Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 238/2007
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9C_238/2007

Urteil vom 25. Oktober 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel, Viaduktstrasse 42, 4051 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

Firma X.________ AG, Beschwerdegegnerin,

S.________,
L.________,
M.________.

Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom
14. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 23. Januar 2006 und Einspracheentscheid vom 8. Mai 2006
verpflichtete die Ausgleichskasse Arbeitgeber Basel die Firma X.________ AG,
welche den Betrieb eines Kursinstituts zweckt, zur Nachzahlung paritätischer
AHV/IV/EO/ALV-Beiträge (inkl. Verwaltungskosten) auf Einkünften von
Dozentinnen und Dozenten für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember
2004 in der Höhe von Fr. 53'083.35 und zur Zahlung von Fr. 5933.80
Verzugszins.

B.
Beschwerdeweise liess die Firma X.________ AG beantragen, der
Einspracheentscheid sei aufzuheben und sie sei bei ihrer Bereitschaft zu
behaften, für die Jahre 2001 - 2004 eine Lohnaufrechnung in der Höhe von Fr.
92'023.- zuzüglich darauf geschuldeter Verwaltungskosten und Verzugszinse zu
akzeptieren. Nach Beiladung zum Verfahren der Dozentin S.________ und der
Dozenten L.________ und M.________ als Mitinteressierte hiess das
Kantonsgericht Basel-Landschaft die Beschwerde im Sinne der Erwägungen
teilweise gut. In den Erwägungen verpflichtete es die Ausgleichskasse zu
zusätzlichen Abklärungen und neuer Verfügung über die Höhe der Nachzahlung
(Entscheid vom 14. März 2007).

C.
Die Ausgleichskasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides.

Die Firma X.________ AG beantragt Abweisung der Beschwerde. Die
Mitinteressierten Frau S.________, L.________ und M.________ sowie die
Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Da der angefochtene Entscheid nach dem 31. Dezember 2006 ergangen ist,
richtet sich das Verfahren nach dem Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110; vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
Mit dem angefochtenen Entscheid wird die Beschwerdeführerin verpflichtet,
abzuklären, ob über die in Frage stehenden Sozialversicherungsbeiträge
bereits formell rechtskräftige Verfügungen vorliegen, und gestützt auf die
Ergebnisse der Abklärungen über die Höhe der Nachzahlungsverfügung neu zu
befinden. Insoweit handelt es sich beim angefochtenen Entscheid um einen
Rückweisungs- und damit um einen Zwischenentscheid, der nur unter den
Voraussetzungen von Art. 93 BGG selbstständig anfechtbar ist. Die Vorinstanz
ist davon ausgegangen, dass die streitigen Tätigkeiten an sich
unselbstständig sind, die daraus stammenden Einkommen jedoch grundsätzlich
(unter Vorbehalt einer Wiedererwägung) nur dann als Einkommen aus
unselbstständiger Tätigkeit erfasst werden können, wenn sie nicht bereits mit
rechtskräftiger Verfügung als Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit erfasst
worden sind. Die Beschwerdeführerin erachtet diese Auffassung sinngemäss als
bundesrechtswidrig. Sie würde somit durch den angefochtenen Entscheid
verpflichtet, eine ihres Erachtens rechtswidrige Anordnung zu vollziehen.
Darin liegt ein nicht wieder gut zu machender Nachteil im Sinne von Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist (zur
Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehene Urteile vom 6. August 2007,
I 126/07, E. 1.2, und 25. Juli 2007, 9C.15/2007, E. 5.2).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Höhe der Nachzahlung paritätischer
AHV/IV/EO/ALV-Beiträge für die Jahre 2001-2004 und die Zahlung entsprechender
Verwaltungskosten und Verzugszinsen.

3.1 Im angefochtenen Gerichtsentscheid ist richtig dargelegt, dass die
sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht Erwerbstätiger sich unter
anderem danach richtet, ob das in einem bestimmten Zeitraum erzielte
Erwerbseinkommen als solches aus selbstständiger oder aus unselbstständiger
Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist (Art. 5 und 9 AHVG sowie
Art. 6 ff. AHVV). Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender Lohn jedes
Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit
geleistete Arbeit; als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit gilt
nach Art. 9 Abs. 1 AHVG jedes Einkommen, das nicht Entgelt für in
unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt.

3.2 Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall
selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht auf
Grund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien.
Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die
zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte
für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend
zu sein. Als unselbstständig erwerbstätig ist im Allgemeinen zu betrachten,
wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw.
arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches
Unternehmerrisiko trägt. Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen
noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die
Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt
dazu, die beitragsrechtliche Stellung einer erwerbstätigen Person jeweils
unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil
dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage treten, muss sich der
Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall
überwiegen (BGE 123 V 161 E. 1 S. 162, 122 V 169 E. 3a S. 171, 281 E. 2a S.
283, 119 V 161 E. 2 mit Hinweisen).

