Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 216/2007
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9C_216/2007

Urteil vom 1. Oktober 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

S. ________,
R.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Sutter, Toggenburgerstrasse 24,
9500 Wil,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen vom 19. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1940 geborene G.________, gestorben am 11. Juni 2006, bezog ab Mai 1984
eine halbe und ab Juli 1985 bis zum Übertritt ins AHV-Alter (März 2005) ein
ganze Rente der Invalidenversicherung, zuzüglich Zusatzrenten für die Ehefrau
und die beiden Söhne. Mit Verfügung vom 31. August 2005 forderte die
IV-Stelle St. Gallen von G.________ die in der Zeit von Juni 2000 bis März
2005 ausgerichteten Rentenzusatzleistungen im Betrag von Fr. 29'335.- zurück,
da ihm vom Zeitpunkt seiner Scheidung an (5. Oktober 1993) zu Unrecht eine
Zusatzrente für die geschiedene Ehefrau ausgerichtet worden sei. In
teilweiser Gutheissung der Einsprache reduzierte die IV-Stelle den
Rückerstattungsbetrag um die in den Monaten Juni und Juli 2000 ausbezahlten
Zusatzrenten (Fr. 1'148.-) auf Fr. 28'187.-, da die Rückforderung dieser
Leistungen verwirkt sei.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die hiegegen erhobene
Beschwerde teilweise gut und setzte den Rückforderungsbetrag infolge
Eintritts der Verwirkung der im August 2000 ausbezahlten Zusatzrente auf Fr.
27'613.- fest.

C.
S.________ und R.________, Erben und Söhne des Verstorbenen, lassen
Beschwerde führen und beantragen, der angefochtene Entscheid, die
Rückerstattungsverfügung sowie die Verpflichtung zur Rückerstattung der von
ihrem verstorbenen Vater von 1. September 2000 bis 31. März 2005 zu Unrecht
bezogenen Zusatzrenten für seine Ehefrau im Betrage von Fr. 27'613. seien
aufzuheben.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art.
95 lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführer die während des Zeitraums
von September 2000 bis März 2005 ihrem verstorbenen Vater ausgerichteten
Zusatzrentenbetreffnisse von insgesamt Fr. 27'613.- zurückzuerstatten haben.
Das kantonale Versicherungsgericht hat die zur Beurteilung dieser Streitfrage
einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen
(Art. 109 Abs. 3 BGG). Zu ergänzen ist, dass sich die streitige
Rückerstattungspflicht auf Dauerleistungen bezieht, die teilweise vor
Inkrafttreten des ATSG (1. Januar 2003) ausbezahlt wurden. In der
Invalidenversicherung richtete sich früher die Rückerstattungspflicht analog
nach aArt. 47 AHVG (in Kraft bis 31. Dezember 2002; siehe BGE 126 V 23 E.
4a). Diese Gesetzesänderung hat indessen keinen Einfluss auf das Ergebnis, da
die nach dem ATSG für die Rückerstattung von Leistungen massgebliche
Bestimmung (Art. 25 ATSG) aus der früheren Regelung und Rechtsprechung
hervorgegangen ist, ohne dass sich materiell etwas geändert hat (BGE 130 V
318 E. 5.2 S. 319).

3.
3.1 Es ist unbestritten, dass der Vater der Beschwerdeführer ab
Scheidungsdatum zu Unrecht eine Zusatzrente für seine geschiedene Ehefrau
bezog. Die Söhne bestreiten eine Rückerstattungspflicht im Wesentlichen aus
folgenden Gründen: Einerseits könne die unterlassene Meldung ihrem
gutgläubigen Vater aufgrund seiner Herkunft und Bildung nicht zum Nachteil
gereichen. Anderseits sei das Scheidungsurteil vom 5. Oktober 19936 (recte
1993) auch den zuständigen Zivilstandsämtern und damit über die
gemeindeinterne Mutationsstelle auch der AHV-Zweigstelle zugestellt worden.
Damit habe die einjährige Verjährungsfrist im Jahre 1993 zu laufen begonnen
und allfällige Rückforderungsansprüche wären längst verjährt. Diese
Vorbringen wurden bereits im vorinstanzlichen Verfahren erhoben und vom
kantonalen Gericht mit an sich zutreffender Begründung, auf die wiederum
verwiesen werden kann, entkräftet.

