Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 32/2007
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9C_32/2007

Urteil vom 30. April 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Fessler.

M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Schatzmann,
Bielstrasse 12, Postfach 555, 4502 Solothurn,

gegen

1. P.________, vertreten durch Fürsprecherin Kathrin Straub, Kramgasse 25,
3000 Bern 8,

2. Fundamenta BVG-Gemeinschaftsstiftung für betriebliche Vorsorge,
Jurastrasse 20, 4601 Olten,

Beschwerdegegnerinnen.

Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 18. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 24. November 2003 schied das Obergericht (Zivilkammer) des
Kantons Solothurn die Ehe der P.________ und des M.________ und legte u.a.
das Teilungsverhältnis (1:1) betreffend Austrittsleistungen der beruflichen
Vorsorge fest. Auf die Berufung der P.________ trat die II. Zivilabteilung
(seit 1. Januar 2007: II. zivilrechtliche Abteilung) des Bundesgerichts im
Scheidungspunkt und in Bezug auf das Teilungsverhältnis betreffend
Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge nicht ein (Urteil vom 17. Juni
2004).

Am 28. Februar 2005 überwies das Obergericht des Kantons Solothurn die Sache
P.________ und M.________ dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zur
Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge. Mit Verfügung vom
15. März 2005 wies der Instruktionsrichter dieses Gerichts das Gesuch des
M.________ um Sistierung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des
vor dem Zivilrichteramt X.________ hängigen Prozesses betreffend
Neubeurteilung der Nebenfolgen der Scheidung (persönlicher Unterhalt und
güterrechtliche Auseinandersetzung) ab. Ein weiteres Gesuch um Sistierung des
Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Obergericht hängigen
Prozesses betreffend die Revision des Scheidungsurteils vom 24. November 2003
in Bezug auf die Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge
wies der Vizepräsident des kantonalen Versicherungsgerichts mit Verfügung vom
10. Juli 2006 ab. Das Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar
2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts) bestätigte
beide verfahrensleitenden Entscheide (Urteile B 43/06 vom 3. Mai 2006 und B
86/06 vom 20. November 2006).

B.
Mit Entscheid vom 18. Januar 2007 verpflichtete das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn die Fundamenta BVG-Gemeinschaftsstiftung für betriebliche
Vorsorge, vom Guthaben des M.________ die Summe von Fr. 69'835.05 zuzüglich
Zins im Sinne der Erwägungen an eine von P.________ zu bezeichnende
Freizügigkeitseinrichtung zu überweisen.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 18. Januar 2007 sei aufzuheben und
es sei die Sache an das kantonale Versicherungsgericht zur Neubeurteilung
zurückzuweisen; eventualiter seien die Austrittsleistungen der Parteien nach
richterlichem Ermessen und unter Berücksichtigung des Ergebnisses der
güterrechtlichen Auseinandersetzung zu teilen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Weil die angefochtene Entscheidung nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes
vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG [SR 173.110]) am 1. Januar 2007
(AS 2006 1242) ergangen ist, untersteht die Beschwerde dem neuen Recht (Art.
132 Abs. 1 BGG).

2.
Das BGG und das gleichzeitig in Kraft getretene Bundesgesetz vom 17. Juni
2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz [VGG; AS
2197 ff., 2212]) haben an der Zuständigkeit des kantonalen
Versicherungsgerichts und letztinstanzlich des Bundesgerichts in zeitlicher
und sachlicher Hinsicht zum Entscheid über die streitige Teilung der
Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge bei Scheidung nach Art. 22 und 25a
FZG (BGE 130 V 103 E. 1 S. 104 ff.) nichts geändert (vgl. Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG und Ziff. 109 Anhang zu Art. 49 Abs. 1 VVG sowie Botschaft vom
28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege [BBl 2001 4202 ff.]
S. 4460 und Mitteilungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen über die
berufliche Vorsorge Nr. 95 vom 22. November 2006 S. 11 ff.). Da auch die
übrigen formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens gegeben sind, ist
auf die Beschwerde einzutreten.

3.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegeneheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art.
107 Abs. 1 BGG). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).

Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen: Es ist
nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden
rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr
vorgetragen werden. Im Übrigen wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes
wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde
geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden Es
kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen
und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz
abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

4.
4.1 Der angefochtene Entscheid verpflichtet die Fundamenta
BVG-Gemeinschaftsstiftung für betriebliche Vorsorge, bei welcher der
Beschwerdeführer bei Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsspruchs am 27.
Januar 2004 vorsorgeversichert war (BGE 132 V 236; vgl. auch BGE 132 III
401), zur Bezahlung von Fr. 69'835.05 von dessen Guthaben zuzüglich Zins nach
Gesetz und Reglement an eine von der früheren Ehefrau zu bezeichnende
Freizügigkeitseinrichtung. Die Summe von Fr. 69'835.05 entspricht der Hälfte
der Differenz der Austrittsleistung im Zeitpunkt der Ehescheidung unter
Einbezug der Barauszahlung vom 16. September 1998 (Fr. 248'871.35) und der
Austrittsleistung im Zeitpunkt der Eheschliessung, aufgezinst bis zum
27. Januar 2004 (Fr. 109'201.25; vgl. Art. 22 Abs. 1 und 22a Abs. 1 zweiter
Satz FZG) gemäss Auskunft der Vorsorgeeinrichtung vom 28. Oktober 2005. Die
Berücksichtigung der Barauszahlung vom 16. September 1998 in der Höhe von
Fr. 157'886.75 bei der Berechnung der im Verhältnis 1:1 zu teilenden
Austrittsleistung hat die Vorinstanz damit begründet, sie sei ohne
schriftliche Zustimmung der Ehefrau nach Art. 5 Abs. 2 FZG erfolgt. Dabei
habe die Vorsorgeeinrichtung in schuldhafter Verletzung ihrer
Sorgfaltspflicht gehandelt, indem sie blindlings den Angaben ihres
Versicherten vertraut und keine weiteren Abklärungen zur angeblichen
Scheidung und Abfindung der Ex-Frau getätigt habe. Sie habe somit nicht mit
befreiender Wirkung geleistet (vgl. BGE 130 V 103). Die teilbare
Austrittsleistung sei demnach so festzustellen, als ob die Barauszahlung
nicht erfolgt wäre.

4.2 Der Beschwerdeführer bestreitet eine schuldhafte
Sorgfaltspflichtverletzung der Fundamenta im Zusammenhang mit der
Barauszahlung vom 16. September 1998 und erachtet daher deren
Berücksichtigung bei der Berechnung der Austrittsleistung als
bundesrechtswidrig. Es kann offen bleiben, ob der Vorwurf der
Sorgfaltspflichtverletzung gerechtfertigt ist oder nicht. Es steht fest, dass
die Barauszahlung vom 16. September 1998 ohne schriftliche Zustimmung der
Ehefrau des Beschwerdeführers erfolgt war. Sie war somit unzulässig (Art. 5
Abs. 2 FZG). Dies ändert indessen grundsätzlich nichts am Anspruch der
früheren Ehefrau auf hälftige Teilung nach Art. 122 ZGB. Auch wenn der
Fundamenta keine Nachlässigkeit vorgeworfen werden könnte, bleibt die
Barauszahlung im Verhältnis unter den Ehegatten ungültig. Wenn und soweit bei
Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsspruchs noch Vorsorgekapital vorhanden
war, ist bei der Teilung der Austrittsleistung nach Art. 122 ZGB die
unzulässige Barauszahlung daher so zu behandeln, wie wenn sie nicht erfolgt
wäre (Urteil B 93/05 vom 21. März 2007 E. 4.4). Der Hauptantrag in der
Beschwerde, die zu teilende Austrittsleistung sei neu ohne die Barauszahlung
vom 16. September 1998 festzusetzen, ist somit unbegründet. Dies gilt auch,
soweit die der Ehefrau zugesprochene Leistung (Fr. 69'835.05 zuzüglich Zins
nach Gesetz und Reglement) höher ist als das bei Eintritt der Rechtskraft des
Scheidungsspruchs am 27. Januar 2004 vorhanden gewesene Vorsorgekapital.
Dieses betrug gemäss Berechnung der Fundamenta, welche selber nicht
Beschwerde erhoben hat, in der Beilage zum Schreiben vom 28. Februar 2005 an
die (nunmehr geschiedene) Ehefrau Fr. 55'906.- am 24. November 2003.

Ob der Verzicht der Fundamenta, gegen den vorinstanzlichen Entscheid
Beschwerde zu erheben, Auswirkungen auf eine allenfalls bestehende
Rückerstattungspflicht des Beschwerdeführers im Umfang der Differenz zwischen
der Austrittsleistung von Fr. 69'835.05 zuzüglich Zins nach Gesetz und
Reglement und dem Vorsorgekapital im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft
des Scheidungsspruchs hat, braucht hier nicht geprüft zu werden. In diesem
Zusammenhang ist zu beachten, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung der
Vorsorgeeinrichtung bei der Barauszahlung vom 16. September 1998 lediglich im
Verhältnis zur (nunmehr geschiedenen) Ehefrau allenfalls von Bedeutung sein
könnte (Schadenersatzpflicht: BGE 130 V 103, Urteil B 126/04 vom 20. März
2006); die Frage der Rückerstattung ist davon nicht berührt (E. 5.2 des in
BGE 133 V noch nicht publizierten Urteils B 93/06 vom 22. Januar 2007 mit
Hinweisen; BGE 129 III 646 E. 3.2 S. 649 f.).

5.
5.1 Die weiteren Vorbringen in der Beschwerde gegen den vorinstanzlichen
Entscheid sind nicht stichhaltig. Dass die Ehefrau seit 1. Dezember 1999 eine
ganze Rente der Invalidenversicherung bezieht, stellt keinen Vorsorgefall im
Sinne von Art. 124 Abs. 1 ZGB dar (BGE 129 III 481 E. 3.2.2 S. 484; Urteil B
19/03 vom 30. Januar 2004 E. 5.1), hindert somit die Teilung der
Austrittsleistungen nach Art. 122 ZGB und Art. 22 FZG nicht. Im Übrigen ist
unbestritten, dass das Scheidungsurteil vom 24. November 2003 in Bezug auf
das Teilungsverhältnis (1:1) in Rechtskraft erwachsen ist.

5.2 Das Eventualbegehren in der Beschwerde (Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz zur Teilung der Austrittsleistung nach richterlichem Ermessen
[Art. 124 Abs. 1 ZGB] unter Berücksichtigung des Ergebnisses der hängigen
güterrechtlichen Auseinandersetzung) ist nach dem in E. 4.2 Gesagten
unbegründet. Abgesehen davon wäre das Scheidungsgericht und nicht das
Berufsvorsorgegericht zuständig, an Stelle einer Teilung der
Austrittsleistungen der Ehegatten eine angemessene Entschädigung nach
Art. 124 Abs. 1 ZGB zuzusprechen (vgl. BGE 132 V 332 E. 3 S. 332 f. mit
Hinweis). Im Übrigen wurde bereits im Urteil B 43/06 vom 3. Mai 2006 in
Bestätigung der Verfügung des vorinstanzlichen Instruktionsrichters vom
15. März 2006 der Antrag auf Sistierung des Verfahrens bis zum
rechtskräftigen Abschluss des vor dem Zivilrichteramt X.________ hängigen
Prozesses betreffend Neubeurteilung der Nebenfolgen der Scheidung
(persönlicher Unterhalt und güterrechtliche Auseinandersetzung) abgewiesen.
Desgleichen bestätigte das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht mit
Urteil vom 20. November 2006 (B 86/06) die vom Vizepräsidenten des kantonalen
Versicherungsgerichts mit Verfügung vom 10. Juli 2006 abgelehnte Sistierung
des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim Obergericht
anhängig gemachten Prozesses betreffend die Revision des Scheidungsurteils
vom 24. November 2003 in Bezug auf die Teilung der Austrittsleistungen der
beruflichen Vorsorge. Die Vorbringen in der Beschwerde geben zumal mit Blick
auf das in E. 4.2 Gesagte keinen Anlass, im letztinstanzlichen Verfahren
anders zu entscheiden.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten in der Höhe
von Fr. 1000.- dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG
und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt unter
Verrechnung mit dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 4000.-; der
Differenzbetrag von Fr. 3000.- wird ihm zurückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 30. April 2007
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: