Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 414/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_414/2007

Urteil vom 25. Juli 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Attinger.

Parteien
Personalvorsorgestiftung X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin,

betreffend H.________.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 23. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 19. Januar 2006 sprach die IV-Stelle Luzern dem 1966
geborenen H.________ ab 1. April 2002 eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zu. Der diesbezüglichen Begründung lässt sich entnehmen,
dass die einjährige Wartezeit am 16. November 1998 zu laufen begonnen habe und
der Rentenanspruch an sich bereits seit 1. November 1999 bestehe. Weil die
Anmeldung des Versicherten zum Leistungsbezug erst im April 2003 und somit
verspätet erfolgt sei, könne die Invalidenrente erst ab 1. April 2002
ausgerichtet werden. Die Personalvorsorgestiftung X.________ (nachfolgend:
Personalvorsorgestiftung), bei welcher H.________ bis 28. Februar 1999
(einschliesslich Nachdeckungsfrist) berufsvorsorgerechtlich versichert war,
erhob Einsprache mit dem Antrag, der Beginn der einjährigen Wartezeit sei auf
ein späteres Datum festzulegen. Mit Einspracheentscheid vom 7. September 2006
lehnte die IV-Stelle das Begehren der Vorsorgeeinrichtung ab.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die von der
Personalvorsorgestiftung dagegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 23.
Mai 2007 ab.

C.
Die Personalvorsorgestiftung führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag,
der von der IV-Stelle auf den 16. November 1998 festgesetzte Beginn der
einjährigen Wartezeit sei "auf ein späteres Datum zu verlegen".
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, haben sich das
Bundesamt für Sozialversicherungen sowie der als Mitinteressierter beigeladene
H.________ hiezu nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Bundesgericht von Amtes wegen die
formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens, insbesondere auch die Frage,
ob die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde eingetreten ist. Hat die
Vorinstanz übersehen, dass es an einer Prozessvoraussetzung fehlte, und hat sie
materiell entschieden, ist dies im Rechtsmittelverfahren von Amtes wegen zu
berücksichtigen mit der Folge, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben wird
(BGE 132 V 93 E. 1.2 S. 95 mit Hinweis). Art. 107 Abs. 1 BGG, wonach das
Bundesgericht nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen darf, steht in
einem solchen Falle einer Aufhebung des angefochtenen Entscheides aus formellen
Gründen - auch ohne entsprechenden Antrag - nicht entgegen, da diese Bestimmung
nur die materielle Seite des Rechtsstreits betrifft (Ulrich Meyer, Basler
Kommentar, N. 1 zu Art. 107 BGG; vgl. BGE 96 I 189 E. 1 S. 191 und RKUV 1991
Nr. U 124 S. 157 E. 1 zu Art. 114 Abs. 1 des auf Ende 2006 aufgehobenen OG).

2.
Es stellt sich die Frage nach der Legitimation der Personalvorsorgestiftung zur
vorliegenden, im Laufe des Instanzenzuges mehrfach erfolgten Ergreifung von
Rechtsmitteln.

2.1 Erlässt ein Versicherungsträger eine Verfügung, welche die Leistungspflicht
eines anderen Trägers berührt, so hat er auch ihm die Verfügung zu eröffnen;
dieser kann die gleichen Rechtsmittel ergreifen wie die versicherte Person
(Art. 49 Abs. 4 ATSG). Der Ausdruck des "Berührtseins" findet sich auch in Art.
59 ATSG, wonach zur Beschwerde berechtigt ist, wer durch die angefochtene
Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Zu letzterer, die
Beschwerdelegitimation im kantonalen Gerichtsverfahren (wie auch im
Einspracheverfahren: BGE 130 V 560 E. 3.2 S. 562) betreffenden Norm hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, dass die Begriffe des
"Berührtseins" und des "schutzwürdigen Interesses" in gleicher Weise auszulegen
sind wie für das bundesrechtliche Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren nach
Art. 103 lit. a des auf Ende 2006 aufgehobenen OG (BGE 130 V 388 E. 2.2 S. 390,
560 E. 3.2 in fine S. 563; vgl. nunmehr Art. 89 Abs. 1 BGG, BGE 133 II 249 E.
1.3.1 S. 252, 353 E. 3 S. 356). Nichts anderes kann für den Anwendungsbereich
von Art. 49 Abs. 4 ATSG gelten. Auch hier ist demnach derjenige anderweitige
Versicherungsträger berührt, der in einer besonderen, beachtenswerten, nahen
Beziehung zur Streitsache steht, mithin in rechtlichen oder tatsächlichen
Interessen spürbar betroffen ist (BGE 132 V 74 E. 3.1 mit Hinweisen S. 77).

2.2 Die (durch die Rechtsprechung näher umschriebene) Bindungswirkung der
Invaliditätsbemessung der Ersten Säule (Invalidenversicherung) für die Zweite
Säule (berufliche Vorsorge) ist in den Art. 23 ff. BVG positivrechtlich
ausdrücklich verankert (BGE 115 V 208, 215 und 118 V 35 E. 2, 3 S. 38 ff. sowie
seitherige Urteile). Das zeigt sich darin, dass sich der Leistungsanspruch auf
eine Invalidenrente der obligatorischen beruflichen Vorsorge an den
sachbezüglichen Voraussetzungen des IVG orientiert (Art. 23 BVG [für die hier
relevante Rechtsfrage sind jeweils die bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassungen
der BVG-Bestimmungen massgebend]), die Höhe der berufsvorsorgerechtlichen Rente
analog zu derjenigen nach IVG bestimmt wird (Art. 24 Abs. 1 BVG) und
schliesslich für den Beginn des Anspruchs auf eine BVG-Invalidenrente gestützt
auf Art. 26 Abs. 1 BVG sinngemäss die entsprechenden
invalidenversicherungsrechtlichen Bestimmungen (Art. 29 IVG in der hier
massgebenden, bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung) gelten. Diese gesetzliche
Konzeption fusst auf der Überlegung, die Organe der (obligatorischen)
beruflichen Vorsorge von eigenen aufwändigen Abklärungen freizustellen, und
gilt nur bezüglich Feststellungen und Beurteilungen der IV-Organe, welche im
invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren für die Festlegung des Anspruchs
auf eine Invalidenrente entscheidend waren. Indem die Invaliditätsbemessung der
Invalidenversicherung für die Organe der (obligatorischen) beruflichen Vorsorge
prinzipiell bindend ist, ist sie geeignet, die Leistungspflicht des
BVG-Versicherers in grundsätzlicher, zeitlicher und masslicher Hinsicht im
Sinne von Art. 49 Abs. 4 ATSG (unmittelbar) zu berühren. Die Organe der
beruflichen Vorsorge sind daher zur Einsprache gegen die Verfügung oder zur
Beschwerde gegen den Einspracheentscheid der IV-Stelle über den Rentenanspruch
als solchen oder den Invaliditätsgrad berechtigt; ebenso ist der
BVG-Versicherer befugt, in Streitigkeiten um eine Rente der
Invalidenversicherung gegen Entscheide kantonaler Gerichte Beschwerde ans
Bundesgericht zu führen (BGE 132 V 1 E. 3.2 und 3.3.1 S. 4 f.).

2.3 Wie erwähnt, erstreckt sich die Verbindlichkeitswirkung nur auf diejenigen
Feststellungen und Beurteilungen im IV-Verfahren, welche dort für die
Festlegung des Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung entscheidend
waren und über die demnach effektiv zu befinden war; andernfalls haben die
Organe der beruflichen Vorsorge die Anspruchsvoraussetzungen ihrerseits frei zu
prüfen (vgl. Urteil B 50/99 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 14.
August 2000, E. 2b). Die Festsetzung des Beginns des Rentenanspruches durch die
Invalidenversicherung schliesst sodann nicht aus, dass die den Anspruch auf
Invalidenleistungen nach BVG begründende Arbeitsunfähigkeit (in geringerem
Ausmass) schon mehr als ein Jahr zuvor eingetreten ist (Urteil B 47/98 des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 11. Juli 2000, E. 4d; zum Ganzen: SVR
2005 BVG Nr. 5 S. 16, E. 2.3.2).

2.4 Im vorliegenden Fall fehlt es an der dargelegten Verbindlichkeitswirkung:
Aufgrund der im April 2003 erfolgten, von der Invalidenversicherung als im
Sinne von Art. 48 Abs. 2 IVG (in Kraft gestanden bis Ende 2007) verspätet
qualifizierten Anmeldung zum Leistungsbezug bestand
invalidenversicherungsrechtlich kein Anlass, den Verlauf der Arbeitsunfähigkeit
mehr als zwei Jahre vor dem Zeitpunkt der Anmeldung zu prüfen (nach der
letztgenannten Gesetzesbestimmung werden die Leistungen lediglich für die zwölf
der Anmeldung vorangehenden Monate ausgerichtet, während gemäss Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG der IV-Rentenanspruch frühestens in dem Zeitpunkt entsteht, in dem
der Versicherte während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch
durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig gewesen war). Hinsichtlich
weiter zurückliegender Zeiten fallen daher verbindlichkeitsrechtlich
massgebende Feststellungen und Beurteilungen der IV-Organe
rechtsprechungsgemäss von vornherein ausser Betracht (Urteil I 349/05 des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 21. April 2006, E. 2.3; Urteil I 204/
04 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 16. September 2004). Das
allein Rechtsverbindlichkeit erlangende Dispositiv der Verfügung vom 19. Januar
2006 beschränkt sich denn auch darauf, ab 1. April 2002 eine Rente
zuzusprechen. Ein Beginn der Wartezeit per 16. November 1998 ist zwar unter
"Abklärungsergebnis" erwähnt, aber in der Verfügung nicht rechtsverbindlich
festgelegt. Wird nach dem Gesagten mit Bezug auf den berufsvorsorgerechtlichen
Leistungsanspruch insoweit nichts präjudiziert, entfällt eine entsprechende
Rechtsmittelbefugnis der Personalvorsorgestiftung.

2.5 Die Vorinstanz hätte daher richtigerweise auf die Beschwerde nicht
eintreten dürfen, was im vorliegenden Verfahren von Amtes wegen zu korrigieren
ist (Urteil I 299/93 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 25. März
1994). Dementsprechend hätte sich das kantonale Gericht zum Beginn der
einjährigen Wartezeit gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG nicht äussern und den
angefochtenen Einspracheentscheid materiell weder bestätigen noch aufheben
dürfen. Dieselben Überlegungen gelten hinsichtlich des Einsprecheentscheids vom
7. September 2006: Auch die IV-Stelle hätte die Sache mit Nichteintreten
erledigen müssen. Soweit letztinstanzlich wiederum die Verlegung der Wartezeit
"auf ein späteres Datum" verlangt wird, kann darauf ebenso nicht eingetreten
werden.

3.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerde führenden Personalvorsorgestiftung als
unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, im Sinne der Erwägungen
abgewiesen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 23.
Mai 2007 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle Luzern vom 7. September 2006
werden aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Personalvorsorgestiftung X.________
auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für
Sozialversicherungen, der Ausgleichskasse Luzern und H.________, Luzern,
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 25. Juli 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer i.V. Krähenbühl