3.2 Zum ersten Punkt ist ergänzend festzuhalten, dass die Ausführungen der
Beschwerdeführer zur Meldepflicht irrelevant sind. Sie gehen
irrtümlicherweise davon aus, dass es zur Begründung der
Rückerstattungspflicht einer Meldepflichtverletzung bedarf. Dem ist indessen
nicht so. Vielmehr begründet bereits die Unrechtmässigkeit des Bezugs an sich
die Rückerstattungspflicht. Nach der Rechtsprechung ist bei der
Rückerstattungspflicht im Bereich der Invalidenversicherung zwischen
AHV-analogen (z.B. fehlende Versicherteneigenschaft, falsche Rentenberechnung
usw.) und IV-spezifischen (alle Tatsachenänderungen, die im Bereich des
Invaliditätsgrades von Bedeutung sind) Aspekten zu unterscheiden. Eine
Meldepflichtverletzung wäre lediglich dann von Bedeutung (Art. 88bis Abs. 2
lit. b IVV), wenn die Frage zu entscheiden wäre, ob die infolge eines
IV-spezifischen Aspektes vorzunehmende Leistungsanpassung rückwirkend
erfolgen müsse (BGE 119 V 431 E. 2 S. 432). Hier geht es klar nicht um einen
IV-spezifischen, sondern um einen AHV-analogen Leistungsgesichtspunkt
(Scheidung, Wegfall der Zusatzrente), der in jedem Fall zu einer
rückwirkenden (ex tunc) Anpassung führt. Ob eine Meldepflichtverletzung
vorliegt, wird im Übrigen im Rahmen eines allfälligen Verfahrens zum Erlass
der Rückerstattungsschuld (Art. 25 Abs. 1 zweiter Satz ATSG; Art. 4 ATSV),
insbesondere bei der Beurteilung der Erlassvoraussetzung des guten Glaubens
(vgl. auch BGE 122 V 221 E. 3 S. 223 mit Hinweisen) zu beachten sein.

3.3 Unbehelflich ist auch die Kritik der Beschwerdeführer an der
vorinstanzlichen Ablehnung ergänzender Abklärungen zur Frage, ob die
AHV-Zweigstelle im Jahre 1993 Kenntnis vom Scheidungsurteil genommen hat oder
nicht. Nach konstanter Rechtsprechung ist bezüglich der zumutbaren Kenntnis
des zur Rückforderung Anlass gebenden Sachverhalts nicht auf das erstmalige
unrichtige Handeln, sondern auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen, in dem sich
die Verwaltung - beispielsweise anlässlich einer Rechnungskontrolle - bei
Anwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit über ihren Fehler hätte Rechenschaft
geben müssen (BGE 124 V 380 E. 1 S. 382 mit Hinweisen). Dieser Grundsatz,
wonach nicht der ursprüngliche Irrtum, sondern erst ein "zweiter Anlass" die
relative einjährige Verwirkungsfrist auslöst, wurde in der Folge
verschiedentlich bestätigt (zuletzt mit Urteil vom 22. September 2003 in
Sachen Z., I 308/03). Wie das kantonale Gericht in für das Bundesgericht
verbindlicher Weise festgestellt hat (siehe E. 1), hat es hier einen solchen
"zweiten Anlass" nicht gegeben. Die Beschwerdeführer bestreiten zwar diese
Feststellung, können indessen keinen konkreten Anlass benennen, sondern
äussern dazu lediglich Vermutungen, die indessen nicht geeignet sind, die
vorinstanzliche Tatsachenfeststellung als offensichtlich unrichtig oder
bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen (vgl. E. 1). Auch aus BGE 122 V 270
können die Beschwerdeführer nichts zu ihren Gunsten ableiten, übersehen sie
doch, dass es in jenem Fall um eine im Handelsregister publizierte Tatsache
(Verwaltungsratsstellung) ging. Bei einer solchen kann für die zumutbare
Kenntnis der Rückerstattungsvoraussetzungen nicht ein zweiter Anlass im Sinne
dieser Rechtsprechung verlangt werden. Vielmehr muss sich die Verwaltung die
Publizitätswirkung des Handelsregisters und die Bekanntmachungen daraus im
Schweizerischen Handelsamtsblatt entgegenhalten lassen (BGE 122 V 270 E.
5b/aa S. 275).

3.4 Soweit die Beschwerdeführer schliesslich neu vorbringen lassen, die nach
der Anmeldung für eine Altersrente (21. Dezember 2004) zu Unrecht erfolgten
Auszahlungen könnten mangels Kausalität nicht zurückgefordert werden,
übersehen sie, dass die Rechtsprechung, wonach zwischen einer
Meldepflichtverletzung und dem unrechtmässigen Bezug von
Versicherungsleistungen ein Kausalzusammenhang bestehen muss (BGE 119 V 431
E. 4a S. 435), nur dann zur Anwendung kommt, wenn die verletzte Meldepflicht
einen IV-spezifischen Gesichtspunkt betrifft (Urteil vom 24. März 1999 in
Sachen W. AG, C 136/98). Dies ist - wie bereits in E. 3.2 dargelegt - hier
nicht der Fall.

4.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 BGG erledigt wird.

5.
Die Gerichtskosten werden den Beschwerdeführern als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Beschwerdeführern auferlegt. Sie
sind durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 1'900.- gedeckt; der
Differenzbetrag von Fr. 1'400.- wird zurückerstattet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes, Zürich,
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 1. Oktober 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: