Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 279/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_279/2007

Urteil vom 17. Juni 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Attinger.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alain Girardet, Dammstrasse 19,
6300 Zug,

gegen

Ausgleichskasse Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdegegnerin,

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 15.
März 2007.

Sachverhalt:

A.
M.________ war im Handelsregister als einzelzeichnungsberechtigter Direktor der
Firma B.________ AG eingetragen, welche zusammen mit zahlreichen weiteren
Gesellschaften im In- und Ausland die X.________ Firmengruppe bildete. Bei
deren Holdinggesellschaft, der Firma C.________ AG (vormals Firma N.________
AG), war er als Chief Financial Officer (CFO) und Chief Operating Officer (COO)
angestellt und im Handelsregister als Direktor mit Kollektivunterschrift zu
zweien eingetragen (in verschiedenen weiteren Gesellschaften der Gruppe
fungierte er gemäss deren Organigramm als Direktor, Vorstandsmitglied, Vice
President, Verwaltungsrat). Einziges Mitglied des Verwaltungsrates der Firma
B.________ AG und Verwaltungsratspräsident der Firma C.________ AG (jeweils
"mit Einzelunterschrift") war Z.________. Am .... Januar 2003 wurde über die
Firma B.________ AG der Konkurs eröffnet (Einstellung mangels Aktiven am ....
Februar 2003). Darin kam die Ausgleichskasse Zug, welcher die Konkursitin als
beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen gewesen war, mit paritätischen
Sozialversicherungsbeiträgen zu Verlust. Mit Verfügung vom 17. Juni 2003 und
Einspracheentscheid vom 2. September 2004 verpflichtete die Ausgleichskasse
u.a. M.________ zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 120'382.10
für entgangene bundes- und kantonalrechtliche Beiträge (samt dazugehörigen
Folgekosten).

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess die gegen den Einspracheentscheid
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. März 2007 teilweise gut und
reduzierte den Schadenersatzbetrag auf Fr. 30'354.55.

C.
M.________ lässt Beschwerde ans Bundesgericht führen mit dem sinngemässen
Antrag, er sei von jeglicher Schadenersatzpflicht zu befreien; eventuell sei
die Sache "zur ergänzenden Abklärung des Sachverhalts und zur Neubeurteilung"
an das kantonale Gericht zurückzuweisen.

Während Ausgleichskasse und Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliessen,
haben sich das Bundesamt für Sozialversicherungen sowie der als
Mitinteressierter beigeladene Z.________ hiezu nicht vernehmen lassen.

D.
Mit Verfügungen vom 11. Juni und 5. Juli 2007 erteilte der Instruktionsrichter
der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht
darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art. 107 Abs. 1 BGG).

2.
In rechtlicher Hinsicht hat die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid die zur
subsidiären Haftung der Organe eines Arbeitgebers nach Art. 52 AHVG und der
dazu ergangenen Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen (Organstellung,
Schaden, Widerrechtlichkeit, zweistufiges Verschulden, Kausalität,
Nichtverwirkung/Nichtverjährung), soweit hier relevant, richtig wiedergegeben.
Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Überdies hat das kantonale Gericht in tatsächlicher Hinsicht - wobei es die
in E. 1 hievor angeführte grundsätzliche Verbindlichkeit der vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellung für das Bundesgericht zu berücksichtigen gilt -
zutreffend erkannt, dass die nachmals konkursite Arbeitgeberfirma der ihr
obliegenden Beitragsablieferungspflicht (Art. 14 Abs. 1 AHVG) während längerer
Zeit in widerrechtlicher und schuldhafter Weise nicht nachgekommen ist, was
sich (u.a.) der Beschwerdeführer als einzelzeichnungsberechtigter Direktor
unter den gegebenen Umständen anrechnen lassen muss (wenigstens was die
bundesrechtlichen Beitragsausstände anbelangt: vgl. E. 4 hienach). Auch
diesbezüglich kann weitestgehend auf den einlässlichen kantonalen Entscheid
verwiesen werden.

3.2 Sämtliche in der Beschwerde ans Bundesgericht vorgebrachten Einwendungen
vermögen an dieser Betrachtungsweise nichts zu ändern:
3.2.1 Soweit der Beschwerdeführer nunmehr geltend macht, seine Eintragung im
Handelsregister sei nur "pro forma" erfolgt, um ihm gegen aussen einen
"Auftritt als Direktor (u.a. der Firma B.________ AG) zu ermöglichen", während
die ihm übertragenen Aufgaben tatsächlich "primär administrativer Art" gewesen
seien, das Rechnungs- und Abgabewesen für die Tochtergesellschaft nicht umfasst
hätten und er "nur für die Holding (Firma C.________ AG) gearbeitet" habe,
widerspricht dies seinen eigenen Ausführungen im Rahmen der vorinstanzlichen
Parteibefragung vom 22. März 2006. Damals hatte er angegeben, "die ganze
Unternehmensgruppe (welche von ihm strukturiert worden sei, für die er die
Administration der einzelnen Gesellschaften aufgebaut sowie die Buchhaltung und
das Berichtswesen in Ordnung gebracht habe) wurde wie ein Unternehmen geführt":
Sämtliche Tochtergesellschaften seien "operativ gleich von der Holding aus
geführt" worden. Für die Lohnzahlungen und das Beitragswesen (wie überhaupt für
den gesamten Finanzbereich der Gruppe) sei die ihm als Finanzchef unterstellte
Finanzabteilung der Holding zuständig gewesen, welche die Lohnabrechnungen für
alle Gruppengesellschaften erstellt habe. Mit Blick auf diese Angaben, welche
durch die vorinstanzliche Zeugenbefragung des früheren, dem Beschwerdeführer
unterstellten Buchhalters vom 22. März 2006 gestützt werden, hat das kantonale
Gericht die Organstellung des hier Belangten zu Recht bejaht. Dabei mag offen
bleiben, ob dem Beschwerdeführer als einzelzeichnungsberechtigtem Direktor der
nachmals konkursiten Tochtergesellschaft formelle Organqualität zukam, wovon
die Rechtsprechung in der Regel ausgeht (SVR 2005 AHV Nr. 7 S. 24 E. 5.3.1;
Urteile H 107/01 und H 215/99 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 23.
Juli 2002 [E. 4.2] bzw. 29. Februar 2000 [E. 4b]). So - formelle Organqualität
- oder anders - materielle Organstellung - erfüllte der Beschwerdeführer als
Finanzchef der Unternehmensgruppe nach der hievor dargelegten
Organisationsstruktur im Beitragswesen jedenfalls tatsächlich Funktionen, wie
sie den Gesellschaftsorganen der Firma B.________ AG vorbehalten gewesen wären.
3.2.2 Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die vorinstanzliche Beschränkung der
Haftung auf Beiträge, welche bis zum 4. Juli 2002 fällig geworden waren. Mit
Schreiben von diesem Datum hatte nämlich der Beschwerdeführer die Kündigung
seines Arbeitsverhältnisses mit der Holdinggesellschaft und gleichzeitig den
Rücktritt von allen "Positionen (Verwaltungsrats- und Direktionsposten in
verschiedenen Gruppengesellschaften)" erklärt und damit - entgegen der
Auffassung der Ausgleichskasse in der letztinstanzlichen Vernehmlassung - das
von der Rechtsprechung für ein Entfallen der subsidiären Haftbarkeit
vorausgesetzte Erfordernis des unzweifelhaft erstellten vollständigen Rückzugs
von der Arbeitgeberfirma und deren Geschäftsaktivitäten erfüllt (vgl. BGE 126 V
61, 112 V 1 E. 3c S. 4 und 109 V 86 E. 13 S. 93; Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts H 107/07 vom 23. Juli 2002, E. 3.2). Soweit der
Beschwerdeführer in zeitlicher Hinsicht eine weitergehende Haftungsbeschränkung
geltend macht und zur Begründung ausführt, er sei bereits mit
Verwaltungsratsbeschluss vom 9. November 2001 als Finanzchef der Firmengruppe
entmachtet worden und habe sich mit seinen Bemühungen zur Begleichung der
ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge gegen Z.________ (damaliger
Verwaltungsratspräsident der Holding und einziges Mitglied des Verwaltungsrates
bei der B.________ AG) nicht durchsetzen können, kann ihm in Übereinstimmung
mit dem kantonalen Gericht nicht gefolgt werden. Entscheidend ist, dass der
Belangte mit Schreiben vom 26. November 2001 erst seinen sofortigen "Rücktritt
vom Mandat als Direktor der Firma A.________ AG" (d.h. einer im vorliegenden
Zusammenhang nicht interessierenden anderweitigen Tochtergesellschaft) erklärt
hat. Wie die Vorinstanz in jedenfalls nicht offensichtlich unrichtiger Weise
feststellte, kam es demgegenüber erst mit dem bereits zitierten Kündigungs- und
Demissionsschreiben vom 4. Juli 2002 zur von der Gerichtspraxis für eine
Haftungsbeschränkung in zeitlicher Hinsicht verlangten klar ausgewiesenen
vollständigen faktischen Lösung des Beschwerdeführers von der
Unternehmensgruppe. Dies ergibt sich denn auch aus dem Schreiben an den
Verwaltungsrat der Holdinggesellschaft selber, in welchem der Belangte unter
Verwendung der Gegenwartsform ausführte, "die Gründe für meine Kündigung liegen
neben den oben erwähnten finanziellen Gründen primär in der Art und Weise wie
mir eine weitere Arbeit für die Gesellschaft verunmöglicht wird, obwohl ich
konstant alles mir unter diesen Umständen mögliche unternehme, um die Probleme
der Gruppe und der Einzelgesellschaften zu lindern".
3.2.3 Schliesslich beschlägt die vom kantonalen Gericht aufgrund antizipierter
Beweiswürdigung gezogene Schlussfolgerung, dass die seitens des
Beschwerdeführers verlangten weiteren Beweismassnahmen (zusätzliche
Zeugenbefragungen, Akteneditionen) keinen hier relevanten Erkenntnisgewinn
zeitigen würden, Fragen tatsächlicher Natur und ist daher für das Bundesgericht
verbindlich (E. 1 hievor), zumal von einer Rechtsfehlerhaftigkeit im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 BGG nicht die Rede sein kann. Nach dem Gesagten bleibt auch für
die letztinstanzlich mit Eventualbegehren verlangten prozessualen Weiterungen
kein Raum.

4.
Hingegen ist der Einwand des Beschwerdeführers berechtigt, wonach der
vorinstanzliche Entscheid insofern das Legalitätsprinzip verletzt, als er
entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse (FAK) in den
Schadenersatzbetrag miteinschliesst: Die Erhebung von öffentlich-rechtlichen
Abgaben bedarf prinzipiell einer formell-gesetzlichen Grundlage (Art. 127 Abs.
1 BV; BGE 133 V 402 E. 3 S. 404, 132 I 117 E. 4 S. 120). Das Bundesgericht hat
in BGE 9C_704/2007 vom 17. März 2008 erkannt, dass § 28 des zugerischen
Gesetzes über die Kinderzulagen vom 16. Dezember 1982 (KZG/ZG, BGS 844.4) keine
genügende gesetzliche Grundlage bildet, um Schadenersatz für entgangene
FAK-Beiträge erheben zu können. Die Schadenersatzforderung gegenüber dem
Beschwerdeführer erfährt demnach eine entsprechende Reduktion.

5.
Die Gerichtskosten sind nach dem Ausmass des Obsiegens und Unterliegens auf die
Parteien aufzuteilen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der geringfügig obsiegende
Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine entsprechend reduzierte
Parteientschädigung zulasten der Ausgleichskasse (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 15. März 2007 wird mit der Feststellung
abgeändert, dass der Beschwerdeführer nur für entgangene bundesrechtliche
Sozialversicherungsbeiträge schadenersatzpflichtig ist. Die Sache wird an die
Ausgleichskasse Zug zurückgewiesen, damit sie über den entsprechenden
Schadenersatzbetrag neu verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 5000.- werden dem Beschwerdeführer Fr. 4500.-
und der Ausgleichskasse Zug Fr. 500.- auferlegt.

3.
Die Ausgleichskasse Zug hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug wird über eine Neuverlegung der
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, dem Bundesamt für Sozialversicherungen
und Z.________ schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 17. Juni 2008
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Attinger