Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 39/2007
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Urteil vom 20. September 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

H. _________,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Postfach 116, 4501 Solothurn.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 8. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 8. Januar 2007 ist der Präsident des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn auf die von H._________ (geb. 1962) gegen den
Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Solothurn vom 21. September
2006 eingereichte Beschwerde nicht eingetreten, weil sie den von ihr nach
Ablehnung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege mit Verfügung vom
27. November 2006 einverlangten Kostenvorschuss von Fr. 600.- nicht innert
der am 22. Dezember 2006 abgelaufenen Frist bezahlt habe.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt
H.________, unter Aufhebung der Verfügung vom 8. Januar 2007 sei das
Versicherungsgericht zu verpflichten, auf die Beschwerde einzutreten.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Versicherungsgericht zu Recht
nicht auf die bei ihm eingereichte Beschwerde eingetreten ist, weil die
Beschwerdeführerin den von ihr unter Androhung des Nichteintretens im
Unterlassungsfall einverlangten Kostenvorschuss nicht innert der
verfügungsweise angesetzten Frist bezahlt hat.

2.
2.1 In einem neuesten, zur Publikation in BGE 133 V vorgesehenen Urteil N. vom
24. Juli 2007, I 1096/06, hat das Bundesgericht entschieden, dass die
Befugnis zur Erhebung eines Kostenvorschusses und die verfahrensrechtlichen
Folgen einer allfälligen Nichtbezahlung in einem Gesetz im formellen Sinn
vorgesehen sein müssen; Art. 69 Abs. 1bis IVG, welcher seit 1. Juli 2006 die
Kostenpflicht im kantonalen Beschwerdeverfahren über die Bewilligung oder
Verweigerung von IV-Leistungen statuiert, bildet keine hinreichende
gesetzliche Grundlage, um im kantonalen Beschwerdeverfahren betreffend die
Zusprechung oder Verweigerung von Leistungen der Invalidenversicherung einen
Kostenvorschuss einzufordern.

2.2 Aus dem für das erstinstanzliche Verfahren massgebenden kantonalen Recht
(erwähntes Urteil N. vom 24. Juli 2007, I 1096/06) ergibt sich was folgt:

Gemäss § 58 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Solothurn über den Rechtsschutz
in Verwaltungssachen vom 15. November 1970 (Verwaltungsrechtspflegegesetz; GS
124.11) finden auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichtsbehörden, zu
welchen auch das Versicherungsgericht zählt (§ 3 Abs. 1 lit. b und § 40 Abs.
1 lit. c), die Vorschriften der Zivilprozessordnung vom 11. September 1966
(ZPO; GS 221.1) sinngemäss Anwendung. Sodann werden gemäss § 77 die Gerichts-
und Parteikosten nach den Grundsätzen der Zivilprozessordnung den Parteien
auferlegt. Da sich zur Kostenvorschusspflicht und zu den Folgen der
Nichtleistung weder im Verwaltungsrechtspflegegesetz noch in der Verordnung
über das Verfahren vor dem Versicherungsgericht und über die Organisation und
das Verfahren des Schiedsgerichts in der Kranken- und Unfallversicherung vom
22. September 1987 (GS 125.922) eine spezialgesetzliche Regelung findet, sind
analog die Bestimmungen der ZPO heranzuziehen. Nach § 94 ZPO ist jede Partei
verpflichtet, für die gesamten von ihr beantragten Prozesshandlungen die
Gerichtskosten vorzuschiessen (Abs. 1). Leistet eine Partei innert der
bestimmten Frist den verlangten Vorschuss nicht, so unterbleibt die
Prozesshandlung, sofern diese Folge ausdrücklich angedroht worden ist (Abs.
2). Wird der beim Einreichen einer Klage oder eines Rechtsmittels verlangte
Vorschuss innert der Frist nicht geleistet, so ist die Streitsache
abzuschreiben, sofern diese Folge ausdrücklich angedroht worden ist (Abs. 3).

2.3 Die Verfügung des Versicherungsgerichtspräsidenten vom 27. November 2006,
mit welcher der Beschwerdeführerin zur Bezahlung eines Kostenvorschusses von
Fr. 600.- eine Frist bis 22. Dezember 2006 angesetzt und gleichzeitig
angedroht wurde, dass widrigenfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten
werde, findet somit im Verfahrensrecht des Kantons Solothurn eine
hinreichende Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinne, wie dies die
neueste Rechtsprechung (E. 2.1 hievor) verlangt. Dass § 94 Abs. 3 ZPO des
Kantons Solothurn von Abschreiben der Streitsache spricht, wogegen in der
vorinstanzlichen Verfügung für den Fall der Nichtbezahlung des Vorschusses
Nichteintreten angedroht wurde, ist unerheblich, da das Rechtsbegehren in
beiden Fällen nicht materiell geprüft wird.

3.
Nachdem die Beschwerdeführerin den einverlangten Kostenvorschuss von Fr.
600.- innert der gemäss Verfügung vom 27. November 2006 angesetzten Frist
nicht bezahlt hatte, war die Vorinstanz somit grundsätzlich befugt, auf die
Beschwerde androhungsgemäss nicht einzutreten, woran die Vorbringen der
Versicherten nichts zu ändern vermögen. Gemäss Beschluss der
Einwohnergemeinde E.________ vom 6. April 2006 bezieht die Beschwerdeführerin
seit 1. März 2006 Sozialhilfe. Laut Angaben in der Beschwerde hat sie die
Kostenvorschussverfügung zwecks Bezahlung an das Sozialamt der zuständigen
Gemeinde G._________ weitergeleitet. Diese habe die Zahlung jedoch nicht
vorgenommen. Sie selbst habe nicht angenommen, dass sie die Gemeinde
kontrollieren müsse. Dazu wäre sie auf Grund ihrer grossen Schmerzen auch
kaum in der Lage gewesen.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin seit März 2006 Fürsorgeleistungen
bezieht, entband sie nicht von der Pflicht, für die rechtzeitige Überweisung
des Kostenvorschusses besorgt zu sein. Wie der Verfügung der
Einwohnergemeinde E.________ vom 6. April 2006 zu entnehmen ist, wurden ihr
Sozialhilfeleistungen in einem bestimmten monatlichen Betrag zugesprochen;
von zusätzlichen Leistungen der Gemeinde, wie eben beispielsweise der
Kostengutsprache für die Verfolgung von irgendwelchen Rechtsansprüchen, ist
in der Verfügung nicht die Rede; die Beschwerdeführerin konnte daher nicht
damit rechnen, dass die Einwohnergemeinde den Kostenvorschuss ohne weiteres
übernehmen würde. Sie hätte sich daher rechtzeitig rückversichern müssen,
dass die Gemeindebehörde den Kostenvorschuss innert Frist auch tatsächlich
leistet. Im Übrigen muss sich eine Partei das Verhalten der von ihr
beigezogenen Hilfsperson anrechnen lassen, weshalb die Beschwerdeführerin
auch dann nichts zu ihren Gunsten ableiten könnte, wenn das Sozialamt, das
als von ihr eingesetzte Hilfsperson zu betrachten ist, ein Verschulden an der
Nichtbezahlung des Kostenvorschusses treffen sollte, wie sie behauptet (BGE
114 Ib 67 E. 2e S. 75 f.).

4.
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. September 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: