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 63 % und ab 1. Januar 1999
eine ganze Rente auszurichten. Die Beklagte 1, eventualiter die Beklagte 2, sei
zu verpflichten, ihn auf den frühstmöglichen Zeitpunkt von der Beitragspflicht
zu befreien. Die Beklagte 1, eventualiter die Beklagte 2, sei zu verpflichten,
auf den Invalidenleistungen einen Verzugszins von 5 % spätestens ab dem
Zeitpunkt der Klageeinreichung zu bezahlen. Des Weitern ersuchte er um
Bewilligung der unentgeltliche Verbeiständung. Mit Entscheid vom 24. April 2007
wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Klage und das Gesuch um
unentgeltliche Verbeiständung ab.

C.
N.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
wiederholt das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren. Für den Fall
der Abweisung der Beschwerde beantragt er, es sei ihm die unentgeltliche
Verbeiständung für das vorinstanzliche Verfahren zu gewähren. Des Weitern
ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege für den letztinstanzlichen Prozess.

Die Stiftung 2. Säule swissstaffing und die Vorsorgestiftung Manpower
schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
(BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Beschluss vom 8. Oktober 2007 hat das Bundesgericht das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung, Verbeiständung) mangels
Bedürftigkeit abgewiesen.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 2 BVG in der im Jahr 1995 gültig gewesenen und hier anwendbaren
Fassung unterstehen der obligatorischen Versicherung Arbeitnehmer, die das 17.
Altersjahr vollendet haben und bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mehr
als Fr. 23'280.- (Art. 5 BVV 2 in der Fassung vom 23. November 1994) beziehen
(Abs. 1). Der Bundesrat bestimmt, welche Arbeitnehmer aus besonderen Gründen
nicht der obligatorischen Versicherung unterstellt sind (Abs. 2).

Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. b BVV2 in der bis 31. Dezember 2005 gültig gewesenen
und hier anwendbaren Fassung (welche Norm dem heutigen Art. 1j Abs. 1 lit. b
BVV2 entspricht) sind Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsvertrag von
höchstens drei Monaten der obligatorischen Versicherung nicht unterstellt; im
Falle der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Dauer von drei Monaten
hinaus sind sie von dem Zeitpunkt an versichert, in welchem die Verlängerung
vereinbart wurde.

2.
2.1 Die ins Recht gelegten Verträge zwischen dem Beschwerdeführer und der Firma
X.________ AG vom 1. Dezember 1994, 19. Januar, 20. Februar und 25. April 1995
sehen vor, dass der Arbeitseinsatz des Beschwerdeführers längstens drei Monate
dauert und während dieser Zeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
mindestens zwei Tagen von beiden Seiten gekündigt werden kann; wird der Einsatz
anschliessend stillschweigend weitergeführt, gilt er als auf unbestimmte Zeit
verlängert. Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer nur mit
der Temporärfirma, der Firma X.________ AG, in einem Arbeitsverhältnis stand,
nicht mit den einzelnen Betrieben, bei welchen er eingesetzt war (vgl. auch
Art. 19 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1989 über die Arbeitsvermittlung und
den Personalverleih [Arbeitsvermittlungsgesetz; AVG]; Mitteilungen des BSV über
die berufliche Vorsorge Nr. 87 vom 16. November 2005, Rz. 505, zur Bestimmung
des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Art. 2 BVV 2).

2.2 Mit der Vereinbarung einer maximalen Vertragsdauer sind die Firma
X.________ AG und der Beschwerdeführer befristete Verträge im Sinne von Art. 1
Abs. 1 lit. b BVV 2 eingegangen. Dass eine Kündigung vor Ablauf der
vorgesehenen Maximalfrist zulässig war, vermag hieran nichts zu ändern
(Rehbinder, Berner Kommentar, N 3 zu Art. 334 OR; BGE 114 II 349 E. 2a S. 350
f.). Massgebend ist, dass die Einsatzdauer, wenn sie nicht einvernehmlich
verlängert wird, von selbst spätestens nach Ablauf der drei Monate endet. Die
Vertragsbeendigung bedarf mithin keiner Willenserklärung; vielmehr tritt eine
Vertragsverlängerung nur ein, wenn eine entsprechende, zumindest
stillschweigende Willenserklärung abgegeben wird. Aus dem Rahmenarbeitsvertrag
der Firma X.________ AG ergibt sich nichts anderes. Entgegen dem in der
Beschwerde zitierten Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 15. Mai 2003 (BV.2001.00045) kann ein unbefristeter Vertrag auch nicht
daraus konstruiert werden, dass Art. 19 Abs. 4 AVG eine Kündigungsfrist nur für
die unbefristeten Verträge ausdrücklich vorsieht. Aus den gesetzlichen Vorgaben
kann nicht gefolgert werden, dass Maximaldauerverträge mit vorgängiger
Kündigungsmöglichkeit unzulässig wären (Brühwiler, Auswirkungen des
Bundesgesetzes über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih vom 6.
Oktober 1989 [AVG] auf den temporären Arbeitsvertrag, in: SJZ 87/1991 S. 221
ff., 226; Andreas Ritter, Das revidierte Arbeitsvermittlungsgesetz und dessen
Auswirkungen auf die betroffenen Wirtschaftszweige, Bern 1994, S. 143).

3.
3.1 Liegt ein befristetes Arbeitsverhältnis im Sinne von Art. 1 Abs. 1 lit. b
BVV2 vor, ist zu prüfen, ob die in der Verordnung für die Unterstellung unter
das Versicherungsobligatorium vorgesehene Schwelle von drei Monaten erreicht
wird. Dabei ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass eine
Versicherungspflicht auch besteht, wenn die Gesamtdauer der Einsätze für
dieselbe Temporärfirma mehr als drei Monate beträgt (vgl. auch Mitteilungen des
BSV über die berufliche Vorsorge Nr. 87 vom 16. November 2005, Rz. 505). Dies
entspricht denn auch dem anwendbaren Reglement der Stiftung 2. Säule des
Schweizerischen Verbandes der Unternehmungen für Temporärarbeit und private
Arbeitsvermittlung SVUTA, welches in Art. 3 Abs. 2 vorsieht, dass der Begriff
des Arbeitsvertrags im Bereich der temporären Arbeit der Dauer einer
ununterbrochenen Anstellung entspricht, ermittelt aufgrund der kumulierten
Arbeitswochen.

3.2 Ausgehend von den Stundenrapporten ermittelte die Vorinstanz, dass der
Beschwerdeführer während 66 Tagen bzw. 13 Wochen und einem Tag im Einsatz
gestanden sei, nämlich bei der Firma S.________ AG 21 Tage, bei der Firma
C.________ AG 24 Tage und bei der Firma M.________ AG 21 Tage. Mit der
Begründung, eine Versicherungspflicht hätte erst ab der 14. Woche bestanden,
gelangte sie zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer der obligatorischen
Versicherung zu Recht nicht unterstellt worden sei.

3.3 Entgegen der Vorgehensweise des kantonalen Gerichts sind für die
Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitsverhältnis von mehr oder weniger als drei
Monaten vorliegt, nicht die geleisteten Arbeitstage massgebend, sondern die
Kalendertage, -wochen oder -monate, für welche das Arbeitsverhältnis
eingegangen worden ist (vgl. SVR 2007 BVG Nr. 2 S. 4 E. 5, B 105/05; Urteil B
54/04 vom 30. September 2005, E. 3.2 [mit Zusammenfassung in SZS 2006 S. 354];
vgl. auch Stauffer, Berufliche Vorsorge, Zürich 2005, S. 183 Rz. 474). Werden
für die Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses in diesem Sinne die
Kalendertage zusammengezählt, resultiert ein drei Monate überschreitendes Total
von 95 Tagen (Firma S.________ AG: 37 Tage; Firma C.________ AG: 32 Tage; Firma
M.________ AG: 26 Tage), so dass der Beschwerdeführer grundsätzlich am Ende des
dritten Einsatzes bei der Firma M.________ AG versicherungspflichtig gewesen
wäre.

3.4 Da dem Einsatz bei der Firma M.________ AG indessen ein längerer
Arbeitsunterbruch von sechs Wochen (25. März bis 7. Mai 1995) folgte, stellt
sich die Frage, ob die Dreimonatsfrist beim Einsatz in der Firma H.________ AG
am 8. Mai 1995 neu zu laufen begann. Ist dies zu bejahen, dauert die
Versicherungspflicht nicht weiter und fällt der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
(13. Juni 1995) auch nicht in die Nachdeckungsfrist gemäss Art. 10 Abs. 3 BVG.

3.5 Gemäss Art. 3 Abs. 2 des Reglements der Stiftung 2. Säule des
Schweizerischen Verbandes der Unternehmungen für Temporärarbeit und private
Arbeitsvermittlung SVUTA bleiben Temporärangestellte versichert, wenn die
Arbeitsunterbrechung zwischen zwei Einsätzen während den ersten 6 Monaten 2
Wochen (und im hier nicht weiter interessierenden Fall ab dem 7. Monat 5
Wochen) nicht übersteigt. Diese der Abgrenzung, ob eine Verlängerung des
vorangegangenen Einsatzes vorliegt, dienende Norm liegt auf der Linie der vom
BSV herausgegebenen Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 91 vom 6.
April 2006, Rz. 529, wonach bei einer Unterbrechung zwischen zwei
Arbeitseinsätzen von mehr als zwei Wochen der "Zähler" wieder auf "Null"
gesetzt wird (vgl. auch ZAK 1985 S. 370). Anders zu entscheiden wäre, wenn -
was hier nicht der Fall ist - ein rechtsmissbräuchlicher Kettenvertrag
vorliegen würde, welcher bezweckte, die Anwendung der Bestimmungen über den
Kündigungsschutz zu umgehen oder das Entstehen von Rechtsansprüchen, die von
einer Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses abhängen, zu verhindern (BGE 129
III 618 E. 6.2 S. 624 mit Hinweis; 119 V 46 E. 1c S. 48; vgl. auch Urteile
2P.26/2007 vom 28. Juni 2007, E. 3.6; 4C.22/2000 vom 27. Juni 2000, E. 2c
[publ. in Pra 2001 Nr. 31 S. 197]; ARV 2001 S. 80 E. 2c, C 180/99; vgl. auch
Mitteilungen über die berufliche Vorsorge Nr. 91 vom 6. April 2006, Rz. 529 in
fine).

3.6 Da zwischen dem Einsatz bei der Firma M.________ AG (27. Februar bis 24.
März 1995) und demjenigen bei der Firma H.________ AG (8. Mai bis 12. Juni
1995) sechs Wochen liegen, ist die Dauer der einzelnen Einsätze nach dem
Arbeitsunterbruch wieder von Null an zu rechnen. Damit war der Beschwerdeführer
der obligatorischen Versicherung bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 13.
Juni 1995 nicht unterstellt und hat die Stiftung 2. Säule swissstaffing eine
Leistungspflicht zu Recht verneint.

4.
Soweit der Versicherte die am 13. Dezember 1995 errichtete Vorsorgestiftung
Manpower ins Recht fassen will, wird auf die zutreffenden Erwägungen im
kantonalen Entscheid verwiesen, wonach eine Leistungspflicht derselben schon
deshalb ausser Betracht fällt, weil die Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur
Invalidität geführt hat, am 13. Juni 1995 eingetreten ist und somit zu einem
Zeitpunkt, in welchem die Vorsorgestiftung Manpower noch gar nicht existiert
hat.

5.
Nicht zu beanstanden ist schliesslich auch, dass die Vorinstanz das Gesuch um
unentgeltliche Verbeiständung mangels Bedürftigkeit abgewiesen hat, verfügte
doch der Beschwerdeführer nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen der
Vorinstanz über ein Vermögen von über Fr. 50'000.- (vgl. zum fehlenden Anspruch
auf unentgeltliche Rechtspflege im letztinstanzlichen Verfahren auch den
Beschluss des Bundesgerichts vom 8. Oktober 2007).

6.
Dem Prozessausgang entsprechend trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. April 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Keel Baumann