Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 255/2007
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9C_255/2007

Urteil vom 9. August 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Wey.

G. ________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Silvia
Eggenschwiler,             Rämistrasse 5, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
15. März 2007.

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 10. März 2006 und Einspracheentscheid vom 14. Juni 2006
verneinte die IV-Stelle Bern einen Anspruch der 1968 geborenen G.________ auf
eine Rente der Invalidenversicherung mangels eines leistungsbegründenden
Invaliditätsgrades.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 15. März 2007 ab.

G. ________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente. Eventuell sei die
Sache zur weiteren Abklärung an die Verwaltung zurückzuweisen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. zur auch unter der Herrschaft
des BGG gültigen Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der
Invaliditätsbemessung [Art. 16 ATSG] für die Ermittlung des
Invaliditätsgrades nach Art. 28 Abs. 1 IVG BGE 132 V 393).

2.
Streitig und vorab zu prüfen sind die Vorbringen der Beschwerdeführerin in
formeller Hinsicht.

2.1 Mit Verfügung vom 10. März 2006 hat die IV-Stelle einen Anspruch auf
Invalidenrente mit der Begründung abgelehnt, die Abklärungen hätten ergeben,
"dass [der Beschwerdeführerin] die bisherige Tätigkeit als
Küchengehilfin/Reinigungsmitarbeiterin weiterhin ganztags, d.h. 8 bis 9
Stunden pro Tag, ohne Leistungsverminderung zumutbar ist". Nach Ansicht der
Versicherten sei die Verwaltung damit ihrer Begründungspflicht nicht
hinreichend nachgekommen, sodass eine Gehörsverletzung vorliege. Insbesondere
habe sie sich tatsächlich auf das interdisziplinäre Gutachten der
Medizinischen Abklärungsstelle X.________ (MEDAS) vom 1. März 2006 gestützt,
ohne aber in irgend einer Weise darauf Bezug genommen zu haben. Diesem
Einwand der Beschwerdeführerin ist indessen entgegenzuhalten, dass in der
Verfügung klar festgehalten wurde, die IV-Stelle gehe davon aus, die
bisherige Tätigkeit könne weiterhin ganztags ausgeübt werden. Dies genügt als
Begründung, namentlich im Hinblick darauf, dass die Behörde im
Einspracheverfahren die Möglichkeit erhält, ihre Verfügung einer erneuten
Überprüfung zu unterziehen und allfällige Mängel zu korrigieren. Zudem musste
der Beschwerdeführerin bereits aufgrund der Ankündigung der Begutachtung klar
sein, dass die Invalidenversicherung ihren Entscheid auf das zu erstellende
MEDAS-Gutachten stützen werde und hat sie bereits mit ihrer Einsprache
belegt, dass ihr die (stillschweigende) Bezugnahme der Verwaltung auf das
Gutachten der MEDAS bekannt und bewusst war.

2.2 Des Weiteren erblickt die Versicherte eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs darin, dass ihr nach erhobener Einsprache vom 12. April 2006 zur
Einholung und Nachreichung ergänzender ärztlicher Berichte und Gutachten mit
Schreiben vom 28. April 2006 lediglich eine Frist bis spätestens 22. Mai 2006
eingeräumt und auch das Gesuch um Fristverlängerung vom 9. Mai 2006 mit
Schreiben vom 29. Mai 2006 abgelehnt worden war. Es sei ihr dadurch die
Möglichkeit abgeschnitten worden, notwendige medizinische Akten in den
Prozess einzuführen. Entgegen diesen Ausführungen handelte es sich bei der
angesetzten Frist zur Begründung der Einsprache aber um eine üblicherweise
gewährte. So ist denn auch die Verweigerung der Fristverlängerung nicht zu
beanstanden: Einerseits soll das Einspracheverfahren innert angemessener
Frist erledigt werden können (Art. 52 Abs. 2 ATSG). Andererseits gilt auch im
Einspracheverfahren die Untersuchungsmaxime, wonach ergänzende Gutachten von
Amtes wegen oder auf Antrag von der Behörde eingeholt werden können. Kommt
diese in antizipierter Beweiswürdigung zum Ergebnis, weitere Begutachtungen
seien nicht erforderlich, kann sie darauf verzichten und das Beweisverfahren
schliessen und entscheiden, bevor angekündigte Privatgutachten eingereicht
werden. Es handelt sich dabei nicht um eine Frage des rechtlichen Gehörs,
sondern der rechtsgenüglichen Sachverhaltsabklärung, die auch im
Beschwerdeverfahren mit freier Sachverhaltskognition nachgeholt werden kann.
Die Beschwerdeführerin hat denn auch die im Fristerstreckungsgesuch
angekündigten zusätzlichen ärztlichen Berichte im Beschwerdeverfahren
eingereicht; diese lagen somit der Vorinstanz vor. Die Rüge der
Gehörsverletzung läuft damit auf eine Kritik an der Sachverhaltsabklärung
hinaus.

3.
Nach dem Gesagten bleibt (in materieller Hinsicht) zu prüfen, ob das
kantonale Gericht mit der auf (teilweise antizipierter) Beweiswürdigung
beruhenden Annahme, die Beschwerdeführerin sei als medizinisch-theoretisch
voll arbeitsfähig zu betrachten, den Sachverhalt offensichtlich unrichtig
oder unter Rechtsverletzung festgestellt hat.

3.1 Die Vorinstanz gelangte gestützt auf das multidisziplinäre Gutachten der
MEDAS, worin im Wesentlichen ein generalisiertes Weichteilschmerzsyndrom,
eine Konversionsstörung (ICD-10 F44.4) sowie eine Kollagenose (Verdacht auf
Sharp-Syndrom, so genannte Mischkollagenose) diagnostiziert wurden, zur
Auffassung, die Versicherte sei in ihrer angestammten Tätigkeit als
Raumpflegerin und Küchenhilfe nach wie vor voll leistungsfähig. Unter Hinweis
auf ärztliche Stellungnahmen mit teilweise abweichenden Diagnosen (namentlich
systemischer Lupus erythematodes [SLE] sowie Anpassungsstörung mit
mittelgradiger depressiver Episode [ICD-10 F43.21]; vgl. das Gutachten der
Klinik K.________ vom 7. Mai 2007) wendet sich die Versicherte gegen diese
Betrachtungsweise und geht von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit aus.
Ihre Kritik richtet sich dabei vorwiegend gegen das MEDAS-Gutachten, dem sie
jeglichen Beweiswert etwa mit der Begründung abspricht, es sei aufgrund
unberücksichtigt gebliebener Laborbefunde von der falschen, weniger schwer
wiegenden Diagnose Kollagenose anstatt von einem SLE und aufgrunddessen von
einer zu hohen Arbeitsfähigkeit ausgegangen.

3.2 Der Rheumatologe Dr. med. S.________ war sich dieses Umstands bewusst und
räumte im MEDAS-Teilgutachten vom 19. Dezember 2005 denn auch ein, "diese
Beurteilung ist möglicherweise unvollständig, zumal die hierzu notwendigen
Laboruntersuchungs-Befunde nicht vorliegen". Für den Fall, dass die
ausstehenden Ergebnisse den Verdacht auf eine Kollagenose (welche gemäss
Beilage der Versicherten "eine Gruppe eher seltener Autoimmunerkrankungen"
bezeichnet, die auch den SLE umfasst) bestätigen sollten, führe dies aber
dennoch "im Moment zu keinen Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit, sofern man
eine dem Leiden angepasste Tätigkeit (Gelenk schonend) ins Auge fasst". Zudem
gingen die ärztlichen Stellungnahmen zwar von zum Teil unterschiedlichen
Diagnosen aus, die Arbeits(un)fähigkeit wurde aber jeweils mit Blick auf die
im Wesentlichen gleichen Beschwerden (Rücken- und Gelenkprobleme) ermittelt.
Die Vorinstanz hat denn auch die präzisierte bzw. korrigierte Diagnose des
SLE berücksichtigt und - gestützt auf weitere Arztberichte, die diese
Diagnose gestellt und die bei der Begutachtung durch Dr. med. S.________ noch
fehlenden Laborbefunde berücksichtigt haben - festgestellt, diese ändere
nichts an der Feststellung von Dr. med. S.________, dass die entsprechenden
Symptome zu keiner Einschränkung der Arbeitsfähigkeit führten. Des Weiteren
begründete das Gutachten der Klinik K.________ die vollständige
Leistungsunfähigkeit der Versicherten massgeblich mit der diagnostizierten
Anpassungsstörung mit mittelgradiger depressiver Episode, die im Lichte der
Rechtsprechung hinsichtlich aetiologisch-pathogenetisch unerklärlicher
syndromaler Leidenszustände grundsätzlich keine invalidisierende Wirkung hat
(BGE 132 V 65, 131 V 49, 130 V 352 und 396) und sich zudem im Nachgang des
Treppensturzes im August 2006 und damit erst nach dem für den
Beurteilungszeitpunkt relevanten Einspracheentscheid vom 14. Juni 2006
entwickelt hat. Schliesslich kann dahingestellt bleiben, ob die Vorbringen
der Versicherten die Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts in Zweifel zu
ziehen und weitere Abklärungen zu rechtfertigen vermöchten; denn
offensichtlich unrichtig ist die auf das Gutachten der MEDAS abstellende
vorinstanzliche Tatsachenfeststellung jedenfalls für den massgeblichen
Beurteilungszeitpunkt (Einspracheentscheid vom       14. Juni 2006) nicht.

4.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 9. August 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
i.V.