Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 432/2007
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9C_432/2007

Urteil vom 6. November 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Attinger.

K. ________, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 25. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 6. November 2006 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich
das Gesuch des 1947 geborenen K.________ um Ausrichtung einer Invaliderente
ab. Weil sich der Versicherte auch nach vorangegangener schriftlicher Mahnung
und Hinweis auf die Rechtsfolgen weiterhin geweigert habe, seinen Auskunfts-
und Mitwirkungspflichten nachzukommen, habe aufgrund der vorliegenden Akten
entschieden werden müssen.

Die IV-Stellte sandte diese leistungsverweigernde Verwaltungsverfügung am
8. November 2006 uneingeschrieben an die von K.________ angegebene Adresse.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat mit Entscheid vom
25. Mai 2007 auf die Eingabe von K.________ vom 18. Dezember 2006 nicht ein,
weil dieser die 30-tägige Beschwerdefrist verpasst habe.

C.
K.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf (ersatzlose)
Aufhebung sowohl des angefochtenen vorinstanzlichen Nichteintretensentscheids
als auch der rentenablehnenden Verfügung vom 6. November 2006. Überdies
ersucht er um Zusprechung einer Parteientschädigung von Fr. 100.- und um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne der Befreiung von den
Gerichtskosten.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen den kantonalen Nichteintretensentscheid.
Das Bundesgericht hat daher zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die bei
ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist. Dagegen kann auf den in der
letztinstanzlichen Beschwerde gestellten materiellen Antrag (ersatzlose
Aufhebung der streitigen Verfügung vom 6. November 2006) hier nicht
eingetreten werden (BGE 132 V 74 E. 1.1 S. 76, 125 V 503 E. 1 S. 505 mit
Hinweis).

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG).

Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der
Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid
in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen
Grundlagen (u.a.) Bundesrecht, Völkerrecht oder kantonale verfassungsmässige
Rechte verletzt (Art. 95 lit. a-c BGG), einschliesslich einer allfälligen
rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2
BGG).

3.
3.1 Gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG ist die Beschwerde innerhalb von 30 Tagen nach
der Eröffnung des Einspracheentscheids oder - wie hier - der Verfügung, gegen
welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen. Diese gesetzliche
Frist kann nicht erstreckt werden (Art. 40 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 60
Abs. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG). Nach Art. 39 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 60 Abs. 2 ATSG ist die 30-tägige Frist nur gewahrt, wenn die Beschwerde
spätestens am letzten Tag der Frist beim kantonalen Versicherungsgericht
eingereicht oder zu dessen Handen u.a. der Schweizerischen Post übergeben
worden ist. Gelangt die Partei rechtzeitig an einen unzuständigen
Versicherungsträger, so gilt die Frist als gewahrt (Art. 39 Abs. 2 ATSG).
Läuft die Frist unbenützt ab, so erwächst die Verfügung in formelle
Rechtskraft, mit der Wirkung, dass das kantonale Gericht auf die verspätet
eingereichte Beschwerde nicht eintreten kann.

3.2 Die Eröffnung einer Verfügung ist eine empfangsbedürftige, nicht aber
eine annahmebedürftige einseitige Rechtshandlung; sie entfaltet daher ihre
Rechtswirkungen vom Zeitpunkt der ordnungsgemässen Zustellung an; ob die
betroffene Person vom Verfügungsinhalt Kenntnis nimmt oder nicht, hat keinen
Einfluss (BGE 119 V 89 E. 4c S. 95 mit Hinweisen). Der Beweis der Tatsache
sowie des Zeitpunktes der Zustellung von Verfügungen obliegt
rechtsprechungsgemäss der die Zustellung veranlassenden Behörde, welche die
entsprechende (objektive) Beweislast trägt (BGE 124 V 400 E. 2a S. 402, 117 V
261 E. 3b S. 264, je mit Hinweisen). Dabei gilt bezüglich Tatsachen, welche
für die Zustellung von Verfügungen der Verwaltung erheblich sind, der
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 124 V 400 E. 2b S. 402,
121 V 5 E. 3b S. 6, je mit Hinweisen). Allerdings bedingt dies in der Regel
die Eröffnung der Verfügung mit eingeschriebenem Brief; denn nach der
Rechtsprechung vermag die Verwaltung den Wahrscheinlichkeitsbeweis für die
Zustellung der Verfügung nicht durch den blossen Hinweis auf den üblichen
administrativen Ablauf zu erbringen (ZAK 1984 S. 124 Erw. 1). Wird die
Tatsache oder das Datum der Zustellung uneingeschriebener Sendungen
bestritten, muss daher im Zweifel auf die Darstellung des Empfängers
abgestellt werden (BGE 124 V 400 E. 2a S. 402, 103 V 63 E. 2a S. 66).

4.
Die IV-Stelle sandte die streitige Verfügung vom 6. November 2006 an die
Wohnadresse des Beschwerdeführers in W.________. Während des gesamten
Verwaltungsverfahrens hat der Versicherte in seiner Korrespondenz mit den
IV-Organen ausschliesslich diese Adresse angegeben, obwohl er sich bereits
seit dem 8. Oktober 2004 (die IV-Anmeldung erfolgte im Januar 2005)
ununterbrochen in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft befand. Offenbar seit
dem 16. November 2006 verbüsst er nunmehr eine Freiheitsstrafe in der
Strafanstalt X.________.

5.
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass der
Beschwerdeführer die am 8. November 2006 (Datum des Poststempels auf dem
Briefumschlag) uneingeschrieben mit gewöhnlicher Post ("A-Priority")
versandte Verfügung vom 6. November 2006 tatsächlich erhalten hat. Streitig
ist hingegen das Datum des Empfangs der Sendung.

5.1 In seiner Beschwerde ans kantonale Gericht vom 18. Dezember 2006 machte
der Beschwerdeführer geltend, die Verwaltungsverfügung vom 6. November 2006
sei ihm (seitens der Strafvollzugsbehörden) während des Zeitraums vom
16. November bis 15. Dezember 2006 "vorenthalten" worden, weshalb er keine
Möglichkeit gehabt habe, "früher (...) zu reagieren". Zum diesbezüglichen
Beweis verwies der Versicherte auf eine an ihn gerichtete "interne
Mitteilung" der genannten Strafanstalt vom 15. Dezember 2006, worin
ausgeführt wurde, "beiliegend erhalten Sie (u.a.) eine Verfügung, die Sie
seit Ihrem Eintritt in die Strafanstalt X.________ am 16.11.2006 vermisst
haben". Des Weitern reichte der Versicherte als Beilage zu seiner
vorinstanzlichen Beschwerde eine Kopie seiner Eingabe an die IV-Stelle vom
12. Dezember 2006 ein, in welcher er die Verfügung vom 6. November 2006
"strikte ablehnte".

5.2 Gestützt auf die genannte Eingabe vom 12. Dezember 2006 zog die
Vorinstanz die im Lichte von Art. 105 Abs. 2 BGG nicht zu beanstandende
Schlussfolgerung, dass der Beschwerdeführer "Inhalt und Tragweite" der
streitigen Verfügung vom 6. November 2006 "bereits vollständig erfasst hatte,
bevor sie ihm am 16. November 2006 zwischenzeitlich abhanden kam" (d.h. von
Seiten der Strafverfolgungs- oder -vollzugsbehörden entzogen wurde). Diese
Feststellung wird denn auch von der neuen, letztinstanzlich erstmals
erhobenen Einwendung des Versicherten, wonach ihm die Staatsanwaltschaft das
fragliche "Poststück erst nach dem 04.12.2006 zur Kenntnis" brachte, nicht
entscheidend in Frage gestellt. Als vor Bundesgericht unter sämtlichen
Beteiligten nunmehr unbestritten (und aufgrund der Aktenlage ausgewiesen)
kann nämlich zumindest gelten, dass die streitige Verfügung vom 6. November
2006 dem Beschwerdeführer bereits eröffnet worden war, als er seine Eingabe
an die IV-Stelle vom 12. Dezember 2006 verfasste (andernfalls er den
Verfügungsinhalt gar nicht hätte kennen können). Angesichts des darin klar
zum Ausdruck gebrachten Beschwerdewillens (mit Antrag und Begründung) ist
bereits die Eingabe an die Verwaltung vom 12. Dezember 2006 als - an eine
unzuständige Behörde gesandte (vgl. Art. 39 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 60
Abs. 2 ATSG) - erstinstanzliche Beschwerde zu betrachten.

5.3 Was die Frage nach dem Eröffnungszeitpunkt anbelangt, mag hier offen
bleiben, ob dieser mit dem Eingang der Verfügung an der Wohnadresse des
Beschwerdeführers zusammenfiel oder ob von einer ordnungsgemässen (und damit
fristauslösenden) Zustellung erst anlässlich der späteren Aushändigung der
Verfügung durch die Strafbehörden gesprochen werden kann. Wie sich aus den
nachfolgenden Erwägungen ergibt, kann auch im Falle der erstgenannten
Variante nicht von einer verspätet erhobenen Beschwerde ausgegangen werden.
Wenn die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid nämlich festhält, dass der
Beschwerdeführer die am 8. November 2006 versandte Verfügung "am 9. oder
10. November 2006 erhalten hat", stützt sie sich der Sache nach
ausschliesslich auf die vermutete Verlässlichkeit der Post, was nach der
unter E. 3.2 hievor dargelegten Rechtsprechung nicht angeht. Ob die
betreffende Verfügung tatsächlich am (Donnerstag) 9. oder (Freitag)
10. Dezember 2006 am Wohnort des Versicherten eingegangen ist, lässt sich
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit annehmen. Das kantonale Gericht
hat denn auch diesbezüglich keinerlei Beweiserörterung oder Beweiswürdigung
vorgenommen, weshalb nicht von einer Sachverhaltsfeststellung im Sinne von
Art. 105 Abs. 1 OG gesprochen werden kann; vielmehr liegt eine blosse
Sachverhaltsunterstellung vor, welche keine Bindungswirkung entfaltet (vgl.
E. 2 hievor). Aufgrund der Aktenlage kann jedenfalls nicht mit hinreichender
Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden, dass die am 8. November 2006
uneingeschrieben versandte Verfügung am Montag, den 13. November 2006, d.h.
am dritten Werktag nach der Postaufgabe durch die IV-Stelle (oder später), am
Wohnort des Beschwerdeführers einging. Weil bereits unter dieser Prämisse die
(bei der unzuständigen IV-Stelle eingereichte) Beschwerde vom 12. Dezember
2006 noch innerhalb der 30-tägigen Beschwerdefrist erhoben worden wäre,
verbietet sich die vorinstanzliche Annahme eines Fristversäumnisses.

6.
Die Gerichtskosten werden der IV-Stelle als unterliegender Partei auferlegt
(Art. 66 Abs. 1 BGG), womit das Gesuch des Beschwerdeführers auf
unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Kostenbefreiung gegenstandslos wird.

Entgegen seinem Antrag steht dem obsiegenden, nicht anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer keine Parteientschädigung zu, weil die Voraussetzungen für
eine ausnahmsweise zuzusprechende Aufwandentschädigung (BGE 127 V 205 E. 4b
S. 207, 110 V 72 S. 82 und 132 E. 4d S. 134) im vorliegenden Verfahren nicht
erfüllt sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Mai 2007
wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese
über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 6. November 2006 materiell
entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich
auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Ausgleichskasse des
Kantons Zürich zugestellt.

Luzern, 6. November 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Attinger