3.3 Gemäss Art. 7 lit. l AHVV gehören Honorare der Privatdozenten und ähnlich
besoldeter Lehrkräfte zum massgebenden Lohn, soweit sie nicht
Unkostenentschädigung darstellen. Unter diese Bestimmung fallen nach Rz. 4014
der bundesamtlichen Wegleitung zum massgebenden Lohn (WML) in der AHV, IV und
EO, welche als Verwaltungsverordnung eine - für das Gericht nicht
verbindliche - Auslegungshilfe darstellen kann (BGE 127 V 57 E. 3a S. 61, 126
V 64 E. 4b S. 68, 421 E. 5a 427, 125 V 377 E. 1c S. 379, je mit Hinweisen),
auch die Bezüge von Personen, die an Schulen, Ausbildungsstätten oder
Tagungszentren regelmässig Kurse geben, wobei als entscheidende Kriterien
festgehalten werden, dass die Lehrkräfte an den Investitionen der
Veranstaltungen nicht beteiligt sind, das Inkassorisiko nicht tragen und die
Kursteilnehmenden nicht selber suchen müssen. Demgegenüber werden Vergütungen
für Kurse, die nur gelegentlich gegeben werden, in der Regel nicht zum
massgebenden Lohn gezählt.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat zutreffend erwogen, dass aus den Verfahrensakten nicht
ersichtlich ist, ob es bei den betroffenen Dozentinnen und Dozenten, die
neben ihrer Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin eine selbstständige
Erwerbstätigkeit ausüben, Fälle gibt, in denen über die in Frage stehenden
Sozialversicherungsbeiträge bereits formell rechtskräftige Verfügungen der
zuständigen Ausgleichskassen vorliegen. Entsprechend richtig hat sie darum
die Sache an die Beschwerdeführerin zurückgewiesenen, damit sie dies bei den
einzelnen Ausgleichskassen abkläre und dann gestützt auf die Ergebnisse über
die Höhe der Nachzahlung neu befinde und sich hier an die in solchen Fällen
zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedingungen halte.

4.2 Das im angefochtenen Entscheid angeordnete Vorgehen entspricht der
Rechtslage, gemäss der ein Versicherungsträger auf formell rechtskräftige
Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen kann, wenn diese
zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung ist (Revision und Wiedererwägung; Art. 53 Abs. 2 ATSG); es folgt
auch der Rechtsprechung, wonach es für den Wechsel des Beitragsstatuts in
jenen Fällen, wo über die in Frage stehenden Sozialversicherungsbeiträge
bereits eine formell rechtskräftige Verfügung vorliegt, eines solchen
Rückkommenstitels bedarf. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es zulässig,
eine rückwirkende Änderung des Beitragsstatuts betreffend die gleichen
Entgelte vorzunehmen (BGE 122 V 169 E. 4 S. 173, 121 V 1 E. 6 S. 4).

4.3 Eine Tätigkeit, welche mit rechtskräftiger Beitragsverfügung als
selbstständige Erwerbstätigkeit qualifiziert wurde, kann somit nicht ohne
weiteres nachträglich als unselbstständige betrachtet werden. Die
Beschwerdeführerin bringt zwar vor, sie habe bereits 2002 angeordnet, dass
sämtliche Leistungen der Beschwerdegegnerin an Dozentinnen und Dozenten als
massgebender Lohn anzurechnen seien. Es ist aber nicht dargetan, dass im
Jahre 2002 eine Verfügung an die Beschwerdegegnerin ergangen wäre, welche
verbindlich festlegen würde, dass sämtliche zukünftigen Honorare als
Einkünfte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit abzurechnen wären. Bei den
Akten liegt einzig ein Bericht vom 12. Februar 2002 über eine
Arbeitgeberkontrolle, worin vermerkt ist, ab 2002 müsse über alle Dozentinnen
und Dozenten als unselbstständig Erwerbende abgerechnet werden. Es ist auch
nicht dargelegt, dass diese Mitteilung überhaupt an die Beschwerdegegnerin
ergangen ist. Die Ausgleichskasse könnte aber auch gar nicht im Voraus
anordnen, dass alle Dozentinnen und Dozenten als unselbstständig Erwerbende
betrachtet werden müssen. Ob diese als selbstständig oder unselbstständig
Erwerbende anzusehen sind, hängt, wie bereits dargelegt (vgl. E. 3.3), davon
ab, ob sie nur gelegentlich oder regelmässig Unterricht geben (WML Rz. 4014;
AHI 2003 S. 361 E. 3.2, 2001 S. 182 E. 2; Urteil vom 28. Februar 1994,
H 295/93, E. 3a). Dies muss von Fall zu Fall entschieden werden (BGE 123 V
161 E. 1 S. 163, 119 V 161 E. 2 S. 162) und kann nicht im Voraus pauschal für
alle angeordnet werden.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als der unterliegenden Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Ausnahmeregelung von Art. 66 Abs. 4
BGG ist nicht anwendbar, da die Ausgleichskasse als Versicherungsträgerin in
ihren Vermögensinteressen berührt ist (Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar
BGG, N 54 zu Art. 66).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, S.________, L.________, M.________, dem
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 25. Oktober 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz