Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 43/2007
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9C_43/2007

Urteil vom 7. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Borella, Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

S. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Ronald
Frischknecht, Klosterweg 4, 3053 Münchenbuchsee,

gegen

Assura Kranken- und Unfallversicherung, Freiburgstrasse 370, 3018 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
18. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene Dr. med. S.________, Facharzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, war bis Ende 2003 bei der Assura
Kranken- und Unfallversicherung obligatorisch für Krankenpflege versichert.
Im Zusammenhang mit einem gemeldeten Zeckenbiss aus dem Jahre 1999 erbrachte
der Unfallversicherer (Zürich Versicherungs-Gesellschaft) zunächst die
gesetzlichen Versicherungsleistungen, lehnte aber mit Verfügung vom 8. Januar
2003 und Einspracheentscheid vom 7. März 2006 den Anspruch auf Leistungen ab.
Das zu dieser Frage eingeleitete Rechtsmittelverfahren ist letztinstanzlich
noch beim Bundesgericht hängig (U 585/06).

Die Assura anerkannte am 3. April 2003 im Grundsatz ihre Vorleistungspflicht
für die Behandlung der angeblich durch den Zeckenbiss übertragenen
Lyme-Borreliose, verweigerte aber gewisse Leistungen, worauf das damalige
Eidgenössische Versicherungsgericht (heute Bundesgericht) in teilweiser
Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit Urteil vom 27. Januar 2005
die sich nach Massgabe des KVG richtende Vorleistungspflicht der Assura
bestätigte.

S. ________ ersuchte die Assura am 15. Dezember 2005 um Rückerstattung der
Kosten für in der Zeit vom 6. Dezember 2001 bis 17. Januar 2002 und vom 5.
November bis 16. Dezember 2002 von ihm an sich selbst vorgenommenen
Borreliose-Behandlungen im Gesamtbetrag von Fr. 22'532.60. Mit Verfügung vom
14. März 2006 lehnte die Assura die Vergütung der beiden Rechnungen ab. Daran
hielt sie mit Einspracheentscheid vom 5. Mai 2006 fest.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die hiegegen erhobe-ne
Beschwerde mit Entscheid vom 18. Januar 2007 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des
angefochtenen Entscheids sei im Rahmen der Vorleistungspflicht sein Anspruch
von Fr. 22'532.60 für die Selbstbehandlungen zulasten der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung anzuerkennen.

Die Assura und das Bundesamt für Gesundheit schliessen auf Abweisung der
Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig ist, ob sich die Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenversicherung auch auf die Selbstbehandlung eines Arztes erstreckt.
Diese dem Bundesgericht erstmals vorgelegte Rechtsfrage ist von
grundsätzlicher Bedeutung, weshalb über sie nach Art. 20 Abs. 2 BGG in
Fünferbesetzung zu entscheiden ist.

2.
2.1 Die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten für die
Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen
dienen (Art. 25 Abs. 1 KVG). Haben Versicherer und Leistungserbringer nichts
anderes vereinbart, so schulden gemäss Art. 42 Abs. 1 KVG die Versicherten
den Leistungserbringern die Vergütung der Leistung, wobei sie gegenüber dem
Versicherer einen Anspruch auf Rückerstattung (im Sinne der Erstattung oder
Vergütung) haben (System des Tiers garant). Versicherer können nach Abs. 2
dieses Artikels vereinbaren, dass der Versicherer die Vergütung schuldet
(System des Tiers payant). Ein Anspruch auf Erstattung des Honorars eines
freipraktizierenden Leistungserbringers durch den Versicherer besteht jedoch
in der Regel nur, wenn eine solche Honorarforderung nach den zivilrechtlichen
Voraussetzungen gegeben ist (BGE 125 V 430 E. 3a S. 432 und 435 E. 3a), wobei
deren Erfüllung im letztgenannten Fall des Eltern-Kind-Verhältnisses offen
bleiben kann.

2.2 Gestützt auf die in E. 2.1 dargelegte Rechtsprechung hat das kantonale
Gericht zu Recht geprüft, ob dem Leistungserbringer, der identisch mit dem
Beschwerdeführer ist, ein Honoraranspruch gegenüber sich selbst entstanden
ist. Die Vorinstanz verneint dies im Wesentlichen auf den Überlegungen
basierend, dass das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient unter die
Bestimmungen über den Auftrag (Art. 394 ff OR) fällt und dass niemand mit
sich selbst einen Vertrag schliessen kann. Diese Auffassung wird von der
Doktrin (siehe Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], 2. Aufl., Basel 2006, Rz. 951 und Fn. 1483)
und dem Bundesamt für Gesundheit geteilt.

3.
3.1 Den vorinstanzlichen Erwägungen ist beizupflichten: Das vom Gesetzgeber
gewählte System des Tiers garant (vgl. Art. 42 Abs. 1 KVG) beruht auf einem
personalen Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer (Krankenkasse),
Versichertem (Patient) und Leistungserbringer (z.B. Arzt). Gleiches gilt ohne
Weiteres auch für das System des Tiers payant. Sind nun aber - wie hier -
Patient und Arzt identisch, schuldet ersterer sich selbst mangels eines
zivilrechtlichen Vertragsverhältnisses offensichtlich keine Vergütung für die
an seiner eigenen Person vorgenommenen ärztlichen Behandlungen.

3.2 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringen lässt, dringt nicht durch:
3.2.1 Er macht geltend, er könne wegen des Versicherungsobligatoriums nicht
wählen, ob er eine Krankenversicherung abschliessen oder sich selbst
behandeln wolle und habe daher Anspruch auf die volle Übernahme der Kosten
für Pflichtleistungen. Dass er - wie jede versicherte Person - grundsätzlich
Anspruch auf die Leistungen nach KVG hat, ändert nach dem Gesagten indessen
nichts daran, dass die entsprechenden Voraussetzungen jeweils erfüllt sein
müssen. Wenn behandelter Patient und behandelnder Arzt die gleichen Personen
sind, fehlt es an einer krankenversicherungsrechtlich vergütungsfähigen
Honorarforderung, weshalb eine Leistungspflicht des Versicherers entfällt.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bietet das KVG keinen Raum, den
Ausnahmefall der ärztlichen Selbstbehandlung, wie von ihm verlangt, zu
regeln, liegt doch diesfalls das nach dem vom Gesetzgeber gewählten System
verlangte rückforderbare Substrat nicht vor.

3.2.2 Aus der nicht Gegenstand des Verfahrens bildenden Übernahme der
Medikamentenkosten durch die Beschwerdegegnerin kann der Beschwerdeführer
nichts zu seinen Gunsten ableiten. Ob, wie Eugster, a.a.O., in Rz. 951 an
sich folgerichtig postuliert, von einem Arzt sich selbst verordnete
Arzneimittel nicht Pflichtleistungen sein können, kann offen bleiben, ist
doch unbestritten, dass der Beschwerdeführer sich diese nicht selbst
verordnet hat. Vielmehr wurden sie ihm von einer anderen ihn behandelnden
Ärztin verschrieben.

3.2.3 Aus der Rechtsprechung, wonach sich die Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung auch auf die ärztliche Behandlung
durch den Ehepartner der versicherten Person (BGE 125 V 430) und durch einen
Elternteil des versicherten Kindes (BGE 125 V 435) erstreckt, ergibt sich
ebenfalls nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers, lag doch jenen
Konstellationen keine personelle Identität zu Grunde.

3.2.4 Dass der Beschwerdeführer bei einer anderen Ärztin in Behandlung steht,
die ihm die Medikamente und die Behandlung verordnet hat, ändert nichts
daran, dass es im Wesentlichen um eine nicht kassenpflichtige
Selbstbehandlung geht.

3.2.5 Inwiefern schliesslich die Selbstbehandlung wirtschaftlicher sein soll,
ist nicht nachvollziehbar, hat doch der Beschwerdeführer (als
Leistungserbringer) den üblichen Ansatz nach Tarif in Rechnung gestellt.

4.
Die KV-rechtliche Vergütung ärztlicher Selbstbehandlung ist auch wegen der
Gefahr des Missbrauchs zu verneinen (vgl. zur Ungültigkeit des
Selbstkontrahierens bei Interessenkollisionen im Zivilrecht: Guhl/ Koller,
Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, S. 157 N 15 zu §
18 mit Hinweisen auf die Praxis). Eine solche hatte das damalige
Eidgenössische Versicherungsgericht zwar bereits in den in E. 3.2.3 erwähnten
Konstellationen geortet. Es hielt aber fest, dass es dem Krankenversicherer
umbenommen bleibt, die Kontrollmöglichkeiten in solchen Fällen zu
intensivieren. In jenen Fällen waren Arzt und Patient wohl familiär sehr eng
miteinander verbunden, jedoch verschiedene natürliche Personen. Den an seiner
eigenen Person tätig werdenden Arzt als Leistungserbringer der gesetzlichen
Krankenversicherung zuzulassen, würde indessen zu einer Vermischung der
Rollen der versicherten Person und des Leistungserbringers führen, was auch
unter dem Gesichtswinkel einer jederzeit möglichen und unkontrollierbaren
Missbrauchsgefahr abzulehnen ist.

5.
Die Kosten für die zweite Behandlung vom 5. November bis 16. Dezember 2002
können auch aus einem weiteren Grund nicht übernommen werden. Aus der
entsprechenden Rechnung geht hervor, dass es sich dabei um die Verabreichung
des nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführte Medikamentes Claforan
handelte. Im ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Urteil vom 27.
Januar 2005 (K 166/03) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in E. 4.2
ausdrücklich festgehalten, dass die gesetzliche Ordnung die Übernahme der
Kosten von nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführten Arzneimitteln durch
die obligatorische Krankenpflegeversicherung ausschliesst, weshalb nach Art.
71 Satz 1 ATSG die Vorleistungspflicht der Assura für das nicht auf der
Spezialitätenliste aufgeführte Medikament Claforan und Positionen, die im
Zusammenhang mit der Verabreichung dieses Arzneimittels stehen, entfällt.

6.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.

Luzern, 7. August 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
i.V.